„Nisman – Tod eines Staatsanwalts“

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Am 18. Januar 2015 stirbt der argentinische Staatsanwalt Alberto Nisman. Ob es Mord oder Selbstmord war, ist bis heute ungeklärt - stattdessen spinnt sich ein Netz von Vermutungen und Vorwürfen. © ZDF und Lucas Gath.

Das Zweite Deutsche Fernsehen widmet dem ehemaligen argentinischen Staatsanwalt Alberto Nisman die Nacht vom 31. Januar auf den 1. Februar. In sechs hintereinander ausgestrahlten Folgen sendet der Kanal ZDFinfo in Kooperation mit Netflix eine Produktion des britischen Filmemachers Justin Webster…

Von Detlef zum Winkel

Die Serie bietet enormes Anschauungsmaterial. Wir erleben den Schauplatz und seine Akteure, die wir bisher allenfalls als Namen und Adressen kannten: die Großstadt Buenos Aires mit den Palästen, in denen die Politik Argentiniens zelebriert wird, die Arbeit einer hochpolitisierten, für ein populistisch regiertes Land typischen Justiz, leidenschaftliche Politiker, sensationshungrige Medien, Nismans Angehörige und Freunde wie auch seine erklärten Gegner und mittendrin die jüdische Gemeinde, die das Andenken an die Opfer des AMIA-Attentats wachhält und 25 Jahre danach feststellen muss, dass die Aufklärung des Verbrechens nicht vorankommt.

Die Dokumentation vermeidet es bewusst, eine Erzählstimme einzusetzen, die die einzelnen Szenen einordnet und kommentiert. Webster will es den Zuschauern überlassen, sich ihre eigenen Meinungen zu bilden. Die Hand des Regisseurs und seine persönlichen Präferenzen sind dennoch zu erkennen. Er neigt zu der Auffassung, Nisman habe seinem Leben selbst ein Ende gesetzt. Die Justiz sieht es nach derzeitigem Stand anders: ein Suizid könne ausgeschlossen werden. Aber die argentinische Rechtsprechung hat wenig Probleme damit, ihre Meinung zu ändern.

Um bei den schnellen Bildfolgen, Zeitsprüngen und harten Schnitten in sechs Stunden atemloser Krimiatmosphäre nicht die Orientierung zu verlieren, ist es hilfreich, die Meilensteine des Dramas und einige der maßgeblichen Akteure präsent zu haben. Am 18.7.1994 sprengte eine Autobombe das Gebäude der jüdischen Sozialeinrichtig AMIA in Buenos Aires. 85 Menschen fanden den Tod, 300 wurden verletzt. Zwei Jahre zuvor war die israelische Botschaft in der Stadt mit dem gleichen Mittel angegriffen worden: 29 Tote und 250 Verletzte. Zu beiden Anschlägen gab es Bekenntnisse nahöstlicher Terrorgruppen, die der libanesischen Hisbollah und damit dem Iran nahestehen.

Mit dem Fall AMIA war zunächst der Bundesrichter Juan José Galeano beauftragt. Dieser beschuldigte eine „local connection“, darunter vor allem Angehörige der Polizei von Buenos Aires, die Tat vorbereitet zu haben. Ein Autohändler aus kriminellem Milieu, Carlos Telleldín, habe den weißen Renault Van, der als Tatwaffe diente, beschafft und an vier Polizisten weitergegeben. Gleichzeitig verdächtigte Galeano Hadi Soleimanpour, damals iranischer Botschafter in Buenos Aires, und weitere Personen aus dem Umkreis der Botschaft, in das Verbrechen involviert gewesen zu sein. 1999 erließ er einen Haftbefehl gegen den Libanesen Imad Mughniyeh, Militärbefehlshaber der Hisbollah. Dieser Personen konnte er jedoch nicht habhaft werden.

Auf der Basis seiner Ermittlungen wurde 2001 ein Prozess gegen 22 argentinische Angeklagte eröffnet. Nisman vertrat mit zwei weiteren Staatsanwälten die Anklage. Schlüsselszenen aus dem damaligen Verfahren werden in Websters Dokumentation gezeigt. Vor Gericht wurde ein Video abgespielt, in dem zu sehen ist, wie Galeano dem Autohändler Geld anbot. Hugo Anzorreguy, damals Chef des argentinischen Geheimdienstes SIDE, bestätigte, dass Galeano 400.000 Dollar von ihm verlangte, „um die Sache wieder ins Laufen zu bringen“. Damit brach die Anklage zusammen.

