Das Weihnachts-Massaker der deutschen Wehrmacht, Simferopol 1941

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Wie ihr Brauchtum und ihre Geschichte immer wieder gezeigt haben, können sich viele Christen anlässlich ihrer beiden höchsten Feiertage, Ostern und Weihnachten, in einen geradezu irrationalen Hass hineinsteigern, der sie zu den unmenschlichsten Verbrechen, besonders an Juden, befähigt. An eine solche Blutorgie von Christenhand aus der Weihnachtszeit des dritten Jahres des Zweiten Weltkriegs soll hier erinnert werden…

Von Robert Schlickewitz

Die Rede ist vom Weihnachts-Massaker, das auch unter den Bezeichnungen „Simferopol-Massaker“, „Massenmord von Simferopol“, „Mass murder of Simferopol Jews“ und „The Simferopol Massacres“ bekannt geworden ist.

Die Gräueltat bestand in der Ermordung von 12 000 bis 15 000 Einwohnern der Stadt Simferopol im Dezember 1941 durch Deutsche. Sie war möglich geworden durch eine als mustergültig zu bezeichnende Zusammenarbeit hoher Wehrmachtsoffiziere mit maßgebenden Beamten des Reichssicherheitshauptamtes (RSHA) und weiteren zuständigen Einrichtungen des deutschen „Dritten Reiches“.

Das Weihnachts-Massaker gilt als die opferreichste einer ganzen Reihe von Mordaktionen der Einsatzgruppe D auf der Krim und war typisch für die deutschen Verbrechen der Frühphase der Shoa.

Wann?

Simferopol war am 1. November 1941 von der 11. Armee unter General Erich von Manstein erobert worden. Noch im gleichen Monat liefen bei der Ortskommandantur Simferopol die Vorbereitungen zur lokalen „Lösung der Judenfrage“ an.

In der Zeit vom 9. bis zum 13. Dezember fanden Erfassung, Aussonderung und Erschießung der Juden und der Krimtschaken von Simferopol statt.

Am 2. Januar 1942 erging eine, wie sich bald herausstellte, unzutreffende „Ereignismeldung“ deutscher Stellen, wonach Simferopol und andere Krimstädte nun „judenfrei“ seien. Eine erneute „Ereignismeldung“ vom 9.1.1942 präzisierte die vormaligen Angaben, jedoch ergaben spätere Razzien und eine „Aktion zur Erfassung unzuverlässiger Elemente“, dass es einigen Juden gelungen war, unterzutauchen oder sich vorübergehend zu verstecken. Erneute Verhaftungen und Erschießungen von Juden, in und außerhalb Simferopols, wurden jedenfalls noch bis Februar 1942 gemeldet.

Eine sogenannte „Zigeuneraktion“, die die Roma von Simferopol betraf, fand am 9. Dezember 1941 statt. Weitere gezielte Morde an Angehörigen der Minderheit zogen sich noch bis in den Januar 1942 hin.

Wo?

Als größte oder zweitgrößte Stadt der Krimhalbinsel, die Angaben in der Literatur variieren, wurde Simferopol 1991 Hauptstadt der Autonomen Republik Krim und ist seit 2014 de facto Bestandteil der Russischen Föderation. – Sie steht auf den Überresten der alten Stadt Neapolis, die in der Zeit vom 3. Jh. v. d. Zr. bis ins 4. Jh. n. d. Zr. von Skythen bewohnt war. Nach einer unbedeutenden Übergangszeit gelangten die Krimtataren in den Besitz der Region und die Stadt firmierte unter dem tatarischen Namen Aqmescit, bis sie nach der Annexion des Krimkhanats durch das zaristische Russland 1784 den Namen Simferopol erhielt. In der Folgezeit sollte die Stadt eine gewisse historische und wirtschaftliche Bedeutung erlangen.

Simferopol liegt auf 350 m NN, südlich des geographischen Zentrums der Halbinsel Krim, die das Asowsche Meer vom Schwarzen Meer trennt. Die Stadt zählte 2014 ca. 332 000 Einwohner und hat Partnerstädte in Ungarn, Russland, Bulgarien, in der Türkei und in Deutschland (Heidelberg).

