„Hilfe! wir werden verbrannt!“

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Dieser Ruf ertönte lautstark am Abend des 13. Februar 1970, als bereits dutzende Menschen im jüdischen Gemeindehaus in der Reichenbachstraße 27 von Flammen und Rauch eingeschlossen waren. Im Vorderhaus war ein jüdisches Altersheim untergebracht, es war Schabbat, die meisten Bewohnerinnen und Bewohner waren daher daheim. Sieben Menschen konnten sich nicht retten, sie wurden bei diesem Brandanschlag grauenvoll ermordet…

Zum 50. Jahrestag erinnert ein szenischer „Erinnerungs-Container“ vor dem Gärtnerplatztheater an diese bis heute unaufgeklärte antisemitisch motivierte Tat. Dieser gibt Auskunft über die genauen Abläufe des Geschehens, hält das Andenken der Opfer wach und ist gleichzeitig Mahnung für die Gegenwart.

Eine Installation von Christian Springer / Initiative Schulterschluss 
Laufzeit: 10.02.―01.03.2020
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13. Februar 1970

Noch immer ist einer der schwersten antisemitischen Anschläge in der Bundesrepublik Deutschland nicht aufgeklärt. Das öffentliche Interesse an dem Fall ist ohnehin gering…

Von Olaf Kistenmacher

An einem Freitag, dem 13. Februar 1970, legten Unbekannte im Wohnheim der Israelitischen Kultusgemeinde München Feuer. Sieben Menschen, Überlebende der Shoa, die gehofft hatten, im Land der Täter in Frieden alt werden zu können, starben in den Flammen. Zu der Tat hat sich nie jemand bekannt.

Was auf den ersten Blick wie ein mehrfacher Mord aussieht, den nur Nazis begangen haben können, wurde Anfang der siebziger Jahre der radikalen Linken oder palästinensischen Gruppen zugerechnet. Heinz Galinski, zu dieser Zeit Vorsitzender des Zentralrats der Juden in Deutschland, sagte der Jüdischen Allgemeinen Wochenzeitung, »die drohende Zuspitzung« habe sich seit 1969 angekündigt.

Im Frühjahr 1969 hatten Linke in einem Berliner Lokal, das einer jüdischen Geschäftsfrau gehörte, randaliert und Flugblätter verteilt. Am 9. November 1969 legte ein Mitglied der Tupamaros Westberlin/Schwarze Ratten eine Bombe im Haus der Jüdischen Gemeinde Berlins. Glücklicherweise versagte der Zünder. Die Tupamaros Westberlin bekannten sich in der Szenezeitschrift Agit 883 zu dem Anschlagsversuch und legitimierten ihn mit einem kruden antifaschistischen Selbstverständnis. Aus den »vom Faschismus vertriebenen Juden«, führten sie aus, seien mittlerweile »selbst Faschisten geworden«, die gemeinsam »mit dem amerikanischen Kapital das palästinensische Volk ausradieren wollen«. So erklärte die Gruppe um Dieter Kunzelmann auch das gewählte Datum, den 9. November, an dem in der Berliner Jüdischen Gemeinde an die Reichspogromnacht 1938 erinnert werden sollte.

Anfang 1970 gründete sich in München ein Ableger der Tupamaros. Die Gruppe distanzierte sich in ihrem ersten Flugblatt eindeutig von der Brandstiftung im Altenheim. »Man wird versuchen, uns auch den Altersheimbrand in die Schuhe zu schieben«, schrieben die Tupamaros München an verschiedene Presseagenturen. »Lasst euch gesagt sein: Wir treffen keine Unschuldigen!«

Die Ermittlungen der Polizei verliefen ergebnislos. Und dann verschwand einer der größten antisemitischen Anschläge in der Bundesrepublik weitgehend aus der öffentlichen Diskussion – überschattet von dem Terrorangriff während der Olympischen Spiele 1972 in München, bei dem ein palästinensisches Kommando elf israelische Sportler ermordete.

Dass sich die Judenfeindschaft in der neuen Linken nicht nur in Terrorakten zeigt, beweisen auch die Verschwörungstheorien, die die Tupamaros verbreiteten. Die Tupamaros München schrieben, dass der »neue Reichstagsbrand im Altersheim« gelegt worden sei, um eine »Hexenjagd auf die Feinde des US-zionistischen Imperialismus zu eröffnen«. Ausgerechnet Dieter Kunzelmann ging noch weiter. In der Agit 883 behauptete er, das »zionistische Massaker im Münchner Altersheim« diene dem Zweck, die Einwanderung nach Israel zu fördern. Andere Linke distanzierten sich grundsätzlich von solchen Taten. Der Sozialistische Deutsche Studentenbund und weitere Gruppen erklärten: »Derartige antisemitische Aktionen sind kein politisches Mittel im Kampf gegen den Zionismus.«

2012 erinnerte die ARD-Dokumentation »München 1970. Als der Terror zu uns kam« an den Brandanschlag. Für eine kurze, aber heftige Debatte sorgte ein Jahr später Wolfgang Kraushaars Buch »›Wann endlich beginnt bei Euch der Kampf gegen die heilige Kuh Israel?‹ München 1970: über die antisemitischen Wurzeln des deutschen Terrorismus«. Kraushaar verwies auf die jahrelange Kooperation deutscher Linker mit palästinensischen Organisationen und legte nahe, er habe eine Spur zu den Tätern. Beweisen konnte er allerdings nichts.

Einige von Kraushaars Indizien konnte man in bestimmte Richtungen deuten. Ulrich Enzensberger, der Bruder von Hans Magnus Enzensberger, verwahrte sich in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung gegen den Verdacht, an der Tat beteiligt gewesen zu sein, und betonte, nichts zu wissen. Michael »Bommi« Baumann war sich im Interview mit der taz sicher, dass den Anschlag »keine Linken« begangen hätten. Das habe ihm Kunzelmann gesagt, der wiederum bei Fritz Teufel in München nachgefragt habe.

Es ist bemerkenswert, dass das Interesse an diesem Punkt erlischt. Denn wenn man glaubt, Kraushaar liege falsch, erscheinen der Brandanschlag und die Nachgeschichte noch beunruhigender. Dann könnten tatsächlich Nazis den mehrfachen Mord begangen haben und seitdem unerkannt geblieben sein. Mittlerweile wird der Fall des Oktoberfestattentats neu aufgerollt, das der Neonazi Gundolf Köhler 1980 angeblich im Alleingang verübt haben soll. Im selben Jahr ermordete ein anderer Nazi in Erlangen den Verleger Shlomo Lewin und dessen Lebensgefährtin. Lewin hatte die jüdische Gemeinde in der Stadt wieder aufbauen wollen.

Die Generalbundesanwaltschaft hat 2013 die Ermittlungen zum Anschlag auf das Altenheim in München neu aufgenommen und sich dabei auf die Tupamaros München und die »Aktion Südfront« konzentriert. Nach vier Jahren wurden die Ermittlungen ergebnislos eingestellt. Die Täter bleiben unbekannt.

Leicht veränderte Version eines Artikels, der in der Jungle World v. 12.02.2015 erschien.