Frische Gesichter, alte Hasen und ein paar Rekorde

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Die Israelis haben gewählt und nun liegt es an den Verantwortlichen, eine neue Regierung zu bilden. Grund genug zu fragen, wer alles in der nächsten Knesset vertreten ist – eine Wahlnachlese…

Von Ralf Balke

Die Würfel sind gefallen und das Wahlkampfgetöse in Israel ist langsam wieder abgeebbt. Jetzt liegt der Ball beim Staatspräsidenten Reuven Rivlin. Er muss nun denjenigen mit der Bildung einer neuen Regierung beauftragen, der seiner Einschätzung zufolge die besten Chancen hat, eine funktionierende Koalition auf die Beine zu stellen, die mindestens 61 der 120 Abgeordneten in der Knesset auf sich vereinigen kann. Dafür hat die von Rivlin ausgewählte Person eine Frist von genau 28 Tagen. Falls es in diesem Zeitraum nicht klappen sollte, besteht die einmalige Möglichkeit, eine Verlängerung von weiteren 14 Tagen zu gewähren. Das muss nicht zwangsläufig der Vertreter der stärksten Partei sein, dem diese Aufgabe dann zukommt. Beispielsweise ging in den Wahlen zur Knesset im Jahr 2009 Tzipi Livni und ihre Kadima-Partei als Sieger hervor – wenn auch nur mit einem Sitz mehr in der Knesset als der Likud. Doch weil sie es nicht schaffte, eine Koalition zusammenzuzimmern, wurde Benjamin Netanyahu damit betraut und schließlich Ministerpräsident. Und trotz aller persönlichen Aversionen, die Rivlin gegenüber dem alten Ministerpräsident hegt, wird er wohl erneut Netanyahu den Auftrag erteilen, eine Regierung zu bilden.

Zwar ging in den Wahlen zur 21. Knesset am 9. April der Likud als knapper Sieger hervor. Doch mit 36 Abgeordneten ist man weit von einer Mehrheit entfernt, so dass nun die Suche nach den geeigneten Koalitionspartnern beginnt. Diese machen ihre Regierungsbeteiligung selbstverständlich davon abhängig, in wie weit ihre politischen Positionen berücksichtigt werden. Ebenso von der Frage, wer welchen Ministerposten erhält. Mit großer Wahrscheinlichkeit wird ein Bündnis aus sechs Parteien die Geschicke des Land in den kommenden Jahren bestimmen. Dazu zählen mit Sicherheit die beiden politischen Vertretungen der Orthodoxie, namentlich Shass und die Partei Vereinigtes Torah Judentum, die Vereinte Rechte sowie die zentristische und wirtschaftsliberale Kulanu-Partei und die nationalistische Israel Beitenu von Ex-Verteidigungsminister Avigdor Lieberman. Auf diese Weise würde man auf wohl 65 Sitze in der Knesset kommen – also die Mehrheit stellen. Doch so eine Sechs-Parteien-Koalition kann eine recht wackelige Angelegenheit sein und die nächste Krise ist damit quasi schon vorprogrammiert. Aber was die Zahl der Akteure angeht, wäre man immer noch weit entfernt von der 24. Knesset aus den Jahren zwischen 1990 und 1992. Damals bestand die Regierung von Ministerpräsident Jitzchak Schamir sogar aus einer Elf-Parteien-Koalition.