Im Gegensatz zu seinen Co-Staatsanwälten, die von Galeanos Umtrieben wussten und postwendend suspendiert wurden, war Nisman nicht im Bilde und überrascht. Ihm oblag es nun, den peinlichen Prozess zu Ende zu bringen. Die nächste überraschende Wende ergab sich durch die Zeugenaussage eines anderen SIDE-Offiziers, Jaime Stiuso. Er bezeichnete die ganze Hypothese, der Attentäter oder die Attentäter hätten sich einer Gruppe von Polizisten bedient, um an ein mit Sprengstoff beladenes Fahrzeug zu kommen, als Unsinn. „Nein, so läuft das nicht.“

Stiuso präsentierte dem Gericht, von Webster dokumentiert, ein anderes Szenario vom Tathergang. „Wir haben die Information erhalten, dass Jihad Bru der Attentäter war. Bru kam mit einem gewissen Saad ins Grenzgebiet Argentinien-Brasilien-Paraguay und sie überquerten die Grenze nach Argentinien.“ Nisman fragt nach, ob ihm der Name Berro etwas sage. Stiuso: „Bru, Berro, Borro, Birro, das ist alles dasselbe. Das ist ein Clan der Hisbollah.“ Das Terrornetz sei vom damaligen Kulturattachee der iranischen Botschaft, Mohsen Rabbani, aufgebaut worden. Stiuso überreichte dem Richter einen Report seiner SIDE-Abteilung von 1996, in dem all diese Erkenntnisse bereits enthalten seien. Nur habe man damit nicht arbeiten wollen. Seinen Angaben zufolge wurde er wegen dieses Berichts von Galeanos Ermittlungen abgezogen.

Der (erste) AMIA-Prozess endete 2004 mit einem Freispruch für alle Angeklagten. Nun beauftragte der Präsident Nestor Kirchner Nisman, der als einziger Verfahrensbeteiligter eine reine Weste behalten hatte, mit dem Fall AMIA. Ihm stellte er Stiuso, den Geheimdienstoffizier, der die vorhandenen Erkenntnisse offenbart hatte, zur Seite. Als erstes präsentierten die beiden das Hisbollah-Mitglied Ibrahim Berro als den Selbstmordattentäter, der am Steuer des Renault gesessen habe.

Am 18. Januar 2015 stirbt der argentinische Staatsanwalt Alberto Nisman. Ob es Mord oder Selbstmord war, ist bis heute ungeklärt – stattdessen spinnt sich ein Netz von Vermutungen und Vorwürfen.

Webster gibt auch an dieser Stelle denjenigen ausführlich Raum, die diese Behauptung anzweifeln, aber ihr Argument erschöpft sich letztlich in der scheinheilige Versicherung der Hisbollah, Berro habe am 18.7.1994 bei einem Gefecht mit dem israelischen Militär im Südlibanon den Märtyrertod erlitten. Deshalb habe man – in Anwesenheit von Hisbollah-Chef Nasrallah – nur einen leeren Sarg bestatten können.

Nisman war nun nicht mehr aufzuhalten und reichte 2006 seine Anklageschrift ein. Der Anschlag sei im Nationalen Sicherheitsrat des Irans 1993 beschlossen und von Hisbollah ausgeführt worden. Grund sei die Weigerung Argentiniens gewesen, die nukleare Zusammenarbeit, die von den beiden Ländern Ende der achtziger Jahre beschlossen worden war, in dem vereinbarten Umfang fortzusetzen. Namentlich nennt die Anklage den damaligen Präsidenten des Iran, Rafsandschani, die ehemaligen Minister für Verteidigung, Außenpolitik und Geheimdienste, Vahidi, Velayati und Fallahijan, den ehemaligen Chef der Revolutionsgarden Rezai, den damaligen Botschafter Soleimanpour, seinen Kulturattachee Rabbani, den Botschaftssekretär Asghari sowie den Militärchef der Hisbollah Mughniyeh (siehe Soleimani wird zum unfreiwilligen Zeugen von Alberto Nisman).

2007 verhängte Interpol auf Antrag Argentiniens gegen sechs dieser neun Personen sogenannte Red Notices, die einem internationalen Haftbefehl gleichkommen. Rafsandschani, Velayati und Soleimanpour wurden davon ausgenommen. Es hätte der sechsstündigen Dokumentation nicht geschadet, dieser Herrenriege ein paar Minuten zu widmen, aber das passte wohl nicht in das Konzept. Nichtsdestoweniger bestehen die Red Notices bis heute, sofern die genannten Personen noch am Leben sind.

