Das „Mental-Hospital“ in Wiesloch 1947–1951

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Eine zentrale psychiatrische Anstalt für NS-Verfolgte…

Von Jim G. Tobias

Das Psychiatrische Landeskrankenhaus in Wiesloch war 1905 als „Großherzoglich Badische Heil- und Pflegeanstalt bei Wiesloch“ gegründet worden. Nach der „Machtübernahme“ führten die Nationalsozialisten in der etwa 13 Kilometer südlich von Heidelberg gelegenen Einrichtung bereits im Herbst 1933 Zwangssterilisationen an den Patienten durch. Insgesamt 1.204 psychisch oder körperlich Erkrankte wurden im Rahmen der verbrecherischen T4-Aktion (Euthanasie) ermordet; weitere, sogenannte kriminelle Geisteskranke, ins Konzentrationslager verschleppt. Diese aktive Beteiligung an dem NS-Mordprogramm führte dazu, dass die US-Militärverwaltung im Februar 1946 Teile des Klinikkomplexes beschlagnahmte, um dort zentral sogenannte Displaced Persons (DP) mit psychischen Problemen unterzubringen.

Nicht wenige aus den NS-Konzentrations- und Arbeitslagern befreite Häftlinge waren aufgrund der katastrophalen Lebensbedingungen gesundheitlich schwer angeschlagen und außerdem nach Jahren des Hungers unter- und mangelernährt. Erste Versorgung erhielten sie durch Sanitätseinheiten der Armee. Eine weitere, langfristige Behandlung konnten diese jedoch nicht leisten. Deshalb richtete die Militärregierung in Zusammenarbeit mit der UN-Hilfsorganisation UNRRA besondere Krankenhäuser und Sanatorien ein. Daneben entstanden ab Sommer 1945 DP-Auffanglager, in denen die verschleppten und entwurzelten Menschen Unterkunft, Kleidung, Verpflegung, aber auch medizinische Hilfe in den Lagerhospitälern und Ambulatorien erhielten. Für die seelisch schwer erkrankten NS-Verfolgten sollten dagegen eigene psychiatrische Anstalten aufgebaut werden. Eine dieser Einrichtungen war das „UNRRA Mental Hospital“ in der baden-württembergischen Stadt Wiesloch.

„Zahlreiche Patienten sind in öffentlichen deutschen psychiatrischen Krankenhäusern in der gesamten US-Besatzungszone untergebracht“, beklagte ein Mitarbeiter der Health Division, UNRRA Headquarters, im Februar 1947. „Einige dieser Patienten sind seit der Hitlerzeit dort, andere wurden von der US-Militärregierung, der deutschen Polizei oder den UNRRA-Teams eingewiesen. Es ist das ausdrückliche Bestreben der Gesundheitsabteilung des UNRRA-Hauptquartiers, ein Zentrum für die Pflege, Behandlung und Rehabilitation aller psychisch Kranken in der US-Zone aufzubauen. Dafür haben wir die ehemalige Heil- und Pflegeanstalt in Wiesloch vorgesehen.“ Die Leitung wurde aufgefordert, der „UNRRA zweihundertfünfzig Betten im Krankenhaus“ zur Verfügung zu stellen.

Dies erfolgte jedoch erst auf Druck der Militärbehörden und sehr zögerlich. Schon ein Jahr zuvor, im Februar 1946, hatte ein Treffen zwischen UNRRA, der Militärregierung und deutschen Behörden stattgefunden auf „dem vereinbart wurde, 250 Betten in der deutschen Heil- und Pflegeanstalt Wiesloch für die Behandlung von psychisch Erkrankten, die Anspruch darauf durch die UNRRA haben, bereitzustellen“. Doch deutsche Behörden, wie etwa das Innenministerium in Stuttgart, versuchten die Angelegenheit zu hintertreiben: „Ein Rückgriff auf Gebäude und Räumlichkeiten der Heil- und Pflegeanstalt sowie der Kindertuberkuloseabteilung kommt nicht in Betracht“, verfügte die Ministerialbürokratie. Als Begründung wurde darauf verwiesen, dass in Wiesloch auch noch deutsche Patienten zu versorgen seien. Nun begann ein Tauziehen um die Räumlichkeiten, bei dem sich letztlich die Besatzungsmacht sowie die UNRRA durchsetzten. Der Ostflügel des Verwaltungsgebäudes diente ab Februar 1947 als Unterkunft für die UNRRA-Mitarbeiter, die Gebäude MU2 und MH1 als Krankenstationen für jeweils 75 männliche beziehungsweise weibliche Patienten. Weitere 100 Betten für Schwererkrankte und gewalttätige Patienten wurden dringlich eingefordert.

