Di frumn Jiddn fun Eichstätt

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Jüdische Bewohner des DP-Camps Landwirtschaftsschule in Eichstätt. Zeichnungen des Zeitzeugen Alfred Gimmler, Repro: nurinst-archiv

Vor 70 Jahren löste sich die orthodoxe jüdische Gemeinschaft in der bayerischen Bischofsstadt auf…

Von Jim G. Tobias

»Die Juden stiegen in das Wasserbecken und tauchten dann dreimal vollständig unter«, berichtet Alfred Gimmler. Er war in der Nachkriegszeit als Hausmeister und Schabbes-Goj in einer Eichstätter Unterkunft für heimatlose Juden, sogenannten Displaced Persons (DP), beschäftigt und kann sich noch lebhaft daran erinnern, wie sich die Männer vor dem Schabbat in der Mikwe rituell reinigten.

Zwischen 1946 und 1949 lebte im Gebäude der früheren Landwirtschaftsschule eine Gruppe von orthodoxen Juden, die es ablehnten, im großen DP-Hauptlager in der Jägerkaserne, am Rande der oberbayerischen Stadt, untergebracht zu werden. Sie zogen es vor, im Schatten des Eichstätter Doms, in Ruhe und abgesondert von allen weltlichen Versuchungen, ihr frommes Leben zu führen.

Die bayerische Bischofsstadt beherbergte in der unmittelbaren Nachkriegszeit zeitweise mehr als 1300 jüdische DPs, osteuropäische Überlebende der Schoa, die auf ihre Emigration nach Israel oder Übersee warteten. Die letzten deutschen Juden waren 1938 vertrieben worden. Die temporären DP-Unterkünfte waren von der internationalen Hilfsorganisation UNRRA eingerichtet worden und unterstanden deren Verwaltung. Trotzdem verfügten die Bewohner über ein großes Maß an Autonomie. Regelmäßig fanden demokratische Wahlen für die Selbstverwaltungsorgane statt. Es wurden eigene Schulen, Kindergärten und Sportvereine gegründet.

Auch das kulturelle Leben blühte. Auf der Lagerbühne wurden jiddische Stücke aufgeführt und Konzerte gegeben. Das sportliche und kulturelle Angebot fand hauptsächlich in der Jägerkaserne statt und wurde insbesondere von deren Bewohnern genutzt.

Die fromme Gemeinschaft in Eichstätt beschäftigte sich hingegen hauptsächlich mit dem Studium von Tora und Talmud. Schon nach kurzer Zeit hatten die orthodoxen Juden eine Betstube und eine Mikwe eingerichtet. Eine Gruppe von 20 Männern besuchte im Sommer 1947 die lagereigene Jeschiwa, darüber hinaus unterrichteten zwei Lehrkräfte 34 Jungen in einem Cheder. Lehrer und Schüler waren offensichtlich Anhänger des als Chafez Chaim bekannten Rabbiners Israel Meir Ha-Kohen (1838–1933), ein großes Porträt des berühmten talmudischen Gelehrten im Gebäude verweist auf die Verbundenheit.

Bei den Wahlen für die Selbstverwaltungsgremien entschieden sich die Bewohner der Landwirtschaftsschule mehrheitlich für die Liste der Agudas Israel, eine antizionistische religiös-orthodoxe Bewegung, die die Ansicht vertrat, dass der Staat Israel nicht von Menschen, sondern nur durch die Ankunft des Messias ins Leben gerufen werden könne. Erst zögerlich revidierte die Organisation diesen Standpunkt und engagierte sich beim Aufbau des jüdischen Staates.

Unterstützung erhielten die Strenggläubigen von der Organisation Vaad Hatzala (zu Deutsch: Rettungskomitee), die von der Union der orthodoxen Rabbiner der Vereinigten Staaten und Kanadas gegründet worden war und Geld, Torarollen, Gebetbücher, Tallitot und Tefillin verteilten. Mit Interesse betrachtet Hausmeister Gimmler die für ihn fremden Rituale, wenn sich die Gläubigen zum Gebet versammelten. »Beim Beten schnürten sich die Juden Riemen um die Arme und banden sich ein kleines Kästchen an den Kopf«, erinnert er sich.

Am Schabbat und an den jüdischen Feiertagen schaltete er in seiner Funktion als Schabbes-Goj auch das Licht an und aus und schürte im Winter die Öfen an. Im Keller des Anwesens gab es auch eine kleine Bäckerei, in der am Freitag »geflochtene Brote«, wie Gimmler die Challot bezeichnet, gebacken wurden. Der Zeitzeuge erinnert sich auch noch, dass die jüdischen Bewohner im Herbst eine zeltähnliche Hütte im Hof aufstellten. Damit meinte er offenbar die Sukka, in der sich die Menschen zum Laubhüttenfest versammelten.

Die orthodoxe jüdische Gemeinschaft bestand bis 1949. Nach den Erinnerungen von Alfred Gimmler reisten die meisten Bewohner nach Israel aus. Nicht wenige zog es aber auch in die USA, für sie zimmerte der Hausmeister eigens »große hölzerne Überseekisten«. Im Laufe des Jahres wurde dann auch das Lager in der Jägerkaserne aufgelöst.

Der Beitrag erschien am 29.08.2019 zuerst in der Jüdischen Allgemeinen unter dem Titel „Religieze Jidden“

Bilder: Jüdische Bewohner des DP-Camps Landwirtschaftsschule in Eichstätt. Zeichnungen des Zeitzeugen Alfred Gimmler, Repro: nurinst-archiv

Weitere Informationen über die jüdische Orthodoxie in den DP-Camps finden Sie unter:
http://www.talmud-thora.de