Die Alternative zu dem Sechs-Parteien-Modell wäre eine Art Koalition der nationalen Einheit zwischen dem Likud und seinem Herausforderer Blau-Weiß. Diese Kombination hätte eine solide Mehrheit von 71 Mandaten und wäre in der israelischen Geschichte kein Novum. Bereits in den 1980er Jahren hatte es eine ähnliche Konstellation gegeben, als der Likud mit Jitzchak Schamir und die Arbeiterpartei mit Schimon Peres an der Spitze ein Bündnis eingegangen waren und sich beim Regieren dann abwechselten. Zudem würde eine solche Koalition in Zahlen gerechnet den Willen der Mehrheit der israelischen Wähler widerspiegeln – schließlich hatten 54 Prozent von ihnen diesen beiden Parteien ihre Stimme gegeben. Der Vorteil: Eine Likud-Blau-Weiß-Regierung wäre in zentralen Fragen deutlich handlungsfähiger und nicht so von den kleinen Parteien mit ihren Partikularinteressen abhängig und erpressbar, allen voran von den politischen Repräsentanten der Orthodoxie. Obwohl diese Kombination rein rechnerisch kein Problem darstellt und auch die inhaltlichen Positionen zwischen den beiden Lagern in wesentlichen Punkten fast identisch sind, haben ihre jeweiligen Spitzen einem solchen Bündnis eine Absage erteilt – für den Moment jedenfalls.

Was jedoch jetzt schon gesagt werden kann: In der 21. Knesset nehmen Vertreter aus elf Parteien Platz. Angetreten um die Gunst der Wähler waren zum Schluß 39 Parteien – ein Rekord in der Geschichte des Landes. 13 bis 14 von ihnen hatte man ursprünglich eine Chance zum Einzug gegeben. Aus deutscher Perspektive ist die Zahl der im Parlament vertretenen Parteien recht groß, aber immer noch weit entfernt vom dem Ergebnis der Wahlen zur 15. Knesset im Jahr 1999. Damals zogen fünfzehn Gruppierungen ein. Die vor wenigen Jahren eingeführte 3,25 Prozent-Hürde sorgt dafür, dass nicht zu viele Parteien oder Splittergruppen in der Knesset Flagge zeigen können. Zur Wahl selbst sind am 9. April genau 4.335.320 Israels gegangen, also 68,4 Prozent der 6.335.387 Wahlberechtigten. Die Wahlbeteiligung war damit etwas geringer als noch 2015, als ziemlich genau 72 Prozent daran teilnahmen. Der Likud kann übrigens einen Rekord vermelden: 1.140.283 Israelis hatten ihm die Stimme gegeben, so viele wie noch nie zuvor bei einem Urnengang. Zum Vergleich: Blau-Weiß wurde von 1.125.820 Israelis gewählt. Auffällig ist ebenfalls das Gefälle zwischen der neuen Listenverbindung von Benny Gantz und Yair Lapid sowie der sephardisch-orthodoxen Shass-Partei, die gerade einmal 258.254 Stimmen brauchte, um auf Platz drei zu kommen. Weder Schass, noch die übrigen acht Parteien konnten sechs Prozent der Stimmen erhalten, was auf die Tendenz zurückzuführen ist, dass die meisten von ihnen nur ein kleines Segment der israelischen Gesellschaft erreichen können. Unter den israelischen Arabern dagegen hatte sich eine gewisse Wahlmüdigkeit breit gemacht. Nach einer Rekordbeteiligung von 63,7 Prozent im Jahr 2015, waren es diesmal nur 52 Prozent, die am 9. April wählen gingen. Die Ursache für dieses auffällige Minus: Die in die Vereinte Arabische Liste gesetzten Hoffnungen, die viele damals dazu motiviert hatten, ihre Stimme abzugeben, sollten sich nicht erfüllen. Das Zweckbündnis aus Kommunisten, Sozialisten und Islamisten war auch wieder auseinandergefallen, weshalb mit Hadash-Ta’al und Ra’am-Balad gleich zwei konkurrierende Listenverbindungen an den Start gegangen waren, die mit zusammen zehn Abgeordneten nun drei Parlamentarier weniger in die Knesset entsenden werden als die alte Vereinte Arabische Liste.