Nisman war auf dem Höhepunkt seiner Karriere, aber weiter kam er nicht. Nestor Kirchner übergab die Präsidentschaft im Dezember 2007 an seine Gattin Cristina und erlag drei Jahre später einem Herzinfarkt. Zu dieser Zeit startete der iranische Präsident Ahmadinedschad einige politische und ökonomische Vorstöße gegenüber Argentinien, häufig vermittelt durch seinen venezolanischen Partner Hugo Chavez. Nisman dürfte diese Avancen mit größtem Misstrauen registriert haben.

Auf der Zeitachse der TV-Dokumentation folgt das Jahr 2012 mit einer Reihe von Gesprächen, die Außenminister Hector Timerman mit dem iranischen Amtsinhaber Ali Akhbar Salehi in Genf führte. Sie resultierten in ein Memorandum, das die beiden Politiker Anfang 2013 unterzeichneten. Es sah eine „Wahrheitskommission“ aus fünf noch zu bestimmenden internationalen Rechtsexperten vor, die den argentinischen Anschuldigungen gegen die genannten iranischen Politiker auf den Grund gehen sollte. Timerman sah dies als Erfolg an, weil es der argentinischen Justiz erlauben werde, die Angeklagten zu vernehmen, wenn auch in Teheran. Er meldete an Interpol, eine diplomatische Lösung werde auf den Weg gebracht. Salehi verkündete seinerseits eine Erfolgsmeldung: die Einsetzung der Wahrheitskommission werde zur Aufhebung der Red Notices führen.

Nisman lehnte diese Lösung radikal ab und bezeichnete sie als verfassungswidrig. Anfang 2015 beschuldigte er Cristina Kirchner und Hector Timerman, Absprachen mit Teheran getroffen zu haben, um die juristische Verfolgung der iranischen Angeklagten zu beenden. Wenige Tage danach wurde er in den späten Abendstunden des 18.1.2015 erschossen in seiner Wohnung aufgefunden.

Cristina Fernández de Kirchner argentinische Politikerin der Peronistischen Partei und war von 2007 bis 2015 Präsidentin Argentiniens. Sie ist die Witwe ihres direkten Amtsvorgängers Néstor Kirchner. Welche Rolle spielte sie beim Tod von Alberto Nisman?

War es Mord oder Selbstmord? Wollten fanatisierte Anhänger Kirchners einen Staatsanwalt beseitigen, der ihnen immer gefährlicher wurde, oder verlor Nisman die Nerven, weil er alles auf eine Karte gesetzt hatte und seine tollkühne Anklage am Ende doch nicht beweisen konnte? Welche Rolle spielten die Geheimdienste? Webster widmet sich in aller Ausführlichkeit den kriminalistischen Untersuchungen, geleitet von Staatsanwältin Viviana Fein, den Reaktionen der politischen Lager, den Spekulationen der Presse. Doch seine Zeitachse weist eine beachtliche Lücke auf. Wie kam es zur radikalen Konfrontation Nismans mit Cristina Kirchner und ihrem Außenminister? Tatsächlich war die Genfer Diplomatie zwischen Timerman und Salehi nur der mühsame Versuch, einen handfesten Skandal zu glätten, der sich ein Jahr zuvor ereignet hatte (siehe Das nukleare Dreieck zwischen Teheran, Caracas und Buenos Aires).

Im März 2011 enthüllte der argentinische Journalist Pepe Eliaschev, dass es schon am 23./24.1.11 ein Geheimtreffen Timermans mit Salehi in der syrischen Stadt Aleppo gegeben hatte. Dabei sei vereinbart worden, dass die argentinische Regierung einen Freispruch des Irans von dem Vorwurf, das Attentat von 1994 angestiftet zu haben, unterstützt. Im Gegenzug sollte sie günstige Handelsabschlüsse – iranisches Öl gegen argentinische Lebensmittel – erhalten. Den verräterischen Deal stritten Kirchner und Timerman ab. Zum Beweis für die Lauterkeit ihrer Absichten handelten sie mit Salehi das Memorandum aus. Dass in Aleppo über krumme Sachen gesprochen wurde, bestätigte später der Botschafter, der zu jener Zeit Argentinien in Syrien vertrat und sich wunderte, warum ihn Timerman partout nicht dabei haben wollte, während Salehi mit einem Stab von Mitarbeitern angereist war.

