"Das zionistische Staatsgebilde als
Brückenkopf des Imperialismus":
Vor vierzig Jahren wurde die neue deutsche Linke
antiisraelisch
Von Martin Kloke
Merkur, Deutsche
Zeitschrift für europäisches Denken, Nr. 698,
Juni 2007
Im Frühjahr 1967 wurde Israel
unter Ministerpräsident Levi Eschkol mit einer gefährlichen
Aufmarsch- und Umklammerungsstrategie der arabischen Anrainerstaaten
konfrontiert. Ägypten schloß ein Waffenbündnis mit Syrien und
Jordanien, setzte den Rückzug der UN-Friedenstruppen von der
Sinaihalbinsel durch, initiierte einen gewaltigen Truppenaufmarsch
und verhängte über die Seestraße von Tiran zum Roten Meer eine
Seeblockade gegen Israel. Begleitet wurde das Säbelrasseln von einer
monströsen antiisraelischen Rhetorik der arabischen und insbesondere
ägyptischen Kriegspropaganda. Der PLO-Vorsitzende Ahmed Schukeiri
beteiligte sich in Kairo an der israelfeindlichen Propaganda mit dem
Schlachtruf: "Wir werden die Juden ins Meer treiben!" Israel sah
keine andere Wahl, als den kollektiven Drohgebärden mit einem
Präventivschlag zuvorzukommen.
Als am 5. Juni 1967 der Nahostkrieg
ausbrach, erreichte die proisraelische Aufbruchstimmung in
Deutschland ihren Höhepunkt. Israels Existenz schien auf der Kippe
zu stehen; weite Teile der bundesdeutschen Gesellschaft wurden von
einer Welle der Sympathie für den jüdischen Staat erfaßt. Allerorten
kam es zu spontanen proisraelischen Demonstrationen und
Spendensammlungen; etwa dreitausend Freiwillige boten Israel ihre
persönliche Hilfe an. Demonstrativ stellten sich insbesondere die
Zeitungen des Axel-Springer-Verlags an die Seite Israels. Diese
Solidaritätsbekundungen wurden auch in Israel wahrgenommen und von
den Medien mit Genugtuung kommentiert – eine gemeinsame
Vertrauensbasis schien sich zu entwickeln. Ungeachtet der
offiziellen "Nichteinmischung" der Bundesregierung betonte
Außenminister Willy Brandt vor dem Bundestag, daß die deutsche
"Neutralität im völkerrechtlichen Sinne keine moralische Indifferenz
und keine Trägheit des Herzens bedeuten" könne.
Auffallend ist, daß die Initiative
zu beinahe allen Aufrufen und Kundgebungen von Personen des linken
Spektrums ausging. Zwar waren die Sympathien für Israel in diesen
Tagen, über politisch-ideologische Grenzen hinweg, Ausdruck eines
fast ausnahmslosen gesamtgesellschaftlichen Konsenses geworden; doch
noch immer schien die Maxime zu gelten, wonach der Linken eine
besondere moralische Verantwortung für das Wohl des jüdischen
Staates zufalle. Bereits im Vorfeld des Sechstagekrieges hatte der
SPD-Bundestagsabgeordnete Adolf Arndt mit Unterstützung der
Deutsch-Israelischen Gesellschaft und des Schriftstellers Günter
Grass einen öffentlichen Solidaritätsaufruf zugunsten des vom
"Völkermord" bedrohten Israel gestartet. In den folgenden Tagen
einer krisenhaften Zuspitzung des Konflikts initiierten der DGB und
seine Jugendorganisationen, die SPD und ihre
Parteiuntergliederungen, Evangelische Studentengemeinden und die
Aktion Sühnezeichen, Studentenvertretungen einschließlich einzelner
Gruppen des Sozialistischen Deutschen Studentenbundes
Schweigemärsche, Informationsveranstaltungen, Spendenaktionen und
Solidaritätsaufrufe.(1) Einen Schritt
weiter ging der Appell an junge Deutsche, als freiwillige Helfer zum
Arbeitseinsatz nach Israel zu kommen, um die durch den Krieg
beeinträchtigte israelische Wirtschaft auch personell unterstützen
zu helfen. Der evangelische Theologe Helmut Gollwitzer äußerte gar
zur Frage des Einsatzes deutscher Freiwilliger in Israel: "Wir
wollen uns nicht darüber streiten, ob es militärische oder nur
zivile Helfer sein sollen."
Die SPD als traditionell
israelfreundliche Partei befand sich während des Junikriegs in einem
Zwiespalt: Als Regierungspartei war sie in Anlehnung an die
bundesdeutsche Staatsräson zu einer Politik der "Nichteinmischung"
verpflichtet; doch zugleich deuteten in der Bundestagssitzung vom
7. Juni alle ihre Debattenredner mehr oder weniger verstohlen ihre
persönlichen Sympathien für den jüdischen Staat an. Was
Außenminister Brandt nur diplomatisch verschleiert andeutete,
verschärfte Erhard Eppler dahingehend, daß "die Vertreter dieses
Volkes in diesem Hause tot wären, wenn sie nicht mehr dazu zu sagen
hätten, als was die Regierung dazu sagen darf". Noch konkreter wurde
Helmut Schmidt, indem er an die deutsch-israelische "Verbundenheit"
erinnerte: "Sosehr uns an der traditionellen Freundschaft unseres
Volkes mit den arabischen Völkern liegt, müssen wir uns gegen deren
Absicht . . . verwahren, Israel zu vernichten."
