Krieg im Gaza-Streifen:
Gefängnis mit Meerblick
Das am dichtesten bevölkerte Gebiet der Erde ist hermetisch
abgeriegelt - und seitdem die Hamas an der Macht ist, ist der Gaza-Streifen
eine komplett intolerante Zone.
Von Thorsten Schmitz
Etwa 300 Ausländer, die im Gaza-Streifen leben, durften am Freitag den
Grenzübergang Eres passieren und nach Israel ausreisen.
Die 1,5 Millionen Palästinenser dagegen können vor dem Bombardement der
israelischen Luftwaffe nicht fliehen. Sie dürfen weder nach Israel
ausreisen, noch nach Ägypten.
Der Gaza-Streifen ist hermetisch abgeriegelt. Israel hat sich zwar im Sommer
2005 aus dem Gebiet komplett zurückgezogen, doch kontrolliert es weiterhin
den Luftraum über dem Gaza-Streifen sowie die Land- und Mittelmeer-Grenzen.
Weil die Palästinenser im Gaza-Streifen eingesperrt sind und nicht reisen
dürfen wie die meisten anderen Menschen auf der Welt, wird das laut den
Vereinten Nationen am dichtesten bevölkerte Gebiet der Erde oft als
Gefängnis mit Meerblick beschrieben. Dessen Insassen konsumieren seit zwei
Jahren massenweise das Schmerzmittel Tramadol, um sich kleine Fluchten zu
ermöglichen.
Das in vielen Ländern verschreibungspflichtige Tramadol enthält
morphiumähnliche Substanzen, das milde euphorische Schübe auslösen kann. Die
Menschen im Gaza-Streifen schluckten die billigen Tabletten, sagt der
Gaza-Pharmakologe Mazen Sakka, "um nicht verrückt zu werden".
Palästinenser aus Gaza können noch nicht einmal Verwandte im Westjordanland
besuchen, das ungefähr eine Stunde mit dem Auto entfernt liegt - es sei
denn, die israelische Armee erlaubt die Durchreise, was seit der
Machtergreifung der radikalislamischen Hamas-Organisation kaum noch
geschieht.
Eselskarren statt Autos
Bis zu Beginn der zweiten Intifada 2001 konnten in ruhigeren Zeiten täglich
bis zu 150.000 Palästinenser aus dem staubigen Gaza-Streifen als Tagelöhner
nach Israel ausreisen und auf Baustellen, in Krankenhausküchen und in der
Landwirtschaft arbeiten. Seit acht Jahren ist es nur noch ein paar tausend
Palästinensern erlaubt, nach Israel einzureisen.
Wegen der Blockade des Gaza-Streifens mussten fast alle der etwa 4000
Betriebe schließen, die Arbeitslosigkeit liegt bei mehr als 70 Prozent.
Autos gibt es vergleichsweise wenige, da Benzin unerschwinglich ist. Dürre
Esel, die Karren mit Müll und Markteinkäufen hinter sich herziehen, sieht
man dagegen überall.
Es gibt auch nichts zu tun im Gaza-Streifen. Die Islamisten der Hamas
verbieten Bars, Clubs, Kinos. Auch Alkohol ist strikt verboten. Der
Gaza-Streifen ist eine komplett spaßfreie und intolerante Zone. Frauen, die
keine Kopfbedeckung und lange Hosen tragen, werden von Sittenwächtern der
Hamas belästigt. Jugendliche müssen sich rechtfertigen, wenn sie Rap-Musik
hören, weil sie aus den USA kommt. Und Apotheken dürfen keine
Verhütungsmittel verkaufen, allenfalls unter dem Ladentisch gibt es sie.
Der Gaza-Streifen ist mit etwa 360 Quadratkilometern etwas kleiner als das
Bundesland Bremen. Ungefähr 4000 Menschen drängen sich auf einem
Quadratkilometer. Aufgrund der extrem hohen Geburtenraten ist mehr als die
Hälfte der Bevölkerung jünger als 15 Jahre. Den Namen Gaza-Streifen und
seine geographische Form erhielt das sandige Gebiet nach dem ersten
arabisch-israelischen Krieg 1948/49, als Israel und Ägypten ein
Waffenstillstandsabkommen unterzeichneten. Ägypten verzichtete damals auf
das Land.
Mehl, Zucker, Öl von den UN
Formell wird der Gaza-Streifen von der Palästinensischen Autonomiebehörde
verwaltet. Wirtschaftlich ist er aber von Israel abhängig. Sämtliche
Einfuhren und Exporte erfolgen üblicherweise über drei Warengrenzübergänge,
die seit dem Hamas-Putsch vor eineinhalb Jahren aber ebenfalls fast immer
geschlossen sind. Wegen des extremen Wassermangels können nur 13 Prozent des
Gaza-Streifens überhaupt landwirtschaftlich genutzt werden.
Die Landwirtschaft kann, abgesehen vom Anbau einiger Nahrungsmittel wie
Oliven und Kohl, die Bevölkerung nicht selbständig ernähren. Etwa 750.000
Palästinenser im Gaza-Streifen werden von dem UN-Hilfswerk für
palästinensische Flüchtlinge (UNWRA) mit Grundnahrungsmitteln wie Mehl,
Zucker und Speiseöl versorgt.
Wie viele andere Regionen im Nahen Osten blickt auch der Gaza-Streifen auf
eine lange Geschichte der Fremdherrschaft zurück. Nach dem
Unabhängigkeitskrieg 1948/49 wurde das Gebiet unter ägyptischer Hoheit
verwaltet, nicht aber von Kairo annektiert. Damals wie heute wollte Kairo
nicht die volle Verantwortung für die palästinensische Bevölkerung dort
übernehmen.
Im Sechs-Tage-Krieg 1967 eroberte Israel den Gaza-Streifen und das
Westjordanland und begann mit der Besiedlung beider Gebiete. Der israelische
Premierminister Ariel Scharon beendete im August 2005 die Besiedlung. Schon
kurz darauf kam es zu Spannungen zwischen der Hamas und der moderateren
Fatah von Palästinenserpräsident Machmud Abbas. |