Auch die Zahl der Knesset-Abgeordneten, die erstmals im Parlament Platz nehmen werden, stellt einen Rekord dar: Es gibt 49 neue Gesichter, rund die Hälfte von ihnen sind auf dem Blau-Weiß-Ticket in die Knesset gewählt worden, der Likud entsendet zwölf Neulinge. Rückläufig dagegen ist die Zahl der weiblichen Volksvertreter. Als die 20. Knesset mit ihrer Arbeit aufhörte, gab es 35 Frauen im Parlament. Angefangen hatte man mit 29, aber durch Nachrückerinnen und andere Gründe wuchs ihre Gruppe im Laufe der Jahre auf 35. Nun sind es wieder 29, zehn davon aus dem Likud, ebenfalls zehn stellt Blau-Weiß. Die übrigen verteilen sich auf die anderen Parteien mit Ausnahme von Shass sowie dem Vereinigten Torah Judentum, die prinzipiell gegen Frauen in der Politik sind und sich in ihrer Meinung auch von keinem Obersten Gerichtshof hineinreden lassen. Mit Gadeer Mreeh zieht die erste weibliche Parlamentarierin aus der Gruppe der Drusen in die Knesset. Auch drei äthiopische Abgeordnete wird es geben. Fünf Knesset-Mitglieder leben offen schwul-lesbisch. Die „Senioren“ in der kommenden Knesset heißen Benjamin Netanyahu, Tzahi Hanegbi, beide Likud, sowie Moshe Gafni von der Partei Vereinigtes Torah Judentum, und Amir Peretz von der Arbeiterpartei. Sie alle sind zum zehnten Male in einer Knesset präsent – aber immer noch weit entfernt vom Rekordhalter Schimon Peres, der genau vierzehn Mal im Parlament saß.

Schwund verzeichnen in der 21. Knesset ebenfalls die arabischen Abgeordneten. Gab es 2015 noch 17 Abgeordnete aus der arabischen-israelischen Community, so sind es jetzt nur noch zehn. Neun davon stammen von den beiden arabischen Listenverbindungen, die als zehnten Abgeordneten mit Ofer Kassif auch einen antizionistisch eingestellten jüdischen Dozenten ins Parlament entsenden. Der zehnte arabisch-israelische Abgeordnete, Issawi Frij, sitzt für die Linkszionisten von Meretz in der Knesset, die ungefähr ein Viertel ihrer Stimmen von arabischen Israelis erhalten hatte. Auch 8.000 Drusen hatten für Meretz gestimmt, weil auf Platz Fünf ihrer Liste mit Ali Salalha ein Repräsentant ihrer Gemeinschaft zu finden war, jedoch den Einzug in die Knesset nicht schaffen sollte.

Wer seinen Platz in der Knesset nun räumen muss, sind Ex-Justizministerin Ayalet Shaked sowie Ex-Bildungsminister Naftali Bennett, deren Parteineugründung Neue Rechte mit 3,22 Prozent der Stimmen denkbar knapp an der 3,25 Prozent-Hürde scheiterte. Gehen muss ebenfalls Ayoub Kara, ein Druse, der für den Likud in der 15., 16. sowie 18. und 20. Knesset saß und im Februar einige Parteikollegen als „Nazis“ beschimpfte, weil er trotz der Tatsache, dass er ein loyaler Netanyahu-Getreuer ist, keinen aussichtsreichen Listenplatz erhalten hatte. Dieses Schicksal teilt Kara mit dem Enfant Terrible des Likuds, Oren Hazan, der nicht nur wegen seiner Selfies mit US-Präsident Donald Trump einfach nur nervte, sondern aufgrund rassistischer Beleidigungen in Serie sowie schmutziger Geschäfte mit Kasinos in Bulgarien untragbar geworden war. Auch bei der Arbeiterpartei wird man sich von vielen bekannten Gesichtern verabschieden müssen. Sie kann gerade einmal sechs Abgeordnete stellen, 2015 waren es in der Listenverbindung Zionistische Union noch 19 Knesset-Abgeordnete aus der altehrwürdigen Mifleget Avoda. Ihr Vorsitzender Avi Gabbay dürfte ebenfalls bald Geschichte sein. Doch wenn wie zu erwarten die nächste Regierung aus einer Sechs-Parteien-Koalition bestehen wird, dann könnte es sicher nicht lange dauern, bis die Israelis zu den Wahlen für die 22. Knesset aufgerufen werden und die Karten wieder neu gemischt werden.