Aus dem Ausland meldeten sich zwei
prominente Intellektuelle zu Wort, die bereits früher im linken
Spektrum auch der Bundesrepublik als politisch-ideologische
Lichtgestalten fungiert hatten: Jean-Paul Sartre wies am 27. Mai
1967 in einer Sondernummer der Temps Modernes auf die
unvergleichbaren Leiden der Juden im Nationalsozialismus hin und
bezeichnete die Vorstellung als "unerträglich, daß eine jüdische
Gemeinschaft, wo auch immer und welche auch immer, dieses Golgatha
von neuem ertragen und Märtyrer für ein neues Massaker liefern
könnte".
Der Auschwitzüberlebende Jean Amery
– nach eigenem Bekunden ein "in jedem Sinne heimatloser Linker" –
sah im Eintreten der nichtisraelischen Juden für die Existenz des
zionistischen Staates eine lebensnotwendige Konsequenz
zeitgenössischer jüdischer Identität: In der Weltwoche
(9. Juni 1967) schrieb er: "für jeden Juden in der Welt . . . ist
der Bestand des kleinen Judenstaates eine 'existenzielle' Frage,
denn in Israel haben die Juden . . . den 'aufrechten Gang' gelernt
und haben den starken Schritt, die grade Haltung auch jenen Juden
eingeübt, die in der Diaspora wohnen . . . Davon lebt ein jeder
Jude, wo immer er lebe . . . So ist denn der jüdische
Linksintellektuelle engagiert von seinem Geschick und an dieses.
Sein Engagement ist nicht das Ergebnis einer freien Wahl, sondern
eines unausweichlichen Zwanges. Er ist, seit sich die feindlichen
Armeen um Israel sammeln, seit die zügellosesten Stimmen aus den
arabischen Ländern schon laut werden, es müsse aus dem kleinen Land
ein großes Konzentrationslager gemacht werden, seit davon gesprochen
wird, die Israelis ins Meer zu stoßen – kein Linksintellektueller
mehr, nur noch ein Jude: denn hinter ihm liegt Auschwitz und vor ihm
vielleicht das seinen Stammesgenossen, zu denen er gehören muß, weil
die Welt es so will, zu bereitende Auschwitz II am Mittelmeer."
Israel konnte sich trotz seiner
zahlenmäßigen Unterlegenheit unerwartet behaupten. Seine qualitativ
überlegenen und hochmotivierten Truppen eroberten gar in sechs Tagen
das Westjordanland mit Ost-Jerusalem, den Gazastreifen, die
ägyptische Sinaihalbinsel und die syrischen Golanhöhen. Dennoch –
oder gerade deshalb? – sollte die deutsch-israelische Romanze nicht
lange währen: Schon kurz nach den triumphalen israelischen
Kriegserfolgen wechselten weite Teile der radikalen Linken die
Fronten und nahmen den jüdischen Staat nur noch als "Brückenkopf des
US-Imperialismus" wahr.
Ein vorläufig letztes Mal
versammelten sich am 27. Juni 1967 an der Frankfurter Universität
Anhänger eines linksorientierten Proisraelismus, um das Menetekel
einer antizionistischen Wende in der Linken abzuwenden. Obwohl für
die Kundgebung auch bürgerliche Organisationen verantwortlich
zeichneten, repräsentierten die als Redner vorgesehenen
Hochschullehrer ausnahmslos linke oder linksliberale Positionen. Der
1961 aus der DDR in die Bundesrepublik übergesiedelte Philosoph
Ernst Bloch, der in Das Prinzip Hoffnung den Staat Israel als
"faschistisch" diffamiert hatte, überraschte durch sein
leidenschaftliches Plädoyer für die Existenz Israels, das er jetzt
als "ein kleines, tapferes, seine Wüsten bebauendes, sein erneuertes
Land verteidigendes Volk" charakterisierte. Er widersprach dem
populär werdenden Imperialismusvorwurf gegen Israel und bezeichnete
die linke "Bewußtseinsspaltung" als "Skandal . . . mit ungewolltem
Pogromklang".
