Die Erinnerung an die Edelweißpiraten lebt!

0
104

Fast 40 Jahre sind vergangen. 1981 habe ich als Freund von Peter Finkelgruen und damaliger Bundesinnenminister schon einmal ein Vorwort geschrieben. Ich könnte es heute erneut so schreiben, allerdings auch aktualisieren. Seitdem hat sich einiges getan…

Von Gerhart Baum

So erlebe ich Jahr für Jahr, dass sich viele Menschen unter freiem Himmel hier in Köln zu einem Fest in Angedenken der Edelweißpiraten versammeln. Ich freue mich, dass dieses Andenken hier so lebendig ist. Ich treffe die Tochter von Jean Jülich, die in meiner Nähe eine Restauration betreibt und sich an unsere gemeinsame Reise mit ihrem Vater und anderen  nach YAD Vashem erinnert. Und ich habe mich gefreut, als ich kürzlich bei einem Besuch des Museums des Widerstands in Berlin auch auf die Geschichte der Edelweißpiraten gestoßen bin, die dort eingehend dargestellt wird. Welche Widerstände, Verdächtigungen, welches Misstrauen musste Peter Finkelgruen jahrelang erdulden und überwinden, um schließlich die Rehabilitierung dieser Menschen zu erreichen. Ein oft schmerzhafter Prozess für ihn. Und heute: Die Erinnerung an die Edelweißpiraten lebt!

Gerhart Baum und Peter Finkelgruen im Gespräch, Privatfoto, (c) P. Finkelgruen & R. Kaufhold. Die Privatfotos und Materialien von Peter Finkelgruen sind archiviert bei der Stiftung Rheinisch-Westfälisches Wirtschaftsarchiv zu Köln (RWWA), Vorlass Peter Finkelgruen, Köln, RWWA 570-16-1.

Mit Peter Finkelgruen verbindet mich seit Jahrzehnten eine liberale Grundeinstellung. Und es kommt etwas hinzu:  das Bestreben, immer wieder aufzuklären, wie es zu dem verbrecherischen Naziregime kommen konnte, wie es sich schuldig gemacht hat und wer im Einzelnen dafür verantwortlich war. Die Jüngeren können sich heute kaum vorstellen, wie stark in Teilen der deutschen Gesellschaft nach dem Krieg das Bestreben war, die Vergangenheit auf sich beruhen zu lassen, auch in der damaligen FDP in NRW. Es wurde ein Schlussstrich gefordert, eine Verjährung für Mord. Tausende der Täter wurden mit einem gesetzgeberischen Trick amnestiert. Vielfach waren die alten Nazis wieder in verantwortlichen Positionen. Dagegen haben wir uns heftig gewehrt und dafür gekämpft, dass nicht Vergessen wurde. Und es stärkt unsere Demokratie bis heute, dass dieser Prozess sich fortsetzt. Die Deutschen haben sich ihrer Verantwortung gestellt.

Das ist heute in besonderem Maße geboten. Die Herausforderung durch Rechtsextremisten war in der Demokratie des Grundgesetzes noch nie so stark wie heute. Wir wissen Bescheid: Alle Fakten, die wir kennen, sagen uns, dass der Rechtsextremismus zu einer wirklichen Gefahr geworden ist. Auch wenn die Mehrheit der Deutschen ihm nicht folgt, reicht der Widerstand nicht aus, weil viele die Entwicklung nicht ernst nehmen. Der Rechtsextremismus verankert sich in den Parlamenten, er wuchert in Gruppen und Subkulturen der Gesellschaft hinein. Er gewinnt an Einfluss und verändert das politische Klima. In ihm steckt ein gewalttätiges Potential, das bisher nur in Ansätzen sichtbar ist. Die Warnungen der Sicherheitsbehörden sind unüberhörbar. Die Rechtsextremisten nutzen das Internet, um sich zusammenzurotten und um Hass zu verbreiten.

