Am Himmel ist die Hölle los

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S-300 at 28-th and 30-th April rehearsals of Victory Day parade, 2009, (c) Vitaly V. Kuzmin, This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.

Moskau wirft Israel vor, durch sein Verhalten den Abschuss eines russischen Militärflugzeugs provoziert zu haben. Als Reaktion bekommt Damaskus nun von Russland eine hochmoderne Version des Luftabwehrsystem vom Typ S-300 geliefert. Für Jerusalem wird damit ein Alptraum wahr…

Von Ralf Balke

In der Luft lag der Clash schon lange. Seitdem vor drei Jahren Moskau ganz offen auf Seiten des Diktators Bashar Assad zum Akteur auf dem syrischen Kriegsschauplatz wurde, kamen sich russische und israelische Kampfflugzeuge bereits mehrfach bedrohlich nahe. Erst im Mai diesen Jahres wurden zwei israelische F-16 über dem libanesischen Tripoli von russischen Sukhoi Su-34-Jets abgefangen. Zudem gab es ständig das hohe Risiko, dass bei einem der zahlreichen israelischen Luftschläge auf syrischem Territorium – in den vergangenen 18 Monaten waren es wohl über 200 an der Zahl – russische Militärangehörige getroffen werden könnten. „Um genau das zu verhindern, haben wir eine direkte Telefon-Hotline zwischen unserer Armee und den russischen Streitkräften eingerichtet“, erklärte noch im Frühjahr Verteidigungsminister Avigdor Lieberman voller Zuversicht. Und auch aus dem Außenministerium in Jerusalem hieß es immer wieder: „Wir koordinieren uns permanent mit den Russen.“

Doch all das sollte nicht verhindern, dass am 17. September eine Iljuschin IL-20 mit 15 Personen an Bord von einer syrischen S-200 Luftabwehrrakete russischer Bauart nahe Latakia 35 Kilometer vor der syrischen Küste vom Himmel geholt wurde. Weil zeitgleich vier israelische F-16 in unmittelbarer Nähe unterwegs waren, die militärische Ziele in Syrien angegriffen hatten, sprach Moskau von einem „feindseligen Akt“. Die israelischen Jets wären quasi im Windschatten der Iljuschin geflogen und hätten diese als Deckung missbraucht. Dadurch sei der Abschuss der S-200 getriggert und die Zerstörung des russischen Militärflugzeugs in Kauf genommen worden, lautete der Vorwurf. „Das steht absolut im Gegensatz zum Geist der russischen-israelischen Partnerschaft“, hieß es denn auch aus dem Verteidigungsministerium in Moskau. Und sein Sprecher, Generalmajor Igor Konaschenko, betonte: „Angesichts dessen, was die Russische Föderation für Israel und das israelische Volk in jüngster Zeit alles gemacht hat, ist das extrem undankbar.“ Seither herrscht zwischen beiden Ländern dicke Luft.

Aber nicht nur das. Am Montag dann verkündete Russland, nun sein hochmodernes Luftabwehrsystem vom Typ S-300, im NATO-Jargon SA-10 genannt, an seinen Verbündeten in Damaskus zu liefern. Und zwar nicht irgendwann, sondern bereits innerhalb der kommenden zwei Wochen. Zudem würde man Assad mit Systemen ausrüsten, die in der Lage sind, die Satellitennavigation, die Kommunikation sowie das On-Board-Radar von Kampfflugzeugen zu stören, erklärte Verteidigungsminister Sergei Schoigu noch am selben Tag. Für Israel ist diese Entscheidung ein Super-GAU. Trotz seiner vielbeschworenen „Männerfreundschaft“ mit Staatspräsident Wladimir Putin steht Ministerpräsident Benjamin Netanyahu nun vor den Scherben seiner Russlandpolitik.

Seit 2013 ist es sein erklärtes Ziel gewesen, haargenau das zu verhindern. Unzählige Male war er nach Moskau gepilgert, um Putin davon zu überzeugen, die Raketen nicht an Damaskus weiterzugeben. Denn die S-300 Luftabwehrsysteme würden definitiv die Lufthoheit der israelischen Maschinen über Syrien in Frage stellen. Ihre operative Reichweite beträgt 250 Kilometer, theoretisch könnten sie sogar Jets über dem israelischen Staatsgebiet gefährlich werden. Zudem beherrschen einige Varianten der S-300 das Abschießen von anderen Raketen, wie sie Israel regelmäßig verwendet, um beispielsweise iranische Ziele oder Waffendepots der Hisbollah in Syrien anzugreifen. Experten sprechen deswegen bereits von einem geopolitischen Game Changer.

Offen ist auch die Frage, ob die S-300 von russischem Personal bedient wird oder von syrischen Militärangehörigen – schließlich müssen diese erst mit dem System vertraut gemacht werden, was wohl einige Zeit dauert. Fakt ist: Die sehr wahrscheinliche Anwesenheit von russischen Militärs an Orten, wo die S-300 stationiert sind, dürfte den Handlungsspielraum der Israelis auf jeden Fall weiter einschränken und sie von einer Zerstörung dieser Luftabwehrsysteme abhalten. Und auch die Amerikaner werden nicht über die Stationierung der S-300 begeistert sein, weil ihre in Syrien operierenden Flugzeuge nun gleichfalls einer neuen Bedrohung ausgesetzt wären.

