Das Gespräch mit Dr. Dette und die Dokumente der Gestapo

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Das Titelblatt des Manuskripts, Peter Finkelgruens Heim in Kfar Samir (ehemals Neuhardthof), Israel, circa 1954

Der nächste Teil von Peter Finkelgruens Buch über die Edelweisspiraten in Köln…

TEIL 5: Das Gespräch mit Dr. Dette und die Dokumente der Gestapo

„Soweit er Jude war…“
Moritat von der Bewältigung des Widerstandes. Die Edelweißpiraten als Vierte Front in Köln 1944…

Von Peter Finkelgruen

Nach meinem ersten in der Frankfurter Rundschau ver­öffentlichten Artikel wurde ich zu dem bereits erwähnten Gespräch mit dem Dezernenten Dr. Richard Dette ins Kölner Regierungspräsidium eingeladen. Dieser versuchte mich zuerst durch den Hinweis einzuschüch­tern, dass man überlege, Strafantrag zu stellen wegen Verleumdung durch den Artikel in der Frankfurter Rundschau vom 18. September 1978. Durch Dokumente, die ich im Hauptstaatsarchiv gefunden hatte, war ich mir aber meines Standpunktes sicher. Trotzdem argumentierte ich immer noch wie mit einem Menschen, dem lediglich die Informationen fehlten und der selber Opfer von Falschaussagen von Zeugen wurde. Es gab sogar einen Grund, der zu dieser Haltung berechtigte: Die Dokument die ich im Hauptstaatsarchiv in Düsseldorf fand, standen den deutschen Behörden zum Zeitpunkt der Aus­sagen der Gestapobeamten Hoegen, Schiffer und Hirschfeldt nicht zur Verfügung. Es waren Unterlagen der Kölner Gestapo aus den Jahren vor 1945, die seit Kriegsende in den USA lagerten. Die USA stellten sie dem Landesarchiv Nordrhein-Westfalen erst 1979 zur Verfügung, allerdings unter der Bedingung, dass sie frei zugänglich sein sollten. Der vorliegende Fall sollte zeigen, wie wichtig diese Bedingung ist.

Andere Gestapo-Dokumente, die im Besitz des Kölner Regierungspräsidenten sind und die den politischen Widerstandscharakter der Ehrenfelder Gruppe belegen, werden von ihm unter Verschluss gehalten. Bei den Dokumenten, die im Hauptstaatsarchiv des Landes Nordrhein-Westfalen in Düsseldorf liegen, konnte er das Bekanntwerden nicht verhindern. Er konnte es aber ablehnen, und kein Minister hat ihn daran gehin­dert, sie würdigend zur Kenntnis zu nehmen.

Ich schrieb also einen zweiten Artikel für die Frankfurter Rundschau, in dem ich auf das Vorhandensein dieser Dokumente hinwies.[1]

Bei dem Gespräch mit Dr. Richard Dette nannte ich ihm diese Dokumente.

Am wichtigsten schien mir eine Mitteilung des „Höheren SS- und Polizeiführers West vom 27.10.1944″ an den Kölner Regierungspräsidenten zu sein.

„An den Herrn Regierungspräsidenten in Köln pp.

In Köln wurden durch eine Terrorbande in den Abendstunden des 26.9.1944 ein Polizeiinspektor und Pol. Leiter, am 28.9.1944 ein Ortsgruppenleiter, der auf seinen Fahrrad nach Haus fuhr, am 1.10.1944 ein SA-Scharführer er und ein HJ-Streifenführer aus zwei  fahrenden Kraftwagen und von einem Bahndamm aus durch Pistolenschüsse getötet. Diese Terrorbande besteht aus flüchtigen Ostarbeitern, ganz wenigen Deserteuren, in der Mehrzahl aus früheren kommunistischen Funktionären und Anhängern. Die Zahl der inzwischen Festgenommenen hat sich weit über 100 erhöht.

