„Viele haben nicht verstanden, dass der Kampf gegen Antisemitismus ihr Kampf für unsere Demokratie ist“

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Anlässlich des 73. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau blickte Dr. h.c. Charlotte Knobloch, Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, bei der Gedenkstunde am jüdischen Mahnmal in der KZ-Gedenkstätte Dachau auf 73 Jahre zurück, „in denen die Staatsräson ‚Nie wieder!‘ im Kontrast stand und steht zu dem auf allen Ebenen der Gesellschaft real existierenden Antisemitismus“…

Knobloch kritisierte die Gleichgültigkeit und Tatenarmut, mit denen jahrzehntelang über die Warnungen der jüdischen Gemeinschaft hinweggegangen wurde. Die aktuelle Aufmerksamkeit und Sensibilität für den massiv erstarkten Antisemitismus kämen „spät, sehr spät – hoffentlich nicht zu spät“. Viel zu lange hätten Politik, Lehrer, Justiz, Verbände und Zivilgemeinschaft „unsere Ängste nicht ernst genommen – und schon gar nicht zu den ihren gemacht. Dabei ist es genau das: Der Antisemitismus ist nicht nur unser Problem, das Problem der Juden. Er ist das Problem der Gesellschaft, in der er herrscht und verbreitet wird“.

Die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden bekannte: „Ich habe nicht gedacht, dass man nach der Schoa zulassen würde, dass Antisemitismus wieder zu einer bedrohlichen Gefahr für das jüdische Leben hierzulande werden würde. – Ich habe mich getäuscht.“ Jüdische Menschen und Institutionen würden attackiert, Schüler antisemitisch gemobbt. „Immer mehr Menschen haben Angst, sich als jüdisch zu erkennen zu geben – das nehmen wir nicht hin. Wir dürfen uns nie wieder verstecken. Es wäre das falsche Signal an Politik, Medien, Gesellschaft – nach außen und nach innen. Ich bin nicht in diesem Land geblieben, um heute jungen Menschen zu erklären, dass wir hier nicht sichtbar und selbstbewusst leben können. Ich habe stets für das Gegenteil gekämpft.“

Knobloch beklagte dass sich noch immer viele weigerten, bestimmte Formen des Antisemitismus zu erkennen und zu ächten. Antisemitismus komme eben nicht nur von Rechtsextremen, sondern auch von links, von Muslimen und auch aus der Mitte der Gesellschaft. „Er muss als ganzheitliches Problem überall, wo er vorkommt, benannt, analysiert und bekämpft werden. Das ist die Verantwortung der Heutigen in Politik und Gesellschaft.“

Die WJC-Beauftragte für Holocaust-Gedenken forderte: „Unser Gedenken soll ein würdiges Andenken an die Menschen sein, für die der Tag der Befreiung zu spät kam. Wir schulden es ihnen, wir schulden es uns. Doch unser Gedenken muss immer auch mit dem Vorsatz einhergehen, entschlossen dafür zu kämpfen, dass es keine neuen Opfer von Hass, Gewalt und Krieg gibt.“ So müsse es 73 Jahre nach dem Holocaust jüdischen Menschen in ihrer deutschen Heimat möglich sein, „ohne Angst das Haus zu verlassen, ohne Scheu über ihre Reise nach Israel zu erzählen. Es muss möglich sein, sorgenfrei und freudvoll in die Synagoge zu gehen, in die Schule, den Kindergarten, zum Fußball, zum Grillen, zum Baden, zum Shoppen – mit oder ohne Kippa, mit oder ohne Davidstern“.

Bild oben: Befreite Häftlinge des KZs Dachau grüßen US-Soldaten, 29. April 1945, (c) United States Holocaust Memorial Museum