Da waren es plötzlich zwei

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Ayman Odeh, (c) Anan Maalouf

Bei den Wahlen 2015 gingen vier arabische Parteien erstmals mit einer gemeinsamen Liste an den Start. Auf diese Weise wollten die israelischen Araber ihr politisches Gewicht vergrößern. Doch mit der Einigkeit ist nun wieder Schluss…

Von Ralf Balke

Mehr Wahlfreiheit muss nicht immer von Vorteil sein. Genau das hatten sich wohl auch die Spitzen der vier arabischen Parteien Hadash, Balad sowie Ta’al und Ra’am gedacht und im Januar 2015 die Vereinte Liste ins Leben gerufen. Auf diese Weise wollte man nicht nur den Stimmen der israelischen Araber mehr politisches Gewicht geben, sondern vermeiden, dass die eine oder andere ihrer Gruppierungen bei den Wahlen zur Knesset am 17. März 2015 an der neu eingeführten 3,25 Prozent-Hürde scheitert. Treibende Kraft hinter dem Zusammenschluss war der damals 40-jährige Rechtsanwalt Ayman Odeh aus Haifa, der selbst der linken arabisch-jüdischen Hadash angehört, die ihre Wurzeln wiederum in der kommunistischen Partei des Landes hat. „Wir wollen in der Politik endlich eine zentrale Rolle spielen“, brachte er die Idee dahinter auf den Punkt. Und sein Listen-Kollege Masoud Ganaim von der Islamischen Bewegung ergänzte: „Die Leute sagten zu uns immer, dass die Antwort auf unsere Probleme nur die Einigkeit sein kann.“ Schließlich repräsentieren die israelischen Araber rund ein Fünftel der Bevölkerung – auf der politischen Bühne waren sie aber aufgrund unterschiedlicher Interessen eher immer die Zwerge, weil sie es nie geschafft hatten, ihr demographisches Gewicht in politische Münze umzuwandeln. 2015 ging das Konzept auf, zumindest für den Moment. Denn bei den Wahlen vor knapp vier Jahren erhielt die Vereinte Liste satte 13 Knesset-Sitze und wurde aus dem Stand heraus zur drittstärksten Fraktion. Auch die Wahlbeteiligung der israelischen Araber war durch sie sprunghaft angestiegen, und zwar von 55 Prozent im Januar 2013 auf 64 Prozent im März 2015.

Um so überraschender erscheint es daher auf den ersten Blick, dass man jetzt wieder getrennt marschieren möchte. Denn als zum Stichtag am 21. Februar bei der Wahlkommission alle Listen mit den Kandidaten der Parteien eingereicht wurden, die bei den Wahlen am 9. April antreten wollen, zeigte sich der Riss. Hadash und Ta’al haben eine gemeinsame Plattform gebildet, ebenso wie Balad und Ra’am. Während die zentristischen jüdischen Parteien von Benny Gantz und und Yair Lapid sich zur Liste Blau-Weiß vereint hatten und auch im rechten Spektrum zahlreiche Gruppierungen irgendwie zueinander fanden, um Wählerstimmen zu bündeln, gehen die israelischen Araber offensichtlich den umgekehrten Weg. „Im Interesse der arabischen Öffentlichkeit und aller demokratischen Kräfte wird unsere Liste eine vereinte Front bilden und damit eine wirklich linke Alternative sein“, verkündete Ayman Odeh, der auf Platz Eins der Hadash-Ta’al-Listenverbindung steht. Nun haben die Wähler gleich zwei arabische Gruppierungen zur Auswahl. Der Grund: „Alle Gespräche über eine gemeinsame Fraktion waren im letzten Moment gescheitert“, erklärte Masoud Ganaim. Ob man nach dem 9. April im Parlament wieder zusammenarbeitet, das vermag derzeit Niemand aus beiden Listenverbindungen zu sagen. Ausschließen will es aber auch keiner explizit. 

