Spott-Light: Rot-weiß Winnetou

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Auf dem Kriegspfad, gegen den Ravensburger Verlag und gegen Über-Gerechte wie Hadija Haruna-Oelker – eine Filmkritik vom Typ „fröhliche Wissenschaft“

Von Christian Niemeyer

Mein Kriegspfad gegen Bellizist*innen aller Couleur (vorwiegende schwarze, aber auch gelbe wie Strack-Zimmermann, die mir ausgerechnet heute, beim Schreiben dieser Zeilen, per Phoenix-TV ein Ohr abkaut), aber auch mein Kriegspfad pro Vernunft und Aufklärung lockte mich heute, am 25. Oktober 2022 um 14.20, ins Kino, zwecks Besichtigung des allerneuesten Machwerks der Huldiger des politisch inkorrekten und deswegen mittels ‚kalter Bücherverbrennung‘ abzustrafenden Reiseschriftstellers Karl May. So ähnlich jedenfalls am 31.1.2022 Hadija Haruna-Oelker in der FR zum Film Der junge Häuptling Winnetou, der damals, parallel zu Karl Mays 160. Geburtstag, uraufgeführt werden sollte. Da sei Haruma-Oelker vor, die sich ganz weit aus dem Fenster lehnte: „Der Trailer verspricht Übles, was rassistische Klischees samt geschichtsrevisonistischer Romantisierung von Kolonialismus und dazugehörigen Völkermord angeht.“ Dass es ihr um das Ganze geht, zeigt der Nachsatz: „Aber wer will schon den Spirit von Karl May auflegen. Bravo! Oder Helau.“ (FR v. 31.1.22) Inzwischen scheint mir dieser Rausch verflogen, folgt, wie mit diesem Text intendiert, der Kater. Und die Entschuldigung. Sowie das Versprechen, diesen Mann, Karl May, erst einmal zu lesen, ehe man ihn fertigmacht.

Dies gilt umso mehr in Anbetracht der Nachgeschichte: Erst jetzt, am 11. August, erlebte das Ganze zum Trailer seinen Filmstart in Deutschland und Österreich. Lustig dabei und wohl Folge der Fernwärme, die Harum-Oelker entfacht hatte, sah sich der eigene Verlag (Ravensburg) veranlasst, das Buch zum Film zurückzuziehen, sich bei allen Unmöglichen entschuldigend. Im Kino wurde mir zwar nicht klar, was derlei irrationales, sprunghaftes Agieren erklären könnte. Immerhin war der Film ganz okay, jedenfalls an und für sich, d.h. Haruna-Oelker ins Regal zurückstellend, nebst Kant (wie am Ende deutlicher werden dürfte). Und auch Strack-Zimmermann, hinzugerechnet den grünen Vor(hof)reiter in Sachen Bellizismus, die einiges lernen könnten aus diesem Film (falls man bei derart alten Leuten noch Bildsamkeit unterstellen darf). Denn zu besichtigen war am Ende, wie bei Karl May kaum anders zu erwarten, das große Indianerehrenwort: „Frieden schaffen ohne Waffen!“ Und auch der Chef der bösen weißen alten Männer, Putin mit Namen (oder so ähnlich, der Ton war leider nicht okay) wurde am Ende mitsamt seiner Bande dem Sheriff übergeben.

