Und es gibt sie doch

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Wir wissen es alle: Positiv zu denken ist die halbe Miete. Griesgrämig durch die Welt zu schlurfen zieht hingegen jene Geister an, von denen man gerade nicht heimgesucht werden will, wie eine Neonröhre unwillkommenes Ungeziefer in einer lauen Sommernacht. Das gilt selbstverständlich für alle Menschen im gleichen Maß. Also, so wurde mir neulich sehr durch die Blume nahegelegt, auch für das undankbare Völkchen der Juden, die sich notorischerweise immer und überall darüber beschweren, wie schäbig alle anderen angeblich mit ihnen umspringen…

Von Matt Fischer

„Da muss etwas daran sein“, dachte ich mir und begab mich auf die Spuren derer, die uns lieb haben. Und damit kann eigentlich nur gemeint sein: Die uns aufrichtig lieb haben oder wenigstens achten, ganz ohne Instrumentalisierung im geostrategischen Spiel des westlichen und des orientalischen Kulturkreises, und ohne wohlmeinende Ratschläge für den richtigen Umgang mit „unseren“ Palästinensern im arabisch-israelischen Konflikt. Denn, seien wir mal ehrlich, wahre Freundschaft kennt keine Vorbedingungen. So ist es doch, nicht wahr?

Wie man auf die Idee kommen kann, in einem Wespennest das Gute zu suchen? Na, ganz einfach: Es ist das Naheliegendste, was man tun kann, dachte ich mir am Tag, nachdem in der europäischen Hauptstadt Budapest Hunderte von Neonazis in SS-Uniformen von Polizei und Bevölkerung unbehelligt spazieren gingen und „Juden raus!“ skandierten; zwei Tage, nachdem ein Araber eine 19-jährige Zivilistin südlich von Jerusalem vergewaltigte und anschließend, als wäre sie ein Tier, schächtete, wonach er von der Palästinensischen Autonomiebehörde automatisch eine üppige, lebenslange Schahiden-Rente erhalten wird, die mehr oder weniger aus Mitteln der Europäischen Union und damit auch Deutschlands finanziert werden wird; drei Tage nachdem… – lassen wir es bewenden. Wer will, weiß, dass an beinahe jedem Tag, den der Ewige werden lässt, für Menschen, die mit einem Minimum an Empathie ausgestattet sind, ein erschütternder oder zumindest alarmierender Vorfall zu berichten ist.

Budapest, Jerusalem – weit weg, in demokratisch und zivilisatorisch ungefestigten Regionen liegende Städte? Eigentlich eine etwas überhebliche Aussage, aber gut, reden wir über das nahe Frankreich, die Wiege der Demokratie auf dem europäischen Kontinent und das Land des Dreyfus-Prozesses peinlichen Angedenkens. 37.000 Juden sind nach Angaben der Jewish Agency in den vergangenen zehn Jahren aus Frankreich nach Israel ausgewandert.[1] Die Liste islamistischer Terroranschläge in Frankreich ist lang,[2] viele von ihnen galten Juden, jüdischen Einrichtungen oder Unternehmungen. Das Hinzukommen zum traditionellen rechtsextremen Antisemitismus eines solchen mit arabisch-muslimischem und eines mit politisch linkem Hintergrund[3] ist etwas, was die europäischen Gesellschaften gerade zaghaft wahrzunehmen und zu verarbeiten begonnen haben. Gleichzeitig widerstehen manche Konservative nicht der Versuchung, den rechtsextremen Antisemitismus angesichts des neuen arabisch-muslimischen Judenhasses kleinzureden bzw. letzteren in antiislamischer Funktion zu instrumentalisieren.[4] Linker Antisemitismus wiederum argumentiert im Einklang mit dem muslimisch geprägten vordergründig nicht rassistisch, sondern antirassistisch. Beide tragen Menschenrechte und antikoloniale Einstellungen gegen den Staat Israel vor und behaupten, dieser sei aufgrund seines jüdischen Charakters bzw. durch seine angebliche Besatzungs- und Apartheidpolitik rassistisch oder gar faschistisch.[5] Rechte und linke Antisemiten zuletzt eint ihr Engagement gegen einen angeblich weltumspannenden raffenden Kapitalismus.[6]

