Antisemitismus und Neonazismus gab es in der DDR und der BRD…
Von Harry Waibel
Daniela Dahn, Schriftstellerin mit DDR-Vergangenheit, hat in ihrem Text „Die Holocaust-Manipulation“ im „Rubikon“ vom 16.11.2019, eine Argumentation aufgenommen, die bereits in den 2000er Jahren von K. Pätzold, ehemals Geschichtsprofessor an der Humboldt-Universität und Mitglied der Partei „Die Linke“, vorgegeben worden war. Hier wird daraufhin gewiesen, in der DDR habe es 1086 Bücher und 14 Spielfilme und TV-Serien sowie 33 weitere Spielfilme gegeben hat, die sich mit dem „Holocaust“ beschäftigt haben sollen. In diesen Büchern und Filmen wird man jedoch nichts finden, was auf die große Beteiligung der Masse der Deutschen am Nazi-Faschismus und seiner Massenmorde hinweist, denn in der marxistisch-leninistischen Welt wurde der Nazi-Faschismus so beschrieben, dass das deutsche Volk bzw. die Arbeiterklasse davon weitgehend unberührt geblieben sei. (Thälmann)
Bücher die in der Bundesrepublik zur Standardliteratur wurden, was die Aufarbeitung des Nazi-Faschismus und des Holocaust angeht, wie z. B. „Die Vernichtung der europäischen Juden“ von R. Hilberg, „Dialektik der Aufklärung“ von Adorno und Horkheimer, „Furcht vor der Freiheit“ bzw. „Studien zum autoritären Charakter“ von E. Fromm oder gar die „Massenpsychologie des Faschismus“ von W. Reich, waren in der DDR verboten.
Nehmen wir mal an, dass das was D. Dahn schreibt den Tatsachen entspricht. Wie war es dann möglich, dass sich in der DDR eine rechte Bewegung entwickeln konnte, deren politischen Schwerpunkte Neonazismus, Rassismus und Antisemitismus war.[1] Insgesamt sind für die gesamte Existenz der DDR etwa 7 000 neonazistische Propaganda- und Gewalttaten belegt. Das Gros der neonazistischen Aktivisten stellten Oberschüler, Lehrlinge, Soldaten oder junge Arbeiter, die sich in ihren Einstellungen, ihrer Kleidung und ihrer Ideologie an der NSDAP, der SS oder der SA orientierten.[2] In Schulen, in der Armee, in Betrieben, in den Fußballstadien und auf Straßen und Plätzen äußerten sie sich neonazistisch, rassistisch und antisemitisch und traten gewalttätig gegen Volkspolizei, Linke und Ausländer in Erscheinung. In allen Bezirken der DDR gab es von 1960 bis 1990 Neonazi-Gruppen, die meisten im Bezirk Berlin (21), gefolgt vom Bezirk Halle (20) und dem Bezirk Karl-Marx-Stadt (15). In den anderen Bezirken lag die Anzahl der Neonazi-Gruppen im einstelligen Bereich. Zum Teil handelte es sich hier um uniformierte und bewaffnete Wehrsportgruppen.
