Wer keine Erinnerung hat, hat keine
Zukunft
Primo Levi
Dr. Leon Zelman,
Leiter des Jewish Welcome Service Vienna, ist einer der Überlebenden von
Mauthausen-Ebensee. Seit seiner Befreiung im Mai 1945 ist er darum bemüht, gegen
Antisemitismus und Rassismus aufzutreten. Als Initiator des Projektes "Die
Philharmoniker in Mauthausen" möchte er sowohl all jenen gedenken, die durch die
Greuel der Shoah ermordet wurden, als auch den Überlebenden für ihren Mut zum
Weiterleben danken.
Darüber hinaus appelliert
er an die Jugend, aus den Schatten der Vergangenheit zu treten und gemeinsam an
einer Gesellschaft zu arbeiten, in der Rassismus, Ausländerfeindlichkeit und
Intoleranz keinen Platz mehr haben.
Als Zeichen eines
hoffnungsvollen Aufbruchs in das neues Jahrtausend und als Bekenntnis zur
Menschlichkeit, beschlossen die Wiener Philharmoniker (unter der Leitung von Dr.
Clemens Hellsberg) auf dem Gelände des ehemaligen Konzentrationslagers
Mauthausen im Mai 2000 gemeinsam mit dem Wiener Singverein und unter der Leitung
von Sir Simon Rattle ein Benefizkonzert zu geben.
Das Orchester der Wiener
Philharmoniker, das in so hohem Maße auf seine Tradition baut, hat besondere
Verpflichtungen: es darf sich nicht nur in seinen Erfolgen und kulturellen
Verdiensten sonnen, sondern muß sich auch den problematischen Abschnitten der
eigenen Vergangenheit stellen.
Bereits zwischen Juli und
September 1938 erfolgte die Entlassung von elf jüdischen Musikern, für weitere
neun Mitglieder des Orchesters, die als "Mischlinge" galten, bat man um eine
"Sondergenehmigung", da ein Verlust von zwanzig Mitgliedern, die Spielfähigkeit
und die künstlerische Qualität des Orchesters gefährdet hätte.
Die Wiener
Philharmoniker und der Wiener Singverein unter der Leitung von Sir Simon Rattle
zur Jahrtausendwende im Steinbruch der KZ Gedenkstätte Mauthausen
In der Hoffnung auf eine
friedlichere, tolerantere Welt ohne Krieg, Gewalt und Rassismus stehen wir mit
unseren Wünschen, Sehnsüchten, guten Vorsätzen am Beginn eines neuen
Jahrtausends.
Zu welchen Greueltaten, Eroberer, Könige, Herrscher, Diktatoren in den letzten
Jahrtausenden fähig waren, Hitlers Rassengesetze und die konsequente Systematik
des Massenmordes an unschuldigen Menschen während des NS Regimes sind
unvergleichlich.
Das "unvorstellbar Grausame", das gezielte Töten und Quälen von Menschen –
Menschen deren Leben aufgrund ihrer Konfession, ethnischer Herkunft oder
sexueller Neigung ausgelöscht wurde - bleibt unentschuldbar. Zugleich
reflektiert dieser Abschnitt unserer Geschichte die Abgründe der menschlichen
Seele.
Heute – an der Schwelle des 3. Jahrtausends – bleibt es unverändert die Pflicht
dieser Gesellschaft uns mit diesen Greueltaten und damit unserer Geschichte zu
konfrontieren. Eine gezielte Aufarbeitung und Auseinandersetzung mit der eigenen
Geschichte – bei gleichzeitiger Überprüfung der Gegenwart – ist ein Lern- und
Erinnerungsprozess, der nie enden darf.
Am 12. März 1938
erfolgte der "Anschluß" Österreichs an das Deutsche Reich. Nur fünf Monate
danach, am 8. August 1938, wurde mit der Errichtung des KZ Mauthausen begonnen.
Ausschlaggebend für die Wahl von Mauthausen als Standort eines
Konzentrationslagers war die räumliche Nähe zu Linz und der Steinbruch im
"Wiener Graben".
Konzentrationslager wie
Mauthausen erfüllten für das NS-Regime zwei wesentliche Funktionen: die
Bekämpfung des politischen, "rassischen" oder sonstwie ideologischen Gegners,
den man einsperren, schikanieren, quälen und nach Belieben töten konnte
einerseits, die maximale Ausbeutung seiner Arbeitskraft andererseits.
Mauthausen war ein "europäisches Konzentrationslager" mit Häftlingen und
Kriegsgefangenen aus fast allen europäischen Ländern.
In den sieben Jahren seines Bestehens wurden in das KZ Mauthausen und seine
Nebenlager ungefähr 200.000 Menschen, mehr als dreißig unterschiedlicher
Nationalitäten deportiert. Ungefähr die Hälfte davon - Frauen, Männer, Kinder, -
wurden ermordet oder starben an den Folgen der unerträglichen Haftbedingungen.
