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Toulon und Frankfurt (Oder)
trennen auf den ersten Blick Welten. Doch haben beide Städte gemeinsam, daß sie
am Ende dieser ihrer Welten liegen. Das Wasser, die natürliche Grenze der
Welten, bildet hier wie dort eine unsichtbare Mauer, die den "Westen" vom
sozialen Gefälle des "Südens" bzw. des "Ostens" abschottet. Auf der anderen
Seite des Wassers scheint eine dunkle Bedrohung zu lauern. Die Angst vor dieser
Bedrohung ist in beiden Städten deutlich spürbar, sie beherrscht die Straßen.
In Toulon hat sich die Angst
politisch manifestiert, aber eine unübersehbare Minderheit versucht nun, diese
politisch institutionalisierte Angst aus der Mitte der Gesellschaft heraus zu
bekämpfen. In Frankfurt (Oder) scheint es genau umgekehrt zu sein. Die Angst ist
gesellschaftlich institutionalisiert, während die Politik mehr oder weniger
hilflos zusieht. Zwei Beispiele aus zwei Ländern, zwei unterschiedliche
politische Kulturen, aber das gleiche Problem: die erschreckend hohe Präsenz
rechtsradikaler Gruppierungen und xenophober Einstellungen.
Podiumsdiskussion mit
(v.l.) Martin Patzelt, Beigeordneter für Kultur, Jugend und Soziales der
Stadt Frankfurt (Oder), Almuth Berger, Ausländerbeauftragte des Landes
Brandenburg, Jean-Yves Camus, Europäisches Forschungszentrum Rassismus
und Antisemitismus, Paris, und Maurice Charrier, Bürgermeister von
Vaulx-en-Vellin.
Um Erfahrungen zu bündeln
und einen ersten Gedankenaustausch zu ermöglichen, veranstaltete das
Berlin-Brandenburgische Institut für deutsch-französische Zusammenarbeit in
Genshagen, in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Politikwissenschaften der
Europa-Universität eine Tagung zum Thema "Rechtsradikalismus,
Ausländerfeindlichkeit und Gewalt – Projekte und Initiativen auf kommunaler
Ebene" im Heinrich-Heine-Haus in Paris. Fruchtbare Diskussionen zwischen
Wissenschaft und Praxis ergaben ein erstaunlich differenziertes Bild der Lage.
Während der
Rechtsradikalismus in Frankreich vor allem organisationsförmig, insbesondere
durch den Front National repräsentiert auftritt, scheint in Deutschland
eher ein subkulturelles Milieu zu dominieren, das darüber hinaus recht
fragmentiert ist. Im Kampf gegen den Rechtsradikalismus werden in Frankreich vor
allem zivilgesellschaftliche Mechanismen aktiviert, wohingegen sich in
Deutschland die Reaktionen weitgehend auf juristische und politische Maßnahmen
beschränken.
Für Brandenburg im
besonderen hängt dieses sicherlich auch damit zusammen, daß sich in den zehn
Jahren seit der friedlichen Revolution noch keine starken
zivilgesellschaftlichen Strukturen haben ausbilden können. "Das Problem ist, daß
Intoleranz toleriert wird!" brachte es Almuth Berger, Ausländerbeauftragte des
Landes Brandenburg, auf den Punkt.
Das könnte auch erklären,
warum rechtsradikal und ausländerfeindlich motivierte Gewalt in Deutschland
offener zu Tage tritt als in Frankreich. Dies bedeutet aber nicht, daß es in
Frankreich keine rechtsradikale Gewalt gibt, sie tritt lediglich in anderen
Erscheinungsformen auf: gerade in Gegenden, in denen der Front National
stark ist, nimmt die Gewalt subtilere, institutionalisierte Formen an.
