Rechte Verschwörungstheorien und Reichsbürger vor dem WDR in Köln…
Von Jennifer Marken
Die extrem rechte Mischszene in NRW vermag zu mobilisieren: 24 Stunden nachdem ein WDR-Mitarbeiter einen Tweet über eine WDR-Satire gepostet hatte, standen am 29.12. 100 rechte Wutbürger vor dem WDR am Appelhofplatz. 30 Minuten lang war nur ein einziger Polizeiwagen vor Ort, dafür aber 25 Hool der rechtsradikalen Düsseldorfer „Bruderschaft Deutschland“ mit ihrem Chef Ralf Nieland.
Sie patrouillierten um den WDR. Zeitweise jagten sie zehn junge Kölner Nazigegner von „Fridays for future“ durch die Straßen. Es waren beängstigende Szenen. Als sich nach einer Stunde ein zaghafter verbaler Gegenprotest bemerkbar machte, marschierte sogleich eine Gruppe von 30 bedrohlich wirkenden Männern – auch ein Kind und ein Jugendlicher beteiligten sich an der Hand ihres Vaters – aus dem Umfeld der Bruderschaft Deutschland sowie weiterer Hoolgruppen auf die Gegendemonstranten zu. Inzwischen war eine Hundertschaft der Polizei vor Ort, die Schlimmeres verhinderte.
Später, der spärliche Gegenprotest war schon verschwunden, setzte die Polizei die organisierten Hools – viele trugen das Shirt der „Bruderschaft“ mit der großformatigen Faust – vor einem Gebäude fest und nahm die Personalien auf. Offenkundig wirkte dies auf die Hoolszene aus NRW abschreckend: Sie erschien am Samstag nicht.
Im Netz kursierten zahlreiche Aufrufe, am Samstag erneut nach Köln zu kommen um gegen den WDR zu protestieren. Neben dem rechtsradikalen Mönchengladbacher Hogesa-Begründer Dominik Roeseler und Aktivisten aus der Verschwörerszene wurde mit dem Konterfei des Kerpener AfD-Politikers und Flügel-Vertreters Theo Gottschalk geworben. Der hatte am 25.12. auf Facebook einen Weihnachtsgruß veröffentlicht: „Vor drei Jahren, Frau (M) F …erkel.“
Eigentlich steht Roeseler, Hauptorganisator der Kölner Hogesa-Demo im Herbst 2014 und Initiator zahlreicher weiterer Hogesa-Machtdemonstrationen, dafür ein, große Massen zu mobilisieren. Dies hatte er im September 2018 bewiesen: Wenige Tage nach dem Suizid seines Hogesa-Mitstreiters Marcel K. vermochte er 350 Hooligans und Rechtsradikale nach Mönchengladbach zum „Trauermarsch“ zu mobilisieren.
Dies gelang ihm jedoch nicht. Vielleicht hatte sich intern auch die Festsetzung der „Bruderschaft Deutschland“ wenige Tage zuvor in Köln rumgesprochen: Größere Teile der Hoolszene haben ein Vorstrafenregister und agieren lieber in der Anonymität und im Schutz ihrer Szene.
Das im Netz angekündigte Szenario einer massiven Mobilisierung auch rechtsradikaler Kräfte erfüllte sich nicht. Statt deutlich mehr als 100 gewaltaffiner Personen – wie sie die „Bruderschaft Deutschland verkörpert – fanden sich in Köln um 14 Uhr auf dem Appelhofplatz nur 70 Menschen aus dem Verschwörungsspektrum ein, angereichert durch den Kerpener AfD-Politiker Theo Gottschalk. Der gilt in NRW als Flügel-Vertreter und inszeniert sich gerne als Gründer der Minigruppe „Juden in der AfD“.
