Anti-jüdische Hetzer unterwandern „Gelbwesten“

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Bei der – stagnierenden – „Gelbwesten“-Bewegung in Frankreich häufen sich anti-jüdische Vorfälle. Übergriffe kommen aber fast immer von jungen Muslimen. Alle Parteien Frankreichs demonstrieren gegen den Antisemitismus. Marine Le Pen, die von der Demo ausgeschlossen wurde, hält eine eigene Kundgebung ab. Darüber ist eine Diskussion im jüdischen Milieu entbrannt…

Von Danny Leder, Paris

Seit drei Monaten halten die Aktionen der „Gelbwesten“ Frankreich in Atem, und fast jede Woche sorgen Gewalttaten und sonstige Exzesse für neuerliche Schockwellen – während die Zahl der Demo-Teilnehmer und Sympathisanten in der Bevölkerung, laut Umfragen, sinkt.

In der Vorwoche gab es den Versuch eines Sturms auf das Parlament, Todesdrohungen gegen Abgeordnete der Partei von Präsident Emmanuel Macron und einen Brandanschlag auf den Wohnsitz des Parlamentspräsidenten. Diesen Sonntag wurde ein prominenter jüdischer Intellektueller, Alain Finkielkraut, der einen Marsch der „Gelbwesten“ zufällig kreuzte, von Demonstranten vor laufenden Kameras bedroht und als „dreckiger Zionist“ beschimpft. Ein Mann mit einem um den Hals geschlungenen gelben Kufiya (einem arabischen Kopftuch) rief: „Dreckige Rasse, verzieh Dich nach Tel Aviv, Gott wird Dich strafen, Frankreich gehört uns!“

„Wir haben diesen Hass satt“

Das traf einen Nerv. Alle Spitzenpolitiker, allen voran Macron und die Nationalistin Marine Le Pen, reagierten mit Empörung. Das Massenblatt „Parisien“ coverte in Balkenlettern: „Wir haben diesen Hass satt!“

Schon in den Tagen zuvor hatte sich die Öffentlichkeit vordringlich mit dem Thema beschäftigt. In Paris hatten anti-jüdische Schmierereien Aufsehen erregt. Unter anderem war das Porträt der verstorbenen EU-Parlamentspräsidentin und Ausschwitz-Überlebenden, Simone Veil, eine der populärsten Persönlichkeiten Frankreichs, mit Hakenkreuzen überschmiert worden.

In einer Vorstadt war ein Gendenkbaum für einen ermordeten jungen Juden, Ilan Halimi, umgesägt worden. Der 24 jährige Halimi, der aus einer marokkanischen Einwandererfamilie stammte und als Angestellter in einem Handy-Laden arbeitete, war 2006 von einer Bande junger Vorstädter unter Anleitung eines muslimischen Judenhassers entführt worden, um Lösegeld von seiner angeblich reichen, weil jüdischen Familie zu erpressen. Nachdem seine Mutter, eine Alleinerzieherin, das Geld nicht schnell genug aufbringen konnte, wurde Halimi zu Tode gefoltert.

Premierminister: „Box-Hieb in die Magengrube“

Gleichzeitig meldete jetzt der alljährliche Behörden-Bericht für 2018 einen Anstieg der anti-jüdischen Vorfälle um 74 Prozent gegenüber 2017. Die Mehrzahl der als rassistisch eingestuften Fälle (541) betreffen Juden, obwohl diese weniger als ein Prozent der Bevölkerung ausmachen. „Das habe ich wie einen Box-Hieb in die Magengrube empfunden“, kommentierte Premierminister Edouard Philippe, ein Amateurboxer.

Im Zuge von „Gelbwesten“-Aktionen waren bereits zuvor obszöne anti-jüdische Parolen aufgetaucht. Einiges kreiste um die berufliche Laufbahn von Macron, der vormals in der Pariser Rothschild-Bank gearbeitet hatte. Da die „Gelbwesten“ auch innerhalb von drei Monaten keine gemeinsame Organisation zustande brachten und sich jeder mit gelbem Umhang in ihre Märsche eingliedern kann, wurden sie umso leichter von ultralinken und ultrarechten Grüppchen unterwandert. Manchmal schritten „Gelbwesten“ gegen antijüdische Hetzer ein. Aber eine klare Distanzierung gab es nur von wenigen ihrer Wortführer.

Mehrere Studien haben inzwischen gezeigt, dass das Milieu der „Gelbwesten“ sich in überdurchschnittlichen Ausmaß gegenüber den herkömmlichen Medien abschottet, nur per Facebook und Webportale informiert und für die dort verbreiteten Verschwörungstheorien besonders anfällig ist.

Islamisten als „Gelbwesten“

Besonderen Einfluss übt dabei ein außergewöhnliches politisches Duo aus, das der Judenhass eint: es handelt sich zum ersten um den in Frankreich einst generell beliebten Kabarettisten Dieudonné Mbala Mbala. Der Sohn einer Französin und eines Kameruner zieht noch immer, trotz ständiger antijüdischer Schmähungen und kaum verhüllter Drohungen, ein breites, eher jüngeres Publikum in seinen Bann. Und zweitens um einen Neo-Nazi, Alain Soral, der im Web ein Propaganda-Imperium betreibt. Beide wollen ein Bündnis zwischen jungen muslimischen Vorstädtern und Rechtsradikalen. Das führt zum Zwischenfall um Alain Finkielkraut. Einige der „Gelbwesten“, die ihn bedrohten, wurden als polizeibekannte Islamisten identifiziert.