Andere Weisheiten, etwa solche nahe an Hitler („Macht Platz, ihr Alten!“), hätten vermutlich Wirkung erzielt beim vorwiegend jugendlichem Publikum – wenn es nur da gewesen wäre: Ich zählte in der Nachmittagsvorstellung drei Interessierte außer mir (vermutlich keine FR-Leser). Vielleicht, so meine klammheimlich Kritik am Verleih, wäre Kevin allein im Indianerland der bessere Titel gewesen, denn das Skript war danach. Ganz klar und ganz May: Der junge, zwölfjährige Winnetou war der eigentlich Held, sein ‚Alter‘, der Häuptling, machte fast alles falsch – und Winnetous Gegner und späterer, gleichaltriger Blutsbruder, ein wirklich grandios aufspielender netter blonder Waisen-Junge, gespielt von Milo Haaf, war eigentlich nur seiner sozialpädagogisch aufschlussreichen Geschichte wegen böse, um am Ende auf heroische Weise und äußerst pfiffig, Winnetou das Leben zu retten. Insofern: Alles gut, alles in gewohnten Bahnen, zumal um Winnetous Blutsbruder herum, der qua Indianervorbild zum Guten hinfindet, nur Weiße agieren, die dem Klischee des Verkniffenen, Falschen, schlecht Bezahnten, Trotteligen (s. Kevin) neue Glanzlichter aufsteckten. Lustig? Nein, eher albern und tausendmal gesehen (s. Kevin, aber auch Bud Spencer sowie Ottos Schneewittchenfilm).

Viel Lärm also um ein Nichts von Film? Und damit auch: Nichts weiter als ein sinnloser Skandal, darauf beruhend, dass das Buch zum Film von „sensitivity readers“ beim Ravensburger Verlag erst durchgewunken, schließlich aber doch, passend zum Filmstart, einkassiert wurde? Lächeln macht sie jedenfalls mindestens, diese Abfolge: Erst hatten sie, zähneknirschend, wie man mutmaßen darf, dem Karl-May-Mythos ihrer Kolleg*innen und jenem vom Karl-May-Verlag in Bamberg gehuldigt, auch alle mögliche Filmförderung requiriert, um dann, im von Haruna-Oelker warum auch immer entfachten Gegenwind, weitergeführt von irgendwelchen Leuten von Instagram (dieser Verlag ist mir unbekannt!), widerstandslos einzubrechen, das Buch zum Film aus dem Programm zu nehmen – und sich zu entschuldigen! Hoppla! So klein gleich – dass eigentlich nur ein blutig geschlagener Rücken als Folge des Geißelns à la Mekka oder in der großartigen Verfilmung von Hermann Hesses Narziss und Goldmund (2020) fehlt?

Deswegen hier, zur Beruhigung der Nerven aller Beteiligten, ausgewählte Einsichten eines zwar nicht „sensitiven“, wohl aber sachkundigen Karl-May-Lesers. Dabei[1] sei vorab gerne eingeräumt: Eigentlich kann ein Mythos eine feine Sache sein. George W. Bush beispielsweise, Spezialist für das Öffnen der Büchse der Pandora, wäre nach 9/11 wohl besser bei Karl May in die Lehre gegangen – dies selbstredend unter Beiseitesetzung der über diesen kursierenden Mythen. So verfocht May beispielsweise keineswegs eine „kitschige Blut- und Boden-Romantik“ (Klotter/Beckenbach 2012: 141). Auch stimmt nicht, dass Ferdinand Avenarius sein „glühender Verehrer“ (ebd.: 146) war, im Gegenteil: Avenarius, der seinem von ihm 1887 begründeten und von Nietzsche 1888 als „deutschthümelnd“ (1975-85, Bd. 8: 362) abgelehnten Kunstwart 1896 das von seinem Onkel Richard Wagner entlehnte Motto „Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun!“ verpasste (vgl. Bruch 1998: 431) und der allein deswegen mit dem Attributen wie „humorvoll-ironischer Sonderling“ (Reulecke 2013: 28) oder „Publizist und Kunstkritiker“ (Stambolis 2015a: 21) fraglos über Gebühr verharmlost ist, war einer von Mays heftigsten Gegnern. Dies wiederum empörte Ludwig Gurlitt (1919), 1903 Wandervogel-Protegé und später (nach dem Krieg) Herausgeber des Karl-May-Jahrbuchs, übrigens Ersteres, die Empörung, sehr zu Recht. Entsprechend hatte selbst der NS-Literaturhistoriker Josef Nadler, um Avenarius‘ May-Gegnerschaft wissend, ebenso um Mays nicht nur auf geraden Bahnen verlaufenen Lebenslauf, einige Schwierigkeiten, das Werk Mays nicht primär seinem ‚persönlichen‘, sondern seinem ‚völkischen‘ Sinn nach auszulegen (1938-41, Bd. 3: 568 f.). Auch der HJ-Führer Helmut Stellrecht (1898-1987), der nach 1945, unbelehrt wie so viele, die nationale Rechte zu sammeln suchte (vgl. Klee 2009a: 503 f.), hatte in seinem HJ-Schulungsbuch Neue Erziehung (1942) für May keine wirkliche Verwendung – abgesehen vom (erwartbaren) Rubrum ‚Abenteuersehnsucht‘, an welchem die NS-Wehrerziehung problemlos anknüpfen könne (vgl. 1942: 145), in der Linie Hitlers selbstredend, eines lebenslang begeisterten May-Lesers (vgl. Ryback 2010: 306), der sich nach Albert Speers Zeugnis via May darüber belehren ließ, „daß es nicht notwendig sei, die Wüste zu kennen, um die Truppen auf dem afrikanischen Schauplatz zu dirigieren.“ (Speer 1975: 523)