Das Armeeoberkommando (AOK 11) der deutschen Besatzer der Krim schlug sein Quartier in Sarabus/Gwardejskoje, das ungefähr 10 km südlich von Simferopol gelegen ist, auf. In der Stadt selbst residierte zur Zeit der deutschen Besatzung die Ortskommandantur Simferopol (OK I/853).

Vornehmlich aufgrund der Kriegsgeschehen war die Einwohnerzahl der Stadt von 156 000 (1939) im November 1941 auf 120 000 zurückgegangen.

Die Juden, die für die Vernichtung vorgesehen worden waren, wurden an Sammelplätzen in der Stadt zusammengetrieben, auf Wehrmachts-LKW verteilt und zu einem, noch von den Sowjets zu Verteidigungszwecken ausgehobenen, Panzergraben, etwa 10 km außerhalb Simferopols, gebracht, ihrer Exekutionsstätte.

Wen?

In ihrer Mehrheit traf das von christlichen Deutschen beschiedene Los Juden, aschkenasische, also europäische (und nicht orientalische), Juden.

Die Juden lebten seit Neugründung der Stadt durch die Russen, also seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert, in Simferopol und ihre Zahl betrug 1897 an die tausend von damals insgesamt 49 000 Seelen.

Ihren Lebensunterhalt bestritten sie vor allem mit Kleinhandel und Kleinhandwerk. Aber es gab auch Tabakmanufakturen und Verlage, die Juden gehörten und in denen Juden arbeiteten.

Das Zusammenleben mit den anderen Ethnien der Stadt verschlechterte sich ab der Zeit der Revolutionsereignisse, also ab 1905, und es kam zu einem Pogrom. Die Juden von Simferopol sahen sich schließlich gezwungen eigene Bürgerwehren aufzustellen, um sich zu schützen.

Nach der Russischen Revolution wurde Simferopol ein Zentrum des Zionismus und Sammelpunkt für die Auswanderung nach Palästina.

Bis 1926 erhöhte sich der Anteil der Juden und Krimtschaken der Stadt auf 19 863 Personen, was etwa einem Viertel der Gesamteinwohnerschaft entspricht. Diese Zahl sollte sich bis 1939 noch auf 22 791 (16 % aller Einw.) erhöhen.

Bis zum Zeitpunkt der Eroberung der Stadt durch Deutsche gelang es etwa 10 000 Juden Simferopol bzw. den Verwaltungsbezirk zu verlassen. Die Okkupanten mit dem Hakenkreuz an der Uniform ernannten, nachdem sie sich eingerichtet hatten, wie anderswo auch, einen Judenrat, der ihnen bei der Registrierung zur Hand gehen sollte.

Das strenge Regime der Deutschen sah vor, dass Juden, die sich der Registrierung entziehen wollten, auf offener Straße gehängt wurden, zu Abschreckungszwecken, wie es hieß. Alle Juden wurden verpflichtet Davidsterne auf der Brust oder als Armbinden zu tragen.

Das Eigentum der Juden wurde von den Deutschen eingezogen und sie selbst zunächst zu diversen Zwangsarbeiten herangezogen. Später machte man sie mit falschen Versprechungen gefügig, um sie möglichst reibungsfrei und rasch zu den vorgesehenen Hinrichtungsstätten zu bringen.

Juden in gemischten Familien, bzw. Juden mit für die Deutschen wertvoller Qualifikation erfuhren vorübergehende Schonung, wurden dann jedoch, auch gemeinsam mit ihren nichtjüdischen Familienangehörigen, erschossen oder kamen im Gaswagen um.

Eine Quelle gibt an, dass Juden von Angehörigen anderer Ethnien der Stadt an die Deutschen verraten worden waren. Die daraus abzuleitende, offensichtliche Abneigung Juden gegenüber wird mit Landabtretungen an jüdische landwirtschaftliche Siedlungen durch eine Sowjetbehörde (OZET) in den Jahren 1924 – 1938 sowie mit der Unterstützung der Krimjuden durch eine jüdische Hilfsorganisation aus den USA, somit mit dem Faktor Neid, erklärt. 

Die zweitgrößte Opfergruppe auf der Krim stellten die Krimtschaken (Krymchaks), ein Stamm, der sich einer tatarischen (Turk-) Sprache bedient und einen jüdisch-rabbinischen Glauben pflegt.

