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Wie sich Judenhass ausschlachten lässt:

Importierter Antisemitismus

Hinter der Empörung über die jüngsten Anschläge auf jüdische Institutionen und Repräsentanten in Berlin und Brandenburg steckt ordnungspolitisches Kalkül: Schnellverfahren, höhere Strafen und eine Verschärfung des Ausländerrechts könnten die Folgen sein. 

Von Dirk Hempel

Anschläge auf jüdische Einrichtungen wie jüngst in Potsdam sind fast alltäglich in Deutschland. Und fast alle haben sich daran gewöhnt. Auch die so genannte feine Gesellschaft. In den intellektuellen, politischen und ökonomischen Eliten stört sich kaum noch jemand an antisemitischen Äußerungen.

Der Ablauf ist eingespielt, längst zur Routine geworden: Wird ein Anschlag gegen Juden oder jüdische Einrichtungen bekannt, folgen die Reaktionen der Politiker ebenso schnell wie nichtssagend. Von Bedauern und Betroffenheit ist die Rede, geradezu unbürokratisch bieten gleich mehrere Ministerien an, den materiellen Schaden aus ihrem Haushalt zu begleichen. Alle wollen sich zu diesem Thema in den Medien zitiert sehen, initiieren Protestaktionen mit möglichst hohem Symbolwert und fordern das Verbot rechtsextremer Parteien oder härtere Strafen für Gewalttäter.

Zwei Beispiele der vergangenen Woche: Am Montag wird ein Anschlag auf das Totenhaus des Jüdischen Friedhofes in Potsdam bekannt. Mutmaßlich rechtsextreme Täter haben das Tor der Totenhalle angezündet, durch Feuer und Ruß sind große Schäden entstanden. Inzwischen hat der Generalbundesanwalt die Ermittlungen übernommen. Drei Tage später meldet die Berliner Innenverwaltung, Walter Rothschild, bis zur Jahreswende als Rabbiner für die Jüdische Gemeinde in der Hauptstadt tätig, sei auf einem U-Bahnhof angegriffen und beschimpft worden. Zwei Angriffe, zwei Empörungswellen, zwei entschlossen auftretende CDU-Innenpolitiker.

Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm nennt den Friedhofsanschlag ein »beschämendes Verbrechen« und kündigt an: »Die Täter haben nicht den geringsten Anspruch auf Nachsichtigkeit.« Ähnlich sein Parteifreund Eckart Werthebach, der Innensenator von Berlin. Der Angriff dreier Jugendlicher auf Rothschild sei »zweifellos ein antijüdischer Anschlag«, sagt er Journalisten.
Von dem sonst üblichen Verständnis für die Probleme der Jugendlichen keine Spur. Worte wie Arbeits- und Orientierungslosigkeit fehlen. Statt dessen sagt der CDU-Mann Werthebach solcher Art von Kriminalität den Kampf an. Der Grund für sein unerwartetes Engagement: Die 15 bis 17 Jahre alten Täter sind Ausländer.
In anderen Fällen hatten sich Polizei und Innenverwaltung in der Hauptstadt stets bemüht, Angriffe auf Juden und jüdische Einrichtungen herunterzuspielen. Ein Bombenanschlag auf das Grab des früheren Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinde, Heinz Galinski, im Dezember 1998, Verwüstungen auf dem Jüdischen Friedhof im Bezirk Weißensee und die Drohanrufe bei einem Steinmetz, der die beschädigten Grabsteine wieder hergerichtet hatte - das waren für Berlins Law-and-Order-Spezialisten keine politisch oder gar antisemitisch motivierten Straftaten.

Der aktuelle Fall verlangt hingegen keine besondere Zurückhaltung. Lässt er sich doch zu der Behauptung nutzen, Angriffe auf Juden und jüdische Einrichtungen seien lediglich ein importiertes Problem. »Die Auseinandersetzungen, die im Nahen Osten geführt werden, werden hier in Berlin fortgesetzt«, stellte Werthebach nach dem Angriff auf Rothschild fest. Wenn deutsche Rechte den aktuellen Nahost-Konflikt zur Suche nach neuen Bündnispartnern (Jungle World, 3/01) und deutsche Linke ihn zur Rehabilitierung der Begriffe »Besatzung« und »Vertreibung« nutzt, warum soll nicht auch Berlins Innensenator von ihm profitieren?
Und zwar gleich doppelt. Zum einen stärkt es die Verhandlungsposition der Innenverwaltung gegenüber der Jüdischen Gemeinde, wenn es um die Kosten von Schutzmaßnahmen geht. Schließlich handelt es sich nach Werthebachs These um ein ausländisches und kein deutsches Problem. Zweitens ließe sich damit sogleich ein Feldzug für die Verschärfung des Ausländerrechts begründen, die ein besonderes Anliegen des Berliner Innensenators ist.