In der NVA gab es von 1965 bis 1980 über 700 neofaschistische Vorfälle und ein gewichtiges Beispiel für das Scheitern der SED gegenüber den Neonazis war das Eingeständnis von Armeegeneral H. Hoffmann, Minister für Nationale Verteidigung und Oberbefehlshaber der NVA, der Anfang der 1980er Jahre, im Angesicht vieler Neonazis und Neonazi-Gruppen in den bewaffneten Kräften, resignierend feststellte, dass manche militärischen Vorgesetzten und auch Parteileitungen der Armee neonazistische Erscheinungen bagatellisierten, indem sie sie als „dumme Jungenstreiche“ ansahen. Diese Verharmlosungen wurden auch bei General E. Mielke sichtbar, der die neonazistischen Aktivitäten als Ausdruck von „Wichtigtuerei“ ansah.[3] 1988 erklärte sein Ministerium, ostdeutsche Neonazis würden lediglich unkritisch Tendenzen aus dem feindlichen Westen wiedergeben.[4]
In der DDR haben bis 1990 über 900 antisemitische Propaganda- bzw. Gewalttaten stattgefunden, darunter befinden sich etwa 145 Schändungen jüdischer Friedhöfe und Gräber, die ein Ausdruck des manifesten Antisemitismus in der Gesellschaft der DDR darstellen. Da es nur wenige hundert Jüdinnen und Juden gab, bilden die antisemitischen Propagandataten von Neonazis das Gros der Angriffe im Land selbst. Um diesen Antisemitismus verstehen zu können ist es notwendig den Begriff „Antizionismus“ historisch zu analysieren, um ihn von seiner Entstehungsgeschichte her, bis zu seinem Gebrauch als Tarnung für Antisemitismus verstehen und bewerten zu können. Zweitens ist es unumgänglich, den Neonazismus als wichtige politische Kraft für die Propagierung des Antisemitismus wahrzunehmen. Beim Antisemitismus handelte es sich sowohl um ein gesellschaftliches wie auch ein staatliches Phänomen. In der Gesellschaft, durch und in Institutionen und sowohl in der Innen- wie der Außenpolitik der Regierung wurden antisemitische Einstellung sichtbar und diese Tatsachen werden sowohl publizistisch als auch wissenschaftlich geleugnet. Einzig die „Antisemitische Kampagne“ von 1952/53, in deren Folge einige Hundert führende Funktionäre der Jüdischen Selbstverwaltung mit ihren Familien in den Westen geflüchtet sind, wird in der Literatur als Antisemitismus bewertet.
Die antizionistische Innen- und Außenpolitik der SED war ein getarnter spezifischer Antisemitismus, dessen historische Ursachen in der Sowjetunion angesiedelt sind. Das Kernstück dieser Ideologie ist die aus antiimperialistischen Positionen entwickelte Behauptung, Israel hätte sich durch das Bündnis mit dem US-amerikanischen Imperialismus in einen faschistischen bzw. rassistischen Staat verwandelt. So gehörte, dem offiziellen Antifaschismus zum Trotz, Israelfeindlichkeit 40 Jahre zur Staatsräson der DDR.
Nicht nur, dass Juden in der DDR unterdrückt wurden, sondern es kommt hinzu, dass die SED den Todfeinden Israels nicht nur Jagdflugzeuge und Panzer verkauft hat, sondern auch die Ideologie, die Israelis wären durch ihr Bündnis mit dem US-amerikanischen Imperialismus zu neuen Faschisten geworden wären, die die Araber durch einen „Holocaust“ vernichten wollten. Unter dem Deckmantel der Ideologie des Antizionismus, konnte die SED ihren latenten Judenhass verstecken, doch ihr Hass wurde sichtbar durch die Waffenlieferungen nach Syrien, mit deren Hilfe die „Juden ins Meer“ gejagt werden sollten.