Die Deutschen behandelten sie, nach längeren pseudowissenschaftlichen Abklärungen wie „Rassejuden“. Eine andere Gruppe mit Anklängen an die tatarische Kultur und Sprache, jedoch nicht rabbinisch-jüdischen Glaubens, die Karäer, unterlagen nicht der Verfolgung durch die Häscher der „Reinarier“.

Die Krimtschaken teilten gewöhnlich das Schicksal der übrigen sowjetischen Juden im deutschen Einflussgebiet, wurden jedoch in offiziellen Berichten und Statistiken extra aufgeführt. Deutsche Ordnungsliebe.

Als dritte größere Opfergruppe werden in sämtlichen Quellen die Roma genannt. Demnach zählten zahlreiche Bewohner des Romaviertels von Simferopol zu den im Dezember 1941 Hingerichteten. Jedoch muss es relativ vielen Angehörigen der Minderheit gelungen sein zu überleben, zumindest, wenn sie Muslime waren. Denn es ist eine Reihe von Fällen der Solidarität von Seiten ihrer tatarischen Glaubensbrüder bekannt geworden. Tataren versteckten Roma, halfen ihnen mit falschen Pässen oder waren ihnen bei der Flucht behilflich.

Zudem intervenierte das krimtatarische Muselmanische Komitee, wohl erfolgreich, mehrfach bei den Deutschen zur Rettung von Roma. Angeblich ist es bei Roma zu keinen Denunziationen gekommen. 

Ebenfalls zu Opfern der Deutschen wurden „Kommunisten“, „unzuverlässige Elemente“, „Partisanen“, Russen und Bergjuden (Mountain Jews).

Wie viele?

Die Angaben variieren, wenngleich sie nicht stark voneinander abweichen. Boris von Haken geht von insgesamt „mindestens 14 000“ jüdischen Erschossenen aus. Yad Vashem gibt die Opferzahl für die Tage vom 9. bis zum 13. Dezember mit 12 000 Juden und Krimtschaken an und verweist ergänzend auf eine sowjetische Quelle wonach mit 17 000 Ermordeten zu rechnen sei. Der en.wiki-Eintrag zu Simferopol kommt auf eine Gesamtzahl von 22 000 und für die Dezemberaktion allein auf 14 300 Opfer. Der de.wiki-Eintrag „Simferopol-Massaker“ stellt mehrere unterschiedliche Angaben zur Auswahl, wobei den Autoren am wahrscheinlichsten folgende Zahlen erscheinen: 10 600 Juden, 1500 Krimtschaken und 600 bis 1000 Roma. Insgesamt, so diese Quelle, hätten Deutsche den Tod von ca. 35 000 aschkenasischen Juden, von ca. 3000 Krimtschaken und 114 Bergjuden auf der Krim zu verantworten.

Die Enzyklopädie des Holocaust kommt auf 12 500 Juden und 1500 Krimtschaken allein für das Weihnachts-Massaker.

Saul Friedländer fasste hierzu zusammen (S. 310):

„Seit der Mitte des Sommers 1941 hatten die Massaker an Juden in den von Deutschen und Rumänen besetzten sowjetischen Gebieten gewaltige Ausmaße angenommen. In Kamenets-Podolsky, Kiew, Kowno, Minsk und Riga, in den Städten Ostgaliziens, die jetzt zum Generalgouvernement gehörten, und in Odessa ebenso wie an anderen Mordstätten wurden die Juden bei jeder „Aktion“ zu Tausenden, bisweilen zu Zehntausenden umgebracht.“

Wie?

Es existieren zahlreiche Zeitzeugenberichte, denen eine weitere Passage aus Friedländers „Die Jahre der Vernichtung“ (S. 387f) vorangestellt sei, die Auszüge aus einem Bericht der Wehrmacht wiedergibt:

In den besetzten Gebieten der Sowjetunion wurde die „zweite Welle der Tötungen Ende 1941 in noch größerem Umfang in Gang gesetzt als die erste; sie dauerte bis Ende 1942 an. In einigen Gebieten, so etwa im Reichskommissariat Ukraine (RKU), hatten die Massenhinrichtungen einem Bericht des Rüstungsinspektorats der Wehrmacht zufolge niemals aufgehört und wurden, abgesehen von kurzen organisatorisch bedingten Verlangsamungen von Mitte 1941 bis Mitte 1942 ohne Unterbrechung fortgesetzt.