In der Zeit vom 19. bis 21.10.1944 wurden ein Ortsgruppenleiter und ein alter NSBO.-  und Parteimitglied erneut erschossen. Nach den bisherigen Vernehmungen muss es als feststehend ange­sehen werden, dass die KPD den Plan gefasst hat, Ostarbeiter zu bewaffnen mit dem Ziele, bei einer drohenden Invasion sie als Unruheträger mit vorzuschieben. Ebenso muss angenommen werden, dass feindliche Agenten die Insperatoren sind.

Dieser Tonfall macht es allen zur erhöhten Pflicht, geringfügige verdächtige Anzeichen durch sofortige Überprüfung überholen zu lassen. Aufmerksame Beachtung jeglicher Regung ist in Verbindung mit den Dienststellen, der Sicherheitspolizei abzustimmen.

Ich habe ans der Verantwortung der Sicherheit unseren inner­deutschen Lebens gegenüber 11 dieser Verbrecher öffentlich in Köln erhängen lassen.[2] Der Rest wird nicht verschont, sondern geht nach den Abschluss der Ermittlungen dem gleichen Schicksal entgegen. Ich ersuche die Herren Regierungs- und Polizeipräsidenten, ihre zuständigen Stellen schnellstens zu unterweisen und mir direkt zu. berichten, falls in einer anderen Stadt sich ähnliche Verhältnisse entwickeln sollten. Gez. Unterschrift.“

Theoretisch müsste sich das Original dieses Briefes in den Archiven des Kölner Regierungspräsidenten befinden. Da es aber vernichtet oder verlorengegangen sein könnte, teilte ich Dr. Dette mit, dass eine Ab­schrift dieses Schreibens vorliege. In diesem Brief sind politische Attentate der Ehrenfelder Gruppe aufgezählt, ihre politische Kooperation mit anderen Widerständlern wird aufgezeigt und ihre Erhängung an­gekündigt. Dass der Höhere SS- und Polizeiführer sich in dieser Form um schlicht kriminelle Taten gekümmert hätte, ist schon rein formal unwahrscheinlich. Herr Dr. Richard Dette war aber nicht bereit, dieses Doku­mentes wegen seine Haltung, wie er sie in seinem Elaborat dargelegt hatte, zu revidieren. Auch die anderen von mir genannten Dokumente, die im Haupt­staatsarchiv des Landes Nordrhein-Westfalen liegen, konnten ihn nicht dazu veranlassen. Es handelt sich dabei in der Hauptsache um Tagesrapporte und Wochenberichte der Kölner Gestapo aus der Zeit von Januar 1943 bis Januar 1945

Am 27. Januar 1943 wird in einer Rundverfügung der Kölner Gestapo, unter anderem an den Kölner Regie­rungspräsidenten, erhöhte Aufmerksamkeit gegenüber den gegnerisch gegen die HJ eingestellten Jugendlichen gefordert  und die Durchführung ständiger Kontrollen verlangt. Das bestätigt die mir geschilderten Erfah­rungen des Jean Jülich.

In dem Wochenbericht für die Zeit vom 8. – 14.10.1944 schrieb der Kriminalobersekretär Hirschfeldt:

„Wie durch eine zuverlässige V-Person hier bekannt wurde, sollen sich in Verbindung mit den Bandendieb­stählen in Köln-Ehrenfeld und in anderen Vororten noch eine größere Zahl Deserteure in Köln aufhalten, die durch organisatorischen Zusammenschluss versuchen sollen, noch weitere Soldaten zu gewinnen, um im geeigneten Augenblick einen Aufstand anzuzetteln.[3] Ermittlungen sind in die Wege geleitet. Weitere zuverlässige V-Personen sind eingesetzt.

