Vom Weltkrieg der Nazis zum arabischen Krieg gegen Israel

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1937 kam mit der Broschüre „Islam und Judentum“ eine neue Form von Judenhass in die Welt: der islamische Antisemitismus. Die Nationalsozialisten taten alles, um diese neue Hassbotschaft mithilfe ihrer arabischsprachigen Radiopropaganda zu verankern. Matthias Küntzel beleuchtet dieses bislang unbekannte Kapitel deutscher Vergangenheit. Er präsentiert neue Archivfunde, die belegen, wie sich das Judenbild im Islam zwischen 1937 und 1948 unter dem Einfluss dieser Propaganda und sonstiger Nazi-Aktivitäten veränderte…

Dieser neue Blick auf die Nahostgeschichte ermöglicht eine präzisere Beurteilung der Gegenwart: Was genau ist „islamischer Antisemitismus“? Wie tritt er gegenwärtig in Deutschland und Frankreich in Erscheinung? Was macht ihn besonders gefährlich?

Erst wenn wir begreifen, wie stark die moderne Nahostgeschichte von den Nachwirkungen des Nationalsozialismus geprägt ist, werden wir den Judenhass in dieser Region und dessen Echo unter Muslimen in Europa richtig deuten und adäquate Gegenmaßnahmen entwickeln können.

Matthias Küntzel, Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand, Leipzig 2019 (Hentrich & Hentrich-Verlag), 272 S., Euro 19,90, Bestellen?

LESEPROBE:

Vom Weltkrieg der Nazis zum arabischen Krieg gegen Israel

Ab Frühsommer 1943 war die Stimmung im nationalsozialistischen Lager gedrückt. Das Blatt hatte sich gewendet. Die Schlacht um Stalingrad war verloren,  Rommels Truppen in Nordafrika geschlagen und der Sieg der Alliierten absehbar. In Schreckensfarben malte el-Husseini am 19. März 1943 in einer Radio-Rede aus, was geschehen würde, „wenn, was Gott verhüten möge, die von den Juden geführten Verbündeten in diesem Kriege siegen würden.“ Ende Mai 1943 ging der Berliner Geheimsender „Die Stimme der freien Araber“ einen Schritt weiter: „Zwar haben die Briten den Krieg noch nicht gewonnen“, erklärte hier der Sprecher auf Arabisch, „doch wir müssen zugeben, dass wir uns auf die düstere Zukunft, die uns erwartet, vorbereiten müssen, sollten die Briten, die Juden und ihre Verbündeten als Sieger aus dem Krieg hervorgehen. Es ist unsere Pflicht, uns auf die Zukunft vorzubereiten.“

Besonders ging es um die Zukunft Palästinas. Für den Fall, dass Nazi-Deutschland untergehen sollte, wollte man zumindest dafür sorgen, dass auch das zionistische Projekt untergeht. In seinen Memoiren erwähnt der Mufti Vorkehrungen, die er traf, um seinen Kampf gegen den Zionismus auch nach einer Niederlage des Deutschen Reichs in Palästina fortsetzen zu können.

1944 „willigte Deutschland darin ein, uns mit Waffen für die bevorstehenden Aufgaben zu versorgen“, berichtet el-Husseini. „Es schuf zu diesem Zweck ein großes Lager mit leichten, für Guerilla-Aktionen geeigneten Waffen. […] Zusätzlich stellten uns die Behörden vier leichte Vier-Propeller-Flugzeuge zur Verfügung, um das Kriegsmaterial nach Palästina zu schaffen, wo es in geheimen Schutzräumen zum Training der palästinensischen Kämpfer und für deren Vorbereitung auf nachfolgende Schlachten gelagert wurde.“ Walter Schellenberg, der Chef des Auslandsnachrichtendienstes des Reichsicherheitshauptamts, habe zur Durchführung dieser Operation zwei arabische Wehrmachtsoffiziere sowie drei deutsche Offiziere ernannt. „Man beschloss, dass sie sich während des Krieges keine Gefechte mit britischen Stellen erlauben, sondern sich auf Vorbereitungen für die Tage nach Beendigung des Zweiten Weltkriegs beschränken sollten.“ Zu den vorgesehenen Materialen hätten „zehntausende Gewehre, Maschinengewehre und leichte Waffen und große Mengen an Ausrüstung und Munition gehört.“ (Hervorhebungen: MK)

In der Tat flogen die fünf hier genannten Fallschirmspringer am 6. Oktober 1944 von Athen aus los und landeten im Jordantal, um diverse Munitionskisten, die von dem Nazi-Flugzeug abgeworfen worden waren, zu bergen. Zehn Tage später wurden Sie von den Briten gestellt. Bei den deutschen Offizieren handelte es sich um drei Palästinadeutsche. Die beiden Araber waren Abdul Latif, der zuvor in Berlin die Radiosendungen des Mufti redigiert hatte, sowie Hassan Salameh, der während des arabischen Aufstands 1936-1939 Bandenführer in der Gegend von Nablus gewesen war. Auch wenn es bei dieser vereinzelten Aktion geblieben ist, macht sie doch deutlich, dass es eine unmittelbare Verbindung zwischen dem Weltkrieg der Nazis und den nachfolgenden Palästina-Kämpfen gab.