Damit zeigt sich, dass analog zu den jüdischen Parteien im linken, zentristischen oder rechten Spektrum ebenfalls die arabischen Gruppierungen dazu neigen, sich durch interne Streitigkeiten selbst zu schwächen, zu spalten und neu zu formieren. Bei der alten Vereinten Liste darf das nicht wirklich verwundern. Denn sie bildete eine Plattform, in der Vertreter der israelisch-arabischen Gesellschaft aufeinanderstießen, wie sie gegensätzlicher kaum sein konnten: Kommunisten, Sozialisten sowie Nationalisten und Islamisten, und das in allen Schattierungen. Darunter befanden sich so unterschiedliche Köpfe wie die säkulare Frauenrechtlerin Hanin Zoabi, Anhänger der sogenannten „Südlichen Fraktion“ der islamistischen Bewegung, die als „gemäßigt“ gilt, wie Masoud Ganaim, oder eben Ahmad Tibi, ein Ex-Berater von Palästinenserpräsident Yassir Arafat. Einzige politische Klammer war und ist eine distanzierte, wenn nicht sogar ablehnende Haltung gegenüber dem Zionismus und den Staat Israel. Prominentestes Beispiel war Hanin Zoabi, die immer wieder seine Abschaffung gefordert hatte, was ihr im vergangenen Jahr ein Untersuchungsverfahren der Ethik-Kommission der Knesset einhandelte. Das gilt übrigens auch für die versprengten jüdischen Israelis, die der Vereinten Liste nahestehen oder mitmachen – allen voran Ofer Cassif, Professor für politische Wissenschaft an der Hebräischen Universität, der Justizministerin Ayelet Shaked schon mal attestierte, „neonazistischer Abschaum“ zu sein und auch ansonsten nicht sparsam mit Analogien zum Nationalsozialismus umgeht, wenn er die Politik Israels kommentiert. Er kandidiert nun auf Platz Fünf der Hadash-Ta’al-Liste.

Es ist dann auch genau diese ambivalente Haltung gegenüber dem Staat Israel, die dafür sorgt, dass die anderen Parteien bei Koalitionsverhandlungen oder Absprachen vor wichtigen Abstimmungen um die Vereinte Liste eher einen großen Bogen machten. Das beruht aber auf Gegenseitigkeit. Denn als 2015 eine mögliche Kooperation mit den Linkszionisten von Meretz im Raum stand, gingen die Islamisten von Ra’am sowie einige Nationalisten von Balad auf die Barrikaden und verhinderten das Vorhaben. Verkompliziert wurde das Ganze dadurch, weil Balad Finanzspritzen aus Qatar erhält und man am Persischen Golf die Idee einer Zusammenarbeit sogar mit Meretz-Parlamentariern nicht für politisch korrekt befand. Auf diese Weise hat die Vereinte Liste selbst sehr viel dazu beigetragen, sich als Partner ins politische Abseits zu befördern. All das führte zu einer Handlungsunfähig, die letztendlich Niemandem nutzte – den israelischen Arabern am allerwenigsten. Ayman Odeh nannte diese Blockadehaltung schon damals einen fatalen Fehler. „Es wird uns angeboten, richtig mitzuspielen, und wir lehnen das ab?“ Auch war er nicht der einzige, der so dachte. Doch es geschah nichts, daran etwas zu ändern. Angesichts der Heterogenität der Parlamentarier sowie ihrer politischen Positionen sollte es sowieso verwundern, dass die Vereinte Liste überhaupt so lange Bestand haben konnte und es erst im Januar 2019 zum Bruch kam, als Ahmad Tibi erklärte, mit seiner Ta’al-Partei das Bündnis zu verlassen.

