Von Tanzenden Kamelen und Gaza-Bier

0
51

Kreative Braukunst erlebt in Israel derzeit einen Boom. Neue Craft Beer Breweries sprießen überall aus dem Boden. Und wie so vieles in Israel kann auch der Biergenuss ein politisches Statement sein…

Von Ralf Balke

Über Jahrzehnte hinweg war Israel in Sachen Bier ein Entwicklungsland. Den israelischen Liebhabern von Hopf und Malz in flüssiger Form blieb lange Zeit nur die Wahl zwischen einem dunklen Lager namens Goldstar und dem angeblich nach Pilsener Art gebrauten Maccabee – das war es auch schon. Beide wurden übrigen von dem selben Braumeister entwickelt, beide landeten irgendwann einmal im Portfolio des Getränkeriesen Tempo in Netanya. Genauso wie Nesher, das damals einzige Malzbier des Landes. In den 1990er Jahren kam dann langsam Bewegung in den Markt. Das neu gegründete Unternehmen Israel Beer Breweries begann in Lizenz ausländische Biere wie Carlsberg und Tuborg zu brauen. Tempo reagierte auf die neue Konkurrenz und machte den Israelis durch Importe Heineken und Amstel schmackhaft. Der Rest ist Geschichte. Seither ist in Israel die gesamte Palette internationaler Biere zu haben. Bars und Kneipen wetteifern mit einem möglichst großen Angebot. Egal ob echtes Pilsener aus Tschechien, Weizenbier aus Bayern oder Exoten wie Alma Bier aus Brasilien – die Israelis haben heute überall die Qual der Wahl.

Doch ein Blick in die Getränkeregale der Supermärkte oder auf die Zapfhähne in den Lokalen zeigt: Überall dominiert die Massenware der großen Hersteller. Anfangs fanden es Israelis zwar irgendwie noch toll, dass in Tel Aviv oder Jerusalem nun plötzlich das gleiche Bier zu haben war, das man von seinen Reisen nach Europa oder Amerika kannte. Aber irgendwann wurde das langweilig. Auch begannen sich einige Israelis nach der Jahrtausendwende für handwerklich gebrautes und qualitativ hochwertigeres Bier zu interessieren. Das war die Geburtsstunde der sogenannten Craft Beer Breweries, gerne auch Mikrobrauereien genannt. „Viele hatten die gängigen Sorten einfach satt“, erklärte David Cohen einmal in einem Interview. „Genau deshalb greifen sie immer öfter zu sogenannten Boutique-Bieren.“ Er selbst ist einer der Pioniere der Szene. Der gebürtige Amerikaner hatte schon über 15 Jahre Erfahrungen auf dem Gebiet der Mikrobrauereien gesammelt, bevor er nach Israel ausgewandert war, wo er 2005 begann, unter dem Namen „Dancing Camel“ eines der ersten Craft-Biere in einem alten Getreidelager im Süden Tel Avivs herzustellen. Mittlerweile hat er fünf verschiedene Sorten ganzjährig im Angebot und bis zu zehn weitere saisonale Produkte. „Von Anfang an lag der Fokus auf lokalen Zutaten wie im Lande wachsenden Früchten oder Kräuter, die dem Bier eine gewisse israelische Note verleihen sollten.

Bierpuristen dürften dabei jedoch eher eine Gänsehaut bekommen. Bei Dancing Camel kann auch schon mal Dattelhonig zum Einsatz kommen, um ein „Olde Papa Babylonian Olde Ale“-Gesöff mit satten 7,5 Prozent Alkohol zu brauen. Auch das „Gordon Beach Blonde“ enthält mit Rosmarin und Nana eher ungewöhnliche Beigaben. „Ich habe in Israel keine Brauerei aufgebaut, um ein weiteres englisches oder amerikanisches Ale oder ein deutsches Lager herzustellen“, betont Cohen. „Als meine Mission verstand ich es, eine Verbindung zwischen dem Land Israel und Bier zu schaffen. Also habe ich mich wie ein Kind im Süßwarenladen verhalten und fing an, Früchte und Kräuter wie wild zu mischen.“ Koscher sind seine Kreationen jedenfalls auch. Dancing Camel ist längst nicht mehr alleine mit seinem Konzept unterwegs. „Bier mit viel Chutzpah“, so die Eigenwerbung, verspricht ebenfalls Herzl Beer, 2013 in Jerusalem gegründet. Auch hier mag man es gerne exotisch. Das Herzl Dolce des Asal enthält Honig, Koriandersamen und Hafer, das saisonale Winterbier Herzl Krembo soll mit einer Vanille- und Schokoladennote überzeugen.