Finkielkraut, der dem altehrwürdigen Gremium der „Académie francaise“ angehört, steht für wert-konservativen Patriotismus, äußert Vorbehalte gegenüber der, seiner Meinung nach, mangelnden Assimilierung von Migrantenkindern und kritisiert die, aus seiner Sicht, „Überheblichkeit“ der globalisierten Eliten in den urbanen Metropolen. Weswegen er auch anfänglich die Bewegung der „Gelbwesten“ als Aufschrei der „verachteten Bewohner der Peripherie“ mit Sympathie betrachtete. Sein oft verschroben wirkender Kulturpessimismus, sein Wehklagen über den Werteverfall und die mangelnde Vermittlung klassischer französischer Literatur und Gepflogenheiten an den Schulen – all dies machten ihn schon seit geraumer Zeit zum Buhmann für viele Linke. Auch liberalen Intellektuellen ist er nicht geheuer. Eine Rolle spielte dabei ein seinerzeitiges Interview in der israelischen Zeitung „Haaretz“: Finkielkraut habe, so die Wiedergabe des Gesprächs durch „Haaretz“, unter anderem und sinngemäß, die hohe Anzahl schwarzer Spieler im französischen Fußballteam beklagt.

Pro-palästinensische Gruppen haben ihn zum Feindbild erkoren, wobei die irrsten Verleumdungen in Umlauf gebracht wurden und auch gläubige Aufnahme fanden, darunter die Behauptung, Finkielkraut würde die „Tötung der palästinensischen Kinder“ gutheißen. In Wirklichkeit plädiert Finkielkraut bezüglich des Nahost-Konflikts für die Zweistaaten-Lösung und äußerte im Rahmen eines Israel-Besuchs Kritik gegenüber den israelischen Befürwortern der Annektierung palästinensischer Gebiete – was allerdings in Frankreich kaum bekannt ist.

Die einzelnen Stellungnahmen von Finkielkraut spielen aber letzten Endes nur eine geringe Rolle. Unabhängig davon ist er schon längst von diversen Hetzern zum Urbild des hassenswerten gelehrten Juden gekürt worden, dem am vergangenen Sonntag all dieser, seit Jahren geschürte Hass in geballter Weise entgegenschlug.

Kritik am antifaschistischen Jargon der Linken

Seinerseits wirft Finkielkraut der Linken aber auch Präsident Macron vor, sie würden durch ihren anti-faschistischen Jargon und historische Verweise auf das Nazi-Regime, das Faktum verschleiern, dass Juden in Frankreich heute fast ausschließlich von jungen Muslimen bedroht werden. Tatsächlich kamen seit 2003 in Frankreich dreizehn Personen bei Attacken um, die durch islamistischen Judenhass motiviert waren – darunter geplante Anschläge auf jüdische Einrichtungen aber auch Impulsmorde durch Nachbarn. Auch bei den übrigen Angriffen, Drohungen und Schmähungen, die in den letzten Jahren zehntausende Juden zum Umzug aus ihren ursprünglichen Wohngegenden veranlassten, scheinen fast nur junge Muslime als Täter auf, klassische Rechtsradikale spielen dabei keine Rolle. Deswegen hält Finkielkraut auch die Vergleiche, die Macron zwischen der gegenwärtigen Bedrohung der Juden und den rechtsradikalen Umtrieben in den 1930er Jahren in Europa zieht, für „falsch“.

Marine Le Pen umschmeichelte ihn. Finkielkraut bekannte zwar zuletzt, er sei ein „Gegner“ ihrer Partei, dem „Rassemblement national“ (vormals „Front national“). Man könne Marine Le Pen aber nicht die Politik der Nazis und auch nicht Haltung ihres Vaters, des Parteigründers Jean-Marie Le Pen, vorhalten – den Vater ließ Marine Le Pen wegen seiner wiederholten Versuche, das Pétain-Regime zu rehabilitieren, aus der Partei ausschließen. Laut Finkielkraut müsse eine „zeitgemäße“ Kritik an Marine Le Pen auf ihren „Trumpismus“ zielen.

Mit oder ohne Marine Le Pen?

Allerdings beanstandete Finkielkraut, dass bei der groß angelegten All-Parteien-Demonstration gegen Antisemitismus, die für Dienstag (19.2.) in Paris auf Initiative der Sozialisten anberaumt wurde und für die Premierminister Philippe seine Teilnahme angekündigt hatte, die Partei von Marine Le Pen ausgeschlossen wurde.

Jenseits dieser immer wieder kehrenden Polemik um die Teilnahme des „Rassemblement national“ an Demonstrationen gegen Antisemitismus eröffnete sich ein weiteres Problemfeld durch die Bewegung der „Gelbwesten“ und die Reaktion von Macron.

Einerseits wäre es feige und unanständig, nicht auf die anti-jüdischen Vorfälle zu reagieren, die sich zum Teil innerhalb oder zumindest im Windschatten der „Gelbwesten“ ereigneten. Andererseits besteht die Gefahr, dem Eindruck Vorschub zu leisten, wonach es eine verschworene Interessensgemeinschaft gäbe zwischen einer „jüdischen Gemeinschaft“ und Macron bei der Abwehr der sozialpolitischen Anliegen, die von den „Gelbwesten“ auf das Tapet gebracht wurden. Insofern ist es positiv, dass die Demonstrationen gegen den Antisemitismus von fast allen französischen Parteien mitgetragen werden, darunter auch der linken Bewegung der „Insoumis“ und der nationalistischen Anti-EU-Partei „France Debout“, die beide jeweils die „Gelbwesten“ unvermindert unterstützten.