Ganz ähnlich macht es Werthebachs Kollege aus dem benachbarten Brandenburg. Noch knapp eine Woche vor dem Brandanschlag auf den jüdischen Friedhof in Potsdam warnte Schönbohm vor einer Unterschätzung des Linksextremismus. Aus seiner Sicht ist das durchaus verständlich. Wer so weit rechts steht wie der Potsdamer Innenminister, hat es schwer, rechts von sich viele Feinde zu finden. In Brandenburg würde es Schönbohm allerdings dennoch gelingen, das ergeben zumindest die Daten seiner eigenen Verwaltung. Nach dem Verfassungsschutzbericht für 1999 gab es in Brandenburg gerade einmal 46 linksextreme Straftaten, die Anzahl rechtsextremer Delikte war hingegen mehr als sechsmal so hoch. Deshalb resümierte der Verfassungsschutz, die Bekämpfung des Rechtsextremismus bleibe »die derzeitig größte Herausforderung«. Nur in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt gab es 1999 pro Einwohner mehr rechte Gewalttaten.

Die Situation im Land Brandenburg, wo Pöbeleien und Angriffe auf Ausländer geradezu üblich sind und Schändungen von jüdischen Friedhöfen nach Angaben von Wolfgang Weißleder, der für die Jüdische Gemeinde die Friedhöfe betreut, in den letzten Monaten stark zunehmen, passt dem Innenminister gelegentlich ganz gut in sein ordnungspolitisches Kalkül. Schnellverfahren, höhere Strafen, Präventivschläge der Polizei sind die Instrumentarien, über die Schönbohm schon längst verfügen will und die er im Kampf gegen Rechts mühelos etablieren kann.
Deutliche Worte findet der frühere General eben nur, wenn es seinen Interessen dient. Oder wenn es sich nicht vermeiden lässt, wie beispielsweise nach dem Anschlag in Potsdam. Die Täter ließen dort nämlich ein Bekennerschreiben zurück, unterzeichnet mit »Nationale Bewegung«. Die Gruppe ist vorher schon mehrmals in Erscheinung getreten: durch das Aufhängen eines Hakenkreuzes an einem Mahnmal für ermordete Zwangsarbeiter, Schmierereien in der Landeshauptstadt Potsdam und die Bedrohung eines linken Lokalpolitikers.
Für die Mitarbeiter in Schönbohms Innenministerium gab das aber bisher wenig Anlass zur Sorge. Der Verfassungsschutz geht davon aus, dass die Nationale Bewegung nur eine sehr kleine Gruppe sei. Für Weißleder, der durch die Betreuung der insgesamt 60 jüdischen Friedhöfe in Brandenburg schon ein heftiges Maß an antisemitischer Zerstörungswut gewohnt ist, stellt der Brandanschlag hingegen »ganz klar eine neue Qualität« dar. Die offensichtliche Entschlossenheit der Täter mache es außerdem so gut wie unmöglich, solche Attacken zu verhindern. »Was sollen wir denn machen? Wir können nicht alle Friedhöfe und sonstigen Einrichtungen komplett überwachen«, sagt Weißleder.

Der Gemeinde bleibt daher eigentlich nur, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Die neue Tür des Totenhauses auf dem Friedhof Potsdam soll jedenfalls besonders feuerfest sein.
Zudem ist das Verhältnis zwischen der Landesregierung Manfred Stolpes (SPD) und der Jüdischen Gemeinde Brandenburg auch nicht gerade das beste. Brandenburg ist das einzige neue Bundesland, das noch keinen Staatsvertrag zur institutionellen Anerkennung und Gleichstellung der Gemeinde ausgehandelt hat. Bereits sechs Jahre dauern die Verhandlungen. Bisher aber gibt es nur eine magere Absichtserklärung im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD: Die »gesellschaftliche Rolle« der Gemeinde werde anerkannt.

Bei der Unterstützung der Gemeinde zeigte die Landesregierung sich jedoch wenig großzügig. Viel zu klein und absolut baufällig seien die Räume gewesen, die das Land anfangs für ein Gemeindezentrum in Potsdam zur Verfügung gestellt hatte. Erst nach zähen Verhandlungen habe das Land dann ein anderes Gebäude gefunden.
Kein Wunder also, dass die Entsetzenschöre nach jedem neuen Anschlag eher als Lippenbekenntnisse betrachtet werden und für Juden eher ein Anlass zur Beunruhigung sind. Im Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa beklagte der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Paul Spiegel, nach dem Brandanschlag in Potsdam nicht nur die Zunahme antisemitischer Gewalt, sondern vor allem die Bereitschaft, rechte Gewalt in Deutschland teilnahmslos hinzunehmen.
Nach Auffassung der israelischen Tageszeitung Ha'aretz ist das nicht verwunderlich. Hinter den Anschlägen stünden zwar meist »Jugendliche der unteren Klassen«, aber das sei gar nicht unbedingt das Hauptproblem. Antisemitische Einstellungen würden sich gerade auch in der »politischen, intellektuellen und ökonomischen Elite« Deutschlands stärker manifestieren und auch offener formuliert werden. 

Der Artikel erschien zuerst in: Jungle World 4/2001

Mit freundlicher Genehmigung des Autors Dirk Hempel

Klick-nach-rechts.de /20.01.2001

 


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