Im Einklang mit der KPdSU bestimmte die SED ihre Politik gegenüber Israel, den arabischen Staaten und der „Palestine Liberation Organisation“ (PLO) konsequent als antizionistisch.[5] Deckungsgleich dazu gab es in der westdeutschen Linken kaum eine Partei oder Gruppe der außerparlamentarischen Linken, die nicht ebenfalls eine solche antizionistische Politik betrieben hat. Dieser Antizionismus war verbunden mit der nationalistischen Ideologie der Befreiung von imperialistischer und kolonialistischer Herrschaft, die im Bündnis der RGW-Staaten mit den Arabern und den arabischen Staaten zu Tage trat.[6] Die Ideologie des Antizionismus als sublimierter, weil latent vorhandener Antisemitismus trat bei der staatskapitalistischen und Neuen Linken ab dem „Sechs-Tage-Krieg“ von 1967 offen zu Tage. Haury und andere mehr haben das in mehreren Veröffentlichungen detailliert aufgelistet und belegt.[7] Davon betroffen sind alle relevanten legalen oder subversiven Organisationen der leninistischen, bzw. autoritären deutschen Linken in beiden deutschen Staaten.[8] Mit der antizionistischen Argumentation verbindet sich eine unvollständige, da ideologische Aufarbeitung des Nazi-Faschismus, sowohl in West- als auch in Ostdeutschland. Damit wurde und wird der Versuch unternommen, die Deutschen und Deutschland von der psychischen Last der Nazi-Verbrechen zu entlasten. Diese Ideologie entfaltet eine Massensuggestion in der Weise, das die Israelis zu Tätern, ja zu faschistischen Verbrechern erklärten werden und es wird suggeriert, seht her, die Juden sind entweder genauso wie es die Nationalsozialisten waren oder noch schlimmer.[9] Dieser ideologische Angriff erfolgte in der DDR auf systematische Weise durch A. Norden, der, zuständig für die Kontrolle der Massenmedien, diese „Sprachregelung“ für alle Redaktionen in der DDR durchsetzte.[10] Dieses Muster der Verwandlung der Opfer des Holocaust und ihrer Angehörigen zu faschistischen Militaristen und Rassisten dient allein der Entlastung verborgener deutscher Schuldgefühle, die so, eben auch von deutschen Linken unbewusst gepflegt wurden und werden. Die antizionistische Außenpolitik prägte auch die Politik gegenüber den jüdischen Gemeinden und ihren Vertretern im eigenen Land. Damit konservierte und mobilisierte die SED traditionelle antisemitische Bewusstseinsinhalte und ermöglichte öffentliche Räume, in die virulente antisemitische Vorurteile einfließen konnten. Diese Analyse unterstreicht meine grundlegende These über eine sublime Komplizenschaft der antizionistischen Ideologie und Politik der SED mit der Ideologie und Politik von erklärten Antisemiten. Bis zur Wende blieben die organisierten Juden und ihre Gemeinden unter der lückenlosen Kontrolle der SED und dem MfS. Diese, für Israel, gefährliche Politik verteidigen Leute wie D. Dahn implizit, wenn sie versuchen die DDR zu einer Antisemitismus-, Rassismus- und Neonazismus-freien-Zone zu erklären. Dann kann ich nur sagen: Good night eastgerman pride.
In der von Dahn u. a. geführte Debatte wird immer wieder der Vorwurf zugespitzt, die Aufklärung über den Antisemitismus der SED hätte die Funktion, den „antifaschistischen Nimbus der DDR“ zu zerstören. Lediglich aus ideologischen Absichten heraus, würde der Antizionismus in „verkappten Antisemitismus umgefälscht“ werden, um den antifaschistischen Charakter der SED zu verfälschen und damit die DDR insgesamt zu delegitimieren. Diesen Positionen wird die Vielfalt der antifaschistischen Bemühungen in Filmen, in der Literatur und im Schulunterricht in der DDR entgegengestellt. Diese Verteidigungsbemühungen sind absurd: Gibt es doch niemand Ernstzunehmenden der behaupten würde, es hätte in der DDR keine antifaschistische Aufklärung gegeben. K. Pätzold bezeichnete in schändlicher Weise, die historisch-kritische Aufklärungsarbeit über den Verlauf und die Ursachen des Antisemitismus in der DDR nicht nur als Lüge (9. Gebot) sondern stellte, in einer grobschlächtigen Assoziation, die Ausstellungsmacher der Ausstellung „Antisemitismus in der DDR – Das hat es bei uns nicht gegeben“ mit dem Nazi-Lügenbaron J. Goebbels auf eine Stufe.[11] Auch wenn die historischen Forschungs-Ergebnisse den orthodoxen Verteidigern der untergegangenen DDR nicht gefällt, so muss doch darauf gepocht werden, dass für eine ernsthafte Diskussion, die historischen Tatsachen anerkannt werden müssen. Dieser Mangel zeigt sich auch darin, dass auf die Vielzahl der Beispiele für Neofaschismus, Antisemitismus und Rassismus in bornierter Weise entweder nicht eingegangen wird oder das immer wieder auf den Antisemitismus und Neofaschismus in der BRD verweisen wird. Anstatt darüber zu diskutieren, was am Staatssozialismus kritisiert werden muss, werden ostdeutsche Gegenden á la Potemkin aufgebaut, die aus dem Wunschdenken wachsen, wenigsten beim Antifaschismus sei alles perfekt gewesen.