Auf jeden Fall treten beide Listenvereinigungen am 9. April ohne alte Zugpferde an. Hanin Zoabi will nach zehn Jahren Parlamentsarbeit nicht mehr weitermachen und auch der jüdische Vereinte Liste-Abgeordnete Dov Khenin, der als Kommunist alter Schule bei den Wahlen um das Amt des Bürgermeisters von Tel Aviv 2008 mit 34,3 Prozent der Stimmen schon mal einen Achtungserfolg verzeichnen konnte, verzichtet auf eine erneute Kandidatur für die Knesset. Ebenso denkt Balad-Frontmann Jamal Zahalka, der 2006 den Vorsitz seiner Partei übernahm, nachdem sein Vorgänger Azmi Bishara aufgrund von Vorwürfen der Spionage für die Hisbollah sich ins Ausland abgesetzt hatte, nach 16 Jahren Knesset ans Aufhören. Trotzdem scheinen beide neuen Listenbündnisse zusammen auf eine ähnliches Ergebnis zu kommen wie bei den Wahlen 2015. Dem Tandem Hadash-Ta’al wird je nach Meinungsumfrage ein Potenzial von sechs bis elf Knesset-Sitzen eingeräumt und die Verbindung von Balad und Ra’am könnte zwischen vier und sieben mögliche Abgeordnete stellen.

Das wäre ein beachtliches Ergebnis für zwei Gruppierungen, die sich zwar nach außen insofern unterscheiden, als das sich Hadash-Ta’al politisch eher links verorten ließe, was in diesem Fall eine Mischung aus nationalistischen Positionen mit einem wahlweise sozialistischen oder orthodox-kommunistischen Unterton bedeutet, während Balad-Ra’am eher einen Nationalismus mit teilweise stark islamistischen Untertönen vertritt. Der eigentliche Mobilisierungsfaktor aber bleibt die ethnische Karte. Wenn es um konkrete politische Arbeit geht, fällt die Bilanz dagegen recht nüchtern aus. Vielmehr übt man sich in der Pose des Daueropfers.

Als beispielsweise Avi Gabbay nach seiner Wahl zum Vorsitzenden der Arbeiterpartei im Jahr 2017 gefragt wurde, ob er sich eine Koalition auch mit der Vereinten Liste vorstellen könnte und das sofort verneinte, kommentierte das der arabische Knesset-Abgeordnete Youssef Jabareen mit den Worten, dass Gabbay so „Benzin in die Flamen des Hasses geschüttet hat, der sich gegen die Vereinte Liste und ihren Wähler, die vielen hunderttausend arabischen Staatsbürger richtet“. Aber warum sollte man auch mit einer Partei koalieren wollen, die keinerlei Bereitschaft zeigt, Bündnisse mit anderen zugehen, weil sie dann ihre Distanz zum Staat Israel überdenken müsste? Der Antizionismus der arabischen Parteien, egal ob sie Vereinte Liste heißen oder einen anderen Namen tragen, erweist sich so als Zwickmühle. Wirft man ihn als alten ideologischen Ballast über Bord, heißt es sofort Verrat. Verharrt die Liste oder eine ihrer Nachfolgeparteien aber in den üblichen Positionen, bleiben die Araber die politischen Außenseiter, mit denen keiner so wirklich zusammenarbeiten möchte, und damit weitestgehend machtlos. Selbst pragmatischer denkende Politiker wie Ayman Odeh können sich davon nicht freimachen.

Gleichzeitig beklagen sie aber die Unbeweglichkeit und die Ablehnung der anderen. Das grenzt bereits an Schizophrenie. „Kaum jemand wünscht sich ein Auseinanderbrechen der Vereinten Liste so sehr  wie Netanyahu“, sagte Ayman Odeh beispielsweise nach dem Austritt von Ahmad Tibi aus dem Bündnis. „Die extreme Rechte möchte die Araber spalten, um sie besser erobern zu können. Aber ich bin stolz, einer Partei anzugehören, die die Ideologie vor die persönliche Interessen stellt.“ Mit dieser Grundeinstellung wird sich nichts an der politischen Ohnmacht der israelischen Araber ändern, egal wie viele Knesset-Sitze sie am 9. April auch erhalten werden.

Bild oben: Ayman Odeh, (c) Anan Maalouf, wikicommons