Darüber hinaus bereitete auch Radio Zeesen die Muslime des Nahen Ostens auf ,nachfolgende Schlachten‘ vor. In immer neuen Varianten hämmerte es seinen Zuhörern Horrorbilder ein, denen zufolge die Juden nicht nur die Zerstörung der Al Aqsa-Moschee planten, sondern von Palästina aus die vollständige Vernichtung des Islam und des Arabertums ins Werk zu setzen suchten. Nachfolgend einige der Parolen, die Radio Zeesen  zwischen Mai 1942 und November 1942 verbreitete:

„Die Juden sind die tödlichen Feinde des Islam.“ (3. Mai 1942)

„Die Juden wollen aus den arabischen Ländern jüdische Kolonien machen.“ (2. Juni 1942)

„Die Juden sind die Feinde aller Araber und Muslime“ (13. September 1942)

„Die Juden sind die Feinde der Araber und des Heiligen Koran.“ (21.Oktober 1942)

„Der Sieg der Alliierten wäre ein Sieg der Juden und damit die Zerstörung der Muslime.“ (23. Oktober 1942)

„Seit den Tagen Mohammeds verhielten sich die Juden feindselig gegenüber dem Koran. […] Die Juden wollen die Araber und den Islam auslöschen.“ (14. November 1942)

Je deutlicher sich ab Mitte 1943 die Niederlage Deutschlands abzeichnete, desto schriller wurden die Warnungen, sollte das „Weltjudentum“ auf diese Weise zum Zuge kommen. In seinem Tagebucheintrag vom 10. Mai 1943 berichtete Goebbels von einer „Verschärfung unserer antisemitischen Propaganda in Presse und Rundfunk. […] Zum Teil füllt sie 70 bis 80 Prozent unserer gesamten Auslandssendungen aus.“ So wie Goebbels seit seiner „Wollt ihr den totalen Krieg“-Rede vom 18. Februar 1943 das Angstszenario einer Auslöschung der Deutschen im Falle der Niederlage beschwor, so begann nun auch die arabisch-sprachige Propaganda die Schreckensszenarien auszumalen, die ein Sieg der Alliierten angeblich zur Folge hätte.

Schließlich aber waren auch die Gelder, die der Mufti gegen Kriegsende erhielt, für die „Schlachten“ der Nachkriegszeit bestimmt. Vor 1945 hatte der Mufti „in schlauer Voraussicht“, so sein Biograph Joseph Schechtman, „einen großen Anteil seiner von den Nazis gestellten finanziellen Rücklagen“ von Deutschland aus in die Schweiz und in den Irak transferiert. Allein Walter Schellenberg hatte dem Mufti, so räumte er im Nürnberger Kriegsverbrecherprozess ein, „einen halben Zentner Gold und 50.000 Dollar“ überreicht. „Er wird alles mit rausgenommen haben“, fügte Schellenberg hinzu. Auch er verwies auf des Muftis „ausgezeichnete“ Verbindungen in die Schweiz. Doch auch das Auswärtige Amt hatte für die Zeit nach 1945 Vorsorge getroffen. Zum einen überwies es dem Mufti noch im April 1945 50.000 Reichsmark – Gelder, die der Mufti für seinen antijüdischen Krieg zwischen 1946 und 1948 nur allzu gut zu nutzen wusste. Zum anderen erklärte es sich in einer schriftlichen Vereinbarung bereit, dem Mufti auch nach dem 1. April 1945 12.000 Mark monatlich zu zahlen – eine Abmachung, die bezeugt, „dass Nazi-Verantwortliche […] darauf hofften, ihre gemeinsame oder sich ergänzende politisch-ideologische Kampagne in der Nachkriegsperiode fortsetzen zu können“. War aber el-Husseini zur Fortsetzung seiner antizionistischen Kampagne überhaupt in der Lage? Wie erging es diesem Mann, der mehr als jeder andere die Masse der Muslime mit dem Virus des islamischen Antisemitismus zu infizieren suchte, nach der bedingungslosen Kapitulation des ,Dritten Reichs‘?

Diese Leseprobe ist ein Ausschnitt des vierten Buchkapitels „1948: Arabisch-israelischer Krieg“, S. 112-115. Alle Quellenangaben finden sich im Buch.

Matthias Küntzel, Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand, Leipzig 2019 (Hentrich & Hentrich-Verlag), 272 S., Euro 19,90, Bestellen?