2016 tat sich Herzl Beer anlässlich der Ausstellung „Bier ist der Wein des Landes – Jüdische Braugeschichten“ im Jüdischen Museum München sogar mit dem lokalen Craft Bier-Hersteller Crew Republic zusammen, um im Rahmen des ersten deutsch-israelischen Collaboration Brew in der bayerischen Hauptstadt ein „Californian Steam Beer“ mit leicht hopfiger Note zu kreieren, das rund fünf Prozent Alkoholgehalt enthält und natürlich nach deutschem Reinheitsgebot hergestellt wurde. Itai Gutman und Maor Helfman, die beiden Väter von Herzl Beer, begründeten ihre Namenswahl für ihren Betrieb übrigens nicht nur mit dem Verweis auf Theodor Herzl, sondern auch mit der Behauptung, dass Herzl in Israel ein beliebter Vorname in der Arbeiterschicht sei. Das liest sich schon ein wenig irritierend, denn genau wie alle anderen Mikrobrauereien verlangt auch Herzl Beer einen saftigen Aufschlag für seine Craft-Biere, was die ohnehin astronomischen Preise für alkoholische Getränke in Israel weiter in die Höhe treibt. Für ein knapp 0,5 Liter großes Tanzendes Kamel im Glas oder einen Hopfen-Herzl muss man umgerechnet mindestens sieben Euro hinlegen. Und selbst im Supermarkt sind die 0,33 Liter Flaschen der kleinen Anbieter selten für umgerechnet weniger als drei Euro zu haben – für Angehörige des israelischen Proletariats ist das wohl nicht erschwinglich. Bei der Gestaltung der Preise scheinen Israels Bierbrauer also genauso kreativ zu sein wie bei der Namensgebung.

Dass es auch etwas konventioneller gehen kann, beweist die 2008 in Emek Hefer gegründete Alexander Brewery nahe dem gleichnamigen kleinen Fluss. Im Angebot hat man unter anderem ein solides Weizen, ein starkes acht-prozentiges Ale oder ein dunkles Porter-Bier – Letzteres bereits fünffach auf international Wettbewerben ausgezeichnet. Und jüngst sorgte die Alexander Brewery, die auf eine Monatsproduktion von rund 50.000 Liter kommt, für Schlagzeilen, weil man eine besondere Edition namens „Otef Asa“, zu deutsch etwa „Das Umland von Gaza“, an den Start brachte. Das Besondere daran ist nicht nur die Tatsache, dass die Erlöse aus dem Umsatz zugunsten der israelischen Farmer im Grenzgebiet zum Gazastreifen gehen sollen, die in den vergangenen Monaten unter dem ständigen Raketenbeschuss der Hamas zu leiden hatten und deren Felder oftmals durch Ballons mit Brandbeschleunigern abgefackelt wurden. Schäden in Höhe von knapp zwei Millionen Euro waren so entstanden. „Ich selbst bin in einer Familie von Landwirten im Kibbuz Misgav Am im Norden aufgewachsen“, erklärte Alexander-Brauereigründer Ori Sagi gegenüber der Times of Israel. „Als ich die brennenden Felder sah, hat mich das sehr traurig gemacht. Deswegen wollte ich irgendwie helfen. Das sollte aber nicht als politisches Statement verstanden werden, sondern ist allein ein Zeichen der Solidarität.“