So wie ich die Sache sehe, ist Neonazismus, Antisemitismus und Rassismus in Deutschland auch ein Ausdruck der anhaltenden Folgen des, gesellschaftlich und staatlich ungenügend verarbeiteten Nazi-Faschismus in allen seinen Facetten. Generell sind Form und Inhalt der Abwehr neofaschistischer Gefahren verbunden mit historischen und politisch-psychologischen Problemen, die auf das Trauma der Niederlage der bürgerlichen und proletarischen Kräfte gegen den Nazi-Faschismus zurückgehen. Die daraus für die deutsche Gesellschaft und seine Individuen entstandenen seelischen und intellektuellen Erschütterungen, bestimmen auch die wissenschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen mit dem Neofaschismus bis in die Gegenwart.[12] Diese, in der Geschichte der Deutschen begründeten, mentalen und emotionalen Unsicherheiten über den Ausgang ihrer antifaschistischen Anstrengungen sind, neben der faschistischen Gefahr an sich, das Hauptproblem für die notwendigen öffentlichen Auseinandersetzungen. Wie könnte es denn sonst sein, dass im 29. Jahr nach dem Zusammenbruch des deutschen „Realsozialismus“, noch immer darüber diskutiert werden muss, ob, und nicht wie und warum es in der DDR Neonazismus, Antisemitismus und Rassismus gegeben hat. Die orthodoxen Verteidiger des untergegangen deutschen Staates, leugnen bis heute, so wie die SED über 40 Jahre geleugnet hat, mit einem trotzigen „Das hat es bei uns nicht gegeben!“. Ihnen kann man, nein man muss ihnen zurufen, in Wirklichkeit meint ihr doch: „Es darf nicht sein, was nicht sein kann!“. Wir wollen und wir müssen aus unserer Geschichte lernen und dazu gehören ganz besonders die hier besprochenen Themen. Es muss gesagt werden, dass die Lehr- und Geschichtsbücher über die DDR in der Weise verändert werden müssen, dass die Darstellung der Existenz von Neonazis, Rassisten und Antisemiten dort ihren Platz findet. In ähnlicher Weise trifft dieser Vorwurf auch auf die etablierte Forschung über Opposition in der DDR zu, die den „schmutzigen“, also den neofaschistischen Teil der Opposition bisher nicht berücksichtigt hat.[13] Diese Positionen sind nicht zu halten und es ist nur noch zu hoffen, dass nicht nur die orthodoxen Verteidiger der SED und das akademische Establishment der Geschichtswissenschaft diese Wahrheit erkennt.
