Jüdischer Humor lebt von seiner Selbstironie

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Stern-Cartoonist Til Mette über sein Verhältnis zum Jüdischen in Kunst und Leben…

Nach einer behüteten Kindheit in einem Bielefelder Arzthaushalt (seine Mutter war Lehrerin) studierte Til Mette (61) in Bremen Kunst und Geschichte auf Lehramt. Doch er wurde kein Lehrer. Mitte der 1980er Jahre gründete er mit anderen in Bremen die Lokalredaktion der taz. Im Jahr 1992 zog er mit seiner Frau nach New York und als sie 15 Jahre später nach Deutschland zurückkehrten, hatten sie zwei Töchter dabei. Seit 1995 zeichnet er Woche für Woche satirische, oft beißende Cartoons für den stern und seine Cartoon-Bücher erzielen für dieses Genre bemerkenswerte Auflagen. Längst ist Til Mette einer der bekanntesten Cartoonisten Deutschlands. Gerhard Haase-Hindenberg sprach mit ihm.

Immer wieder widmest du dich den Themen Antisemitismus und Philosemitismus, aber auch dem Israel-Bashing, was voneinander nicht zu trennen ist. Das sind für einen deutschen Cartoonisten außergewöhnliche Themen…

Außergewöhnlich ist, dass ich jedes Jahr zur Spargelzeit Cartoons über Spargel zeichne, obwohl mich Spargel nicht interessiert und ich keinen Spargel mag. Deutsch-Jüdische Themen allerdings gefallen mir, weil ich damit grundsätzlich was Positives verbinde, aber man kann damit auch so schön auf die Schnauze fallen. Das kann tragisch oder irre komisch sein. Außerdem umwehen jüdischen Themen in Deutschland oft die Aura des Tabus, was wahrscheinlich auf jeden Cartoonisten einen unglaublichen Reiz ausübt. Auch bieten die mit diesem Thema verbundenen Stichworte wie Holocaust, Antisemitismus, jüdischer Humor und gefilte Fisch eine grandiose humoristische Fallhöhe für einen Cartoon.

Hinter Cartoons stehen ja, wenngleich satirisch überhöht, gesellschaftliche Phänome. Auf diesem hier nimmst du Bezug auf eine Form der sogenannten „Israel-Kritik“, die der Jüdische Weltkongress als besonders „gefährlichen Antisemitismus“ bezeichnet hat…

In der Regel zeichne ich über die Szene, in der ich selber lebe und das ist bei mir das linksliberale bürgerliche Milieu. Man kann da in vielen Gesprächen den intellektuellen Eiertanz geradezu spüren, wenn es zum Beispiel um die Siedlungspolitik Israels oder das Kindeswohl bei der Beschneidung geht.  Ich habe zwar selber zu vielen dieser Themen eine Meinung, die steht aber in den Cartoons nicht zwingend im Vordergrund. Ich bin ja kein tagespolitischer Zeichner, sondern Cartoonist. Deshalb versuche ich nicht politische Botschaften zu zeichnen, sondern das komische, das vermurkste und schrullige in solchen Situationen aufzuzeigen. Trotzdem denke ich, kann man meine Haltung gegenüber diesen Themen auch immer erkennen.

Ich könnte mir denken, dass man sich mit einem solchen Cartoons in bestimmten linksalternativen Kreisen keine Freunde macht!?

Diese bestimmten linksalternativen Kreise kommen in meiner Filterblase nicht vor. Die kann ich gut ausblenden. Es gibt immer Leute, die beleidigt sind oder denen es sogar Vergnügen bereitet, beleidigt zu sein. Schlimmer wäre es, wenn ich Cartoons zu diesen Themen nicht im stern veröffentlichen könnte. Das ist aber Gott und Chefredaktion sei dank nicht der Fall.

Zielt die Pointe dieses Cartoons auf Leute, deren „Israel-Kritik“ geradezu pathologische Züge annimmt?

Dieser Cartoon würde auch funktionieren, wenn es im Text um die Fangquote von Zwergwalen im Nordpazifik gehen würde.  Allerdings ist die israelische Siedlungspolitik derzeit ein deutlich größeres Reizthema. Auch sind mir viele dieser Lautsprecher zu diesem Thema recht unsympathisch, so dass ich eine größere Lust hatte genau die lächerlich zu machen.

