Von solchen und anderen Polen

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„Polen sind Antisemiten wie die Deutschen auch“ – Ein Satz, den man oft zu hören bekommt und der leider noch viel zu oft zutrifft, aber eben nur oft, und nicht immer. Ebenso wie die deutsche Gesellschaft von heute zahlreiche Schattierungen und Grautöne kennt, man denke nur an die Fraktionen im Deutschen Bundestag, so auch die polnische…

Von Robert Schlickewitz

Befragt man aufgeschlossene, intellektuelle, moderne Polen, im vorliegenden Fall einen literarischen Übersetzer aus Warschau, kann man interessante Einblicke in die polnische Gesellschaft gewinnen. Demnach soll es möglich sein, die Gesellschaft unseres östlichen Nachbarlandes in drei Ebenen, in Polen, Antisemiten und „Normale“ zu unterteilen und daraus gewisse Schlüsse zu ziehen.

Die Ebene der Polen ließe sich, wie anderswo nicht anders, in Linke und Rechte, Fortschrittliche und Konservative, in Umweltbewusste und Nicht-Umweltbewusste, Internationalisten, „Europäer“, Europagegner, Nationalisten, katholische Fundis, Antikatholische, sowie kleinere weitere Gruppierungen aufspleißen.

Betrachtet man die Ebene der Antisemiten, ergibt sich folgendes, sich nicht selten auf den geschichtlichen Hintergrund beziehendes Bild.

Gewisse Polen führten die Ermordung von Angehörigen der (Hitler bekriegenden) Heimatarmee in der Stalin-Ära auf jüdischen Einfluss zurück und definierten daraus ihre Haltung. Andere glaubten, dass der gesamte Kommunismus, seit der Oktoberrevolution, ein Werk der Juden war. Somit würden auch all jene „verlorenen Jahrzehnte, die Polen in seiner Entwicklung nachzuholen“ habe, auf das Konto der Juden gehen. Wieder andere Antisemiten bezögen ihre tiefe Abneigung aus der christkatholischen Überzeugung, die Juden seien für den Tod ihres Herrn Jesus verantwortlich. Schließlich gäbe es noch polnische Nazis, so wie es diese auch in anderen europäischen Ländern gäbe; diese seien „per se“ Antisemiten, weil Nazis eben Judenhasser sein müssten.

Unter den Wählern und Politikern der regierenden PIS-Partei gäbe es, so der Informant, Antisemiten und Nichtantisemiten, ebenso wie in den anderen im Sejm vertretenen Parteien.

Nun zur dritten Gruppe, der der „normalen“ Polen. auch sie scheint alles andere als homogen zu sein, außerdem dürften sich unter ihnen einige befinden, die sich dagegen wehren würden, mit anderen „normalen“ in Zusammenhang gebracht zu werden.

Unter die „Normalen“ zu zählen seien Polen, die nichts gegen Juden hätten, Polen, die sich im Gegenteil als judenfreundlich einschätzen würden. Darunter Leute, die sich Emaille- oder Holztäfelchen mit gutgelaunten Sinnsprüchen in Küche oder Flur hängen würden. Sprüche wie: „Den Juden im Haus und Geld in der Tasche“. Für Menschen diesen Schlags seien Juden Glücksbringer.

Andere kauften sich, bei ganz ähnlicher Gesinnung, künstlerisch wenig anspruchsvolle Holzfiguren aus heimisch-polnischer Fertigung, die fromme Juden darstellten wie sie etwa in den berühmten Werken von Roman Vishniac (1897-1990) „Polish Jews“ und „A Vanished World“ zu sehen sind. Gewöhnlich begegneten Polen, „normale“ Polen, die solche Figuren besäßen skeptischen oder fragenden Blicken ihrer Gäste mit der gleichsam entschuldigenden Bemerkung: „Sie sind ein Teil von uns!“

Wieder andere, ganz „normale“ Polen würden als Marktstandbesitzer-Kleinhändler, vorwiegend in Kroke (Krakau) allerlei Judaica verscherbeln, darunter, neben jenen Holzfiguren, noch allerlei Krimskrams mit und ohne Davidstern, aber in jedem Falle als „original-jüdisch“ sofort erkennbar. Nachgemachte Armbinden wie frisch aus dem KZ, nur sauber und neu, mit der Aufschrift „Ghetto-Polizei“ oder „Oberkapo“ plus blauer Davidstern in der Auslage könnten allerdings den Schluss nahe legen, dass dieser Verkäufer vielleicht doch nicht so ganz zu den „Normalen“ zu zählen ist, aber, wir wollen ja hier nicht richten.

Wen noch zählte der Kenner seiner Landsleute unter die „normalen“ Polen?

Zeitgenossen, die jüdische oder israelische Freunde oder Bekannte haetten und sich von diesen Erez zeigen und erklären ließen, und nach der Rückkehr dem kleinen Land auch weiterhin mit Sympathie und Interesse begegnen würden, zum Beispiel.

Oder jene Breslauer Grundschullehrerin, die mit ihren Schülern einhundert gelbe Narzissen bastelte, jene Symbole des Aufstandes im Warschauer Ghetto. Sie wurden am diesjährigen Jahrestag des Ereignisses, am 19. April, auf dem Marktplatz der schlesischen Metropole an Passanten verteilt. Ganz „normale“ Polen steckten sie sich an ihre Kleidung und trugen sie sichtbar.

Selbst der polnische Präsident Andrzej Duda wurde bereits mit einer gelben Papp-Narzisse am Revers gesichtet.

Ob auch er zu den „Normalen“ gehört?

Bild oben: Straßenmarkt in Krakau

Hinweis: 
Der eingebundene Twitter Beitrag zeigt den Bericht vom israelischen Fernsehsender Kan zu einer traditionellen Oster-Veranstaltung in der polnischen Kleinstadt Pruchnik, bei der einer antisemitisch überzeichneten Judas-Puppe der Prozess gemacht wird. Auch in Bayern gab es diesen Brauch noch bis in die 1970er Jahre, siehe: Bayerisches Brauchtum bizarr: „Der Jud muß verbrannt werden!“