Der Bericht der Wehrmacht gab an, nur wenige Wochen nach Abschluß der militärischen Operationen habe die systematische Exekution der jüdischen Bevölkerung begonnen. Die beteiligten Einheiten gehörten vorwiegend der Ordnungspolizei an; sie wurden unterstützt durch ukrainische Miliz, „vielfach leider auch unter freiwilliger Beteiligung von Wehrmachtsangehörigen“. Der Bericht beschrieb die Massaker als „grauenhaft“; sie richteten sich unterschiedslos gegen Männer, Frauen, alte Menschen und Kinder aller Altersstufen. Das Ausmaß der Massenmorde hatte bis dahin auf besetztem sowjetischen Gebiet nicht seinesgleichen gehabt.

Dem Bericht zufolge wurden etwa 150 000 bis 200 000 Juden aus dem zum Reichskommissariat gehörigen Teil der Ukraine umgebracht (schließlich sollten es dann etwa 360 000 werden). Erst in der letzten Phase der Aktion wurde ein kleiner „nützlicher“ Teil der Bevölkerung (spezialisierte Handwerker) von der Tötung ausgenommen. Zuvor waren wirtschaftliche Erwägungen nicht berücksichtigt worden.

Boris von Haken, der die Biografie eines der Täter von Simferopol verfasste, gab die Ereignisse von Dezember 1941 so wieder:

„Bereits in den Tagen zuvor wurden die Juden in mehreren Gebäuden der Stadt zusammengetrieben. Sie mussten, in dem Glauben, umgesiedelt zu werden, zu dem zentral in Simferopol gelegenen ehemaligen Hauptsitz der KP marschieren.

In Kolonnen von LKW transportierte man sie an die Exekutionsstätte, einen noch von der Roten Armee angelegten Panzergraben, rund 11 Kilometer außerhalb der Stadtgrenze. Dort wurden die Menschen durch ein Spalier von Wachtposten getrieben. Sie mussten ihre Schuhe ausziehen, Männer wurden von Frauen und Kindern getrennt.

An einer weiteren Station zwang man die Opfer, ihre Oberbekleidung abzulegen. Zuletzt gelangten sie an den Graben: Kleine Erschießungskommandos von nicht mehr als zwölf Mann, zwischen denen jeweils ein weiterer Schütze mit einer Maschinenpistole stand, eröffneten mehr oder weniger gezielt das Feuer, wer noch lebte oder versuchte, sich tot zu stellen, wurde mit sogenannten Fangschüssen getötet, ein jüdisches Arbeitskommando musste, im Graben stehend, die Leichen stapeln, um Platz für weitere Opfer zu schaffen, die pausenlos herangefahren wurden. An diesem und drei weiteren Tagen, dem 11., 12. und 13. Dezember, wurden mindestens 14 000 Juden auf diese Art ermordet.“

Die Gefühllosigkeit der Schützen verdeutlicht der Brief eines Wiener Polizeisekretärs an seine Familie, den Christian  Hartmann (S. 64) auszugsweise wiedergibt:

„Säuglinge flogen in großem Bogen durch die Luft, und wir knallten sie schon im Fliegen ab, bevor sie in die Grube und ins Wasser flogen. Nur weg mit dieser Brut, die ganz Europa in den Krieg gestürzt hat…“

Heer und Naumann zitieren (S. 581) aus den Feststellungen der Staatsanwaltschaft, die die Anklage gegenüber einigen der Simferopol-Täter übertragen bekommen hatte:

„… die Opfer (wurden) unter Stockschlägen und Peitschenhieben an die Panzergräben herangetrieben. Sie wurden mit dem Gesicht zum Graben aufgestellt und von hinten erschossen. Dabei konnten jeweils die nachfolgenden Opfer die blutigen Leichen der vor ihnen Erschossenen sehen. Kinder wurden ihren Müttern weggenommen, vor deren Augen mit Genickschuß getötet und in die Gräben geworfen…“

Der de.wiki-Eintrag „Simferopol-Massaker“ (15.10.19) ergänzt:

Augenzeugenberichte über die Massenerschießungen, die als „Judenaktion“ oder auch in Tarnsprache als „Umsiedlung“ bezeichnet wurden, gibt es in Form von Vernehmungsprotokollen sowohl aus dem Nürnberger Einsatzgruppen-Prozess als auch aus den Ermittlungsakten bundesdeutscher Justizbehörden. Eine Beschreibung der Massenerschießungen von Simferopol mit umfangreichen Quellenangaben hat der Historiker Andrej Angrick erstellt.