Für 12 Uhr hatten sich Vertreter der verschwörungstheoretischen „Freien Medien“ auf dem Wallraffplatz beim WDR-Hauptgebäude angekündigt. Die demonstrieren dort mehrfach im Jahr für „alternative Medien“ und „gegen den Staatsfunk“. Auch Roseler erschien mit einer Minigruppe und posierte auf dem Domvorplatz mit dem Transparent seiner rechtsradikalen Gruppe „Mönchengladbach steht auf.“
Offenkundig fehlte Roeseler die erhoffte Hoolszene: Da weder die „Bruderschaft“ noch die „Steeler Jungs“ erschienen waren, ließ er sich um 14 Uhr am Appelhofplatz nicht mehr blicken. Das AfD-Flügel-Klientel und die Szene der Verschwörungstheoretiker war für den „handlungsorientierten“ Mönchengladbacher Stadtrat offenkundig nicht ausreichend. Vielleicht erschreckte ihn auch der massive Gegenprotest in Köln: 500 Gegendemonstranten standen ihm um 11:30 Uhr allein auf dem Domvorplatz gegenüber. Auch die Seitenstraßen waren voll: Insgesamt 2000 größtenteils linke Gegendemonstranten prägten das Bild in den winzigen Seitenstraßen.
Gegen 13.30 Uhr war in der „Kein Kölsch für Nazis“ Großstadt Köln teils kein Durchkommen im Umfeld des Appelhofplatzes und den WDR-Gebäuden mehr möglich. Das Rheinische antifaschistische Bündnis gegen Antisemitismus (RABA), Köln gegen Rechts und die Grünen waren als Demoaufrufer hatten massiv zu mobilisieren vermocht, nach dem Schock vom 29.12. Da hatten sich nur 25 Gegendemonstranten eingefunden.
Auf den Gegendemonstrationen traten ver.di-Redner und verschiedene Redner der Bündnisse entschieden für die Pressefreiheit und das Recht auf Satire ein. Sie warfen WDR-Intendanten Tom Buhrow ein Einknicken gegenüber dem rechten Shitsturm vor.
Der Versuch der obligatorischen sehr rechten Live-Streamer aus dem Umfeld von Die Rechte (Kevin G.) sowie der Verschwörungstheoretiker, bereits um 12 Uhr auf dem Domvorplatz durch das Abfilmen von Gegendemonstranten zu provozieren, misslang. Die Proteste waren stark, zu Gewalttätigkeiten ließ sich niemand verleiten. Die Polizei drängte sie ab.
Erstmals trat auch die Kölner AfD im Kontext dieser Mischszene auf, jedoch etwas abseits: Ein gutes Dutzend Kölner AfDler und weiterer Personen aus ihrem Umfeld versammelten sich unter einem blauen Zelt vor dem Museum für angewandte Kunst (MAK), 300 Meter vom Domplatz entfernt.
Sie wurden von mehreren Dutzend Polizisten geschützt, die den Gegenprotest ruppig auf die gegenüberliegende Straßenseite drängte. Der Versuch, breite Aufmerksamkeit zu finden, war gescheitert, zu körperlichen Auseinandersetzungen kam es nicht. Der Flügel-Mann Gottschalk hat offenkundig in der Kölner AfD wenig Freunde: Die ließen sich anschließend nicht mehr blicken.
Auch die selbsternannten Freien Medien suchten auf dem Wallraffplatz ihr Heil in der Flucht: Die Vertreter der identitärennahen Kölner Minigruppe „Widerstand steigt auf“ packten angesichts des Gegenprotestes gleich ihre Sachen ein und versteckten sich in einem Cafe. Dieses wurde von der Polizei massiv abgeriegelt, Gegendemonstranten forderten: Wir wollen shoppen. Es kam zu kleinen Rangeleien und auch vereinzelten Platzverweisen sowie Festnahmen. Im Sommer 2017 hatte diese winzige rechtsradikale Kölner Gruppierung vor Kölner Flüchtlingsheimen mit Sprühfarbe gegen Flüchtlinge gehetzt. Ein Jahr später wurde ihr Hauptprotagonist wegen einer weiteren Aktion in Köln zu einer Geldstrafe verurteilt.
Vor dem WDR-Hauptgebäude posierte dann nur eine ältere Frau mit Transparent, die bereits am 29.12. dabei war. Als eine Journalistin Fotos machen wollte stürmte sie auf die Autorin zu und anschließend zur Polizei. Die vermochte der wackeren Freiheitsheldin nicht weiter zu helfen.
