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Jüdische Weisheit
 
 

Die Anfänge des Rassismus in der Antike

Chanukka ruft nicht nur das Lichtwunder im Jerusalemer Tempel in Erinnerung, sondern auch die vorgängige Aufhetzung gegen das Judentum durch Antiochus IV. Epiphanes. Wie ist diese antike Judenfeindschaft einzuschätzen? Gab es in der Antike bereits eine Form von rassistischem Denken? Ein neues Buch des israelischen Althistorikers Benjamin Isaac versucht Klarheit zu schaffen.

Von René Bloch

Louis Feldman, renommierter Professor für Altertumswissenschaften an der Yeshivah University in New York, meinte einmal, dass er als Spezialist des antiken Judentums, der er ist, immer vor einem Dilemma stünde: dem Dilemma «zwischen Chuzpe und Schweigen». Wenn man die lückenhafte Quellenlage bedenkt und zudem immer die zeitliche Distanz zwischen den antiken Ereignissen und unserer Zeit im Auge behält, so wäre Schweigen über das, was sich möglicherweise vor über 2000 Jahren wirklich zugetragen haben könnte, die ehrlichere Option als das Anstellen von Mutmassungen. Trotzdem darüber zu spekulieren, was «wirklich geschah», sei – so der ironisierende Feldman – im Grunde «eine Chuzpe», ein nicht wirklich vertretbares Wagnis. Überlieferungsprobleme und eine auch für professionelle Altertumswissenschafter nur schwer überbrückbare zeitliche Distanz sind Herausforderungen, die sich natürlich nicht nur bei der Auseinandersetzung mit dem antiken Judentum stellen. Im Falle der Letzteren kommt hinzu, dass eine persönliche Färbung der Interpretation nicht auszuschliessen, ja unumgänglich ist.

Antiochus Epiphanes, der seleukidische (syrische) König, welcher im zweiten Jahrhundert v. d. Z. den Juden in Judäa per Dekret eine nicht jüdische Gottesverehrung aufzwang und die jüdische Religion (Gottesdienst, Schabbat, Beschneidung) unter Todesstrafe verbot, ist verantwortlich für eine der einschneidendsten antijüdischen Handlungen in der Antike. War Antiochus ein Antisemit und Rassist? Eine Reihe von Forschern mahnte in den letzten 20 Jahren zur Vorsicht und wies auf grundlegende Unterschiede zwischen antiker und moderner Judenfeindschaft hin. Andere Forscher betonen eher die Virulenz des antiken Antisemitismus. Die Diskussion ist keineswegs abgeschlossen und wird es wohl auch nie sein.


Protorassismus

Mit Benjamin Isaac hat ein israelischer Althistoriker sich jüngst an dieses schwierige Thema herangemacht. Isaac, Professor für Alte Geschichte an der Universität Tel Aviv, geht auf 560 Seiten der Frage nach, ob es in der Antike schon Rassismus gegeben hat. Die Frage ist, wie gesagt, äusserst diffizil – nicht zufälligerweise sucht man im neuen deutschen Standardwerk der Altertumswissenschaften, dem sonst betont «aktuellen» «Neuen Pauly», vergebens nach einem Eintrag über Rassismus. Sich in Bezug auf eine allfällige Nichtexistenz eines antiken Rassismus nur darauf zu berufen, dass der Begriff «Rassismus» sehr jung ist (auf Englisch ist er im Oxford English Dictionary vor 1910 nicht belegt), wird der Komplexität des Problems nicht gerecht. Dinge entstehen nicht immer erst dann, wenn sie einen Namen haben. Isaac seinerseits benutzt für die Antike den etwas gekünstelten Begriff «Protorassismus». Er will damit zweierlei Dinge zum Ausdruck bringen: Zwar gab es in der Antike eine Art von Rassismus, aber dieser unterscheidet sich vom späteren modernen Rassismus, wie er sich im 18. und 19. Jahrhundert entwickelt hat. Doch ist der antike Rassismus insofern Protorassismus, als er – nach Isaac – späteres rassistisches Denken beeinflusst hat.

Rassismus ist auf vielerlei Art definiert worden. Für Isaac zeichnet sich Rassismus dadurch aus, dass hierbei Individuen oder ganze Gruppen von Menschen mit unveränderlichen körperlichen oder geistigen Eigenschaften in Verbindung gebracht werden. Diese kollektiven Eigenschaften sind für den Rassisten «gegeben», sie können nicht verändert werden, da sie entweder vererbt oder aber durch klimatische und sonstige geografische Bedingungen erzeugt wurden. Die griechisch-römische Antike kennt zwar keine ausgeprägte Theorie eines biologischen Determinismus (und auch keinen Nationalismus im modernen Sinne), dennoch findet sich schon früh – spätestens ab dem 5. Jahrhundert v. d. Z. – die Vorstellung, dass Menschen je nach ihrer geografischen Herkunft besser oder schlechter sind. Menschen aus dem Osten sind faul und lustbesessen, solche aus dem Westen sind wild und bedrohlich. Athen und später dann Rom sahen sich als ideale Mitte zwischen diesen Extremen, wobei das angenehme Klima Griechenlands und Italiens als Argument herhielt. Protorassismus gibt es nach Isaac zum einen also in diesen anthropogeografischen Vorstellungen. Zum anderen hat vor allem Aristoteles (und nach ihm andere) die Ansicht vertreten, dass gewisse Menschen zu einem sklavischen Dasein geboren wurden. Es gibt gemäss dieser Ansicht Menschen höherer Ordnung und solche einer niedrigeren Ordnung. Auch dies ist, nach Isaac, Protorassismus.