Wie weiter durch eine zuverlässige V-Person bekannt wurde, soll der in der Mordsache Söntgen gesuchte Adolf Schütz die Absicht gehabt haben, eine Eierhand­granate in die Diensträume der hiesigen Dienststelle zu werfen. Geeignete Fahndungsmaßnahmen nach Schütz sind eingeleitet.“

Adolf Schütz[4] war einer der dreizehn am 10.11.1944 in Ehrenfeld von der Gestapo Erhängten.

Und zum Schluss schreibt Hirschfeldt unter der Über­schrift „Jugendopposition“:

„Da Jugendliche aus dem Stadtgebiet Köln-Ehrenfeld, die hier bereits als sogenannte Edelweißpiraten be­kanntgeworden sind, an den in der letzten Zeit vorgekommenen Schießereien beteiligt waren, werden in ab­sehbarer Zeit sämtliche in Ehrenfeld wohnhaften Jugendlichen, soweit sie nicht zu Arbeiten am Westwall eingesetzt sind, aber als Edelweißpiraten bekannt geworden sind, festgenommen werden.“

Was schrieb Herr Dr. Dette in seinem Vermerk im August 1978?

„“… lassen die Bekundungen der vernommenen Polizei­beamten, es habe sich bei den 13 Hingerichteten um rein kriminelle Täter gehandelt, nichts als abwegig erscheinen.“

Dabei bewiesen die vorliegenden Dokumente, dass die Zeugen des Regierungspräsidenten sich der Beihilfe zum Mord an den 13 am 10.11.1944 in Ehrenfeld Erhängten mitschuldig gemacht haben.

Bild oben: Das Titelblatt des Manuskripts, Peter Finkelgruens Heim in Kfar Samir (ehemals Neuhardthof), Israel, circa 1954

Zum Buch:
„Soweit er Jude war…“
Moritat von der Bewältigung des Widerstandes. Die Edelweißpiraten als Vierte Front in Köln 1944…

Herausgegeben von Roland Kaufhold und Andrea Livnat
Wenn Sie diese Veröffentlichung unterstützen möchten, spenden Sie bitte an haGalil e.V. unter dem Stichwort „Edelweisspiraten“.


Die Buches liegt auch in Druckversion vor:

Peter Finkelgruen, „Soweit er Jude war…“ Moritat von der Bewältigung des Widerstandes. Die Edelweißpiraten als Vierte Front in Köln 1944, Hrsg. v. Roland Kaufhold, Andrea Livnat und Nadine Englhart, Hardcover, 352 S., ISBN-13: 9783752812367, Euro 39,90, Bestellen?

Paperback, Euro 17,99, Bestellen?
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[1] Finkelgruen in Frankfurter Rundschau, 4.11.1978.
[2] Diese öffentliche Hinrichtung der 11 „Ostarbeiter“ fand am 25.10.1944 am Ehrenfelder Bahndamm statt, ohne vorhergehendem Prozess und Urteil. Sie wurden an einem Galgen aufgehängt; einige Namen der Opfer konnten recherchiert werden: Wassilij Roman-Car, Iwan Orichowski, Iwan Komaschko, Bronislaw Dobanowski, Wolodemar Kazemba und Iwan Wolowski, alle zwischen 1923 und 1925 geboren (vgl. Goeb 2016, S. 22-24). Am heutigen Edelweißpiratendenkmal am Ehrenfelder Hinrichtungsort sind die Namen der Hingerichteten  genannt. Die Hinrichtung der 13 Edelweißpiraten und Widerständler, die ansonsten im Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit liegen, fand 16 Tage später – am 10.11.1944 – am gleichen Ort statt.
[3] Siehe Aussage Botschafter Dr. Michael Jovy. Adolf Schütz, einer der Erhängten, war ein Jugendfreund des miterhängten Günther Schwarz (geb. 3.1.1926).
[4] Adolf Schütz, geb. 3.1.1926 zu Köln, Arbeitsjunge, Köln-Ehrenfeld, Fröbelplatz 15; nach Goeb (2016), S. 22.