Auf dem Weg in die Apartheid oder nur halb so schlimm?

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Die Knesset hat das sog. Nationalstaatsgesetz verabschiedet, ein verfassungsähnliches Grundgesetz. Der deutsche Blätterwald bebt. Aber was steht denn nun tatsächlich im Gesetz und was wird sich konkret verändern? …

Vergangene Woche hat die Knesset mit 62 zu 55 Stimmen das Nationalstaatsgesetz verabschiedet, das Israel als „nationale Heimat des jüdischen Volkes“ verankert. Im Vorfeld hat es schon länger scharfe Auseinandersetzungen gegeben, in die sich auch Präsident Rivlin mit ungewöhnlicher deutlicher Schelte für die Regierung eingemischt hatte. Daraufhin wurde eine entschärfte Version zur Abstimmung vorgelegt und diese ist nun auch verabschiedet worden.

In der Kritik stand vor allem ein Passus, der es ermöglichen sollte, dass in Zukunft Orte entstehen dürften, die rein jüdische Gemeinden wären und in denen Nicht-Juden, also beispielsweise Araber, kein Wohnrecht bekämen. Rivlin fragte zurecht, wie es im Namen der zionistischen Vision sein könne, dass Männer und Frauen aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit ausgegrenzt würden. Der Passus ist nun abgewandelt und bezeichnet jüdische Siedlungen als nationalen Wert, deren Entstehung gefördert und unterstützt werden.

Der andere Punkt ist vor allem eine Provokation. Eine Provokation für die arabische Minderheit im Land. Arabisch, das bisher zweite Amtssprache ist, erhält ab sofort nur noch einen Sonderstatus. Zwar ist in einem Unterpunkt festgehalten, dass diese Klausel nicht den Status, der der arabischen Sprache vor Inkrafttreten des Gesetzes gegeben wurde, genommen werden kann. Es werden also weder Straßenschilder geändert, noch wird Arabisch aus den Ämtern oder von Formularen verbannt. Dennoch ist die Änderung natürlich ein Schlag ins Gesicht für die in Israel lebenden Araber, also 20% der Bevölkerung. Die arabischen Abgeordneten sind vor allem darüber in Sorge, dass das Gesetz die bisherigen Bemühungen für weitere Verbesserungen zunichte machen wird, also beispielsweise eine gesetzliche Verankerung von arabischen Untertiteln in Fernsehen und Kino oder im Bereich der Gebärdensprache.

Die meisten der übrigen Paragrafen wurden bereits bestehenden Gesetzen entnommen, so zum Beispiel auch jener zu Jerusalem als vollständig und vereinte Hauptstadt. Das ist bereits seit 1980 Gesetz. Genauso sind Staatshymne und Flagge seit Jahrzehnten gesetzlich verankert und schon in der Unabhängigkeitserklärung von 1948 ist Israel als Heimat des jüdischen Volkes definiert.

Warum genau brauchte es also dieses Gesetz, kann man zu Recht fragen. Laut Premier Netanyahu, um jenen Kräften entgegen zu wirken, die das „Fundament unserer Existenz anzweifeln“. So wichtig scheint das zu sein, dass die Koalition bereit ist, weltweite Kritik und eine Trübung des Verhältnisses zu den Juden der Diaspora in Kauf zu nehmen. Natürlich ist es ein gezielter Akt der rechtskonservativen Regierung, mit dem sich Netanyahu in einem „entscheidenden Moment in den Annalen des Zionismus und des Staates Israel“ verewigen möchte.

Nein, das neue Gesetz macht aus Israel keinen Apartheids-Staat. In der Realität wird sich nichts ändern. Aber die Worte Demokratie und Gleichheit kommen nicht von ungefähr im Gesetz nicht vor. Selbstbestimmung und Gleichheit wird den Minderheiten im Land nur auf privater Ebene zugestanden, nicht als Minderheit. Dafür sorgt der Passus, der die „Realisierung des Rechts auf nationale Selbstbestimmung in Israel allein dem jüdischen Volk“ vorbehält. Neu ist auch das nicht. Es hat sich nichts geändert, wir haben es jetzt nur schriftlich. 

Zum Nachlesen:
Der Text des Nationalstaatsgesetzes in englischer Übersetzung

1 Kommentar

  1. „Es hat sich nichts geändert, wir haben es jetzt nur schriftlich.“ ist am schönsten

    Völlig einverstanden, vielleicht mit der kleinen Einschränkung, daß ich rechtskonservativ hier als nicht so sarkastisch wahrnehme. Es gibt (anscheinend nicht) genügend Rechtskonservative, die durchaus den Unterschied zwischen populistischem Nationalismus und Rechtskonservativ erkennen können.

    Leider haben sie nichts draus gemacht!

    Schade das der Artikel namenlos ist! Ich bin begeistert!

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