Gegen 13 Uhr lief der Gegenprotest mit 1000 Teilnehmern zum Appelhofplatz. Das gesamte Umfeld war von Demonstranten eingekreist, darunter auch eine Gruppe von Freien Mitarbeitern des WDR. Ein Durchkommen war teils nicht mehr möglich. Zuvor hatte die Redakteursvertretung des WDR ihren Intendanten Buhrow kritisiert: Dieser sei Mitarbeitern mehrfach öffentlich „in den Rücken gefallen“.
Auf dem abgeriegelten Appelhofplatz ging es knapp zwei Stunden lang nur noch verschwörungstheoretisch zu. Das Konzept einer breiten Mobilisierung der verschiedenen Mischszenen war gescheitert, die Hools waren – im Unterschied zum 29.12. – nicht mobilisiert worden. Offenkundig ist die Verzahnung zwischen diesen heterogenen Szenen nicht so stark. Für die rechten Straßenkämpfer mit ihrem martialisch-einschüchternden Inszenierungen und Drohbotschaften ist ein lokaler Flügel-Vertreter und das Verschwörungsmilieu nicht attraktiv. Der WDR allein und eine Satire reicht nicht zur Mobilisierung dieser Szene. Offener Antisemitismus wäre da vermutlich attraktiver gewesen. Das zuvor von Roeseler und wenigen Mitstreitern getragene Mönchengladbacher Transparent „Familie – Heimat – Zukunft“ hing abseits und unbeachtet an einem Zaun.
Der Rest war eine eher peinlich anmutende Inszenierung von 70 Leuten aus der Wutbürger- und Verschwörungsszene. Einzig die diversen Live-Streamer, darunter auch Kevin G. aus dem Umfeld von Die Rechte, versuchten, durch Interviews mit den ewig gleichen Protagonisten medial innerhalb ihrer Szene bundesweit Außenwirkung zu erzielen. Dies dürfte sich jedoch als Luftnummer erweisen: Der Platz war erkennbar leer, Hool-Vertreter und martialisches Gebrüll war nicht zu vernehmen.
Unter den Reden stach einzig der der Reichsbürgerszene zugerechnete Sven V. hervor. Der rapt seit einem Jahr bei Gelbwesten-Demos als „Master Spitter“, erreicht dort aber immer nur eine Kleinschaar von „verstrahlten“ Verschwörungsleuten. Optisch mit rot-grün-gelber Mütze und freakigem Habitus sprach er, untermalt durch seine eigenen Lieder, die Szene kaum an. Einzig die unverhohlen antisemitische Botschaft seiner Texte könnte mobilisierend für die Neonaziszene wirken. Sein Habitus dürfte solchem Szeneerfolg jedoch im Wege stehen.
In seinen Songs und eher wirr anmutenden Wortbeiträgen warnt er vor den USA, die in Israels Auftrag die Welt versklaven. Gregor Gisy sehe „wie ein behindertes Schwein“ aus. Die „KriegsZionisten“ „töten Neffen und Nichten (…) Sie wollen Heiden vernichten Kleinkinder ficken.“ Zwischendurch dann vulgäre Anspielungen auf antisemitische Botschaften: Es ertönt der im Wortmüll eingestreute Schlüsselbegriff „Judas“ und dann das antisemitisch-holocaustleugnende Mantra: „Der Zentralrat der Juden schönt den Genozid, denn 215.000 Juden im Bundesgebiet und 6 Millionen Opfer.“ Dann der Zusatz: „Wer finanziert die Kriege“ und ziehe „den Profit daraus? Immer noch die Selben aus dem Roten Schilde Haus.“ Das ist zu verquast, versteckt sich zu sehr hinter Andeutungen, um die Neonaziszene zu mobilisieren.
Ein Redner klagte über den 2. Weltkrieg: „Unsere Männer waren tot oder waren im Rheinwiesenlager gefangen“ – eine Anspielung auf die jährlichen Neonazikundgebung in Remagen.
Die Polizeitaktik wirkte konfus: Immer wieder wurde versucht, Rechte durch die 2000 Gegendemonstranten an den drei Eingängen zu führen, was Auseinandersetzungen und in einem Fall auch einen schwerer Verletzten – vermutlich ein Neonazi – zur Folge hatte.