Aus Toulon, das seit einigen
Jahren durch den Front National regiert wird, berichtete die Schriftstellerin
Andrée-France Baduel, daß hier der Rassismus gewissermaßen offizielle
Kommunalpolitik sei; eine Entwicklung, die z.B. bei der Vergabe von
Sozialwohnungen spürbar sei. In diesen Fällen sei es jedoch unsinnig, ja
unmöglich, mit juristischen Mitteln gegen ausländerfeindlich motivierte
Diskriminierungen vorzugehen, statt dessen hätten sich in Toulon – und hier
liegt die positive Botschaft – gesellschaftliche Strukturen des Protestes, ja
des zivilen Ungehorsams entwickelt. Frau Baduel betonte, daß letztendlich nichts
besser zur Bekämpfung eines institutionell verankerten Rassismus beitrage, als
offener Widerspruch aus der Bevölkerung. "Wenn wir darüber schweigen," sagte
sie, "haben die Rechten bereits einen ersten Sieg errungen."
Diskussion in
Arbeitsgruppen. Hier im Bild (v.l.): Angelina Peralva, Universität
Toulouse-Le Mirail, Dietmar Loch, Institut für Interdisziplinäre
Konflikt- und Gewaltforschung, Universität Bielefeld, Irene Wiegand, Bbi
Genshagen, Kerstin Eckstein, Maison Heinrich Heine, Paris, Maryse
Souchard, Universität Nantes, Estelle Lemoine, Compagnie Zarina Kahn,
Paris...
Michael Minkenberg, Inhaber
des Lehrstuhls für Politikwissenschaft an der Europa-Universität, wies in diesem
Zusammenhang auf eine zentrale Frage im Umgang mit Rechtsradikalismus hin:
Wieviel Toleranz dürfen die politisch Handelnden rechtsradikalem Gedankengut
entgegenbringen, zu welchem Zeitpunkt muß mit Repressionen geantwortet werden?
Interessant wurde die Diskussion in diesem Punkt besonders durch das Dilemma, in
dem sich präventive Sozialarbeit und repressive Polizeiarbeit wiederfinden.
Macht sich die Demokratie nicht unglaubwürdig, wenn sie nicht alle am
öffentlichen Diskurs teilhaben läßt? Oder kann sich nicht nur derjenige auf das
Recht auf freie Meinungsäußerung berufen, der die demokratischen Spielregeln
vorbehaltlos anerkennt? Zu Recht wies Minkenberg darauf hin, daß Repression die
Betroffenen gewissermaßen zu Märtyrern mache, andererseits jedoch die
Bereitschaft demokratischer Politiker, Sozialarbeiter oder Polizisten zum Dialog
mit Rechtsradikalen deren Thesen hoffähig zu machen drohe. Letztendlich läßt
sich dieses Dilemma wohl nicht einfach lösen; wichtiger wäre es vielleicht, die
Gründe für fremdenfeindliche, extremistische Einstellungen genauer auszuloten,
um hier von vornherein besser vorbeugen zu können.
Was aber sind die Ursachen
des Rechtsradikalismus in beiden Ländern? Sind es wirklich die zunehmende
Verunsicherung gerade junger Menschen, die sich durch verstärkte
Individualisierung der Gesellschaft ihrer sozialen Bindungen beraubt sehen und
deshalb neuen Halt in abstrusen Ideologien und einer wie immer gearteten
"nationalen Gemeinschaft" suchen, wie Martin Patzelt, Kultur-, Jugend- und
Sozialbeigeordneter von Frankfurt (Oder), beobachtet hat? Welche Rolle spielen
die "drei Krisen", die von Teilnehmern aus Deutschland und aus Frankreich
gleichermaßen festgestellt wurden: die ökonomische Krise, die urbane Krise und
die "Krise der politischen Repräsentation"? Hier stellt sich eine große
Herausforderung an Kommunalpolitik und Sozialarbeit, eine Herausforderung, die
auf der Pariser Konferenz freilich nicht letztgültig gelöst werden konnte. Die
Nachfolgekonferenz, die vom 29.06. bis 01.07.2000 in Frankfurt (Oder)
stattfinden wird, wird dementsprechend hauptsächlich diese Frage zu klären
versuchen, dann jedoch nicht nur im deutsch-französischen Dialog, sondern auch
im Gespräch mit Sozialarbeitern, Kommunalpolitikern und Polizisten aus Polen.
Zumindest in Frankfurt
(Oder) würde so ein erster Blick über das Wasser, über die unsichtbare Mauer
versucht. Denn Rechtsradikalismus ist heute nicht mehr nur ein nationales,
sondern ganz eindeutig ein europäisches Problem.
haGalil onLine 01-03-2000
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