Gleichwohl vermochten sich die
Akteure des Kongresses nicht mehr durchzusetzen – ein
antiisraelischer Trend neulinken Zuschnitts schien unaufhaltsam
geworden zu sein: Der Sechstagekrieg löste eine in der Geschichte
der Bundesrepublik beispiellose Kontroverse aus. Vordergründig
stritten die Diskutanten über die Kriegsursachen; hinter der
wachsenden Kritik an der israelischen Realpolitik, etwa an dem
"aggressiven" Präventivschlag, verbargen sich jedoch zunehmend
Zweifel an der Legitimation des zionistisch verfaßten Staates an
sich. Im Prozeß der Umorientierung eines Großteils der (neuen)
Linken lassen sich – idealtypisch – drei Etappen eruieren.(2)
Neutralistische Orientierungsmuster
Die "Kampagne für Abrüstung –
Ostermarsch der Atomwaffengegner" kann als ein Prototyp jener linken
Organisationen gelten, die seit Ausbruch der israelisch-arabischen
Feindseligkeiten "neutrale" Positionen bezogen. Obwohl sich ihr
Sprecher Andreas Buro in einem internen Rundschreiben vom 31. Mai zu
einer beiderseitigen friedlichen Koexistenz als wichtigster
Friedensbedingung bekannte, ging er ungeachtet arabischer
Vernichtungsdrohungen auf moralisierende Äquidistanz. Da "beide
Seiten Schuld auf sich geladen" hätten, könne sich die Kampagne
"nicht auf die Seite der einen oder anderen Partei . . . stellen".
Erst zwei Wochen nach dem Waffengang hielt es der Zentrale Ausschuß
der Kampagne für geboten, die Anerkennung Israels durch die
arabischen Nachbarn sowie eine "Schuldverpflichtung des deutschen
Volkes gegenüber dem jüdischen Volk" zu fordern.
Neutralität siegte zunehmend über
Solidarität. So dementierte das Präsidium der altlinken Vereinigung
der Verfolgten des Naziregimes seine angebliche Unterstützung eines
israelfreundlichen Aufrufs einiger Jugend- und
Studentenorganisationen. Zwar bekräftigte das VVN-Präsidium das
Existenzrecht des jüdischen Staates, doch befürchtete es, durch eine
"Intervention" zur Konfliktverschärfung beizutragen. Nicht wenige
linke Medien distanzierten sich während der Nahostkrise von früheren
proisraelischen Sentenzen.
Konkret-Kolumnistin Ulrike
Meinhof arbeitete die Nahtstellen linker Zerrissenheit im Verhältnis
zu Israel heraus: Einerseits beharrte sie darauf, die Solidarität
mit den ehemals Verfolgten müsse auch den Staat Israel einschließen;
doch dürfe sich die Linke nicht "von den Sympathien der USA und der
Bild-Zeitung vereinnahmen lassen, die nicht Israel gilt,
sondern eigenen, der Linken gegenüber feindlichen Interessen". Mit
sarkastischer Schärfe geißelte die Journalistin im Juliheft von
Konkret die plötzliche Eruption eines bürgerlich-konservativen
Proisraelismus: "Bild gewann in Sinai endlich, nach 25
Jahren, doch noch die Schlacht von Stalingrad. Antikommunistisches
Ressentiment ging nahtlos auf in der Zerstörung sowjetischer
Mig-Jäger . . . Hätte man die Juden, statt sie zu vergasen, mit an
den Ural genommen, der zweite Weltkrieg wäre anders ausgegangen, die
Fehler der Vergangenheit wurden als solche erkannt, der
Antisemitismus bereut, die Läuterung fand statt, der neue deutsche
Faschismus hat aus den alten Fehlern gelernt, nicht gegen – mit den
Juden führt Antikommunismus zum Sieg . . . nicht die Einsicht in die
eigenen Verbrechen, sondern der israelische Blitzkrieg, die
Solidarisierung mit der Brutalität, der Vertreibung, der Eroberung
führte zu fragwürdiger Versöhnung. Es ist der Geist des 'Wer Jude
ist, bestimme ich', der sich da mit Israel verbündete, gleichzeitig
mit den Totschlägern in Berlin. Wäre Israel ein sozialistisches
Land, kein Zweifel, diese Sympathien gäbe es nicht."
Meinhofs Stellungnahme spiegelte in
prototypischer Weise das linke Unbehagen an den Motiven neudeutscher
Israelsolidarität wider; energisch verwahrte sie sich gegen ein
"eindeutiges" pro- oder antiisraelisches Bekenntnis. Daß sie in
jenen Tagen letztlich (noch) von der Sorge um eine langfristige
Sicherung der Existenz Israels umgetrieben wurde, zeigt ihre
appellative Anfrage an das kollektive Selbstverständnis des
jüdischen Staates: "Was will Israel – leben oder siegen? Als Subjekt
seiner eigenen Geschichte muß es diese Frage selber beantworten."
Bereits während des
Sechstagekrieges ging auch der vormals proisraelische SDS auf
Distanz zum jüdischen Staat: "wir Sozialisten in der BRD, die wir
von Anfang an den Kampf gegen den Antisemitismus nicht nur unter
moralischen, humanitären oder gar anti-rassistischen Gesichtspunkten
betrieben haben, (dürfen) in der jetzigen Situation unsere Gefühle
für das israelische Volk nicht verwechseln . . . mit der rationalen,
ökonomischen und politischen Analyse der Position des Staates Israel
im internationalen Konfliktsystem zwischen den
hochindustrialisierten Ländern und den Ländern der Dritten Welt".