Ausgangspunkt des staatssozialistischen Antifaschismus war die Reduktion der Analyse der Ursachen des deutschen Faschismus allein auf den politisch-ökonomischen Sektor. Deshalb auch nach 1945 die Verstaatlichung der Großindustriellen, der Großgrundbesitzer, der Bankiers und der Besitzer der Handelskonzerne. Das Ergebnis dieser Bemühungen war nicht die Befreiung der ostdeutschen Bevölkerung von faschistischen Überzeugungen, sondern die Konstituierung einer kleinbürgerlichen Gesellschaft, in der Angehörige der ehemaligen faschistischen Eliten funktionaler Bestandteil, der von Kommunisten dominierten Eliten wurden. Diese Entwicklung hatte für das gesellschaftliche und individuelle Bewußtsein der Masse der Ostdeutschen tief gehende Folgen. Die Führung der SED hat versuchte dieses Bewußtsein insofern zu transformieren, als sie die Bevölkerung der DDR an die Seite der siegreichen UdSSR stellte, um damit zu suggerieren, sie seien damit quasi Sieger und legitime Erben der deutschen Geschichte und Nation. In die daraus entstandene nationalistische und militärische Konzeption implementierten die deutschen Kommunisten ihr antifaschistisches Modell. Bis Anfang der 1950er Jahre wurden Tausende von Gerichtsverfahren abgehalten und es kam zu Haft- und Todesstrafen gegen faschistische Täter.[14] Doch diese Verurteilungen täuschten über die Tatsache hinweg, daß leitende Funktionen im Staat und in der Gesellschaft von ehemaligen Nazi-Funktionären besetzt waren.[15] Im Herbst 1953 waren etwa 25 Prozent der Mitglieder der SED ehemalige Nazis, von den 400 Abgeordneten in der 1958 gewählten Volkskammer waren 56 ehemalige Nazis, im SED-Zentralkomitee der SED arbeiteten 27 ehemalige Nazis und acht Minister, neun stellvertretende Minister und zwei Vorsitzende des Ministerrats der DDR waren ehemals Nazis.[16] In der Nationalen Volksarmee waren 1957 von den 16 Spitzen-Generälen fünf ehemalige Offiziere der Wehrmacht, davon hatten drei als Generäle für Hitler gedient. Ein Viertel aller Obersten bei der NVA hatte eine Karriere als Offiziere der faschistischen Wehrmacht hinter sich gebracht.[17]
Das Credo der verantwortlichen Funktionäre der SED zu Beginn der DDR war, die Grundlagen für Faschismus und Antisemitismus seien mit „Stumpf und Stiel“ ausgerottet worden. Weil nicht sein konnte, was nicht sein durfte, gab es bis 1988 keine politische oder wissenschaftliche Studie zum Neofaschismus in der DDR, und das obwohl tatsächlich in der SBZ/DDR unzählige Hakenkreuze und SS-Runen an Wänden oder Gegenständen angebracht, Hitler, die SS und die Wehrmacht in Texten und Liedern verherrlicht, Ausländer, Juden, und kommunistische Funktionäre von Neonazis verbal und physisch angegriffen und jüdische Friedhöfe geschändet wurden. Mit diesen Aktionen kamen unverarbeitete faschistische Bewusstseinsinhalte zum Vorschein, die durch Zensur und Repression lediglich unterdrückt worden waren. Für die Bekämpfung des Neofaschismus erwies sich die ökonomistische Erklärung für die Entstehung des deutschen Faschismus als unüberwindbares Hindernis für eine grundlegende geistige und politische Auseinandersetzung mit den neofaschistischen, antisemitischen und rassistischen Ereignissen in der DDR. Der Prozess der Faschisierung von Subjekten wurde jedoch nicht allein durch die nationalsozialistische Vergangenheit determiniert, sondern er wurde auch befördert durch autoritäre, national-chauvinistische und militaristische Verhältnisse im Staat und in der Gesellschaft. In Wahrheit hat sich eine zur Egalität neigende, kleinbürgerliche Gesellschaft entwickelt, in der Angehörige der ehemaligen faschistischen Eliten funktionaler Bestandteil der Eliten der DDR wurden. Die grundlegend verfehlte Entnazifizierung hatte für das Bewußtsein der Massen tief gehende Folgen und die Führung der SED versuchte dieses Bewußtsein insofern zu instrumentalisieren, als sie der Bevölkerung suggerierte, sie sei an der Seite der siegreichen Sowjetunion, legitime Erben der fortschrittlichen Seite der deutschen Geschichte und Nation. Der Antifaschismus der SED wurde so zur zentralen legitimatorischen Ideologie, die von neofaschistischen, rassistischen und antisemitischen Ereignissen nicht berührt werden durfte. Deshalb gab es die Geheimniskrämerei um die Fakten über Hakenkreuzschmierereien und die Verehrung von Führern des Nazi-Faschismus, gerade auch von solchen Neofaschisten, die ihre gesamte Sozialisation in der DDR durchlaufen hatten. Für die Propaganda der SED gehörten die Begriffe „Völkerfreundschaft“ oder „Proletarischer Internationalismus“ zu ihren elementaren Geboten, und dazu passte es überhaupt nicht, wenn bekannt wurde, dass Ausländer feindselig abgelehnt, angegriffen oder gar in Lynchprozessen getötet wurden, auch und gerade, wenn die Attacken mit bejahenden Aussagen für den Faschismus verbunden waren. Die offenbarten faschistoiden Affinitäten waren zugleich politische Provokationen als auch Manifestationen gegen die staatliche und gesellschaftliche Totalität der DDR. Es zeigt sich hier deutlich, dass auch die härtesten Verbote und die strengste Zensur die Existenz und Wirkung von Neofaschismus nicht vollständig verhindern können. Das im Staat und in der Gesellschaft virulente autoritäre, nationalistische und militaristische Klima, wurde durch die SED aufgeheizt und sie hat auch hier dazu beigetragen, dass neofaschistische Einstellungen konserviert wurden. Der Mangel an demokratischen Alltagserfahrungen bildete schließlich den Nährboden, auf dem eine Vielzahl von rassistisch motivierten Exzessen geschehen konnte.