Insgesamt bleibt die Situation nicht stabil, sondern verschlechtert sich, wie eine Studie der Agentur der Europäischen Union für Grundrechte, publiziert am 10.12.2018, berichtet: „Antisemitische Hassreden, Belästigung und Angst, als jüdisch erkannt zu werden – mit solchen Vorkommnissen sind Menschen jüdischen Glaubens heute in der EU konfrontiert. Aus einer groß angelegten, wiederholten Befragung von Jüdinnen und Juden, die die Agentur der Europäischen Union für Grundrechte als weltweit größte Umfrage ihrer Art durchführt, geht hervor, dass sich die Situation“ verschlechtert. Das EU-Papier spricht von „zu verschlechtern scheint.“[7] Meinetwegen, Hoffende soll man nicht aufhalten.

Soweit die Fakten. Also, Koffer packen und „Adieu!“, wie es die 37.000 französischen Juden taten? In der Tat wissen zahlreiche Juden in Deutschland sehr genau, wo ihre Koffer stehen, um sie gegebenenfalls in die Hand zu nehmen. Es ist beruhigend zu wissen, dass ein am 5. Juli 1950 verabschiedetes Gesetz – das erste nach der israelischen Staatsgründung überhaupt – jedem Juden und jeder Jüdin das Recht auf Einwanderung und die israelische Staatsbürgerschaft einräumt. Israelische Politiker werden nicht müde, angesichts des zuletzt sogar in den USA zunehmenden Antisemitismus Diaspora-Juden die Einwanderung nach Israel nahezulegen. So formulierte erst kürzlich der Vorsitzende der Knesset-Partei Israel Beytenu, Avigdor Liberman: „Eine Welle des Antisemitismus bricht über die Welt herein und nimmt an Macht zu … Wenn Sie wollen, dass auch ihre Kinder und Enkelkinder jüdisch sind, haben Sie nur eine Wahl: Kommen Sie auf dem schnellsten Weg nach Israel.“[8] Libermans Aufforderung blieb nicht unwidersprochen, insbesondere durch einige amerikanische Gemeinden. Und auch aus Frankreich sind Juden und jüdische Gemeinden nicht gänzlich verschwunden. Gibt es also tatsächlich jene, die uns achten, und derentwegen es sich zu bleiben lohnt?

Die lautstärkste Gruppe der Unterstützer dürften vermutlich die christlichen Zionisten sein. Es gibt sie nicht nur im evangelikalen Umfeld. Selbstverständlich sind sie in Europa bei weitem nicht so zahlreich und stark wie in den USA, aber gerade in den sozialen Medien sind sie kaum zu überhören. Auch wenn nicht alle von ihnen den Gedanken einer christlichen Judenmission aufgegeben haben, so unterstützen sie den jüdischen Staat doch nach Kräften durch das Verbreiten objektiver Informationen, welche geeignet sind, die einseitig negative Israel-Berichterstattung der deutschsprachigen Standardmedien[9] auszugleichen. Der Übergang zur Verbreitung von Informationen, die den Islam als nicht reformierbar sowie, instrumental hierfür, die Menschen im Nahen Osten als kulturell minderwertig darstellen, ist dabei fließend. Wie auch immer, judenmissionarisch oder antiislamisch – es liegt oftmals nahe, eine mehr oder weniger offen gezeigte theologische oder pseudotheologische Motivation zu unterstellen. Dennoch sind die christlichen Zionisten, insbesondere in den USA, von unschätzbarem Wert für das Judentum und den jüdischen Staat. Wahre Liebe käme jedoch vermutlich ohne einen theologischen Philosemtismus aus.

