100 Jahre Hans Gasparitsch

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Am 30. März 2018 wäre der Widerstandskämpfer und ehemalige Häftling der KZ Dachau und Buchenwald Hans Gasparitsch 100 Jahre alt geworden. Anlässlich dieses Jubiläums haben Christoph Leclaire und Ulrich Schneider im Auftrag der Lagergemeinschaft Buchenwald-Dora/Freundeskreis eine Dokumentation über ihn vorgelegt…

Im Vordergrund steht dabei Hans Gasparitschs Widerstand als Jugendlicher mit der „Gruppe G“ (= Gemeinsam) gegen den Nationalsozialismus sowie seine 10jährige Haftzeit, berichtet wird aber auch über sein Leben in der Nachkriegszeit und sein vielfältiges antifaschistisches Engagement.

Die 76-seitige, farbig gedruckte Broschüre beinhaltet neben einem umfangreichen Interview verschiedene Beiträge von und zu Hans Gasparitsch sowie zahlreiche, teilweise wenig bekannte bzw. erstmalig veröffentlichte Dokumente und Fotos – insbesondere aus seinem Nachlass im Stadtarchiv Stuttgart und vom Internationalen Suchdienst (ITS) in Bad Arolsen.

Die Broschüre „Hans Gasparitsch – Widerstandskämpfer und ehemaliger Häftling der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald“ ist für 5,00 Euro (zuzüglich Versandkosten) erhältlich:

Zum Jubiläum siehe auch:

 

LESEPROBE

Auszug aus „Die Schicksale der Gruppe G“, Hans Gasparitsch‘ Erinnerungen an Buchenwald von 1946. Gasparitsch führte in seiner Widerstandsgruppe G den Tarnnamen Micha.

Tag um Tag verging, ohne dass die längst erwarteten amerikanischen Panzer auftauchten. Die SS gewann Zeit und bereitete die Evakuierung vor. Aber Evakuierung bedeutete fast sicheren Tod. Überlebende der Todesmärsche anderer Lager hatten berichtet, wie die Häftlinge, von Seuchen geschwächt, tagelang ohne Verpflegung, teilweise ohne Schuhwerk, unterwegs gewesen waren und meistens mit einem Genickschuss geendet hatten.

Die illegale Lagerleitung beschloss, der Evakuierung Widerstand entgegenzusetzen und entsprechende Befehle nicht zu befolgen. Flüsterparolen gingen durchs Lager: „Morgen soll restlos geräumt werden.“ An Schlaf war in dieser Nacht nicht zu denken. Die Wachposten auf den Türmen waren verstärkt worden. Warum? Wollten sie mit ihren Maschinengewehren alle zusammenschießen und das Lager anzünden, um die Beweise ihrer Schande zu tilgen? Oder wollten sie doch noch evakuieren? Die Häftlinge waren entschlossen, dem Befehl zum Antreten nicht Folge zu leisten. 

Im Morgengrauen des 11. April 1945 war in der Ferne Geschützdonner zu hören. Der Wettlauf zwischen Tod und Leben hatte begonnen. Micha stieg mit einigen Kameraden auf den Dachboden der Effektenkammer, von wo aus sie einen weiten Blick ins Vorgelände hatten. Ihre Aufgabe war es, mit einem der SS entwendeten Fernglas nach amerikanischen Panzern Ausschau zu halten und der illegalen Lagerleitung Bericht zu geben. Aber auf der Straße von Erfurt sahen sie nur zurückgehende deutsche Truppen, Wagen um Wagen, Panzer und Geschütze. Viertelstunde um Viertelstunde vergeht. Immer noch fluten die deutschen Truppen zurück. Der Geschützlärm dringt näher.

Unruhe im Lager. Die Sirene heult: „Was ist los? Ist Antreten?“ ruft Micha. „Nein, die SS räumt das Lager“, schreit einer zum Dach hinauf und rennt weiter. Die Wachtürme sind aber noch besetzt. Der Gefechtslärm wird stärker. In der Ferne brennen Häuser. Bewegung im Gelände – aber es ist nur flüchtendes Vieh. Am Zaun entsteht Gedränge. Mit Stangen und Brettern haben Kampfgruppen den Zaun durchbrochen und eine Bresche zur Freiheit geschlagen. Sie stürmen nach draußen. Die Wachtürme sind plötzlich leer – nein, die Häftlinge haben die Türme besetzt. Dann kommt der unvergessliche Augenblick: Auf dem Befehlsturm am Eingang flattert die weiße Fahne. Buchenwald ist frei!

Stunden später fuhren amerikanische Jeeps den Ettersberg hinauf. Am Tor sprangen zwei Soldaten ab. Tausendstimmiger Jubel erfüllte die Luft. Noch ehe die beiden wussten, was ihnen geschah, wurden sie auf die Schultern gehoben und ins Lager getragen. Micha konnte nicht an sich halten. Er umarmte seine Kameraden. Ein Jahrzehnt der Hoffnung und Enttäuschung, der Selbstmordgedanken und des unbeugsamen Festhaltens an den Idealen seiner Jugend fand hier den Abschluss. Bald würde er mit den Eltern vereint sein. Noch lagen in den Baracken viele Kameraden, die nicht aufstehen konnten. Noch starben viele an den Folgen erlittener Misshandlungen und Entbehrungen. Micha half die Kranken pflegen und flößte ihnen in kleinen Mengen Essen ein. In Gruppen von hundert Mann wurden Weimarer Bürger durch das Lager geführt. Schaudernd wandten sie sich von dem Grauen ab, das sich vor ihren Augen auftürmte, von den Leichenhaufen beim Krematorium. Sie, die Hitler zu ihrem Führer gemacht hatten, beteuerten jetzt: „Das haben wir nicht gewusst, damit haben wir nichts zu schaffen.“

Am 19. April 1945 marschierten zwanzigtausend befreite Häftlinge unter den Klängen der Internationale zum Appellplatz. Noch einmal standen Deutsche, Russen, Polen, Tschechen, Franzosen auf jenem Platz, der so viel Schreckliches gesehen hatte. Ein Mitglied der illegalen Lagerleitung wandte sich an die Versammelten: „Wir führten in vielen Sprachen den gleichen harten Kampf, und dieser Kampf ist noch nicht zu Ende. Noch wehen Hitlerfahnen. Noch leben die Mörder unserer Kameraden … Wir schwören deshalb vor aller Welt auf diesem Appellplatz, an dieser Stätte des faschistischen Grauens: Wir stellen den Kampf erst ein, wenn auch der letzte Schuldige vor den Richtern der Völker steht! Die Vernichtung des Nazismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung! Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel! Das sind wir unseren gemordeten Kameraden und ihren Angehörigen schuldig.“ Zwanzigtausend Arme reckten sich zum feierlichen Gelöbnis: „Wir schwören!“

Die Feier zum 1. Mai war zugleich die Abschiedsfeier. Dann zogen nacheinander die französischen, die belgischen und die anderen Kameraden in ihre Heimat. […]

„Hans Gasparitsch – Widerstandskämpfer und ehemaliger Häftling der Konzentrationslager Dachau und Buchenwald“, S. 54-55. Bestellen?