In „Das Zeitalter der Extreme“ beschreibt Hobsbawn den Charakter der realsozialistischen Staaten folgendermaßen: „Das System schützte seine Bürger vor dem vollen Ansturm der sozialen Transformation im Westen, weil es sie größtenteils vom westlichen Kapitalismus isolierte. Welchem Wandel seine Bürger auch unterlagen: er war allein durch den Staat oder die Reaktionen der Bürger auf den Staat entstanden. Was der Staat nicht ändern wollte, das blieb auch im Wesentlichen unverändert. Der staatliche Kommunismus war konservativ. Darin bestand seine Paradoxie“.[18] Die SED praktizierte eine reaktionäre Politik, mit der sie die Ostdeutschen zur „Liebe für Heimat und Vaterland“ und zum „Haß auf die imperialistischen Feinde“ erzogen haben, um sie damit an das realsozialistische Regime zu binden. Nach dem Wechsel von Ulbricht zu Honecker zeigten sich mehr und mehr national-chauvinistische und militaristische Zuspitzungen in allen politischen und ideologischen Bereichen, die von der SED kontrolliert wurden.
Es gab kaum ein kritisches Verhältnis von Wissenschaft und Politik, also von Theorie und Praxis, als Ausdruck eines kritischen Bewusstseins der Aufklärung. Parteipolitisch domestizierte Wissenschaftler und pseudowissenschaftliche Parteipolitiker hatten außerhalb ihrer autoritären Grundeinsichten keine Konzepte für die Aufhebung der bürokratisch und autoritär gesicherten Entfremdung ihrer Bevölkerung. Es herrschte ein politisches Klima, in dem sich apolitisches Duckmäusertum und militärische Kommandoherrschaft gegenseitig beeinflußten. In ihrem Aufsatz „Zur russischen Revolution“ hat R. Luxemburg beinahe prophetisch die gesellschaftlichen Auswirkungen des „diktatorischen Sozialismus“ angemahnt: „Ohne allgemeine Wahlen, ungehemmte Presse- und Versammlungsfreiheit, freien Meinungskampf erstirbt das Leben in jeder öffentlichen Institution, wird zum Scheinleben, in dem die Bürokratie allein das tätige Element bleibt. Das öffentliche Leben schläft allmählich ein, einige Dutzend Parteiführer von unerschöpflicher Energie und grenzenlosem Idealismus dirigieren und regieren, und eine Elite der Arbeiterschaft wird von Zeit zu Zeit zu Versammlungen aufgeboten, um den Reden der Führer Beifall zu klatschen, vorgelegten Resolutionen einstimmig zuzustimmen, im Grunde also eine Cliquenwirtschaft – eine Diktatur allerdings, aber nicht die Diktatur des Proletariats, sondern die Diktatur einer Handvoll Politiker“.[19] Diese autoritären Strukturen und vor allem die daraus resultierenden Deformationen für die Politische Kultur und Bildung sind Rahmen und Inhalt der von der SED zu verantwortenden Verhältnisse. Zum Einstieg in diese Analyse, die ich hier nur andeuten kann, sind die von Horkheimer und Adorno beschriebenen mythisierenden Auswirkungen fehlgeleiteter Aufklärung gültig, die auch und gerade für die realsozialistische Theorie und Praxis des Antifaschismus konstatiert werden müssen. Mit der Verklärung des anti-faschistischen Kampfes zum Mythos, wurde diese Konstruktion de facto zu einer bestimmenden legitimatorischen Grundlage für die Herrschaft der SED.[20]