Wer?

Die Reihe der Täter ist lang und, auf den ersten Blick, unübersichtlich.Verantwortung tragen sämtliche Involvierte, von der NS-Staatsspitze bis zum hilfswilligen Handlanger.

Der Angriffskrieg, den das „Dritte Reich“ohne jede Notwendigkeit begonnen hatte, war von Beginn an ein rassenideologischer Vernichtungskrieg gewesen und er stand in einer tausendjährigen deutschen Tradition von Judenpogromen. Kein anderes europäisches Land kann auf eine derart lange und kontinuierliche Pogromgeschichte zurückblicken wie Deutschland.

Um sein „Großgermanisches Reich Deutscher Nation“ zu verwirklichen musste Hitler, so jedenfalls seine Überzeugung, zunächst einmal seine ideologischen Todfeinde, Bolschewisten, Juden und Slawen eliminieren. Dies hatte er bereits früh in „Mein Kampf“ angekündigt. Aber sein Ziel lag nicht nur in der Vernichtung der Menschen des Ostraums, sondern auch in dessen Umgestaltung. Hier, im Osten, sah er die Zukunft der Deutschen und der ganzen „germanischen Rasse“.

„Es war, wie wenn ein böses Kind die Welt neu ordnen würde. Völker wurden verschoben, vernichtet, umgesiedelt, „aufgenordet“ oder zu Domestiken erklärt, unter völliger Missachtung alles Gewordenen“ (C. Hartmann).

Schlimm, wenn ein Verrückter derartige Ideen gebiert und hegt – noch erheblich schlimmer, wenn ein ganzes Kulturvolk, und als solches bezeichnen sich die Deutschen, sich solchen Ideen nahezu bedingungslos anschließt, mehr noch, sich zu deren Verwirklichung instrumentalisieren lässt.

Just jene geregelte Abfolge von Verantwortlichkeiten und Zuständigkeiten lässt sich heute am Weihnachtsmassaker von Simferopol klar zurückverfolgen.

Nahezu die gesamte zweite Jahreshälfte 1941 über hatten die Spitzen des „Dritten Reiches“ in ihren Reden, Anordnungen, Gesetzen etc. die verbale Verteufelung von Juden gesteigert, sowohl in der Häufigkeit ihrer Aussagen als auch in deren Qualität. Die Argumente, die sie gebrauchten, sollten Verständnis wecken für die geplanten Vernichtungsaktionen, bei den künftigen Tätern und bei deren Angehörigen. Sie sollten helfen, Gewissen zu beruhigen und Bereitschaft zum Töten zu wecken. Friedländer bringt hierfür zahlreiche Belege.

Ausführende Organe des Mords an den Menschen aus Simferopol wurden das Sonderkommando Sk 11b des SD und die Stabseinheit der Einsatzgruppe D des Sicherheitsdienstes des Reichsführers SS sowie die Wehrmacht, die die Infrastruktur und die Mittel zur Verfügung stellte.

Als Zwischeninstanzen fungierten Generäle, Offiziere, NS-Funktionäre, Verwaltungsbeamte, Polizisten und Soldaten aus verschiedenen Bereichen.

Der Oberbefehlshaber und Eroberer der Krim, zugleich Chef der 11. Armee, war General Erich von Manstein. Ihm zur Seite stand sein Armeeoberkommando (AOK 11). Zudem bestand in Simferopol eine Ortskommandantur (OK I/853) und es wirkte, mit einem weitgespannten Zuständigkeitsbereich versehen, das Wirtschaftskommando Krim der Hermann Göring unterstellten Wirtschaftsorganisation Ost. Zu nennen sind ferner die Rückwärtige Militärverwaltung der 11. Armee (Korück 553) und die Oberquartiersmeisterabteilung der 11. Armee (AOK 11/O Qu), die motorisierte Feldgendarmerieabteilung (FGA 683), motorisierte Feldpolizei (GFP 647), Geheime Feldpolizei sowie einheimisches Verwaltungspersonal, Hilfspolizisten, Milizmänner etc.