Im übrigen ist christlicher Zionismus oftmals mit einem konservativen bis ultrakonservativen Weltbild verknüpft. In der Tat sind zahlreiche neurechte Bewegungen in Europa stolz auf ihre Offenheit gegenüber dem Judentum als Religion und ihre teilweise positiven Beziehungen zu jüdischen Verbänden und zum jüdischen Staat. Bei genauerem Hinsehen ergibt sich aber auch hier oft ein antiislamisches, teilweise auch fremdenfeindliches Grundmuster. Ein Schelm, wer dabei an die Umarmung von Juden durch die Eine oder den Anderen aus der Alternative für Deutschland denkt.

Gerade in Deutschland gibt es noch eine dritte Gruppierung, die des „Nie-wieder“-Bekenntnisses. War der christlich-jüdische Dialog in der Weimarer Republik noch das Werk einer Handvoll elitärer Gelehrter,[10] trifft dieser inzwischen in Deutschland auf zahlreiche Sympathien. Das ist löblich, denn solange man gleichberechtigt miteinander spricht, kommt man kaum auf die Idee, den anderen in ein Ghetto zu sperren oder dergleichen mehr mit ihm anzustellen. Nach einer Aussage des amtierenden deutschen Außenministers könnten wir diese Gruppe auch die Ich-ging-wegen-Auschwitz-in-die Politik-Gruppe nennen. Doch halt! Die Frage ist berechtigt: Handelt es sich dabei etwa nicht eher um ein Klischee, das von fast allen deutschen Politikern nur gebetsmühlenartig bedient wird? Schließlich hat dieses Mantra keine deutsche oder europäische Regierung jemals davon abgehalten, intensive Beziehungen zu nahöstlichen Regierungen zu unterhalten, die sich die Zerstörung des jüdischen Staates auf ihre Fahnen geschrieben haben. Selbst die Islamische Republik Iran, deren Vertreter inzwischen beinahe täglich Israels Auslöschung ankündigen, findet aktive Unterstützung, etwa durch die Schaffung der Zweckgesellschaft INTEX zur Umgehung der US-Sanktionen gegen den Iran seitens Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens mit Unterstützung der Europäischen Union.[11] Die eingangs zitierte Finanzierung von Terroristen aus Gaza und den übrigen Palästinensischen Autonomiegebieten bzw. von deren Hinterbliebenen durch die Europäische Union und damit auch Deutschland läuft unter der Außenkommissarin Mogherini trotz aller offizieller Kritik aus Jerusalem ungestört weiter.[12]

Etwas anschaulicher formuliert: Deutschland und seine europäischen Partnerländer finanzieren weiterhin eine Kopfprämie auf getötete Juden. Das Palästinenserhilfswerk UNRWA, das – einzigartig in der Geschichte des Völkerrechts – den Flüchtlingsstatus vererbbar machte und damit die Zahl der Menschen aus dem ehemaligen britischen Mandatsgebiet mit einem solchen Status über die Generationen von einer Dreiviertel- auf fünf Millionen anschwellen ließ, ihre Integration in die Aufnahmeländer ihrer Vorfahren unmöglich macht und damit eine jener Bedingungen beharrlich aufrecht erhält, die einen Friedensschluss faktisch unmöglich machen – wird ebefalls fröhlich weiterfinanziert. Deutschland springt sogar für seit 2018 ausfallende Zahlungen aus den USA ein.[13] Natürlich gibt man vor, all dies nur aus Menschenfreundlichkeit zu tun – aber klar doch, die Menschen in den Elendslagern im Libanon und anderswo freuen sich seit Generationen darüber, weiterhin als staatenlose Menschen zweiter Klasse ohne eine Chance auf Integration in ihre Heimatländer vegetieren zu dürfen. Im übrigen sind dank der Etikettierung des Elends als Flüchtlingselend, das von Juden verursacht wurde, nicht wenige aus der „Nie-wieder“-Fraktion offensichtlich immer wieder aufs Neue darüber erleichtert, dass auch die Juden anscheinend nichts aus der Schoah gelernt haben. Das Thema BDS möge mir an dieser Stelle erspart bleiben, denn ich werde inzwischen selbst immer ungeduldiger: Eigentlich auf der Suche nach jenen, die uns aufrichtig mögen, finde ich doch nur solche, die es nicht oder nur vorgeblich und für ihre eigenen Ziele tun.