Um den Positionswechsel des SDS zu
verstehen, der seit Mitte der sechziger Jahre zum
Kristallisationspunkt der neulinken universitären Intelligenz
avanciert war, ist es unerläßlich, auch das gesellschaftliche und
politische Umfeld in den Blick zu nehmen, durch das der SDS als
zentraler Bestandteil der außerparlamentarischen Opposition in eine
offene Konfrontation mit dem "Establishment" geriet. Der
Nahostkonflikt spielte dabei nur eine untergeordnete Rolle. Die mit
dem Stichwort "Studentenrevolte" bezeichneten Auseinandersetzungen
entzündeten sich an der Ermordung des Studenten Benno Ohnesorg am
2. Juni 1967 anläßlich einer Demonstration gegen den Staatsbesuch
des Schahs von Persien. Daß bundesdeutsche und West-Berliner
Regierungsvertreter einen autoritären Feudalherrscher hofierten,
ließ den Empörungspegel der durch Vietnamkrieg,
Notstandsgesetzgebungspläne und strukturelle Anachronismen an
Hochschulen bereits nachhaltig politisierten Studenten noch
erheblich ansteigen. "Bürgerliche" Medien entfesselten in dieser
Situation eine publizistische Kampagne gegen die studentische Linke
und ihre Infragestellung bürgerlicher Orientierungsmuster.
Insbesondere die sogenannte Springer-Presse stellte sich an die
Spitze jener Kräfte, die die glänzenden militärischen Erfolge
Israels zur Legitimierung ihrer (kalten) Kriegsrhetorik
mißbrauchten.
Diese innenpolitische Konstellation
verbaute dem SDS eine fundierte historisch-politische Analyse des
jüdisch-arabischen Konflikts. Ein Beleg für diese These ist der
"Offene Brief", den der Marburger Politikwissenschaftler Wolfgang
Abendroth am 6. Juni 1967 in Absprache mit dem SDS-Bundesvorstand
veröffentlichte. Konnte aus der Bundesvorstandserklärung vom Vortag,
die in vulgärmarxistischer Weise die nahöstlichen Konfliktursachen
auf den "Niveau-Unterschied der ökonomisch-kulturellen Entwicklung
zwischen Israel und seinen Nachbarländern" zurückführte, immer noch
ein Anspruch auf "Neutralität" herausgelesen werden, so enthielt der
Abendroth-Brief bereits Passagen, die der Linken eine proarabische
Parteinahme nahelegten: "Auch bei dem gegenwärtigen Präventivkrieg
muß . . . Israel keineswegs nur den Feudalherren der monarchischen
arabischen Staaten, sondern vor allem der Bevölkerung der im
wesentlichen progressiven republikanischen Militärdiktaturen als
Vortrupp amerikanischer imperialistischer Interessen erscheinen.
Deshalb ist eine Identifikation des sozialistischen
Internationalismus in den kapitalistischen Staaten Europas mit der
gegenwärtigen Politik Israels bei aller Sympathie für die
israelische Bevölkerung unmöglich. Das heißt natürlich nicht, daß
man sich mit der nationalistischen Hysterie in den arabischen
Ländern identifizieren könnte . . . Im Weltmaßstab gesehen ist
leider eine Situation entstanden, in der die Ge samtinteressen der
kolonialen Revolution, der sozialistischen Länder und auch des
revolutionären Flügels der internationalen Arbeiterbewegung in den
kapitalistischen Ländern stärker mit denen der arabischen Staaten
(nämlich Ägyptens, Syriens und Algeriens, nicht der Fürstenstaaten)
als mit den Interessen Israels übereinstimmen."
In der studentischen Neuen Linken
war dieser proarabisch akzentuierte Neutralismus vorläufig noch
umstritten. So mochte sich etwa die linke AStA-Koalition der
Frankfurter Universität zwar nicht an proisraelischen Kundgebungen
beteiligen, lehnte aber die offizielle SDS-Position als unausgewogen
ab.
Proarabische Parteinahme im Aufwind
Bald nach dem Sechstagekrieg
verstärkte sich der israelkritische Trend in weiten Teilen der
Linken. Die der Studentenbewegung nahestehenden Medien warteten mit
Schreckensmeldungen über eine angeblich bedenkenlos brutale
Kriegsführung der Israelis auf, ohne die liquidatorischen
Implikationen arabischer Pläne bedacht zu haben, so die
Augustausgabe von Konkret. Wenn auch die Einstellung des SDS
zum Staat Israel eine Zeitlang als "noch nicht völlig geklärt"
gelten konnte, so glaubten seine Aktivisten dank ihrer "Gnade der
späten Geburt" bereits am zweiten Kriegstag, zu einer proarabischen
Wende legitimiert zu sein. Der SDS-Bundesvorsitzende Reimut Reiche
stellte in einem Brief vom 13. Juni 1967 an den Spiegel fest:
"An unserer Position ist soviel richtig, daß wir es nicht nötig
haben, philosemitisch aufzutreten, eben darum, weil wir keine
rassistischen Probleme haben und weil wir keinen Antisemitismus zu
bewältigen haben. Wenn wir unsere jetzige Berlin-'Krakelerei'
abgeschlossen haben und anfangen, uns politisch eingehend mit der
Nahost-Krise zu befassen, wird unsere Stellungnahme bestimmt um
einiges schärfer, auch in der Kritik an der Position der Verbündeten
Israels und auch in der Kritik an dem umgekehrten Antisemitismus,
der zur Zeit in der BRD produziert wird."