Die Vielzahl der beteiligten Stellen erschwerte nach dem Krieg, die Zuweisung von persönlicher Verantwortung, so dass letztendlich nur wenige Täter vor Gericht gestellt und verurteilt werden konnten. Zwei Todesurteile gegen Angehörige der Einsatzgruppe bzw. des Sonderkommandos wurden ausgesprochen und auch vollstreckt; nur wenige der anderen Beteiligten erhielten kürzere Haftstrafen, unter ihnen General von Manstein. Einige Verfahren, die sehr spät, zu spät, und ohne den nötigen politischen Nachdruck angestrengt worden waren, mussten aus diversen Gründen eingestellt werden. Die deutsche Nachkriegsjustiz war bekanntlich ausgesprochen täterfreundlich oder bestenfalls gleichgültig.

Eine adäquate Sühne für den Massenmord von Simferopol steht bis heute aus.

Gedenken

In Deutschland kennen lediglich Spezialisten den Hintergrund zum Stichwort „Weihnachtsmassaker“.

Am einstigen Tatort, außerhalb von Simferopol, befindet sich eine Gedenkstätte aus den Tagen sowjetischer Herrschaft mit einer knappen Inschrift in russischer Sprache an einem Steinblock. Es ist weder die Zahl der Opfer noch deren Herkunft angegeben.

2002 erfuhr die Gedenkstätte eine Erweiterung und auf einer Gedenkstele aus dunklem Marmor erinnert seitdem eine Inschrift an die ermordeten Juden und Krimtschaken, in hebräischer und russischer Sprache.

Gedanken

Wer Gelegenheit hatte, die Kriegsgeneration der Deutschen kennenzulernen, erlebte mit, wie wichtig dieser das Christentum, deren Bräuche und Rituale und zum Teil auch deren Lehren waren. Umso weniger begreift man als Nachgeborener, wie diese Menschen so ohne weiteres andere Menschen, die sie zu Nichtdazugehörigen erklärt hatten, millionenfach und gnadenlos abzuschlachten vermochten, wie sie sogar anlässlich des höchsten Festes der ihnen so bedeutenden Religion sich an Massenmorden beteiligen bzw. diese dulden konnten. 

Blicken wir einmal auf das, was sich die Kriegsgeneration unter Weihnachten vorstellte, sehen wir in ein Buch, das unter dem Eindruck des Krieges geschrieben und nur wenige Jahre nach dem Kriege erschienen ist. Sein Verfasser gilt heute noch als anerkannter Autor, Theodor Plievier:

„So kam Weihnachten heran.

Deutsche Weihnacht, Glanz des Lichterbaums, Marzipan, Nüsse, Pfefferkuchen, Silberflitter, Engel mit goldenen Flügeln, Duft von Bratäpfeln, goldgelb getönter Gänsebraten, Gabentisch und Tannengrün, und auch alle Großen waren wieder Kinder. Auch Stabsarzt Bäumler dachte an die besondere Bedeutung dieses Tages, auch Oberarzt Huth. Bäumler ließ, obgleich die noch vorhandenen Pferde dringend gebraucht wurden, noch ein Pferd schlachten, damit die Kranken sich wenigstens an diesem Tage die leeren Bäuche stopfen konnten. Schokolade hatte er vom Verpflegungsamt erhalten, eine Menge, daß er auf je fünf Mann eine Tafel verteilen lassen konnte…

… Und weil Heiliger Abend war, hatten sie ein Hindenburglicht, – ein winziger Docht in einer mit Talg gefüllten kleinen Pappschachtel, der eine Stunde lang brennen und danach alles in tiefe Finsternis zurückstürzen würde…

… Bäumler besaß noch eine Flasche Kognak, die machte er jetzt auf. Sie sprachen über Weihnachten, über das letzte Weihnachtsfest, das Bäumler in Charkow und das Huth in Berlin auf Urlaub verlebt hatte…

… Der Großdeutsche Rundfunk meldete sich mit einer sogenannten Ringsendung. Berlin, Hamburg, Frankfurt a. M., Königsberg usw. riefen den einen und den anderen Frontabschnitt an, riefen Narvik, riefen Misurate, riefen Tunesien, riefen Velikije Lucki, riefen Stalingrad…“

Ganz offensichtlich hat sich zwischen den geläufigen Vorstellungen von Weihnacht damals und heute nur wenig geändert. Man begeht das Christfest aufwändig und engagiert, man freut sich auf Gaben und ist selbst bereit zu geben. Demnach ist durchaus Empathie mit im Spiel.