Er selbst weiß, dass sein Beitrag angesichts der Dimensionen der Schäden nur ein Tropfen auf dem heißen Stein sein kann. „Vielmehr geht es mir darum, in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Situation der mitunter völlig verzweifelten Farmer zu wecken.“ Zum Einsatz kommt im Alexander „Otef Asa“ der Weizen aus der Region rund um Gaza. „Deswegen fragten mich manche allen Ernstes, ob die Sonderedition auch eine rauchige Note hätte.“ Dabei unterscheidet sich die Sorte geschmacklich keinesfalls von dem ansonsten angebotenen Weizenbier. Bis dato wurden rund 25.000 Flaschen und etwa 1.600 Liter in Fässern davon gebraut. „Die Resonanz darauf war jedenfalls gewaltig.“ Auch die Farmer aus dem Umland des Gazastreifens finden die Aktion gut. „Natürlich bin ich nicht so naiv und würde glauben, dass es dabei nicht auch um Image und Werbung geht“, sagt Danny Rahamin, ein Getreidebauer aus dem Kibbuz Nahal Oz, der aufgrund der Terrorballons aus dem nahen Gaza beim Weizen rund 20 Prozent Ernteausfälle zu beklagen hat. „Es ist hilfreich, dass wir Spenden aus den Erlösen des Bierverkaufs erhalten. Aber selbst wenn dies nicht der Fall wäre, ist die Aktion gut, weil wir so wissen, dass Menschen sich um uns kümmern.“

Weitere Mikrobrauereien, die mittlerweile einen festen Platz in der israelischen Bierlandschaft haben, sind die Jem’s Beer Factory in Petach Tivka oder die Negev Brauerei in Kiryat Gat. Offiziell nach deutschem Reinheitsgebot braut seit 2006 bei Qatzrin die Golan Brauerei vier verschiedene Bier-Varianten, die von einem eigens aus Bayern abgeworbenen Braumeister kreiert wurden. Die dazu angebotenen und als typisch deutsch vermarkteten Schlachtplatten sind übrigens koscher. Mindestens 30 solcher Craft Beer Breweries gibt es mittlerweile – nicht schlecht für ein kleines Land, dessen Bewohner pro Kopf im Jahr gerade einmal 14 Liter Bier konsumieren. Zum Vergleich: In Deutschland sind es über 104 Liter.

Offiziell gilt 1998 als das Geburtsjahr dieser neuen Bier-Bewegung. Damals hatte auf dem Rothschild Boulevard das sogenannte Tel Aviv Brauhaus seine Pforten aufgemacht, eine Art Gastronomiebetrieb mit angeschlossener Mini-Brauerei. Das war damals neu und galt als innovatives Konzept. Entsprechend war der Laden erst ein Riesenhit und stets überfüllt mit Gästen, dann verschwand er wieder von der Bildfläche – typisch für die kurze Halbwertszeit der meisten Lokale in der Partymetropole. Doch der eigentliche Mikrobrauerei-Urknall in der Region ereignete sich schon 1996 und das völlig abseits in der Peripherie, nämlich in dem kleinen Dort Taybeh nördlich von Ramallah. Die christlich-arabische Familie Khoury hatte dort mit Entwicklungshilfe der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung begonnen, Bier zu brauen und damit die gleichnamige Biermarke ins Leben gerufen. Mittlerweile produziert auch Taybeh mehrere Sorten, darunter das islamisch-korrekte alkoholfreie Green Label, gerne auch Hamas-Bier genannt. Und trotz gelegentlicher Lieferschwierigkeiten ist Taybeh der Renner in einigen Tel Aviver Bohème-Lokalen. 40 Prozent des Ausstoßes der Brauerei werden in Israel getrunken, der Rest im Westjordanland und einigen Exportmärkten wie Schweden oder Japan. Eine Brauerei in Hamburg stellt es sogar in Lizenz her. Und weil es als „hergestellt in Palästina“ vermarktet wird, zeigt sich erneut, dass sogar Bier in Israel zwar häufig sehr schmackhaft, aber nie unpolitisch sein kann.

Bild oben: Alexander Bier, (c) haGalil