Trotz der Verstimmungen zwischen beiden Ländern, die auch die Reise von Generalmajor Amikam Norkin, Kommandeur der israelischen Luftwaffe, nach Moskau kaum ausbügeln konnte, erklärte das Verteidigungsministerium, seine Politik gegen das Expansionsbestreben des Irans und der Hisbollah in Syrien weiterführen zu wollen und hofft, dass der Draht nicht abreißt. „Die Koordination zwischen den israelischen und russischen Streitkräften hat sich in den vergangenen Jahren in vielen Fällen durchaus bewährt“, hieß es dazu optimistisch aus Jerusalem. „Angesichts der zahlreichen Herausforderungen in der Region ist die Fortsetzung dieser Zusammenarbeit in beiderseitigen Interesse.“ In der Theorie mag das gewiss stimmen, in der Praxis sah das wohl ein wenig anders aus. Mehrfach bereits gab es in den israelischen Medien Berichte darüber, dass beide Seiten beim Austausch relevanter Informationen über ihr jeweiliges Vorgehen in Syrien entweder selektiv vorgingen, die Angaben nebulös waren oder aber das Ganze zeitverzögert geschah. „Wir erzählen den Russen zwar, dass wir in Syrien zuschlagen werden“, zitierte die Times of Israel im Frühjahr einen anonym gebliebenen höheren Offizier. „Aber wir verraten ihnen nicht immer genau, wann, wie und wo.“

Machthaber Assad jedenfalls dürfte sehr glücklich über diese Entwicklung sein. „Mit seiner Entscheidung hat Russland den syrischen Luftraum für die Luftwaffe Israels und des Westens im Grunde genommen geschlossen“, freute sich bereits Ali Maqsud, syrischer General a.D., in einem Interview auf der russischen Propagandaplattform Sputniknews. „Das ist noch keine Antwort Russlands an Israel in Zusammenhang mit der abgeschossenen IL-20. Das sind nur erste Schritte, die Antwort steht noch bevor.“ Dabei sind die S-300 Luftabwehrsysteme keine Unbekannten für die Israelis. Zypern besaß einmal welche, die dann an Griechenland weiterverkauft wurden. Genau an diesen hat die israelische Luftwaffe in den vergangenen Jahren geübt und sie auf Herz und Nieren getestet. Deshalb erklärte Verteidigungsminister Avigdor Lieberman bereits recht selbstbewußt: „Eines sollte klar sein: Wenn jemand auf unsere Flugzeuge schießt, werden wir ihn zerstören. Ob es sich dabei um eine S-300 oder eine S-700 handelt, ist uns ziemlich egal.“ Doch selbst wenn die israelische Luftwaffe technisch dazu in der Lage wäre, die nagelneuen Luftabwehrsysteme in Syrien problemlos auszuschalten, das Risiko, dabei russische Militärangehörige zu treffen, dürfte wohl niemand eingehen wollen.

Viel zu gut müsste allen Verantwortlichen in Israel noch in Erinnerung sein, dass es gar nicht so lange her ist, als Moskau zu der Riege der erklärten Feinde des jüdischen Staates gehörte. Damals, in den Zeiten des Kalten Krieges, befand sich die Sowjetunion zwar nicht in einem offiziellen Kriegszustand mit Israel, zwischen israelischen und sowjetischen Militärangehörigen war es aber dennoch mehr als einmal zu einem direkten Schlagabtausch gekommen. Und an den Raketensystemen sowjetischer Bauart, die damals an Ägypten und Syrien geliefert wurden, hatte sich Israel im Yom-Kippur-Krieg 1973 mehr als nur eine blutige Nase geholt. Durch den konzentrierten Einsatz von rund 140 SAM-2 und SAM-3 sowie mehreren Dutzend SAM-6-Boden-Luft-Raketen konnten die Ägypter gegen israelische Luftangriffe einen funktionierenden Abwehrschirm bilden. Ein Großteil der damaligen Verluste auf israelischer Seite von 102 Maschinen sowie 53 getöteten Piloten ging auf ihr Konto. Bereits im Abnutzungskrieg zwischen Ägypten und Israel am Suezkanal in den Jahren zuvor musste die israelische Luftwaffe unangenehme Bekanntschaft mit diesen Systemen machen. „Davor waren Luftkämpfe mit gegnerischen Flugzeugen für israelische Piloten so etwas wie ein Freizeitvergnügen“, brachte es einmal der Journalist und Autor des Buches The Yom Kippur War: The Epic Encounter That Transformed the Middle East, Abraham Rabinovich, auf den Punkt. „Dann rückten die SAM-Systeme ins Bild. Sie waren unerbittlich, mysteriös und tödlich. Sobald die sich nähernden Raketen von dem Flugzeugradar erfasst und gemeldet wurden, machte sich Panik in den Cockpits breit.“ Auch auf dem syrischen Kriegsschauplatz machten die SAM-Systeme den Israelis zu schaffen.

„Wir haben nicht die Absicht, uns mit Russland öffentlich in den Medien zu streiten“, ruderte Lieberman die Tage in einem Radio-Interview ein wenig zurück. „Wir handeln mit Diskretion und Verantwortung“, fuhr er fort. „Nichts hat sich geändert und nichts wird sich ändern. Das ist weiterhin unsere Haltung.“ Unter der Hand hieß es aber seitens einiger Offizieller des Verteidigungsministeriums dann doch, dass es in der Zukunft in Sachen Koordination zwischen Russland und Israel „einige Verbesserungen“ geben müsse. Wie diese aussehen werden und was sie verändern könnten, das dürften die nächsten Monate zeigen.

Bild oben: S-300 at 28-th and 30-th April rehearsals of Victory Day parade, 2009, (c) Vitaly V. Kuzmin, This file is licensed under the Creative Commons Attribution-Share Alike 4.0 International license.