Wer May hingegen – um nach all dem ein erstes Zwischenergebnis zu sichern –, anders als Haruna-Oelker, Stellrecht und Hitler, genau liest, nicht von vornherein fanatisiert und ersatzweise unter der treffenden Gattungsbezeichnung „ethnographischer Roman“ (Bartels 13,141934: 425), wird kaum etwas über Wehrerziehung (schon gar nicht im NS-Sinne) erfahren und eher den Eindruck gewinnen – wie der Volksschullehrer, May-Gegner und NS-Sympathisant Wilhelm Fronemann (1880-1954), der die NS-Prominenz beharrlich vor May warnte (vgl. Heinemann 1982) –, dass May als Anti-Rassist und Pazifist zu gelten hat und sich als Ergebnis einer tiefschürfenden und von Hans-Rüdiger Schwab (2002) exzellent rekonstruierten Auseinandersetzung mit Nietzsche insbesondere in seinem Spätwerk, etwa in Winnetou 4 (1910), als Verfechter eines ‚Rothäute‘ (Winnetou) wie ‚Bleichgesichter‘ (Old Shatterhand) gleichermaßen umgreifenden Übermenschen- resp. Edelmensch-Ideals verstand, das Platz ließ für die emporhebende Wirkung von Kirche wie Moschee gleichermaßen. Davon ganz abgesehen: Viel kann man übrigens auch heutzutage noch, etwa aus Mays ‚Orient-Erzählungen‘, lernen über den Konflikt zwischen Schiiten und Sunniten. Auch Konfliktlösungen unter Vermeidung von Opfern könnten ihm beim Lesen in den Sinn kommen, dies unter den Bedingungen des offenbar schon vor gut einhundertfünfundzwanzig Jahren ziemlich islamistischen ‚wilden‘ Osten. Dabei sei gerne eingeräumt: Neben Mays alter ego Kara Ben Nemsi und dessen kleinem Freund Hadschi Halef Omar Ben Hadschi Abul Abbas Ibn Hadschi Dawuhd Al Gossarah wäre dem Texaner George W. Bush 2001 besser wohl und anfangs auf jeden Fall – passend für die Suche nach der smoking gun – Winnetou nebst Old Shatterhand anzuempfehlen gewesen. Dessen Henrystutzen schreit ja fast schon nach einer Moritat auf den – nach dem Mythos ground zero allerdings wohl nicht mehr vermittelbaren – Slogan: ‚Frieden schaffen mit einer Zauberwaffe!‘

