Reine Männersache?

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Am 30. Oktober finden in Israel Kommunalwahlen statt. Viele alte und einige neue Gesichter treten an gegen bekannte Platzhirsche wie Tel Avivs Bürgermeister Ron Huldai. Doch eines fällt auf: Frauen sind unter den Kandidaten so gut wie gar nicht vertreten…

Von Ralf Balke

Was haben Paris, Madrid, Rom sowie Tokio, Montreal und Prag gemeinsam? Alle diese Weltstädte werden derzeit von einer Bürgermeisterin regiert. So ist dies ebenfalls in mehr als 20 Prozent aller Kommunen mit über 30.000 Einwohnern in den Vereinigten Staaten der Fall. Frauen an der Spitze einer Metropole oder vielleicht einer Kleinstadt – in der gesamten westlichen Welt ist dies längst Normalität. Und in Israel? Von den 50 größten Kommunen im jüdischen Staat kann nur eine einzige mit einer Bürgermeisterin aufwarten: Miriam Feirberg in Netanya. Alle anderen werden von Männern verwaltet. Und an dieser Tatsache scheint sich in naher Zukunft wohl kaum etwas zu ändern. Zwar werden am 30. Oktober wieder wie alle fünf Jahre Kommunalwahlen in Israel abgehalten. Doch weibliche Kandidaten lassen sich – wenn überhaupt – eher auf den hinteren Plätzen in den Wahllisten finden.

Selbst im ansonsten so weltoffenen Tel Aviv gibt es keine Kandidatin auf den Posten des Bürgermeisters mehr. Zwar war dort mit Zippi Brand-Frank eine Frau gegen Ron Huldai, der diesen Job seit nunmehr 19 Jahren macht und für eine weitere Amtszeit wiedergewählt werde möchte, angetreten. Aber vor wenigen Tagen machte die 48-jährige Filmproduzentin, die mit dem Multimillionär Zvi Frank verheiratet ist und 2011 für ihre Dokumentation „Google Baby“ sogar einen Emmy erhalten hatte, einen Rückzieher. Weil sie keine Chancen mehr für sich sah, schmiss Zippi Brand-Frank das Handtuch und unterstützt seither Assaf Zamir, der seit zehn Jahren stellvertretender Bürgermeister von Tel Aviv ist und nun gegen seinen ehemaligen Mentor und noch-Boss Ron Huldai mit der Wahlliste Rov Ha’Ir (Die Mehrheit der Stadt) in den Ring steigt. Zuvor schon hatte sich eine andere Frau, Meital Lehavi von der linkszionistischen Meretz-Partei, aus dem Rennen verabschiedet.

Dabei war Zippi Brand-Frank mit einer eigenen Liste, die vor allem familienpolitische Themen in den Vordergrund rücken sollte, in den Wahlkampf gezogen und hatte ihren Konkurrenten Assaf Zamir dabei stets heftig attackiert. Um das von ihm mitverwaltete Bildungsressort würde es ziemlich übel bestellt sein, so lautete ihr Vorwurf. Zudem gäbe es, angefangen von der Umgestaltung des Kikar Atarim, dem Schutz der Küste vor Tel Aviv sowie der nachhaltigen Stadtplanung, eine ganze Palette von Baustellen, bei denen die aktuelle Verwaltung eher versagen würde. Dann plötzlich die Kehrtwende – und jetzt ist sie ganz offiziell die Nummer Zwei auf Assaf Zamirs Wahlliste. „Ich hatte es mir ursprünglich zur Aufgabe gemacht, eine wirkliche Veränderung im politischen System unserer Stadt einzuleiten“, lautete ihre Erklärung dafür gegenüber der Presse. „Aber nun bin ich davon überzeugt, dass es mir nur mit Assaf Zamir gelingen kann, all diese Themen anzusprechen, für die ich bis dato immer alleine gekämpft habe.“ Konkret heißt dies: Assaf Zamir hatte ihr jedes wichtige Ressort für den Fall angeboten, dass seine Liste gewinnen würde. Und wenn dies nicht der Fall sein sollte und Rov Ha’Ir eine Koalition mit Ron Huldais Leuten eingeht, würde sie nach Assaf Zamir das wohl zweitwichtigste Ressort erhalten, hieß es dazu in Haaretz. Je nach Lesart ließe sich ihr Verhalten also als geschickte Taktik oder aber ziemlich offensichtlicher Karrierismus deuten. Denn den Umfragen zufolge, hätte Zippi Brand-Frank vielleicht gerade einmal zwei oder drei Prozent der Stimmen auf sich vereinigen können.