Wähler und Sympathisanten der AfD mögen auch andere Motive haben. Extrem konservative Meinungen wurden in der Geschichte der Bundesrepublik immer zum Ausdruck gebracht. Wir haben heftige Debatten geführt, zeitweise auch über Sarrazins rassistische Thesen. Es war nichts tabuisiert. Ich plädiere nicht für pauschale Ausgrenzung von Protestwählern. Eine große Zahl der rechtsextremistischen Wähler identifiziert sich jedoch mit den Inhalten, die ihre politischen Spitzen vertreten. Eine rote Linie ist erreicht, wenn sie militanten Gegnern unserer Demokratie eine Basis bieten. Dann sind sie mitverantwortlich. Das muss man ihnen sagen. Es wird nicht so einfach sein, diese Menschen von den Werten unseres Grundgesetzes zu überzeugen. Nicht nur die Fremdenfeindlichkeit – sie ist Brandbeschleuniger -, macht den Rechtsextremismus  so stark wie nie zuvor. Es ist die als bedrohlich empfundene Globalisierung mit ihrer Wirkung auf alle Lebensbereiche.

Beschwichtigend wird argumentiert, radikale Entwicklungen gäbe es in vielen Ländern. Das beruhigt mich nicht.

Es ist unser Land, das über die ganze Welt Unglück gebracht hat durch ein verbrecherisches, rassistisches Regime. Wir sind das Land der Shoa. Es gehört zum Gründungsmythos der Bundesrepublik, daß sie sich in nachdrücklicher Weise davon distanziert. Sie tut es durch das  Grundgesetz. Die militanten Anhänger der AfD verunglimpfen unsere Demokratie als „System“, das sie abschaffen wollen und Europa gleich dazu. Und in ihrer Islamfeindlichkeit und zunehmend  auch in der Kritik an Israels Politik verbirgt sich Antisemitismus. Teile der AfD werden vom Verfassungsschutz beobachtet. Die NPD, der die AfD immer mehr ähnelt, ist verfassungsfeindlich. Ein Verbot scheiterte in Karlsruhe nur daran, dass ihr Einfluss nur noch gering ist. Das ist heute bei der AfD anders. Heribert Prantl hält die Aussichten für ein Verbot  für gegeben. Er sieht in der AfD „einen braunen völkischen Kampfverband.“ Die AfD erhält flächendeckend Zuspruch. Früher war  die NPD in einigen Landtagen vertreten und nur zeitweise – und jetzt ist die AfD in allen. Wähler und Sympathisanten der AfD müssen sich bewusst werden, dass diese Partei in die Parteiverbotszone hineinwächst, ob man ein Verbot für sinnvoll hält oder nicht.

Rechtsextreme Strömungen und Parteien wurden in der Geschichte der Bundesrepublik immer unterschätzt. Der Feind stand „links“. In den siebziger Jahren waren neonazistische Kampftruppen eine Gefahr. Während der RAF-Bedrohung habe ich vergebens versucht, Aufmerksamkeit für rechtsextreme Gewalt zu erreichen. In den achtziger und neunziger Jahren gab es Serien von Gewalt bis hin zu zahlreichen Morden – und schließlich das Erschrecken über die NSU-Morde.

Die Lage hat sich verschlimmert. Anders als in den vergangenen Jahrzehnten hat der Rechtsextremismus heute ein Instrument, mit dem er motivieren und indoktrinieren kann. Es ist das Internet, missbraucht als Hassmaschine. Vor allem hat er heute einen neuen fruchtbaren Boden in den Umbrüchen der von  Digitalisierung und Globalisierung ausgelösten Zeitenwende.

Es ist also eine gefährliche Illusion, die  AfD vor allem als ein Ergebnis der Flüchtlingsbewegung von 2015 zu sehen oder generell als Ausfluss einer immer schon immer vorhandenen Fremdenfeindlichkeit. Diese spielt als Brandbeschleuniger sicher eine wichtige Rolle. Pegida ist aber schon vor 2015 entstanden. Jahrzehntelange Untersuchungen zeigen, wie stark  eine „gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ (Wilhelm Heitmeyer) seit langem in die Mittelschichten eingesickert ist. Und sie geht über Fremdenfeindlichkeit hinaus. Manches erinnert an die Endphase von Weimar.

Der Rechtsextremismus ist in eine neue Phase der Motivierung eingetreten. Er kann seine Anziehungskraft auf der Basis von Unsicherheit, Angst und Fortschrittsfeindlichkeit verstärken. Die Lage verführt dazu, sich kosmopolitischen Herausforderungen zu verweigern und das Heil rückwärtsgewandt am Stammesfeuer des völkischen Nationalstaats zu suchen und nicht etwa in einem starken Europa.

Finkelgruens Buch, so habe ich 1981 geschrieben, sei „eine Leistung der Gegenwart, ein Stück politischer Kultur für uns selbst“. Eine solche politische Kultur ist auch heute Gebot der Stunde.

