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Jüdische Weisheit
 
 
Teil IX
Antisemitismus aus kritisch-theoretischer Sicht
Möglichkeiten und Grenzen politischer Bildungsarbeit in einem gesellschaftlichen Problemfeld


Von Ingolf Seidel

4. Antisemitismus und (deutsche) Arbeit

[ZUR DISKUSSION IM FORUM]

Der moderne Antisemitismus kulminiert im nationalsozialistischen Deutschland zum Vernichtungsantisemitismus. Auf die spezifische Form des Deutschen im eliminatorischen Antisemitismus[111] finden sich in der Kritischen Theorie nur wenig Hinweise, verortet sie doch die Herkunft des Antisemitismus allgemein im Prinzip der Zivilisation.

Auch wenn sich die ‚klassische’ Kritische Theorie kaum mit den Differenzen der Genese antisemitisch motivierter Verfolgung in unterschiedlichen Ländern beschäftigt hat, so bemühen sich neuere theoretische Ansätze, die sich in dieser Denktradition verstehen, diese Lücke zu schließen. Ein tieferes Verständnis dafür, warum es die Juden sind, die dafür herhalten müssen als Projektionsfläche und damit als Opfer antisemitisch motivierter Ausrottungspolitik[112] zu fungieren wird nur möglich, wenn man sich die Zuschreibung zur Zirkulationssphäre betrachtet. Als deren Personifizierung werden die Juden perzipiert.

Im Zusammenhang damit die Aufspaltung des Begriffs von Arbeit in ‚schaffende’ Hand- oder Industriearbeit und ‚raffende’ Arbeit, die jüdisch konnotiert wird, zu betrachten. Die antisemitischen Bilder des ‚faulen’, aber ‚raffenden’ Juden stehen für einen solchen Arbeitsbegriff. Die Vernichtung der europäischen Judenheit und der moderne Antisemitismus beruhen auf qualitativen Besonderheiten ohne rationale Bedeutung, sie hatte kein anderes Ziel als die Ausrottung. Diese musste "nicht nur total sein, sondern war sich selbst Zweck – Ausrottung um der Ausrottung willen -, ein Zweck, der absolute Priorität"[113] beansprucht hat. Welches Prinzip der kollektive Wahn in Auschwitz ausrotten wollte, dem werde ich mich über eine Annäherung an die Arbeitsideologie in Deutschland widmen. Für eine politische Bildungsarbeit gegen Antisemitismus zeitigen, wie noch zu sehen sein wird, wichtige Folgerungen. Es lässt sich beispielsweise fragen, ob nicht aktuell anvisierte arbeitsmarktpolitische Konzepte der Bundesregierung das offizielle Bemühen um eine politischer Bildung gegen Rechtsextremismus zugleich wieder konterkarieren. Um dem nachzugehen ist es notwendig die historische und theoretische Entwicklung eines Arbeitsbegriffes zu beleuchten, der im Nationalsozialismus eine mörderische Dynamisierung erfuhr.

Nachfolgend werde ich auf die Koppelung von Arbeitsideologie und Antisemitismus vor allem in Deutschland eingehen, auch um zu veranschaulichen, weshalb "der Antisemitismus nicht erst von Hitler von außen her in die deutsche Kultur injiziert worden ist", sondern dass diese Kultur "bis dorthinein, wo sie am allerkultiviertesten sich vorkam, eben doch mit antisemitischen Vorurteilen durchsetzt"[114] ist. Die Eingrenzung auf Deutschland rechtfertigt sich daraus, dass der Holocaust eben von Deutschen geplant worden ist. Selbstverständlich existiert Antisemitismus auch in anderen Staaten. Jedoch nur in Deutschland erfuhr der Antisemitismus diese Vernichtungsdimension.

  • [111] Vgl. Daniel Jonah Goldhagen: Hitlers willige Vollstrecker. Ganz gewöhnliche Deutsche und der Holocaust, Berlin (Siedler) 1998 (1996), S. 69. Nach Goldhagen hat im NS-Deutschland die beinah unangefochtene Vorstellung geherrscht, man müsse den angeblich seinem Wesen nach zerstörerischen jüdischen Einfluss in Deutschland aus der Gesellschaft entfernen, ihn eliminieren.

  • [112] In dieser Betrachtung sollen selbstverständlich nicht die Verfolgung und das Leiden anderer Opfergruppen der Deutschen relativiert werden. Besonders die Leidensgeschichte der Sinti und Roma, sowohl in Europa generell, als auch im NS ähnelt in vielen Punkten, auch der Tätermotivation, derjenigen der Juden.

  • [113] Moishe Postone: Nationalsozialismus und Antisemitismus, in: Dan Diner. Zivilisationsbruch. Denken nach Auschwitz, a.a.O., (1982), S. 243.

  • [114] Adorno: Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute, a.a.O., S. 132.

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Antisemitismus aus kritisch-theoretischer Sicht

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25-04-2004


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