Am 22. Februar 1947 kam der erste Transport von UNRRA-Patienten in Wiesloch an. Ab Juni 1947 war die Station MU2 nahezu vollständig, MH1 zur Hälfte belegt. Es war absehbar, dass die Kapazitäten nicht ausreichen würden. Daher wandte sich der UNRRA Administrativ-Officer an die deutschen Behörden. „Wir sind nicht gewillt, einen Bettenhandel zu beginnen, da uns durch Beschluss der Sitzung vom 13. Dezember 1946 in Stuttgart durch Colonel Beckford, Military Government Stuttgart und durch die deutschen Behörden 250 Betten zugesagt worden sind. Dass wir uns bis jetzt mit 150 Betten begnügt haben, war nur ein Entgegenkommen unserseits.“ Obwohl sich die deutschen Behörden „außerstande sahen, dem Wunsch nach mehr Betten zu entsprechen“, wurde wenig später mit dem Gebäude ME ein weiteres Haus an die UNRRA übergeben.

Die Patienten stammten zumeist aus osteuropäischen Ländern. Darunter auch einige Juden, die jedoch in der Minderheit waren. In all den Jahren seiner Existenz, von 1947 bis 1951 sollen lediglich rund 120 jüdische Patienten in Wiesloch versorgt worden sein. Nach Statistiken der jüdisch-amerikanischen Hilfsorganisation American Jewish Distribution Committee (AJDC), waren zwischen Juni 1947 und Oktober 1949 durchschnittlich 25 jüdische Patienten registriert. Das Zusammenleben mit den nichtjüdischen Patienten gestaltete sich nicht immer ohne Komplikationen, wie ein AJDC-Bericht belegt. Demzufolge wurden die Juden von den Nichtjuden offensichtlich antisemitisch beschimpft. Inwieweit sich auch die Beschäftigten an solchen Beleidigungen beteiligt hatten, ist nicht dokumentiert, jedoch zu vermuten, da auch deutsches medizinisches Personal in der Klinik tätig war. Aufgrund der jahrelangen Verfolgung sahen viele Juden in jedem Deutschen einen Feind. „Insbesondere der Anteil von SS- und Militärärzten in den deutschen Konzentrationslagern hat große Ängste hervorgerufen“, formulierte es ein Mitglied des „Zentralkomitees der befreiten Juden“. „Aus diesem Grund können jüdische Patienten kein Vertrauen in diese Ärzte entwickeln.“ Mit vereinten Kräften gelang es dem AJDC in Wiesloch, zumindest einen jüdischen Arzt zu verpflichten.

Von Anfang an bildete die jüdischen Patienten eine besondere Gruppe innerhalb der Klinik. Obwohl sie aus verschiedenen Ländern, wie etwa Polen, Ungarn, der Tschechoslowakei, Rumänien oder aus dem Baltikum stammten, verfügten sie mit dem Jiddischen über eine gemeinsame Sprache. Zudem erhielten sie über das AJDC zusätzliche Hilfe, wie etwa Nahrungsmittel, Medikamente oder auch finanzielle Unterstützung. Im Frühjahr 1948 hatte die IRO, die Nachfolgeorganisation der UNRRA, die tägliche Lebensmittelzuteilung von 3.500 auf 2.500 Kalorien abgesenkt. Das AJDC stellte den jüdischen Patienten daher zusätzliche Nahrungsmittel zur Verfügung.

Wenn jüdische Patienten entlassen wurden, erfolgte entweder eine Überstellung in eines der jüdischen DP-Camps oder eine Überweisung in ein Rehabilitationszentrum beziehungsweise bei weiterem Handlungsbedarf in eine der regional zuständigen psychiatrischen Einrichtungen, in Merxhausen (Hessen), Göppingen (Baden Württemberg), Mainkofen bzw. Gabersee (Bayern). Eine Auswanderung in eines der klassischen Emigrationsländer wie die USA, Kanada oder Australien scheiterte oft wegen der Erkrankung. „Kein Land ist daran interessiert, die Zahl derjenigen, die andauernde soziale Unterstützung benötigen, zu erhöhen“, beklagte ein Teilnehmer auf einer von den jüdischen Hilfsorganisationen durchgeführten Medizinerkonferenz. „Die Einwanderungsgesetze aller Länder sind sehr rigide und Israel macht da keine Ausnahme. Daher wird diese Gruppe für lange Zeit unsere medizinische und soziale Hilfe benötigen. Es gibt für dieses Problem nur eine Lösung: Es muss uns gelingen, für sie die notwendigen Einrichtungen in Israel aufzubauen und sie dort versorgen“, ist dem Protokoll zu entnehmen.

Wenige Jahre nach der Staatsgründung begann das AJDC in Israel mit der Jewish Agency und der israelischen Regierung den Aufbau der Organisation Malben (hebräisches Akronym: Mosedot le Tippul be Olim Nehschalim – Institutions for the Care of Handicapped Immigrants), ein Netzwerk von Altenheimen, Krankenhäusern, Sanatorien und Behinderteneinrichtungen, um den Überlebenden der Shoa eine langfristige Behandlung und Versorgung in Israel zu gewährleisten.

Wie viele jüdische Patienten aus Wiesloch nach Israel übersiedelten, ist nicht in Erfahrung zu bringen – ausweislich einiger überlieferter Krankenakten sind zwischen Juni und Oktober 1950 33 jüdische Männer und Frauen aus Wiesloch in Israel eingewandert.

Bild oben: Verwaltungsgebäude der ehemaligen Heil- und Pflegeanstalt in Wiesloch (1943), Repro: Gedenkort-T4.eu