Du hast längere Zeit in New York gelebt…

Meine Frau hat nach ihrer Promotion in Mathematik 1992 eine Stelle als Lektorin bei einem Wissenschaftsverlag in New York angeboten bekommen. Ich arbeitete damals als Cartoonist bei der TAZ und dachte mir, dass ich die Zeichnungen auch per FAX von New York nach Deutschland schicken kann. Wir wollten nur zwei Jahre bleiben, daraus sind dann aber 15 Jahre geworden.

Im amerikanischen Wikipedia gibt es eine Liste von „Jewish American cartoonists“ auf der fast 80 Namen stehen. Wie erklärst du dir, dass es in den USA so viele jüdische Zeichner gibt, die sich dem Cartoon widmen?

Ich habe schon in den 1970er Jahren den „New Yorker“ gelesen, wenn ich ihn zu fassen bekam. Dort waren für mich all meine großen Vorbilder wie Chas Addams, Sam Gross, Jack Ziegler und Roz Chast , also die besten Cartoonisten der Welt versammelt. Immer schwarz/weiss, klug und sehr, sehr komisch. Dass viele der Zeichner Juden waren wusste ich nicht und  spielte für mich auch keine Rolle. Bevor ich in die USA zog, habe ich  in Deutschland nie einen Juden kennengelernt. Es gab nur einmal für kurze Zeit einen Mitschüler, der in unsere Klasse kam und der jüdisch war. Er hatte knallrote Haare, ein blasses Gesicht mit Sommersprossen und wäre als Posterboy für jede irische Guinnesswerbung durchgegangen. In New York kamen wir über Freunde in einen komplett jüdischen Freundeskreis.  Keiner der Freunde war religiös und ich lernte da erst den Begriff des secular jew kennen. Viele unserer Freunde sind Schriftsteller, Lehrer, Lektoren oder Journalisten. Das ist ein klassisches Milieu für New Yorks jüdische Gemeinde. Als Cartoonist fühlt man sich da zu Hause.

Gibt es deiner Ansicht nach einen speziellen jüdischen Humor?

Ja, mit Sicherheit. Jüdischer Humor lebt unter anderem von seiner Selbstironie, dem urbanen Kontext und hat bei allem Zynismus am Ende eine oft versöhnliche Pointe. Da kommt zum Schluss nicht das Belehrende, bei dem der Witz nur Vehikel für eine moralische Belehrung sein soll. Das gefällt mir sehr. In Deutschland gibt es entgegen dem alten Klischee auch großartige Cartoonisten wie z.B. Rudi Hurzlmeier oder Marcus Weimer, die solche Qualitäten haben.

Du hast mal Art Spiegelmans Cartoon-Band „Maus“ als ein wesentliches Buch in deinem Leben bezeichnet. Darin wird die Shoa-Biographie seines Vaters zeichnerisch erzählt, wobei die beteiligten Personen wie etwa jüdische KZ-Häftlinge, SS-Wachmannschaften etc. als Tiere dargestellt werden. Was macht diese ungewöhnliche Holocaust-Darstellung für dich aus?

Als Spiegelman 1992 den Pulitzer Preis für „Maus“ bekam, kamen wir gerade nach New York. Ich war schon vorher ein großer Fan von ihm und beide Bände von „Maus“ lagen damals in jeder Buchhandlung auf den Ladentischen. Als ich es las, war ich naiverweise sehr überrascht, wie schnell und flüssig ich das im Englischen lesen konnte, bis mir auffiel, dass die Erzählerstimme einen jiddischen Akzent hat, der im Satzbau sehr dem Deutschen ähnelt. Aber das für mich Besondere an dieser autobiographischen Bildergeschichte ist nicht in erster Linie die Geschichte des Vaters, wie er und seine Frau den Holocaust überlebten, sondern die Geschichte des Sohnes, also des Erzählers Art Spiegelman. Ich habe da zum ersten Mal von einer Traumatisierung zweiten Grades gelesen, mit der die Kinder der Shoah-Überlebenden aufwuchsen. Und das war genau die Generation unserer Freunde in New York. Das zentrale Thema in „Maus“ entspricht deren unmittelbarer Erfahrung. Das macht das Buch so glaubwürdig.

Mehr von Til Mette: http://www.tilmette.com

Zuerst erschienen in: Jüdische Allgemeine v. 23.11.2017.