Wir leben doch in Israel

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Meine Kinder können sich über nichts einigen, außer dass beide der einhelligen Meinung sind, dass ihre Mutter eine Noodnikit – auf gut Deutsch – eine Nervensäge ist. Dieser seltenen Harmonie auf meine Kosten konnte ich mich gestern wieder vergewissern…

Von Anita Haviv-Horiner

Wegen einer Bagatelle hatte ich mich mit meinem Sohn gestritten. Das kleine Familiendrama fand im Auto auf dem Weg zum heiligen Shabbatmahl des Haviv-Clans statt. Der an sich tiefen-entspannte und friedfertige Junior setzte auf Melodrama, das sonst eigentlich mein Terrain ist: “Wir sehen uns einmal die Woche ein paar Stunden und DU vergeudest sie mit Streit“,warf er mir lautstark vor.

Mein Hinweis, dass seine Sturheit unserer kostbaren Quality-Time genauso wenig zuträglich sei, konnte ihn nicht überzeugen.

Er geriet dermaßen außer sich, dass er drohte, unverrichteter Dinge zurück nach Tel Aviv zu fahren. Besonders schien ihn zu empören, dass ich – nachdem mein Fundus an rationalen Argumenten erschöpft war – die Keule der mütterlichen Autorität geschwungen hatte. Das sind israelische Söhne gar nicht gewohnt, daher überraschte es ihn, dass ich diesmal nicht einlenkte. Aus Rücksicht auf die anderen Familienmitglieder bestrafte er mich doch nicht so hart, und blieb gnädigerweise bei uns in Netanya.

Meine Tochter, die schon vorgefahren war, öffnete uns die Tür. Sie erkannte auf den ersten Blick, dass Alarm angesagt war, und manövrierte mich auf ihre resolute Art ins Badezimmer. Am Wannenrand wollte sie Information über das Geschehen aus mir herausquetschen. Ihre Anteilnahme löste bei mir einen heftigen Tränenschub aus. Doch gerade als ich ihr mein Herz ausschütten wollte, wurde das Essen serviert. So wusch ich mir nur schnell das Gesicht und gesellte mich zu den Anderen.

Der Abend verlief auch weiterhin recht unharmonisch, da sich die hitzige Diskussion mit Daniel in eisiges Schweigen gewandelt hatte. An diesem Abend war ich recht erleichtert, als ich endlich wieder nach Hause aufbrechen durfte.

Im trauten Heim wollte meine Tochter nun endlich in Erfahrung bringen, wie ihr Bruder es geschafft hatte, mich dermaßen in Hysterie zu versetzen. Als ich ihr kleinlaut gestand, dass es um einen verlorenen Wohnungsschlüssel ging, schaute ausgerechnet sie – DIE Drama-Queen par excellence – mich entrüstet an:

„Wegen eines Schlüssels machst Du so ein Theater? Hast du nicht genug andere Sorgen?
Wir leben doch in Israel.“

Bild oben: Tscholent, traditionelles Schabbat-Essen, (c) Gilabrand, wikicommons