Antisemitismus des Antiochus

Die griechisch-römische Antike ist die Wiege einer ganzen Reihe von Errungenschaften, welche unser heutiges Leben prägen und ihm Dimensionen der Erkenntnis gegeben haben, ohne die zumindest das europäische Leben nicht vorstellbar ist: Griechenland und Rom verdanken wir die Idee der Demokratie, die Wahrheitssuche der Philosophie, den Zauber des Theaters und die Fundamente des Rechts. Aber Isaac will uns in Erinnerung rufen, dass auch Hässliches aus der Antike stammt und das europäische Denken über Generationen beeinflusst hat. Modernes rassistisches Denken hat in der griechisch-römischen Antike zumindest einen Ursprung.

Eine der übelsten fremdenfeindlichen Handlungen der Antike richtet sich – im Zusammenhang mit der «Chanukka-Geschichte» – gegen die Juden. Akteur der beim griechischen Autor Diodor überlieferten Geschichte ist Antiochus IV. Epiphanes: «Antiochus war, als er die Juden besiegt hatte, in die allerheiligste Stätte ihres Gottes eingedrungen, die zu betreten allein dem Priester erlaubt war. In dieser fand er ein steinernes Bild eines Mannes mit einem langen Bart, der auf einem Esel sass und ein Buch in den Händen hielt. Antiochus nahm an, dass das Bild Moses darstellte, der Jerusalem gegründet, die Nation gebildet und zudem den Juden die menschenfeindlichen und widerrechtlichen Sitten zum Gesetz erhoben hatte. Weil ihm aber diese Menschenfeindlichkeit der Juden gegenüber allen Völkern verhasst war, nahm sich Antiochus vor, die jüdischen Sitten abzuschaffen. Deswegen hat er vor dem Bild des Gründers der Juden und dem unter freiem Himmel stehenden Altar ihres Gottes eine grosse Sau geopfert und deren Blut darüber gegossen. Dann liess er das Opferfleisch zubereiten und befahl, die heiligen Bücher der Juden, welche die fremdenfeindlichen Gesetze enthielten, mit der Brühe dieses Fleisches zu besprengen sowie die bei den Juden unsterblich genannte Lampe, die ohne Unterbruch im Tempel brannte, auszulöschen und den Hohepriester sowie die anderen Juden zu zwingen, vom Fleisch zu essen.»


Eher xenophob als rassistisch


Diese grausige Szene zeigt einen Antiochus, der vor allem ein antijüdisches Stereotyp benutzt: dasjenige der Menschenfeindlichkeit. Seit je wurden die jüdischen Separationssitten (Speisegesetze, Endogamie) – die in der Realität keine wirkliche «Abschottung» von den Nichtjuden mit sich brachten – als «Menschenfeindlichkeit» interpretiert. Antiochus greift auf das antijüdische Stereotyp schlechthin zurück. Was in solchen antijüdischen Tiraden fehlt, ist – gemäss Isaac – eine biologische oder geografische Argumentation, die besagen würde, dass die jüdischen Charakteristika unveränderlich, weil vererbt oder klimatisch bedingt sind. Die menschenfeindlichen Bräuche der Juden sind in der antijüdischen Vorstellung «nur» Sitten, keine unveränderlichen Eigenschaften. Es handelte sich hier also eher um ein xenophobes Vorurteil, keinen Rassismus. Isaac will die antike Judenfeindschaft im Gegensatz zu griechisch-römischen Feindseligkeiten gegenüber anderen Völkern nicht als Rassismus bzw. Protorassismus taxieren. Tatsächlich ist von einer jüdischen Physis, von einem jüdischen «Äusseren» in den antiken Quellen nichts zu erfahren – geschweige denn von einer biologischen Argumentation, welche jüdische «Eigenschaften» erklären wollte. Aber Spuren eines frühen Rassismus gibt es bei Anwendung von Isaacs Definition auch im griechisch-römischen Umgang mit den Juden: Cicero bezeichnet die Juden (und die Syrer) an einer Stelle als «geboren für die Sklaverei» (Nietzsche stürzte sich später dankbar auf diese Passage). Und der Astronom Ptolemaios erklärt die Unverblümtheit und Gottlosigkeit der Bevölkerung Judäas, Syriens und Idumäas mit der geografischen und astrologischen Situation dieser Gebiete. In beiden Fällen, bei Cicero und Ptolemaios, werden die Juden (jeweils im Verbund mit anderen Völkern) mit Charakteristika konnotiert, die «gegeben» sind. Wenn man Isaacs Definition von Rassismus übernehmen möchte, dann wird man wohl nicht darum herumkommen, auch schon für die griechisch-römische Antike einen Rassismus bzw. Protorassismus festzuhalten, der sich auch gegen die Juden richten konnte.

Quellenangabe / © 2001 - 2004 tachles Jüdisches Wochenmagazin
Forum [Problematik Israelkritik]

hagalil.com 03-12-2004


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