Einige Vertreter der "alten"
Linken, die die zunehmende Linksorientierung der Studentenschaft
eigentlich begrüßt hatten, begannen sich nun dem leichtfertigen
Ausstieg der Neuen Linken aus der Geschichte zu widersetzen.
Mitglieder des SDS-Förderkreises warfen angesichts der arabischen
Umklammerung Israels jenen im Junikrieg neutralistisch bis
antiisraelisch agierenden jungen Genossen "Verrat an allen
wesentlichen Prinzipien des sozialistischen Humanismus" vor.
Hans-Joachim Heydorn schrieb in der Zeitschrift DISkussion
(Nr. 23, Oktober 1967): "In den Wochen, in denen zum 'Heiligen
Krieg' gegen das israelische Volk aufgerufen wurde, sowie in den
äußerst bedrohlichen Tagen, die dem Krieg vorangingen, haben
führende Kräfte der deutschen Linken den Standpunkt absoluter
Neutralität vertreten und ihren Anhängern empfohlen, an
proisraelischen Kundgebungen nicht teilzunehmen. Mit keinem Worte
wurde eine eindeutige Sicherung der israelischen Grenzen oder die
Aufhebung der Blockade gefordert . . . Im Augenblick eines drohenden
Völkermordes ist dies ein moralischer Skandal. Es gibt einen Typ des
Intellektuellen auf seiten der deutschen Linken, der die Dia lektik
aus ihrem humanen Kontext löst und sie zu einem immoralistischen
intellektuellen Spiel degradiert. Es ist nicht zu begreifen, daß man
hier Israel verweigert, was man Staaten zugesteht, in denen man
Sozialisten bestenfalls im Zuchthaus begegnen kann."
In diesem Sinne formierten sich im
Winter 1967/68 namhafte linke Persönlichkeiten, um die
antiisraelischen Vorwürfe führender studentischer Linker zu
entkräften. Sie warnten in den Neuen Deutschen Heften (März
1968) vor einem ahistorischen und doktrinären "Antiimperialismus",
da dieser in seiner israelfeindlichen Konsequenz "zum Ventil des
uneingestandenen Antijudaismus" zu verkommen drohe: "Weil die Araber
zur Dritten Welt gehören, sind sie noch nicht eo ipso die reinen
Engel. Die Israelis sind die Gefährdeten, die Araber dagegen sind
es, die Angriff, Vertreibung und Ausrottung planen. Die Parteinahme
muß primär der Progressivität, dem Recht, der Humanität gelten,
nicht einer bestimmten Volksgruppe. So wie aus diesen Ideen die
Stellungnahme gegen die USA für das vietnamesische Volk folgt, so
folgt aus ihnen auch die Stellungnahme gegen Nasser für Israel."
Die Debatte um die Politik Israels
während und nach dem Sechstagekrieg hatte einen Polarisierungsschub
zur Folge, der eine Annäherung zwischen den Kontrahenten zunehmend
schwieriger erscheinen ließ: Bezeichnend war die Mitte 1968
aufgebrochene Israeldiskussion innerhalb der Evangelischen
Studentengemeinden und ihres Umfeldes, ausgelöst durch die deutsche
Beteiligung an der antizionistischen Erklärung eines internationalen
Nahostseminars des "Christlichen Studentenweltbundes" in Beirut im
Mai 1968. Während die einen in der Resolution wichtige Denkanstöße
zu sehen vermeinten oder sogar die Hofierung der Al Fatah
vorbehaltlos begrüßten, äußerten andere linksprotestantische
Diskutanten erbitterte Kritik am Tenor des Papiers. Der Darmstädter
Studentenpfarrer Martin Stöhr unterstellte den Urhebern der
Erklärung antisemitische "Denkstrukturen und Vorurteilsklischees",
wurde aber seinerseits von dem Bochumer Theologen Hans-Jürgen
Benedict bezichtigt, einer "totalen Apologie Israels verpflichtet"
zu sein.
Antizionismus als Weltanschauung
Im Verlauf des Jahres 1969, als
Israels Politik der Stärke gegenüber seinen arabischen Nachbarn in
linken Kreisen immer häufiger in imperialismustheoretischen
Kategorien zu fassen gesucht wurde, verdichteten sich die
israelkritischen Tendenzen vielerorts zu einem Antizionismus, der
alle Anzeichen eines ideologisch geschlossenen Weltbildes in sich
vereinigte. Differenzierende Zwischentöne schienen zum Teil sogar
jenen Linken nicht länger opportun zu sein, die sich in früheren
Jahren noch als proisraelische Autoren ausgewiesen hatten.
Keinen Einzelfall stellte der
Frankfurter Theologe Hans Werner Bartsch dar, der angesichts
aktueller arabischer Vernichtungsdrohungen noch gegen Ende des
Sechstagekrieges in einem engagierten Schreiben an den SDS eine
"einseitige Stellungnahme für Israel" menschlich und politisch für
geboten gehalten hatte; Anfang 1969 nahm er das zionistische Israel
jedoch nur noch als "Aggressor und Handlanger der Kolonialmacht USA"
wahr, dem jede Existenzberechtigung abzusprechen sei. Bartsch sah
jetzt im Staat Israel nur noch "eine kurzfristige Wiederholung des
makkabäischen Experiments", wie er in den Blättern für deutsche
und internationale Politik (April 1969) schrieb: "Die
Restaurierung eines jüdischen Staates im Heiligen Land wäre nichts,
was Zukunft verheißt, sondern es wäre in jeder Beziehung nur ein
Rückschritt, der allem widerspricht, was Israel als Verheißung
gegeben ist."