Gibt es also niemanden, den ich vorbehaltlos positiv erwähnen könnte? Ist überhaupt noch jemand übrig, den oder die man nennen könnte?

Ja, es gibt in der Tat ein paar solche Verrückte. Einige jener, welche mir bekannt sind, will ich beim Namen nennen, denn es sind ihrer nicht sehr viele. Es handelt sich dabei um Idealisten, manche politisch progressiv, manche konservativ eingestellt. Sie sind Christen, Moslems, und vor allem sind sie sehr oft Atheisten. Es sind Menschen, die ihre eigenen kulturellen Muster hinterfragt und hinterblickt haben, die längst nicht mehr in Stereotypen denken, die David von Goliat zu unterscheiden wissen, weil sie sich von keiner einseitigen Propaganda und von keiner tradierten Mär ein Gefühl für das Maß der Dinge haben nehmen lassen. Menschen, die der Wahrheit nicht aus dem Weg gehen, wenn sie auf diese treffen, vor allem der Wahrheit über den eigenen christlichen oder islamischen Kulturkreis und darüber, wie dort über Jahrhunderte das Bild von Juden geprägt wurde, so geprägt, dass der religiöse Judenhass später in einen modernen politischen Antisemitismus umschlagen konnte und dieser nach dem Ende des Nationalsozialismus in mörderischen nahöstlichen Regimes und subtiler europäischer Ablehnung seine Wiedergeburt fand. Menschen, welche der Meinung sind, dass Antisemitismuskritik nicht mit klugen Lehren über einen angeblich moralisch verfehlten Staat Israel gekontert werden soll oder darf. Ja, das sind sie: Nasrin, Hussam und Ahmad, Çem, Orhan und Elham, Thomas, Yulia und Simone. Sie nehmen Juden ohne Verzerrungen wahr, die Begegnung findet auf Augenhöhe statt. Was will man mehr? Die große Liebe muss es nicht unbedingt sein, und manchmal ist es gar diese. „Schön, dass es euch gibt“, wenn ich das an dieser Stelle so sagen darf. Lasst mich rufen: „Danke für euren Verstand und eure Neugierde, eure Empathie und euren Gerechtigkeitssinn.“

[1]Berliner Zeitung, 19.02.2018: Frankreich Neuer, brutaler Antisemitismus alarmiert jüdische Gemeinden

[2]Wikipedia (DE), gefunden 13.02.2019: Liste islamistischer Anschläge in Frankreich

[3]Berliner Zeitung, 19.02.2018: ebd.

[4]Jüdische Allgemeine, 09.07.2018: Antisemitismus unter Muslimen ernst nehmen

[5]Mut gegen rechte Gewalt, gefunden 13.02.2019: Antizionismus

[6]Marina Weisband, 29.08.2017: Über strukturellen Antisemitismus

[7]Agentur der Europäischen Agentur für Grundrechte, 10.12.2018: Anhaltender Antisemitismus in der EU

[8]The Jerusalem Post, 12.02.2019: Liberman: Want Jewish children and grandchildren? Move to Israel

[9]Jüdische Allgemeine, 09.10.2017: Häufig einseitig

[10]München, 2017. Ernst Robert Curtius, Elemente der Bildung. S. 411.

[11]Vertetung in Deutschland der Europäischen Kommission, 01.02.2019: Mogherini sagt EU-Unterstützung für Zweckgesellschaft zur Umgehung der Iran-Sanktionen zu

[12]Mena-watch.com, 26.07.2018: Mogherini will Anschuldigungen wegen Terrorfinanzierung nicht hören

[13]Reuters, 31.08.2018: U.S. halts funding to U.N. agency helping Palestinian refugees

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