Den Schriftsteller Renaud Camus kannte jahrzehntelang nur ein winziges
Publikum von Eingeweihten. Doch seit er im neunten Teil seiner "intimen
Tagebücher" schrieb, dass es "zu viele Juden" in den Pariser Medien gäbe
und dass sie die französische Kultur "nie wirklich verstehen" würden,
geriet der Mann in den Mittelpunkt eines Skandals, der ihn in Frankreich
landesweit bekannt gemacht hat.
Dafür sorgte eine Gruppe prominenter französischer Intellektueller, die ihm
Antisemitismus vorwarfen, Petitionen gegen ihn schrieben und die Zensur seines
Buches verlangten. Als sich auch die sozialistische Kulturministerin Catherine
Tasca einschaltete, zog der Verlag Fayard das Buch erschrocken zurück. Demnächst
will er es in einer zensierten Fassung erneut auf den Markt bringen.
Der 54-jährige Camus hatte bereits in seinen vorausgegangenen 39 Büchern, die
jeweils mit Auflagen unter 4.000 Exemplaren erschienen sind, keinen Hehl aus
seiner Sehnsucht nach dem "wahren Frankreich" gemacht - ohne die Mischung, die
"Spuren auf den Gesichtern und in den Haltungen hinterlässt". Er hatte über die
"Skulptur seiner selbst", über den "Autor als Schöpfer und als Gott" und über
die "Entwicklung eines schönen Menschentypus" geschrieben.
Als Antisemit outete Camus sich erst in seinem Buch "La Campagne de France", das
in diesem Frühjahr in Paris erschien und den Skandal auslöste. Nachdem seine
Schriftstellerei bei dem Radiosender Panorama keine nennenswerte Resonanz
gefunden hatte, schrieb er in sein "intimes Tagesbuch": Die "jüdischen
Kollaborateure sind überrepräsentiert". An anderen Stellen des Buches kritisiert
er die "herrschende antirassistische Ideologie" als "verantwortlich für sehr
viel mehr Zensur als der Rassismus". Und immer wieder behauptet er, dass weder
Juden noch Muslime - auch nicht der "zweiten oder dritten Generation" -
Frankreich wirklich verstehen könnten.
Während Schriftsteller wie Philippe Sollers oder der Filmemacher Claude
Lanzmann, der "Shoah" drehte, das Buch von Camus als kriminell bezeichnen und
nach einem gerichtlichen Einschreiten rufen, warnen andere, wie der Philosoph
Alain Finkielkraut, "Camus, der Abscheuliches geschrieben hat, zu einem Märtyrer
zu machen". Sein Kollege Bernard-Henry Lévy äußert sich klipp und klar gegen
jede Art von Zensur. "Der Antisemitismus", sagt er, "ist ein Teil der
französischen Geschichte. Man muss ihn bekämpfen, nicht verdrängen. " Die
Kontroverse geht quer durch die Lager. Auf beiden Seiten stehen Linke und
Rechte. Auf beiden Seiten sind Intellektuelle jüdischer und nichtjüdischer
Herkunft.