Der Hauptprotagist Theo Gottschalk (AfD Kerpen), mit dessen Konterfei im Vorfeld massiv geworben wurde, war mit eigenem Sportwagen vorgefahren – und parkte just vor dem ver.di-Haus. Die Polizei musste ihm erklären, dass der Ort ungeschickt gewählt sei. Um ihn versammelten sich einige AfDler, darunter der Betreiber eines rechtsextremen Streamingportals, Matzke, der im Oktober 2017 aus der AfD ausgeschlossen worden ist. Einige Neonazis aus Köln waren vor Ort, die ansonsten bundesweit bei sehr rechten und bei Neonazievents von Die Rechte präsent sind, darunter der durch einen Hitlergruß bundesweit bekannt gewordene Neonazi Samy M. sowie die Kölner Neonazifrau Cindy K. der Pseudogruppe „Köln für Deutschen Sozialismus„. Allein: Die Neonaziszene Kölns ist entschieden zu winzig, um Außenwirkung zu erzielen. Ihr Hauptprotagonist Paul Breuer, Angeklagter im – juristisch gescheiterten – neonazistischen Mittelrheinprozess, verstarb im August 2018. Neonazistischer Ersatz ist in Köln nicht erkennbar.
Der Kerpener Gottschalk, selbst innerhalb der NRW-AfD isoliert, ließ sich vor dem WDR feiern. Als Weihnachtsgruß 2019 hatte er, offenkundig auf Angela Merkel gemünzt, gepostet: „Ich habe gehört die ALTE ist KRANK ich hoffe TOTKRANK. Das wäre ein Weihnachtsgeschenk.“
Im März 2018 war der Kerpener beim „Trauermarsch“ in Kandel mit dem Transparent „Streichelneger bezahlt vom Sozialamt“ aufgetreten. Diesmal trug er ein Transparent mit der Aufschrift „Advent, Advent, ein Bulle brennt!“ Mobilisierend für die Mischszene wirkt dies erkennbar nicht.
„Wir sind Rechtsstaat“ rief er, akustisch kaum zu verstehen. Sie hätten „unser Land“ nicht aufgebaut „um es uns von diesen Rotzlöffeln kaputt machen zu lassen.“ Noch sei Deutschland nicht verloren.
Ein Redner beklagte, dass man für Meinungsäußerungen „ins Gefängnis gehe“ und man vielleicht sogar „versklavt“ würde. Antifas seien „die Staatsschläger der internationalen Konzerne“. Vermutlich war es gut, dass die bei den Gegenprotesten auch vertretenen doktrinär-antizionistischen Grüppchen, die von einem Kölner Antifazusammenschluss nun sogar als Teil ihres Bündnisses aufgenommen worden sind, solche veritablen Beleidigungen nicht mitbekamen.
Als vereinzelt rechte Gegendemonstranten durch den Gegenprotest geführt werden sollten, kam es mehrfach zu stärkeren Auseinandersetzungen zwischen Gegenprotest und Polizei mit mehreren Verletzten.
Gegen 15.40 Uhr war das bizarre rechte Verschwörungsevent vorbei; eine für den nachfolgenden Sonntag angekündigte Kundgebung in Köln wurde angesichts des Scheiterns gleich mit abgesagt. Unter Polizeischutz wurde die Truppe zum Hauptbahnhof geleitet.
Politisch ist der Versuch, mittels einer WDR-Satire die rechtsradikale Mischszene breit zu mobilisieren, gescheitert – zumindest in Köln.
Im Nachklang kam es zu mehreren Auseinandersetzungen: Eine Teilnehmerin der rechten Demonstration besprühte einen Gegendemonstranten vor einem Hotel mit Reizgas. Weiterhin kam es zu einer Messerattacke. „Köln gegen Rechts“ schreibt, dass sie den Verantwortlichen als Teilnehmer der rechten Kundgebung identifizieren könne.
Einen Tag später, am Sonntag, kletterte eine Kleingruppe von fünf sehr rechten Aktivisten – vermutlich aus dem Umfeld der selbsternannten rechtsradikalen „Identitären“ – erneut, wie bereits vor gut einem Jahr, auf das Dach des Kölner WDR-Funkhauses und entrollten ein verschwörungstheoretisches rechtes Banner, in dem sie gegen „Medienhetze“ des WDR protestierten. Weiterhin warfen sie Flugblätter herunter. Sie wurden von der Polizei festgenommen, der Staatsschutz ermittele, berichtet der KStA.