Warum nur brachte man diese als altruistisch deutbaren Gefühle ausschließlich Individuen eigener ‚Bauart‘ und Herkunft entgegen? Warum nur schloss man andere Menschen vom Empfang eigener Wohltaten derart kategorisch aus? Wie war es nur möglich aus einer derart positiven Grundstimmung heraus andere bestialisch zu ermorden bzw. Morde zu dulden, hinzunehmen, geschehen zu lassen? 

 

Literatur und Links:

Theodor Plievier: Stalingrad. München 1953. S. 67-72.
Christian Hartmann: Untgernehmen Barbarossa. München 2012. 2. Aufl.
Saul Friedländer: Die Jahre der Vernichtung. Bd. 2. München 2006. 2. Aufl. S. 289-317, 387-392, 619.
Hannes Heer und Klaus Naumann (Hg.): Vernichtungskrieg. Hamburg 1995. S. 577-583.
Christliches Brauchtum und Judenhass: Bayerisches Brauchtum bizarr: „Der Jud muß verbrannt werden!“ (haGalil)
Wehrmacht und Judenhass: Antisemitismus und Rassenhass bei der deutschen Wehrmacht (haGalil)
zeit.de 17. Dezember 2009, Die Zeit 52/09; Boris von Haken: Spalier am Mördergraben
yadvashem.org : The untold stories. Simferopol (2019)
Beit haTfutsot: dbs.bh.org.il/place/simferopol (Jewish community of Simferopol) (2019)
en.wikipedia.org/wiki/Simferopol
de.wikipedia.org/wiki/Simferopol-Massaker
Deutsche Weihnachten in der Kriegszeit: de.wikipedia: „Nationalsozialistischer Weihnachtskult“

 

YouTube-Links zu Weihnachten im Krieg:

„Christmas 1940 Germany Weihnachten Full HD“

„Christmas 1941 HD“

„Kriegsweihnacht 1940 komplett“

„Christmas in the Third Reich“ (mit Goebbels und Göring)

„Wochenschau Julfest 1942“

„Weihnachten in Bildern 1939-1945“

„Silent night with the Wehrmacht 1942“

„1011016 Weihnachten Berlin 1942“

„Weihnachten bin ich zu hause“

„Weihnacht 1943“

„Weihnachten 1942 – Bericht der Wochenschau“

„Weihnachtsringsendung 1942“

 

Mass murder of Simferopol’s Jews at the Simferopol-Feodosyia road (1) https://www.youtube.com/watch?v=ejbSpHk5FFw

Mass murder of Simferopol’s Jews at the Simferopol-Feodosyia road (2) https://www.youtube.com/watch?v=d3mCD7Sa7Sg

Mass murder of Simferopol’s Jews at the Simferopol-Feodosyia road (3) https://www.youtube.com/watch?v=Fi4xgVe2yXs

Mass murder of Simferopol’s Jews in Dubky https://www.youtube.com/watch?v=MgW8gFiw2ro

Mass murder of Simferopol’s Jews in Dybky https://www.youtube.com/watch?v=bjHdQwpj3vs

Russia: Chief military rabbi leads Holocaust memorial ceremony in Simferopol https://www.youtube.com/watch?v=Wq726oz-j7o

‚A Prayer of Strangers‘: The Story of Crimean Tatar who Saved Jewish Children During Holocaust https://www.youtube.com/watch?v=P75iZwrBA40

Commemoration of Feodosiya’s Krymchak Jews https://www.youtube.com/watch?v=0G7SnDWFFhc

 

The commemoration of Simferopol Jews

https://www.youtube.com/watch?v=JQ-m_N90-Zw