„Ein Dichter! – Das genügt. Man lese ihn!“

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Eine verkrachte Existenz, ein großer Dichter. Joachim Kersten und Friedrich Pfäfflin zeichnen die Beziehung zwischen Detlev von Liliencron und Karl Kraus nach…

Von Georg Patzer

„Es giebt in Deutschland einen Dichter, einen echten Dichter; aber, fragt man einen aus der Menge nach ihm, so bekommt man entweder ein langes Gesicht oder ein ironisches Lächeln zu sehen. Dieser echte Dichter ist Detlev Freiherr von Liliencron.“ Solche Töne von Karl Kraus sind selten. Natürlich hat er einige Dichter verehrt, hat sie der Vergessenheit entrissen und sie dem Kanon zurückgegeben. Aber solche Schwärmerei ist doch selten gewesen für einen Spötter und Satiriker. Als 18-Jähriger hat er den norddeutschen impressionistischen Lyriker Detlev von Liliencron entdeckt, hat später immer wieder in seinen Lesungen aus den Werken des 30 Jahre Älteren vorgetragen. Und blieb ihm treu, wie vielen seiner Freunde.

Ein neuer dicker Band, herausgegeben von Joachim Kersten und dem kenntnisreichen Friedrich Pfäfflin verfolgt jetzt diese Freundschaft und erzählt ausführlich, in Briefen, Postkarten, Tagebuchzitaten und Annoncen, die Geschichte dieser Liebe. Das etwas seltsam geschriebene Vorwort von Joachim Kersten nähert sich von Liliencrons Leben, vor allem aber Friedrich Pfäfflins Kommentare des Briefwechsels zwischen dem Dichter und dem Herausgeber der „Fackel“ geben tiefe Einblicke in ihre Beziehung, aber auch in das damalige literarische Leben, zeichnen auch, ganz nebenbei die Entdeckung von Gerhart Hauptmann nach, beschreiben Rilkes Liliencron-Enthusiasmus und die Ablehnung durch Hugo von Hofmannsthal, der das „Laute und Lebhafte“ in Liliencrons Dichtung nicht mochte, zeigen die Unterstützung durch Nietzsches Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche und Harry Graf Kessler und wie Richard Dehmel die ersten Briefausgabe durch seine Eingriffe verhunzte.

„Ein Dichter! – Das genügt. Man lese ihn!“ befahl Kraus. Nun, so weit wird es auch heute nicht kommen, auch wenn inzwischen auch eine Werkausgabe im Wachholtz Verlag erschienen ist. Dieser verarmte Adelige, 1844 in Kiel geboren, 1909 gestorben, Hauptmann in den Kriegen von 1866 und 1870/71, Spieler, Pianist und Klavierlehrer, Verwaltungsangestellter und wegen hoher aus dem Staatsdienst entlassen und als Inselvogt nach Pellworm versetzt: eine verkrachte Existenz.

Allerdings beherrschte er mit leichter Hand die ganze lyrische Bandbreite, Lakonie, Zartheit, genau beobachtend und melancholisch, ironisch und kaisertreu. Er war ein eindrucksvoller Vortragender seiner eigenen Werke, die technisch perfekt waren. Große Werke waren nichts für ihn, Lyrik und Kurzprosa schrieb er, quasi mit links, und wurde damit zu einem der wichtigsten Dichter des Impressionismus. Dabei schrieb er sogar über die Moderne, über den Broadway (er war nach Amerika geflüchtet, wegen Spielschulden) und ein Gedicht heißt „Durchs Telephon“, ein Gedicht übe eine unglückliche Liebe, neusachlich kühl und abrupt. Aber nach seinem Tod wurde Liliencron vergessen, und das blieb er bis heute.

Joachim Kersten/Friedrich Pfäfflin (Hrsg.): Detlev von Liliencron, entdeckt, gefeiert und gelesen von Karl Kraus. Wallstein Verlag, Göttingen 2017, 464 S., 29,90 Euro, Bestellen?