Grundlage des Neofaschismus ist ein autoritärer Charakter, der einen männlichen Typus hervorbringt, der für gewalttätigen Neofaschismus, Rassismus und Antisemitismus zu haben ist.[21] Die Ideologie des Neofaschismus bildet eine Orientierung, die zusammen mit den sozialpsychologischen Auswirkungen der politischen und ökonomischen Krise der Gegenwart, Gefahren für die demokratische und soziale Verfassung zur Folge haben. Die gegenwärtigen gesellschaftlichen und politischen Probleme treffen auf eine parlamentarische Linke ohne Perspektive, ohne Biss und auf eine außerparlamentarische und antifaschistische Linke, die zersplittert, Wirkungs- und Konzeptionslos ist. Einzelne Linke sind noch übriggeblieben, mischen sich öffentlich ein, schreiben Artikel oder Bücher – das war es. Der radikale Protest gegen die rechte Bewegung, systemoppositionell oder gar theoretisch und praktisch fundamentaloppositionell verfasst, bildet den einzigen internationalistischen Teil einer ansonsten überwiegend nationalistisch geprägten politischen Landschaft. Der antifaschistische Kampf ist und bleibt notwendig, doch so wie er heute verstanden wird, als ausschließliche Theorie und Praxis der Defensive, muß er einer radikalen Kritik unterzogen werden. Um den Antifaschismus aus seiner Defensive lösen zu können, muß er verbunden und erweitert werden, mit emanzipatorischen Vorstellungen über soziale und politische Prozesse der Demokratisierung der Produktion und Verwaltung, hin zu einem emanzipatorischen Antifaschismus.
© Harry Waibel
Bild oben: Neonazis in der DDR, (c) BStU BV-Bln-Fo-0382
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[1] Wolfgang Benz (Hrsg.): Antisemitismus in der DDR, Berlin 2018; Harry Waibel: Antisemitismus und Neonazismus der DDR, Stuttgart, 2017; E. Heitzer/M. Jander/A. Kahane (Hrsg.): Nach Auschwitz: Schwieriges Erbe DDR, Frankfurt/M. 2018.
[2] BStU, MfS, Arbeitsbereich Mittig Nr. 53, Bl. 11ff.; Bericht über die Verwirklichung des Beschlusses des Politbüros des ZK der SED vom 2.2.1988 „Maßnahmen der FDJ zur Verbesserung der politisch-ideologischen Arbeit mit allen Jugendlichen“ (Beschluß des Sekretariats des Zentralrates der FDJ vom 6.9.1989, Anlage 1: Übersicht über Skinheads, Sympathisanten und ihre Gruppierungen nach Bezirken (Kopie im Besitz von HW).
[3] Madloch, Norbert: Rechtsextremismus in Deutschland nach dem Ende des Hitlerfaschismus, in: Klaus Kinner und Rolf Richter (hgg.): Rechtsextremismus und Antifaschismus. Historische und aktuelle Dimensionen, Berlin, 2000, S. 77.
[4] BStU, MfS, BF1/B Bernd Eisenfeld, 22.2.2001.
[5] Vgl. Roy Medwedew: Über Antisemitismus in der Stalin-Ära, in: Osteuropa-Info Nr. 55, 1984, S. 33-39.
[6] Detlef Claussen: Versuch über den Antizionismus, in: Leon Poliakov: Vom Antizionismus zum Antisemitismus, Freiburg, 1992. S. 15f.
[7] Vgl. Thomas Haury: Deutscher Imperialismus, in: Jungle World 47, Berlin 1998 und Zur Logik des bundesdeutschen Antizionismus, in: trend online zeitung 01/01 Berlin 2001. www.trend.partisan.net.