Auf institutioneller Ebene
entschied sich als erster relevanter linker Verband der SDS auf
seiner 22. Delegiertenkonferenz im September 1967 für einen
uneingeschränkt antizionistischen Kurs, nachdem er sich während des
Sechstagekriegs noch überwiegend neutralistisch geriert hatte.
Während einer auf Initiative der Frankfurter und Heidelberger
SDS-Gruppen zustande gekommenen Diskussion legte die Konferenz ihrer
Organisation ein "Material" vor, das sich bereits zu diesem
Zeitpunkt des gesamten terminologischen Arsenals antizionistischer
Agitation der späteren Palästina-Solidaritätsbewegung bediente: "Der
Krieg zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn kann nur auf
dem Hintergrund des antiimperialistischen Kampfes der arabischen
Völker gegen die Unterdrückung durch den angloamerikanischen
Imperialismus analysiert werden . . . Der SDS verurteilt die
israelische Aggression gegen die antiimperialistischen Kräfte im
Nahen Osten."
Mochten die SDSler den Staat Israel
nur noch als "Brückenkopf des westlichen Imperialismus in Arabien"
begreifen, so konnte auch die historische Funktion des Zionismus für
die nationale und soziale Emanzipation vieler Juden nicht mehr in
ihren Blickwinkel rücken: "Zionistische Kolonisierung Palästinas
hieß und heißt bis heute: Vertreibung und Unterdrückung der dort
lebenden eingeborenen arabischen Bevölkerung durch eine
privilegierte Siedlerschicht." Zwar verurteilten die Delegierten die
antisemitisch-rassistischen Tendenzen von Teilen der arabischen
Kriegspropaganda, doch sprachen sie dem real existierenden Israel
jede historisch-politische Legitimität ab: "Die Anerkennung des
Existenzrechts der in Palästina lebenden Juden durch die
sozialrevolutionäre Bewegung in den arabischen Ländern darf nicht
identisch sein mit der Anerkennung Israels als Brückenkopf des
Imperialismus und als zionistisches Staatsgebilde."
Ein Schulterschluß zwischen SDSlern
und in der Bundesrepublik lebenden Arabern bahnte sich an, als im
Juni 1969 der israelische Botschafter Asher Ben Nathan den Dialog
mit deutschen Studenten suchte. In Frankfurt unterbrachen Mitglieder
des örtlichen SDS, der Al Fatah sowie des "Israelischen
Revolutionären Aktionskomitees" Ben Nathans Ausführungen durch
Sprechchöre wie "Nazi-Kiesinger und Ben Nathan, eine Clique mit
Dajan", "Zionisten raus aus Palästina". Nach fast zwei Stunden
verließ Ben Nathan die Veranstaltung, nachdem er sich weder
akustisch noch inhaltlich hatte Gehör verschaffen können. In einem
Interview bezeichnete er den ihm widerfahrenen Antizionismus als
"verkappten Antisemitismus"; die SED, der SDS und die Deutsche
Nationalzeitung sprächen die gleiche Sprache.
Die antiisraelisch motivierte
Fixierung auf den militanten palästinensischen "Widerstand" kannte
nun keine Grenzen mehr: Auf Einladung der Al Fatah bereiste Ende
Juli 1969 ein knappes Dutzend führender SDS-Mitglie der mit weiteren
internationalen Teilnehmern das Haschemitische Königreich Jordanien.
Die Idee einer anschließenden Erkundungsreise nach Israel zwecks
kritischer Überprüfung des eigenen Standpunkts hielt die deutsche
Besuchergruppe für abwegig. Vor dem Hintergrund ihrer
antizionistischen und revolutionsromantischen Grundeinstellung
stilisierten die SDSler die Fatah-Bewegung zum avantgardistischen
Subjekt sozialrevolutionärer Umwälzungsprozesse in der Dritten Welt.
Aufgrund ihrer militanten Entschlossenheit im Rahmen eines
"Volksbefreiungskrieges", die dem Konzept der Vietkong entlehnt war,
fungierte die Fatah zunehmend als Hoffnungsträger
antiimperialistischer Sehnsüchte. Ideologisch gefangen in einem
modischen Dritte-Welt-Mythos, mochten sich die SDS-Aktivisten nicht
länger mehr mit den historischen Ausgangsbedingungen des Zionismus
und den deutschen Vergangenheitshypotheken auseinandersetzen.
Kontakte zum palästinensischen
"Widerstand" wurden auch in der Folgezeit gepflegt: An einer
PLO-Konferenz im Dezember 1969 nahmen zweihundert ausländische Gäste
teil, darunter der SDS-Vorsitzende Udo Knapp sowie Joschka Fischer
(beide haben ihren antizionistischen Affekt Jahre später freilich
nachhaltig verloren). Auch wenn das Erinnerungsvermögen einiger
Teilnehmer getrübt zu sein scheint, gilt als sicher, daß in den
Reden von Algier der "Endsieg" über Israel beschworen wurde.