Die Moritat aus dieser Mär: Männer können, wenn sie wollen und das Richtige lesen (George W. Bush gehört offenbar nicht dazu), lange von den Mythen ihrer Jugend zehren, ggfs. bis ins Weiße Haus hinein und durchaus mit der Pointe, dass ihnen bellizistisches Denken grundlegend verdächtig wird (was ja am Ende selbst Nietzsche gelang [vgl. Niemeyer 2011: 137 ff.]). Auch kleine Mädchen – um nun nicht nur, und sei es aus Gründen der gender correctness, der fikiven Helden vormals kleiner Jungen zu gedenken – können lange von und in Mythen leben, ehe sie, vielleicht mit fünf, vielleicht erst mit sechs oder sieben Jahren, einzuräumen beginnen, dass Ariel vielleicht doch nur ein Waschmittel ist und keine Meerjungfrau. Auch die Begeisterung für die Farbe Pink lässt in diesem Alter rapide nach, ebenso wie die für Einhörner, Elfen und, nicht zu vergessen: die Zahnfee. Man beginnt nun, es mit der Wissenschaft zu halten und sich Geschichten zu erzählen in der Absicht der Vergewisserung darüber, wie es wirklich war, nicht, wie es hätte sein sollen.

Beispielsweise die folgende: Wir schreiben das Jahr 1879/80, befinden uns im Sudan, zwei Jahre vor dem Mahdi-Aufstand, dem ersten und am Ende erfolgreichen Aufstand gegen den Kolonialismus. Unsere kleine Geschichte, eine Erzählung, skizziert das damals übliche Vorgehen bei einem Überfall von arabischen Sklavenhändlern auf ein Eingeborenendorf:

„Dieser [Überfall] geschieht meist so, daß die das Dorf umschließende Dornenhecke an vielen Stellen angebrannt wird. Sie steht sehr bald rundum in Flammen. Die Bewohner erwachen; sie können nicht entkommen, weil sie umringt sind. Wer von ihnen sich zur Wehr setzt, wird niedergeschossen. Überhaupt werden gewöhnlich alle Männer getötet, weil sie sich selten in ihr Schicksal fügen und also den Transport erschweren. Auch die älteren Frauen werden erschlagen, weil niemand sie kauft. Die Knaben, Mädchen und jungen Frauen bilden die erwünschte Beute. Auch die Herden sind hoch willkommen. Es kommt vor, daß man schon auf dem Rückwege […] die erbeuteten Leute gegen Elfenbein vertauscht. Geht der Zug durch das Gebiet eines Stammes, welcher das Fleisch der Menschen demjenigen der Tiere vorzieht, so schlachten die Sklavenjäger die fettesten der erbeuteten Neger und verhandeln sie an die Menschenfresser.“

Ob alles – auch die Sache mit den Menschenfressern – so Wort für Wort stimmt, bleibe hier dahingestellt, schließlich geht es auch um Fiktion, in diesem Fall jene des Karl May, um genau zu sein (vgl. May 1889/90: 274 f.). Dessen Absicht in der durch Berichte des österreichischen Afrikaforschers Ernst Marno (1844-1883) angeregten (vgl. Kosciuszko 1981: 65) Erzählung Die Slawenkarawane ging auf Skandalisierung des in dieser exemplarischen Szene Geschilderten, allen Fehllektüren, namentlich jener der Kolonialismus-Skandalisierer David Olusoga & Casper W. Erichsen (2010) zum Trotz. Ihr May-Wissen reicht maximal bis zu Winnetou & Old Shatterhand ohne Orientzyklus und Kara Ben Nemsi – mit fatalen Folgen, etwa der belegfreien Zurechnung Mays („May was not a lone voice“) zu den „Völkisch mystics, promoted their firm belief […] that German’s colonies could save the Volk Ohne Raum from the misery of the industrial cities.“ (Olusago/Erichsen 2010: 108) Alles wird hier zusammengerührt, speziell: Karl May mit Hans Grimm, und dies, was May angeht, ohne jede Kenntnis seines Werkes […].