Bartholomäus Schink und seine Kameraden haben Widerstand geleistet – unter Lebensgefahr gegen eine Diktatur. Weltweit riskieren Menschenrechtsverteidiger in Diktaturen auch heute Freiheit und Leben. Alles läuft nach den bekannten Mustern der Unterdrückung. Wir Deutsche haben nach der Erfahrung mit zwei Unrechtsstaaten das Glück, in Freiheit in einem nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nunmehr freien Europa zu leben. Unsere Aufgabe ist es, die Demokratie zu verteidigen, sie zu leben. Unsere Aufgabe ist es, mit denen unterstützend verbunden zu sein, die dieses Glück nicht haben.

Peter Finkelgruen ist ein Beispiel dafür, dass er nach dem schweren Schicksal, das er und seine Familie unter den Nazis erlitten haben, nicht resigniert hat. Er hat wichtige Beiträge zur Festigung einer demokratischen Kultur geleistet. Er hat maßgeblich daran mitgewirkt, den Widerstandskämpfern der Edelweißpiraten ihre Würde zurückzugeben – und das hat exemplarische Bedeutung. Er hat auch alles getan, um gegen heftige Widerstände das Naziunrecht an seiner Familie aufzuklären. Es hat mich sehr beeindruckt, mit welcher Energie er diese schmerzhaften Prozesse vorangetrieben hat. Auch das hatte exemplarische Bedeutung.

Er war in der liberalen Partei daran beteiligt, die alten rückwärtsgewandten Seilschaften abzulösen und eine Politik der inneren Reformen in Gang zu setzen .Der Kalte Krieg wurde  durch eine neue Deutschland- und Ostpolitik abgelöst, mit einer Politik, die nicht auf Revanche, sondern auf Anerkennung der Verhältnisse , also der Nachkriegsgrenzen beruhte.

Besonders wichtig war seine Rolle als Vertreter der Naumann-Stiftung in Israel. Ich habe ihn mehrfach dort besucht. Es ging ihm bei seiner Arbeit nicht nur um das Verhältnis der Deutschen zu Israel. Er hat sich intensiv um die Verbesserung der Beziehungen zwischen Israelis und Palästinensern eingesetzt. Wie weit war sie damals gediehen, vergleicht man das mit der heutigen Situation! Wichtige Netzwerke hat er damals geknüpft – mit Politikern beider Seiten und mit Intellektuellen. Ich erinnere mich an einen Besuch bei Amoz Os in dessen Kibbutz.

Antisemitismus ist immer noch lebendig in unserem Land – häufig versteckt in einer Kritik an der israelischen Politik – aber auch in Zusammenhang mit Angriffen auf die Freiheit der Religion des Islam.

Für alle, die sich über die Wurzeln menschenverachtender Intoleranz orientieren wollen und über die Wege, sie  zu bekämpfen, ist Finkelgruens Leben und sein Buch ein wichtiger Wegweiser.

Gerhart Baum war von 1972 bis 1994 Mitglied des Deutschen Bundestags und zwischen 1978 bis 1982 Innenminister im Kabinett Schmidt II.  Ab 1992 war Gerhart Baum für die UNO tätig. Auch nach seinem Ausscheiden aus der Politik engagierte er sich bis heute weiter für die Themen Bürgerrechten, Umweltschutz und Kulturpolitik.

„Soweit er Jude war…“
Moritat von der Bewältigung des Widerstandes. Die Edelweißpiraten als Vierte Front in Köln 1944…

Herausgegeben von Roland Kaufhold und Andrea Livnat
Wenn Sie diese Veröffentlichung unterstützen möchten, spenden Sie bitte an haGalil e.V. unter dem Stichwort „Edelweisspiraten“.


Die Buches liegt auch in Druckversion vor:

Peter Finkelgruen, „Soweit er Jude war…“ Moritat von der Bewältigung des Widerstandes. Die Edelweißpiraten als Vierte Front in Köln 1944, Hrsg. v. Roland Kaufhold, Andrea Livnat und Nadine Englhart, Hardcover, 352 S., ISBN-13: 9783752812367, Euro 39,90, Bestellen?

Paperback, Euro 17,99, Bestellen?
Ebook, Euro 9,99, Bestellen?

Bild oben: Am Edelweißpiraten-Denkmal Köln, © R. Kaufhold