Die Westfield Story

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Vor genau 60 Jahren legten Holocaust‐Überlebende den Grundstein für das bekannte Mall‐Imperium…

Von Jim G. Tobias
Zuerst erschienen in: Jüdische Allgemeine v. 01.07.2019
Bild oben: Die Westfield Mall im Westen Sydneys kurz nach ihrer Eröffnung im Sommer 1959, Foto: Courtesy of Scentre Group, the Owner and Operator of Westfield in Australia and New Zealand

»Zwei bekannten jüdischen Geschäftsleuten aus Sydney ist es gelungen, der Stadt und dem Einzugsgebiet alle Vorzüge des City Shopping näherzubringen«, berichteten die »Sydney Jewish News« in ihrer Ausgabe vom 17. Juli 1959. Wenige Tage zuvor, am 2. Juli, war die erste Shopping Mall, ein Einkaufszentrum nach amerikanischem Vorbild, im Großraum Sydney eröffnet worden.

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Die Westfield Mall im Westen Sydneys kurz nach ihrer Eröffnung im Sommer 1959
Foto: Courtesy of Scentre Group, the Owner and Operator of Westfield in Australia and New Zealand
Die Westfield Mall im Westen Sydneys kurz nach ihrer Eröffnung im Sommer 1959, Foto: Courtesy of Scentre Group, the Owner and Operator of Westfield in Australia and New Zealand

»Das Zentrum mit seinen vielen Spezial‐ und Fachgeschäften bietet für jeden etwas«, unterstrich der Journalist. Bislang kannten die Australier nur diese kleinen Einzelhandelsläden. Ein riesiges überdachtes Einkaufsparadies mit kostenlosen Parkplätzen und einer breiten Angebotspalette, wie es die beiden Einwanderer John Saunders und Frank Lowy nun erbaut hatten, war ein absolutes Novum.

Saunders und Lowy immigrierten erst Anfang der 50er‐Jahre nach Australien. Beide hatten in Osteuropa die Schoa überlebt und waren auf der Suche nach einer neuen Heimat. Australien bot ihnen nicht nur ein sicheres Zuhause, sondern gab ihnen auch die Möglichkeit für einen erfolgreichen Neustart. Während John Saunders eine Milchbar eröffnete, arbeitete Frank Lowy zunächst in einer Fabrik und verdingte sich danach als Lkw‐Fahrer, der Lebensmittelläden und kleine Restaurants belieferte. Dabei lernte er Saunders kennen – ein Zusammentreffen, das ihr Leben grundlegend ändern sollte.

Schon bald gingen die beiden Männer ein gemeinsames Projekt an: Sie eröffneten einen Delikatessen‐Laden (Deli) im Vorort Blacktown, etwa 30 Kilometer vom Stadtzentrum Sydneys entfernt. Dort lebten viele Emigranten aus Europa, die sehnsüchtig darauf warteten, ihre gewohnten Lebensmittel einkaufen zu können: Roggenbrot, Salzheringe, Salami, Oliven, saure Gurken oder einen guten Espresso.

Alteingesessene Australier ernährten sich nach britischer Tradition von Baked Beans on Toast, Porridge oder Vegemite‐Sandwiches, Weißbrot mit einem Aufstrich aus Hefe‐Extrakt, und ein wirklich guter Kaffee waren kaum zu finden.

Frank & Johns Deli entwickelte sich gut, Kunden nahmen weite Strecken in Kauf, um an echte europäische Produkte zu gelangen. Ihre Gewinne legten die beiden Geschäftsleute im Immobiliengeschäft an, denn immer mehr Zuwanderer aus Europa suchten nach Wohnraum. Saunders und Lowy kauften Farmland, um dort neue Siedlungen zu errichten.

Als in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft ein Investor statt Häusern Ladenlokale baute, erkannten auch Saunders und Lowy, dass es sich lohnen würde, weiter in Gewerbeimmobilien zu investieren. Zu dieser Zeit boomte das Phänomen Shopping Malls bereits in den USA. In Australien gab es zaghafte Versuche, ebenfalls solche Konsumpaläste zu errichten. John Saunders flog daher in die Vereinigten Staaten, um Genaueres zu erkunden. Ein entsprechendes Grundstück hatten sich die beiden Partner allerdings bereits gesichert.

Der Planung folgten Taten: Eines Tages, als John und Frank auf dem Weg nach Hause waren, diskutierten sie über den Namen ihres Unternehmens. Da es im Westen des Großraums Sydney entstehen sollte und diese Region noch eher ländlich strukturiert war, wählen sie den Namen Westfield. »Damals träumten sie nicht einmal davon, dass Westfield in Australien mal eine ebenso berühmte Marke werden würde wie die großen Handelsketten Woolworth oder Coles«, schreibt Jill Margo, Frank Lowys Biografin.