Bis zu seiner Selbstauflösung im
Jahre 1970 vertrat der SDS gegenüber Israel eine Politik der
revolutionären "Unschuld", die sich in einer Mischung aus
"antiimperialistischen" Phrasen und Fragmenten eines reaktivierten
Antisemitismus unter antizionistischen Vorzeichen äußerte. In einem
am 18. Februar 1970 gemeinsam mit anderen Gruppen verfaßten Aufruf
zum Teach-in gegen den Besuch des israelischen Außenministers ließ
der Frankfurter SDS verlautbaren: "Der Besuch Abba Ebans, der als
Vertreter eines rassistischen Staates in die Bundesrepublik reist,
muß zu einer Demonstration und zum Protest gegen den zionistischen,
ökonomisch und politisch parasitären Staat Israel und seine
imperialistische Funktion im Nahen Osten werden . . . Der
palästinensische Kampf ist ein Bestandteil des Kampfes aller
unterdrückten Völker der Dritten Welt gegen den Imperialismus . . .
Nieder mit dem chauvinistischen und rassistischen Staatsgebilde
Israel."
Ausgerechnet in der Nacht vom 9.
auf den 10. November 1969 machten jungdeutsche Antizionisten Ernst
mit ihren gewaltverherrlichenden Phantasien und deponierten in
Berlin eine Bombe im jüdischen Gemeindehaus, die wegen einer
Fehlfunktion allerdings nicht zündete. Sieben Jahre später begann
ein weiterer Höhepunkt antisemitischer Gewaltpraxis die
antizionistische Selbstgewißheit in der neulinken
Palästina-Solidarität jedoch in Frage zu stellen: Im Sommer 1976
brachte ein deutsch-palästinensisches Kommando aus Mitgliedern der
"Revolutionären Zellen", der "Bewegung 2. Juni" und der "Volksfront
für die Befreiung Palästinas" ein französisches Passagierflugzeug in
ihre Gewalt und dirigierte die Maschine nach Entebbe um. Der
Deutsche Wilfried Böse organisierte die räumliche Trennung der
jüdischen von den nichtjüdischen Passagieren. Erst jetzt war der
Schock über Affinitäten zwischen rechtsgerichteten und
linksradikalen Ressentiments so nachhaltig, daß sich das Ende des
antizionistischen Meinungsmonopols in der Linken ankündigte.
Weite Teile der deutschen Linken
sind in den späten siebziger Jahren mit der grünalternativen
Bewegung verschmolzen und haben sich in diesem Prozeß bis zur
Unkenntlichkeit verändert. Dennoch: Als die israelische Armee im
Sommer 1982 in den Libanon einmarschierte, um dort befindliche
PLO-Basen zu zerstören, die Teile des libanesischen Staates fest im
Griff hatten, wurde Israel in seltener Einmütigkeit des
"Völkermords" an den Palästinensern bezichtigt. Nicht zuletzt
linksalternative Publizisten erlagen der Faszination begrifflicher
Tabubrüche; triumphierend witterten sie die Gelegenheit,
Antifaschismus und Antisemitismus miteinander zu versöhnen. Auch
Journalisten der Berliner tageszeitung beteiligten sich an
jener historisch-psychologischen Entlastungsoffensive, bei der die
betroffenen Palästinenser als die "neuen Juden" bezeichnet und die
israelischen Invasoren mit den Nazis verglichen wurden. Die gezielte
Vermischung historischer Ebenen gipfelte im Vorwurf des "umgekehrten
Holocausts" und einer "Endlösung der Palästinenserfrage".
Mit der Auflösung des sowjetischen
Machtblocks begann 1989 eine orientierungslos gewordene Restlinke
zur Subkultur zu werden – mit allen Symptomen der Versektung. Doch
hat das Amalgam aus antisemitischen und antizionistischen
Ressentiments längst auch in der Mitte der Gesellschaft Einzug
gehalten. Nach einer Umfrage der EU-Kommission sahen 2003 65 Prozent
der Deutschen in Israel eine "Gefahr für den Weltfrieden". Israel
rangierte auf der Negativliste noch vor Iran, Nordkorea und den USA
mit jeweils 53 Prozent. Drei Viertel der Deutschen hielten im Sommer
2006 Israels offensive Verteidigung gegen die Angriffe der
libanesischen Hisbollah für "unangemessen". Militärische Operationen
gegen die inmitten der Zivilbevölkerung operierende "Partei Gottes"
wurden reflexartig als "unverhältnismäßig" hingestellt, obwohl sich
bei näherem Hinschauen auch kritische Beobachter zu
differenzierteren Einschätzungen genötigt sahen. Nach einer
BBC-Umfrage unter 28 000 Befragten aus 27 Ländern führt das
demokratisch geführte Israel 2007 die Top-Negativliste auf der Skala
der am wenigsten gemochten ("least-liked") Staaten der Welt an –
allein in Deutschland nehmen 77 Prozent aller Befragten Israel als
"negativ" wahr.