Ein wenig Sachverstand – statt ungehemmter Urteilsfreude – schiene mir also gerade in diesem Themenfeld durchaus erwünscht. Was auch gegen die Neue Rechte geht, die sich mittels ihres diesbezüglichen Vorredners Egon Flaig einen Drachen nicht nur gegen die arabischen Sklavenhändler, sondern auch gegen ‚den‘ Araber = Moslem = Islamisten zu schmieden sucht, wie das Beispiel Michael Klonovsky zeigt, der, ausgehend offenbar von Flaigs – nicht falscher – Ausgangsthese: „Die Menschenrechte sind entstanden im Kampf gegen die Sklaverei“ (Flaig 32018: 11), am Ende auf einem Befund sitzen bleibt, mit dem es ihm arg ungemütlich wird:

„Die Idee der individuellen Freiheit ist eine exklusiv westliche, sie brachte die Sklaverei in weiten Teilen des Planeten zum Verschwinden.“ (Klonovsky 2018: 360)

Einspruch, euer Unehren (zu diesem Attribut: Klonovskys Umgang mit Niklas Frank; s. Prolog Nr. 12): Nicht diese Idee, sondern die wenigen, die ihr nahestanden, erreichten dies oder erstrebten dies, und dazu gehört der auch von Flaig sträflich ignorierte ‚Reiseschriftsteller‘ Karl May, keineswegs aber dessen Antipoden. Und zu diesen gehörten nicht nur die arabischen Sklavenhändler, sondern auch jene der Alten Rechten, die diesen in der Frage der Ressentiments gegen ‚lebensunwerte‘ Eingeborenen durchaus das Wasser reichen konnten. Ebenso übrigens wie jenen unter den Neuen Rechten, für die ein Leben ohne persönliche Slavin zwar möglich ist, aber sinnlos dünkt. So betrachtet: ein wenig Differenzierung ist durchaus hilfreich, spätestens dort aber unerwünscht, wo einem die Panik vor dem marodierendem nordafrikanischen Ausbreitungstyp die Feder führt [….].

Heißt: Der deutsche (europäische) Kolonialismus hätte durchaus profitieren können von einem christlichen, nicht-rassistischen Blick auf den Afrikaner resp. „die halbwilden Völker“, von denen, so May, die (deutschen) Gelehrten zu Unrecht behaupteten, dass sie „weder Herz noch Seel‘ besäßen!“ (May 1889/90: 475) Noch deutlicher ist die in Im Lande des Mahdi I (1891) nachgereichte Variante: „Wer den [N-Wort] nicht für erziehungsfähig hält, wer ihm die besseren Regungen des Herzens abspricht, der begeht eine große Sünde nicht nur gegen die schwarze Rasse, sondern gegen das ganze Menschengeschlecht.“ (May 1891: 46) Nichts indes zu diesem Punkt bei Anna Babka. Entsprechend leicht fällt es ihr im Zuge einer rein moralisierenden, kontextentbundenen und historisch uninformierten Lektüre, May wg. seiner Darstellung des Kara Ben Nemsi in In den Schluchten des Balkan (1892) aus dem Orientzyklus dem kolonialen, auf Abwertung der „Kolonialisierten auf der Basis ihrer ethnischen Herkunft“ abzielenden „kolonialen Diskurs“ (Babka 2015: 111) zuzurechnen – und dies, wo May in seiner Erzählung „auf heimatliche Verhältnisse und schlechte Erfahrungen mit Behörden und Beamten“ anspielte, „die er in seinen eigenen bewegten Jugendjahren am eigenen Leibe zu spüren bekam.“ (Pleticha 2003: 13) Kaum minder gravierend: Babka ignoriert, dass May Kara Ben Nemsi auch nach der Figur des Afrikaforschers Gerhard Rohlfs (1831-1896) zeichnete und  mit der dunklen Seite des Kolonialismus und Rassismus nichts zu schaffen hat. (vgl. Lieblang 1998: 301 ff.) Ganz anders die NS- und AfD[2]-Kolonialismus-Ikone Carl Peters (1856-1918). So gab Peters noch im September 1915 seiner Hoffnung Ausdruck, der Ausgang des Kriegs werde „uns ein erweitertes und befestigtes Kolonialgebiet schaffen.“ (Peters 1915: 7) Ähnlich die Hoffnung einen Weltkrieg später, im Oktober 1941, im Vorwort zur zweiten Auflage eines Afrika-Ratgebers, der erstmals im März 1939 erschienen war und nun mit dem Wunsch neu an den Start ging, „daß eine dritte Auflage schon ein neu erstandenes Kolonialreich begrüßen dürfte!“ (Rohrbach/Rohrbach 21941: 8)[3] Auffällig an diesem Buch im Vergleich zu analog NS-affin argumentierenden Konkurrenzprodukten (etwa Haenicke [Hg.] 1937; Schnee 21941; zur Kritik: Graichen/Gründer 32005: 407 ff.): die klare Warnung vor der Syphilis als eine Gefahr vor Ort für den jungen Eroberer (vgl. Niemeyer 2021: 324).