[8] Thomas Haury, 2001, S. 1; texte der raf, Überarbeitete und aktualisierte Ausgabe 1983, S. 422-435.
[9] Vgl. John Bunzl: Antisemitismus in Russland und der Sowjetunion, in: Osteuropa-Info Nr. 55 (1. Quartal 1984), Hamburg 1984, S. 7 – 23.
[10] Michael Wolffsohn: Die Deutschland Akte, München 1995, S. 202. Dort ist der Hinweis auf die Quelle: Albert Norden an Werner Lamberz, Genosse Ulbricht zur Kenntnis, SAPMO-BA ZPA, NL 182/1339.
[11] Kurt Pätzold: Du sollst nicht falsch Zeugnis geben, in: Neues Deutschland, 7. April 2007.
[12] Vgl. Alexander und Margarete Mitscherlich: „Die Unfähigkeit zu trauern, München 1977.
[13] Hermann Weber: Geschichte der DDR, München, 2004, S. 14.
[14] Wieland Günther: Ahndung von NS-Verbrechen in Ostdeutschland 1945 – 1990, in: Neue Justiz. Zeitschrift für Rechtsetzung und Rechtsanwendung 2/1991, S. 49 – 53; Werkentin Falco: Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht, in: Armin Mitter und Stefan Wolle (Hrsg.): Forschungen zur DDR-Geschichte, Band 1, Berlin 1995, S. 170 und S. 406.
[15] Harry Waibel: Ehemalige NS-Funktionäre in der SBZ/DDR, Frankfurt/M. 2011; Untersuchungsausschuss Freiheitlicher Juristen (Hrsg.): Ehemalige Nationalsozialisten in Pankows Diensten, Berlin, 1965; Cerný, Jochen (Hrsg.) u.a.: Wer war wer – DDR: ein biographisches Lexikon, September 1992; Herbst, Andreas/Winfried Ranke/Jürgen Winkler (Hrsg.): So funktionierte die DDR, Bd. 3, Lexikon der Funktionäre, Reinbek 1994; Rößler, Ruth-Kristin (Hrsg.): Entnazifizierungspolitik der KPD/SED 1945 – 1948. Dokumente und Materialien, Goldbach 1994, S. 13 – 57.
[16] Werkentin, S. 198f; Vgl. Leide: NS-Verbrecher und Staatssicherheit, S. 46ff; http://www.geschichtswerkstatt-jena.de/images/stories/archiv_texte/henning_pietzsch_das_braune_erbe.pdf.
[17] Werkentin, Falco: Politische Strafjustiz in der Ära Ulbricht, Berlin, 1995, S. 198f. Vgl. auch Otto, Wilfriede: Die „Waldheimer Prozesse“ 1950. Historische, politische und juristische Aspekte im Spannungsfeld zwischen Antifaschismus und Stalinismus, in: Helmut Meier/Detlef Nakath/Peter Welker (Hrsg.): Forscher- und Diskussionskreis DDR-Geschichte, hefte zur ddr-geschichte 12, Berlin 1993, S. 5 – 27. Otto stellt für Ende der 1940er Jahre ca. 175 000 SED-Mitglieder als „ehemalige Offiziere, Oberfeldwebel, Feldwebel sowie Angehörige der NSDAP oder ihrer Gliederungen“ fest, von denen 1951 erst ca. 16 000 ausgeschlossen waren; vgl. Rößler, a.a.O., S. 13 – 57; Der Spiegel 19/1994, S. 84-91.
[18] Eric Hobsbawn: Das Zeitalter der Extreme, München Wien 1995, S. 525.
[19] Rosa Luxemburg, Rosa: GW, Bd. 4, S. 362.
[20] Vgl. Max Horkheimer/Theodor W. Adorno: Dialektik der Aufklärung, Frankfurt/M. 1981, S. 3.
[21] Vgl. Klaus Theweleit: Männerphantasien, Frankfurt/M., 1978.