Dieses Datum fehlt auf Websters Zeitachse, obwohl es für den weiteren Verlauf eine fundamentale Frage aufwirft. Warum wartete Nisman volle vier Jahre mit seinem Angriff auf Cristina Kirchner? Offenbar wollte er weitere Beweise sammeln, um mit Stiusos geheimdienstlicher Hilfe das ganze Geflecht proiranischer Akteure und Aktivitäten in Argentinien auffliegen zu lassen. Unklar bleibt, warum er Anfang 2015 die Zeit für gekommen hielt. Möglicherweise sah er die Flucht in die Öffentlichkeit als Schutz vor den Drohungen an, denen er und seine Familie ausgesetzt waren. Auch Stiuso bekam es mit der Angst zu tun. Kurz nach Nismans Tod setzte er sich in die USA ab, von wo er erst nach der Wahl Mauricio Macris zum Präsidenten zurückkehrte. Macri wurde im letzten Dezember wieder abgewählt und durch Alberto Fernández ersetzt. Jetzt ist Cristina Kirchner wieder Vizepräsidenten und genießt Immunität gegen alle Vorwürfe der Korruption und Strafvereitelung.

Am Ende des sechsten Teils der TV-Serie kommt Webster auf AMIA zurück. Er fragt Stiuso nach den Motiven für die Tat. Wie Nisman antwortet der ehemalige SIDE-Offizier, Argentinien habe sich geweigert, den Iran mit nuklearer Kapazität auszustatten. Dann wird seine Aussage im ersten AMIA-Prozess eingeblendet: „Ich weiß nicht, ob Sie es wissen: Der Iran besitzt inzwischen die nuklearen Kapazitäten, die er schon damals gehabt hätte, wenn Argentinien ihm den Reaktor verkauft hätte.“

Webster bemerkt die Relevanz des Satzes nicht und springt rasch weiter zu einem CIA-Mann, der um die Jahrtausendwende in Buenos Aires stationiert war und versichert, er habe nie irgendwelche Hinweise gehabt, „dass der Iran es getan hätte, weil man ihre atomaren Pläne durchkreuzt hatte.“

Stiuso allerdings hat schon frühzeitig etwas behauptet, was Nismans Anklage konkretisiert und über sie hinausgeht. Demnach hätten Iran und Argentinien Anfang der 90er Jahre nicht nur über die Lieferung nuklearer Brennelemente, über technologische Zusammenarbeit, Ausbildung und Wissenstransfer verhandelt, wie allgemein bekannt ist. Sondern es sei auch um die Lieferung einer Anlage gegangen, die den Iran schon damals in einen Stand versetzt hätte, den er erst viel später erreicht hat.

Gemeint ist nicht die Urananreicherung mit Zentrifugen, sondern die Plutoniumgewinnung mit Hilfe eines Schwerwasserreaktors, ein Weg, der praktisch von allen Atomwaffenstaaten beschritten wurde. Tatsächlich hat Iran erst vor kurzem seinen entsprechenden Reaktor in Arak so weit fertiggestellt, dass er in absehbarer Zeit in Betrieb gehen könnte – wäre da nicht das Wiener Atomabkommen, das ein Redesign des Meilers vorsieht. Das sei es gewesen, was die Iraner Stiuso zufolge von den Argentiniern wollten. Hätte man ihren Wunsch erfüllt, dann hätte man in Wien über einen Reaktor verhandeln müssen, der schon ein Jahrzehnt lang waffenfähiges Plutonium produziert.

Argentinien betreibt drei Schwerwasserreaktoren. Einer davon ist ein kanadischer Typ, die beiden anderen sind Made in Germany. Man darf raten, worauf die Iraner ihr Auge geworfen hatten.

Alle Fotos: © ZDF und Lucas Gath

Freitag, 31. Januar 2020, 20.15 Uhr, ZDFinfo

NISMAN – Tod eines Staatsanwalts

Sechsteilige Doku-Serie

20.15 Uhr: Tödliche Verstrickungen
21.15 Uhr: Todesursache Selbstmord?
01.45 Uhr: Im Netz der Geheimdienste
02.45 Uhr: Entscheidende fünf Tage
03.45 Uhr: Neue Beweise
04.30 Uhr: Die Macht der Lügen

Film von Justin Webster

Produktion: jwproductions, gebrüder betz filmproduktion
Redaktion ZDFinfo: Imke Meier

Alle sechs Folgen stehen in der ZDFmediathek zur Verfügung.