Welcher andere, zumal demokratische
Staat befindet sich seit bald sechzig Jahren in der Zwangslage,
permanent gegenüber Feinden und "Freunden" sich seiner
Existenzberechtigung vergewissern zu müssen (nicht zuletzt auch
durch militärische Stärke): Häufig beteuern "fortschrittliche"
Zeitgenossen: "Ich trete zwar für das Existenzrecht Israels ein,
aber . . . " Niemand dieser Gutmenschen würde jemals einen Gedanken
entwickeln, der mit dem Satz begänne: "Ich trete zwar für das
Existenzrecht Rußlands ein, aber . . . "
Nachrichten und Kommentare über den
Nahostkonflikt vermitteln vielerorts Bilder eines angeblich
"biblischen Krieges": "Auge um Auge", "alttestamentarische
Racheaktionen" – reflexhaft tauchten insbesondere während der
zweiten Intifada die alten Klischees des christlichen Antijudaismus
wieder auf. Entlarvend ist auch das ungebrochene und geradezu
obsessi ve Bedürfnis nach Aufrechnung und Gleichsetzung der
NS-Verbrechen mit der Politik Israels im Konflikt mit den
Palästinensern. Selbst Wissenschaftler wie Udo Steinbach, Leiter des
Deutschen Orient-Instituts in Hamburg, versteigen sich dazu,
palästinensische Terroranschläge als Ausdruck palästinensischer
Verzweiflung über die israelische "Unterdrückung" zu verharmlosen
und israelische Streitkräfte mit Nazischergen in Bezug zu setzen, so
2003 in einem Vortrag: "Wenn wir sehen, wie israelische Panzer durch
palästinensische Dörfer fahren und sich die verzweifelten Menschen
mit Steinen wehren, dann müssen wir im Blick auf Warschau und im
Blick auf den Aufstand der Juden im Warschauer Ghetto auch fragen
dürfen, war das dann nicht auch Terror?" Und nachdem katholische
deutsche Bischöfe im März 2007 in der Holocaust-Gedenkstätte Yad
Vashem Bilder vom Warschauer Ghetto gesehen haben, geht ihnen beim
Anblick des angeblichen "Ghettos" im palästinensischen Ramallah
reflexartig "der Deckel hoch".
Selbst wenn Befunde dieser Art
immer nur Momentaufnahmen sein können, so spiegeln sie doch einen
Trend wider: den einer Schuld aufrechnenden und abwehrenden
"Umwegkommunikation", bei der die traditionelle Judenfeindschaft von
antiisraelischen Ressentiments abgelöst worden ist. Wie ein Mantra
wird hierzulande immer wieder die Frage beschworen, ob und wieviel
Kritik an Israel "erlaubt" sei. Aufmerksame Zeitungsleser wissen,
daß es in Deutschland seit Jahrzehnten kein "Tabu" mehr ist, Israel
und die israelische Regierung zu kritisieren. Ministerpräsident
Scharon wurde bis zu seinem Schlaganfall Ende 2005 scharf kritisiert
– zum Teil noch heftiger als seine Vorgänger Menahem Begin und
Benjamin Netanjahu in den achtziger und neunziger Jahren. Die
Schlüsselfrage lautet daher nicht, ob Israelkritik hierzulande
erlaubt ist, sondern ob Medien, Politiker und Kulturschaffende ein
faires oder aber verzerrtes Israelbild zeichnen. Mindestens in die
Nähe zu antisemitischer Israelkritik gerät, wer das Existenzrecht
Israels als jüdischer und demokratischer Staat in Frage stellt; wer
immer zuerst Israel, der "zionistischen Lobby" oder gar "den Juden"
die Schuld gibt; wer umstrittene israelische Militäreinsätze im
Antiterrorkampf mit den Verbrechen der Nazis gleichsetzt; wer die
Handlungen Israels mit anderen Maßstäben als die Praktiken anderer
internationaler Akteure mißt und beurteilt; wer in Wort und Bild
(zum Beispiel in Karikaturen) stereotype Haßbotschaften verbreitet.
Wenn Deutsche in Zukunft eine
konstruktive Rolle spielen wollen, werden sie das Plädoyer des
Historikers Dan Diner für eine "gordische Lösung" beherzigen müssen:
"Nämlich zum einen den Antisemitismus zu bekämpfen, als ob es den
arabisch-jüdischen, israelisch-palästinensischen Konflikt nicht
gäbe; zum anderen alles zu unternehmen, um ebenjenen Konflikt einer
beiden Seiten zuträglichen Lösung zuzuführen – so, als gäbe es den
Antisemitismus nicht."
Anmerkungen:
(1) Entsprechende Quellenmaterialien (Flugblätter
etc.) sind im Archiv "APO und soziale Bewegungen" der Freien
Universität Berlin aufbewahrt.
(2) Vgl. Martin Kloke, Israel und die deutsche
Linke. Zur Geschichte eines schwierigen Verhältnisses.
Schwalbach: Wochenschau 1994.
©
Merkur, Nr. 698, Juni
2007
hagalil.com
04-06-2007
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