Dabei ist der 1980 geborene Assaf Zamir ebenfalls keine Lichtgestalt. „Meine Entscheidung ist mir nicht leicht gefallen“, hatte Zamir auf Facebook im Juli anlässlich seiner Kandidatur noch erklärt. „Vor allem, weil ich weiß, was für Belastungen dieser Job für einen mit sich bringen kann und welche Verantwortung auf den Schulter derjenigen lastet, die unsere geliebte Stadt in eine bessere Zukunft führen sollen.“ Zudem betonte Assaf Zamir, dass er in vierter Generation Tel Aviver sei. „Schon mein Großvater war Polizeichef unter Meir Dizengoff.“ Ferner schrieb er: „Ich atme Tel Aviv, ich träume nachts von der Stadt und kenne sie wie meine Westentasche.“ Als eigentliche Qualifikationen für das Amt des Bürgermeisters nennt die Wirtschaftszeitung Calcalist etwas süffisant Assaf Zamirs gute Beziehungen zu den Größen des Tel Aviver Nachtlebens und die Tatsache, dass er mit der Schauspielerin Maya Wertheimer verheiratet, einer Enkelin des Milliardärs Stef Wertheimer.

Auch in Jerusalem gab es eine weibliche Kandidatin für das Amt des Bürgermeisters, und zwar die Knesset-Abgeordnete Rachel Azaria von der zentristischen Kulanu-Partei. Sie verabschiedete sich vor wenigen Tagen aber eher aus finanziellen Gründen aus dem Wahlkampf. Der Grund: Sie hatte die Busgesellschaft Egged verklagt, weil diese sich weigerte, mit Rücksicht auf ultraorthodoxe Fahrgäste, Wahlplakate mit ihrem Konterfei in den Fahrzeugen anzubringen. Diese waren zuvor immer wieder ein Aufreger für  die Frommen, weil sie keine im öffentlichen Raum gezeigten Bilder von Frauen dulden. Entsprechend kam es zu unzähligen Fällen von Vandalismus und misogynen Schmierereien. Und genau dieser Prozess vor Gericht, der nun anstand, sollte ihre finanziellen Möglichkeiten übersteigen. Also zog sie den Stecker.

Im Vorfeld bereits war Rachel Azaria mehrfach lauthals kritisiert worden. Warum sie überhaupt antreten wolle, schließlich wäre ihre Kandidatur überflüssig und sie würde das nichtreligiöse Lager auf diese Weise nur schwächen, weil es wegen ihr zu einer Aufsplitterung der ohnehin schwachen säkularen Wählerschaft käme – so lauteten immer wieder die Vorwürfe. Dabei hatte sie im Unterschied zu anderen Kandidaten durchaus Erfahrungen und war in der Knesset unter anderem Vorsitzende eines Komitees, das sich mit Stadtplanung beschäftigte. Auch wollte sie eine ultraorthodoxe Frau in ihre Wahlliste mitaufnehmen. Genau das hätte den Frommen gewiss nicht gefallen. Erst vor wenigen Wochen hatte der Oberste Gerichtshof des Landes die ultraorthodoxe Partei Agudath Israel dazu verdonnert, Frauen auf ihren Wahllisten zuzulassen. Denn ihre Regeln verboten dies bisher ausdrücklich, weshalb eine Koalition unterschiedlichster NGOs, darunter übrigens auch einer ultraorthodoxen, mit dem Verweis auf eine Diskriminierung von Frauen erfolgreich dagegen geklagt hatte.