Warnungen dieser Art finden sich bei Karl May – dem Sex nicht wirklich ein Thema war – nicht, auch nicht rassistisch untermauerte Eroberungs- und Herrschaftsgelüste, im Gegenteil: Mays Besonderheit insbesondere in der Sklavenkarawane sowie in seiner Mahdi-Trilogie ist eine wertschätzende, die Bildsamkeit des Afrikaners betonende. Wichtig dabei, als A & O für das Verständnis des Beginns der deutschen Kolonialgeschichte, und auch dies berücksichtigt die May-Kritikerin Anna Babka nicht mit einer Zeile: Die von May erzählerisch aufgegriffene, schon von Rohlfs angesprochene Problematik einer arabischen, schon über Jahrhunderte währenden Sklavenjagd in Afrika. (vgl. Flaig 32018: 83 ff.) In Mays Lesart kommt dabei der Part des ‚Guten‘, was die Sklavenkarawane angeht, dem als Sohn jüdischer Eltern in Schlesien zur Welt gekommenen, später zum Islam konvertierten und bei einer Expedition im ägyptischen Dienst in den Kongo von arabischen Sklavenhändlern aus Rache ermordeten Arzt und Afrikaforscher Mehmed Emin Pascha (1840-1892; eigentl. Eduard Schnitzer) zu. May beschreibt ihn als „hochberühmten Mann, welcher alles tut, um den Wohlstand seiner Untertanen zu begründen und zu beheben. Besonders duldet er keinen Sklavenhandel, den er in seiner Provinz aufgehoben hat.“ (May 1889/90: 227) Der Konjunktiv im Satz „Die Figur des Emin Pascha könnte einem Karl-May-Roman entsprungen sein“ auf Seite U 2 der neueren Gesamtdarstellung von Patricia Clough (2012) steht, so betrachtet und in Fußballersprache geredet, für ein klassisches Eigentor (ersatzweise: für eine Blutgrätsche des Lektorats). Über May hinausgedacht kommt dem Dargestellten exemplarische Bedeutung zu, insofern die deutsche Kolonialpolitik – auch die britische, französische, belgische – ursprünglich von dem Versprechen profitierte, sie böte Schutz vor den zumeist arabischen Sklavenhändlern, ein Versprechen indes, in dessen Rücken sich die koloniale Praxis nicht eben selten als andere Form von (auch sexueller) Versklavung (gleichsam vor Ort) darstellte, mit der Folge einer anti-kolonialen Bewegung, die, dann notwendig, auch als sexualbefreiende zu deuten ist – und damit auch gegen die Syphilis aufzutreten hat. Heißt, im Blick auf unser Thema und unabhängig davon, dass May in seiner ihm eigenen Prüderie davon schweigt: Dem Kolonialismus eignet notwendig der Import des Toxischen in ein zuvor unverseuchtes Gebiet, etwa Tahiti. Wo „Cooks Reisebegleiter“ die „öffentlich vollzogene Begattung […] unter guten Rat der Umstehenden, namentlich der Weiber“ (Bloch 1903: 196), bestätigt haben sollen. Damit der Neugier in Europa Auftrieb gebend, mit der Folge, dass „die aus Europa eingeschleppten tödlichen Geschlechtskrankheiten“ dafür sorgten, „die Bevölkerung innerhalb weniger Jahrzehnte auf einen Bruchteil“ (Knöfel 2022: 123) schrumpfen zu lassen.