Die offizielle Eröffnung des Westfield Plaza im Juli 1959 war das größte Ereignis in Blacktown seit den Feierlichkeiten zur Elektrifizierung der Eisenbahnlinie im Jahr 1955. Die Menschen strömten herbei, um das neue Einkaufsparadies zu sehen und zu erleben. Mit einem Supermarkt, einem Kaufhaus und zwölf Geschäften, die sich um einen Innenhof gruppierten, galt die Westfield Plaza auch als ein vielbeachtetes Schaufenster, das die neuesten Trends und Errungenschaften präsentierte.

John Saunders hatte bei seinem Besuch in den USA die zunehmende Bedeutung des Autos erkannt. Westfield stellte daher seinen Kunden kostenlose Parkplätze zur Verfügung. Doch noch weiterer Komfort wartete auf die Kunden: »Eine Grünanlage mit Parkbänken und Kinderspielplatz schafft eine familiäre Atmosphäre«, lobten die »Sydney Jewish News«. »Sie machen den Einkauf zu einem angenehmen Erlebnis, bei dem auch Geld und Zeit gespart werden kann.«

Die offizielle Einweihung des Zentrums erfolgte durch den australischen Wirtschaftsminister James Joseph Maloney. Danach richtete Frank Lowy einige Worte an die rund 150 Ehrengäste. Da er zu dieser Zeit Englisch noch mit ungarischem Akzent sprach, war er sehr überrascht, dass ihn überhaupt jemand verstanden hatte, gestand er seiner Biografin. Lowy unterhielt sich mit seinem Partner Saunders hauptsächlich Ungarisch. Auch viele Führungskräfte bei Westfield waren ungarischsprachige Juden. Die meisten Konferenzen wurden daher auf Ungarisch abgehalten.

Frank Lowy wurde 1930 als Pinchas Jonah Lowy geboren. Die streng religiöse jüdische Familie lebte in dem kleinen Dorf Filakovo in der südlichen Tschechoslowakei, nahe der Grenze zu Ungarn.

Die Nationalsozialisten ermordeten Vater Hugo. Bruder Alex überlebte das KZ Mauthausen. Mutter Ilona, Frank und seine Geschwister Edith und John überlebten mit falschen Identitäten in Budapest. Nach der Niederschlagung des Nationalsozialismus entschied sich Lowy, beim Aufbau des jüdischen Staates mitzuhelfen, und verpflichtete sich für die Hagana. »Es war ein spontaner, freiwilliger Akt, ohne Fragen zu stellen«, zitiert ihn die Zeitung »Haaretz«.

»Mitzukämpfen war für mich die natürlichste Sache der Welt.« Im israelischen Unabhängigkeitskrieg diente er unter anderen in der Golani‐Brigade und war an zahlreichen Kampfeinsätzen beteiligt.

Währenddessen waren seine Mutter und zwei Geschwister nach Australien emigriert. Bald bekam Frank Lowy Sehnsucht nach seiner Familie.

Zusammen mit seinem Bruder John, der nach dem Krieg auch nach Eretz Israel gegangen war, landeten die beiden Brüder an einem schönen Sommertag im Januar 1952 auf dem Flughafen von Sydney. »Ein neues Leben in einem neuen Land wartete auf ihn«, schreibt Jill Margo.

Frank Lowy griff mit beiden Händen zu. Die Westfield Corporation Limited unterhielt Shopping Malls in Australien, Neuseeland, Großbritannien und den USA. Westfield wurde in der englischsprachigen Welt zum Synonym für die Einkaufszentren. Bis in die 80er‐Jahre betrieben Frank Lowy und John Saunders ihr Unternehmen, dann trennten sie sich. Lowy übernahm alle Anteile. Saunders starb 1997 an einem Herzinfarkt.

Frank Lowy führte Westfield bis 2010, dann übergab er im Alter von 80 Jahren das Unternehmen an seine Söhne.

Frank Lowy at the 2013 March of the Living, Foto: Dominique Rui-Lin Teoh, Wiki Commons

2017 verkaufte die Familie Lowy die Westfield Shopping Centres an einen französischen Konzern. Rechtzeitig, denn die erfolgreichen Zeiten dieser Kathedralen des Konsums scheinen endgültig vorbei zu sein. Der Niedergang, insbesondere in den USA, ist nicht zu übersehen. Ganze Etagen stehen leer, Kunden verirren sich kaum mehr in die gigantischen Komplexe, und auf den riesigen Parkplätzen durchbricht das Gras den Asphalt.

Inzwischen finden sich unter dem Begriff Dead Mall eigene Internetseiten, und es gibt sogar einen Wikipedia‐Eintrag. Frank Lowy jedoch haben seine Shopping Malls Wohlstand gebracht. Nach Angaben des »Forbes‐Magazins« gehört er zu den reichsten Männern Australiens. 2017 schlug ihn die britische Königin zum Ritter. Im Mai 2019 machte Frank Lowy Alija: „Ich fühle, dass ich zu Hause bin“, erklärte er gegenüber dem israelischen TV-Sender Channel 12. „Das ist alles – sehr einfach.“

Neue Heimat am Ende der Welt