Israelische Araber sind gleichfalls dazu aufgerufen, am 30. Oktober über die Zusammensetzung der Verwaltung ihrer Kommunen zu bestimmen. Auch in den zahlreichen arabischen und drusischen Ortschaften und Städten waren Frauen bis dato vor allem eines: unsichtbar. Um so mehr überrascht es, dass nun ausgerechnet in Ussefiyeh, einem drusischen Dorf am Carmel, sowie in Kafr Qara in der Wadi Ara-Region zwei neue Wahllisten zustande kamen, die ausschließlich aus Frauen bestehen. Sollte sich beispielsweise die 55jährige Englischlehrerin Victoria Zahalka-Medlij gegen ihre sieben männlichen Mitbewerber durchsetzen, wäre sie die allererste Frau in einer arabischen Kommune in diesem Amt. „Es ist wichtig, dass wir uns auch in politischen Bereichen bemerkbar machen, die nicht unbedingt frauenbezogen sind“, betont Naila Awwad, Direktorin der NGO Association of Women Against Violence, die arabische Frauen dazu motivieren möchte, auf politischer Ebene stärker Flagge zu zeigen.

Dabei wären die bevorstehenden Kommunalwahlen durchaus eine „goldene Möglichkeit“ gewesen, die Präsenz von Frauen im politischen Alltag deutlich zu erhöhen, wie es jüngst das Israel Democracy Institute auf den Punkt brachte. Dessen Experten haben einmal ausgerechnet, wie es darum bestellt ist. So seien zwar heute immerhin 34 Knesset-Abgeordnete Frauen – vor 20 Jahren waren es nur neun – aber weiterhin bleiben sie mit 28 Prozent aller Parlamentarier weiterhin deutlich unterrepräsentiert. Zum Vergleich: Im OECD-Durchschnitt sind es 29,1 Prozent. Bei der Ressortverteilung sieht es noch schlechter aus. Unter den 24 Ministern lassen gerade einmal vier Frauen zu finden, also nur 18 Prozent aller Amtsinhaber sind weiblich. Und nur zwei von insgesamt zwölf parlamentarischen Komitees in der Knesset haben eine Frau an der Spitze. In der Wirtschaft fehlen ebenfalls Frauen in Führungspositionen. Das merkte die Bundeskanzlerin dieser Tage anlässlich eines Treffens mit Spitzenvertretern der Hightech-Industrie bei ihrem Besuch in Israel an. Auf dem dabei gemachten Gruppenbild ist Angela Merkel die einzige Frau weit und breit.

Dabei befand sich Israel im internationalen Vergleich durchaus einmal in der Pole Position, wenn es um Frauen in der Politik geht. Als 1969 Golda Meir zur Ministerpräsidentin ernannt wurde, konnte man weibliche Regierungs- oder Staatschefs in der ganzen Welt noch an einer Hand abzählen. Beinahe wäre sie 1955 sogar auch Bürgermeisterin von Tel Aviv geworden. Auf expliziten Wunsch David Ben Gurions war sie damals angetreten, „mit dem Ziel, die Stadt zu erobern“ – Tel Aviv also endlich für die Arbeiterpartei zu gewinnen und die regierenden Allgemeinen Zionisten vom Thron zu stürzen. Golda Meir sollte das gelingen und sie machte Mapai zum Sieger. Aber bei dem anschließenden Poker um den Posten des Bürgermeisters sollte sie dann doch den Kürzeren ziehen. Agudath Israel und die damals mit im Koalitionsboot sitzende religiöse Partei HaPoel HaMisrachi stellten sich quer. Der Grund: Sie wollten unter keinen Umständen eine Frau an der Spitze der Stadt tolerieren. Golda Meir war stinkesauer. „1955, in dem Land, das Hannah Szenes hervorgebracht hat, dem achten Jahr der Existenz des Staates Israels, wagt ihr ein solch erbärmliches Argument zu bringen, dass Frauen keine gleichen Rechte im Staat Israel haben können“, tobte sie. Vergebens – Chaim Levanon machte das Rennen und sie wurde 1956 Außenministerin. Im gleichen Jahr gab es ebenfalls die erste Bürgermeisterin in Israel: Hannah Levine in Rishon LeZion. Trotzdem bleibt die Bilanz mager. Bis heute schafften es gerade einmal sechs weitere Frauen auf diesen Posten.

Bild oben: Screenshot von der Webseite der Liste „Rov Ha’Ir„, Zippi Brand-Frank hier jetzt an zweiter Stelle