Zum Zeitpunkt der Befreiung am 5. Mai 1945 bestand der Lagerkomplex zeitweilig,
infolge ständiger Erweiterungen, auf 49 Nebenlagern.
"Wehret den Anfängen",
heißt die bekannte Mahnung.
"Erkennet die Anfänge" lautet die Lehre, die wir aus der Geschichte ziehen
sollten!
"Wir Musiker müssen uns
entscheiden: entweder wir wollen guten Willens sein, oder wir wollen es nicht.
Und wir müssen Vorbild sein." Diese oft zitierten Worte des unvergessenen Bruno
Walter, die er im Jahre 1947 - anläßlich der ersten Begegnung nach dem Zweiten
Weltkrieg - an die Wiener Philharmoniker richtete, sind gewissermaßen das Motto,
unter das die Wiener Philharmoniker dieses Projekt stellen möchten.
Die jüngsten politischen
Ereignisse in Österreich haben die Wiener Philharmoniker dazu veranlaßt, diesen
Beschluß im Rahmen einer Pressekonferenz am 6. März 2000 zu bestätigen. Dadurch
soll gleichermaßen ein Zeichen der Demut gegenüber den Opfern, wie auch ein
Symbol für den Aufbruch in eine menschenwürdigere Zukunft gesetzt werden. Ganz
im Zeichen jenes Leitsatzes, den Beethoven seiner "Missa Solemnis" voranstellte:
"Von Herzen – möge es wieder zu Herzen gehen."
Am 7. Mai 2000 werden die
Wiener Philharmoniker und der Wiener Singverein unter der Leitung von Sir Simon
Rattle mit der "Neunten Symphonie" von Ludwig van Beethoven und Friedrich
Schillers "Ode an die Freude" die Welt dazu aufrufen, die Tragödie des Holocaust
niemals zu vergessen und mit Optimismus und Vertrauen die Zukunft des dritten
Jahrtausends zu gestalten.
"Es bewegt mich sehr, die
Wiener Philharmoniker, ein Orchester, das mir so sehr am Herzen liegt, bei ihrem
Besuch in Mauthausen begleiten zu dürfen. Beethovens IX. Symphonie, deren Musik
uns vom tiefsten Dunkel mit Gemeinschaftsgefühl und Großzügigkeit zum Licht
führt, erscheint uns als das perfekte Symbol für unsere Ziele. Eingedenk der
schrecklichen Geschichte von Mauthausen ist diese Musik zugleich Erinnerung,
Reue und Respekt."
Sir Simon Rattle
Leiter des City of Birmingham Symphony Orchestra
ERINNERN
– ist unsere oberste Pflicht!
Programmvorschau · 7. Mai 2000
Die Überlebenden des
Konzentrationslagers Mauthausen gedenken Jahr für Jahr des Tages ihrer Befreiung
am 5. Mai 1945. Zu diesem Anlaß kommen die ehemaligen "Häftlinge", deren
Nachkommen und Freunde sowie all jene, die sich erinnern und nicht vergessen
wollen, zu einer Gedenkveranstaltung zusammen. Die Anwesenheit Tausender
Menschen ist jedes Jahr ein Zeichen der Hoffnung.
Am Beginn des neuen
Jahrtausend findet am 7. Mai 2000 eine einmalige Erweiterung dieser Gedenkfeiern
durch ein Konzert der Wiener Philharmoniker im Steinbruch des ehemaligen
Konzentrationslagers statt.
Vorläufiges Programm
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ab 19.00 Uhr
Gedenkveranstaltung im Steinbruch der KZ – GedenkstätteBegrüßung
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Kaddisch –
Oberrabbiner Dr. Paul Chaim Eisenberg / Oberkantor Schmuel Barzilai
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Ansprachen:
Bundespräsident Dr. Thomas Klestil / EU Kommissar Dr. Franz Fischler
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ab 20.00 Uhr
Wiener Philharmoniker und Wiener Singverein unter der Leitung von Sir Simon
Rattle:
Ludwig van Beethoven Symphonie Nr.9, d-Moll, op. 125
und Friedrich Schiller Ode an die Freude
Veranstalter
Die Wiener Philharmoniker
unter dem Ehrenschutz von Bundespräsident Dr. Thomas Klestil und EU-Kommissar
Dr. Franz Fischler.
Weitere Informationen:
- Milli Segal, Mag. Monika Wagner
1010 Wien, Esslinggasse 17/14, Tel.: +43 1 968 72 66
Fax: +43 1 968 72 67
e-mail: milli.segal@chello.at
- Jewish Welcome Service: Mag. Susanne
Trauneck
Stephansplatz 10, 1010 Wien
Tel.: +431 5332730 / Fax: +431 5334098
e-mail:
jewish.welcome@verkehrsbuero.at
haGalil onLine
27-03-2000
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