Soweit mein Befund in Fragen nicht etwa – wie der Titel „RW Winnetou“ nahelegen könnte – in Sachen der Frage, ob Winnetou zu seiner Currywurst „Ketchup oder Mayo“ bevorzugte; sondern in Sachen des Problems, ob Karl May „Rothaut“ sagen durfte und „Bleichgesicht“ sowie „Neger“: Ja, er durfte, denn er war, wie Nietzsche, ein ressentimentfreier Geist – dies allen ‚Bleichgesichte*innen‘ bei Ravensburg und anderswo ins Gemüt geschrieben, hinzugerechnet Hadija Haruna-Oelker, die einen Rekord brach: Denjenigen in Sachen des Missverhältnisses zwischen Urteilsfreude und Faktenkenntnis. Und im Blick auf welche mich nur eine Hoffnung umtreibt: Die, dass sie endlich aufhören möge, ihren „Ich-bin-die-Gerechteste-unter-allen-Gerechten“-Wahn wie eine Monstranz vor sich herzutragen, ohne Kopf, nur mit Herz. Denn derlei Herzensweisheit, im Film vielfach beschworen als von Winnetous Oma gepredigte Indianerweisheit, leitet, wie schon Kant wusste, häufiger fehl als man glauben mag – und zuletzt das May-Bashing der Ravensburger offenbart. So es Ihnen nicht allein darum ging, einen ganz raffinierten Weg zu finden zwecks Außerkraftsetzung des heftigsten Bleichgesichter-Bashing der neueren Filmgeschichte, zu besichtigen in eben jenem Film.

Autor: Prof. Dr. Christian Niemeyer Professor (i.R.) für Sozialpädagogik an der TU Dresden. Letze wichtige Veröffentlichung: Sex, Tod, Hitler. Eine Kulturgeschichte der Syphilis (1500-1947) am Beispiel von Werken vor allem der französischen und deutschsprachigen Literatur. Heidelberg 2022.

[1] Das Folgende entnahm ich meinen Büchern Mythos Jugendbewegung. Ein Aufklärungsversuch. 2. Aufl. Weinheim Basel 2018, S. 9-11 sowie, ab „Beispielsweise die folgende…“, meinem  Schwarzbuch Neue/Alte Recht. Glossen, Essays, Lexikon.Weinheim Basel 2021, S. 325 f und schließlich, ab „Heißt….“, meinem Buch Sex, Tod, Hitler. Eine Kulturgeschichte der Syphilis (1500-1947) am Beispiel von Werken vor allem der französischen und deutschsprachigen Literatur. Heidelberg 2022, S. 204 f.). Des Weiteren werden hier Überlegungen an aus meinem Beitrag Jenseits von Europa weiter geführt (s. https: // www.hagalilcom/2021/11/jenseits von europa/) weitergeführt.

[2] Dieses Attribut erklärt sich mit der – auch auf die NS-Kolonialismus-Ikone Paul von Lettow-Vorbeck (1870-1964) ausgedehnte – Begeisterung von AfD-Politikern (wie Marc Jongen) und Neurechtsideologen (wie Erik Lehnert) für beide sowie für den rassistischen US-Neo-Kolonialisten Bruce Gilley (2021) (vgl. Niemeyer 2021: 312 ff.). 

[3] Der Seniorautor Paul Rohrbach (1869-1956) war ein schon der Vorkriegsjugendbewegung vertrauter völkischer Kulturimperialist, dessen nach 1945 von Jugendbewegungshistoriographen in bewährt verharmlosender Manier gedacht wurde. (vgl. Niemeyer 2013a: 164 f.)