Weihrauch und Asche und Eva Menasse

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In Köln wurde im Rahmen der LitCologne, in Kooperation mit dem WDR, ein ziemlich problematisches Buch zelebriert. „Naivität mit System“?…

Von Ilse Schmidt

Seit Wochen war sie ausverkauft, die Kölner Lesung zum „israelkritischen“ Buch Oliven und Asche. Herausgegeben wurde es vom amerikanischen Schriftstellerehepaar Michael Chabon und Ayelet Waldmann, gemeinsam mit der kleinen, linken israelischen Organisation Breaking the Silence. Die Warteschlange im Vorraum des Kölner Museum Ludwig war schon 20 Minuten vor Veranstaltungsbeginn sehr lang. Man drängelte sich, zeigte jedoch Geduld. Für die Teilnahme an einem solchen Event muss man schon Opfer bringen. „Ich war dabei“ hätte der Buchtitel vielleicht auch lauten können… Also jetzt für Teile des Publikums…

Verzweifelt fragten Einige vor dem Eingang nach Restkarten. Und es waren wieder alle aus Köln versammelt, die aus der deutschen Geschichte „Lehren gezogen“ haben. Die zu den Guten, den Edlen gehören. Die endlich Frieden nach Nahost bringen. Haupthindernis für den Unfriede sind selbstredend nicht vom Iran ausgestattete Terroristen oder „Selbstmordattentäter“. Die kommen hierzulande nur schlecht an, wenn sie in deutschen Städten ihren destruktiven Wahn ausleben. Nein: Hauptschuldige sind selbstverständlich übergriffige, gewalttätige israelische Soldaten. Und „die Siedler“ – davon werden wir gleich noch mehr hören. Zu einer Lesung über die barbarischen, von mehreren Despoten zu verantwortenden Verbrechen in Afrin wäre der Großteil des Publikums vermutlich nicht erschienen. Und zu einer Lesung über die verheerende Menschenrechtslage, die Unterdrückung von Frauen im Iran gleichfalls gewiss nicht.

Vor den beiden Eingängen wurden Flugblätter des rührigen, 2014 gegründeten Kölner Bündnisses gegen Antisemitismus verteilt.[i] Israelhass mit gutem Gewissen war das Flugblatt, sprachlich durchaus nicht zurückhaltend, überschrieben. Einige Besucher nahmen die Flugblätter mit, andere waren eher empört. Die Moderatorin der Veranstaltung, die WDR-Ikone Sonia Mikich, langjährige Leiterin des kritischen Fernsehmagazins Monitor, war weniger angetan: „Ach, schon wieder Antisemitismus“, murmelte die ganz blau Gewandelte ziemlich genervt. Nach Jahrzehnten linker Publizistik sollte es mit dem Reden über Antisemitismus in Deutschland wirklich mal ein Ende haben. Dies war zweifelsohne nicht nur die die Botschaft, die existentielle literarische Erkenntnis der „linken“ Schriftstellerikonen Grass und Walser…

Eine kleine Erinnerung: „WDR proudly presents BDS“ – & Walter Herrmann

Dass Mikichs WDR, aktiver Medienpartner der LitCologne, vielleicht ein kleines Problem, zumindest eine tiefe Ambivalenz zum Antisemitismus hat ist u.a. in der Jüdischen Allgemeinen im vergangenen Jahr mehrfach beschrieben worden.[ii] Man erinnere sich an die vom WDR anfangs abgelehnte Ausstrahlung der aufrührenden Fernsehdokumentation Auserwählt und ausgegrenzt – Der Hass auf Juden in Europa. Als die Kritik an dieser befremdlichen Ausgrenzung unüberhörbar wurde machte der WDR die Sache nur noch schlimmer: Er strahlte die Sendung zwar aus, unterzog sie jedoch einem „Faktencheck“ – und stattete sie mit denunziatorisch-oberlehrerhaften Untertitelungen aus, um den seriösen Ruf der Filmemacher wirklich für immer zu ruinieren.

Der Journalist Michael Wuliger hat in seiner feinen Rubrik „Wuligers Woche“ in der Jüdischen Allgemeinen mehrfach sehr Treffendes zum Thema geschrieben, so Ende 2017 den Beitrag „WDR proudly presents BDS“.

Das „liberale“ Köln war in den vergangenen Jahrzehnten schon häufig der Ort eines unverhüllten Antisemitismus. Dieser hat in Köln eine lange Tradition, angefangen von der Schändung der Kölner Synagoge Weihnachten 1959.

Es sei daran erinnert: Viele Wochen, wenn nicht sogar Monate lang lagerte der verschrobene „Klagemauer-Betreiber Herrmann nachts vor dem Eingang eines WDR-Gebäudes nahe des Domvorplatzes die wuchtigen „Befestigungssteine“ für seine antisemitisch anmutenden Papptafeln. Hunderte von Menschen und WDR-Mitarbeitern nahmen dies morgens und abends wahr. Gestört hat es sie offenkundig nicht – zumindest unternahmen sie nichts dagegen. Als der Kölner Schauspieler und Blogger Gerd Buurmann hierauf öffentlich hinwies war es mit der Liberalität und Diskursfreiheit des WDR vorbei: Eine WDR-Juristin drohte mit Klagen. Vergeblich: Wenig später war es vorbei mit dem Außenlager der „Kölner Klagemauer“ neben den Treppen zum WDR.

Dafür jedoch wurde Herrmann nun in der traditionsreichen WDR-Sendung „Zeitzeichen“ als eine besondere Persönlichkeit der Zeitgeschichte und insbesondere Kölns erkoren. Auf so etwas Absztruses muss man erst mal kommen. Vielleicht ist dies wirklich ein Alleinstellungsmerkmal des WDR….

WDR und Reza Begi: Vereint mit Neonazis und Shoahleugnern

Und weil wir gerade dabei sind: Noch bemerkenswerter: Nachfolger Herrmanns ist ein iranischstämmiger, wahnwichtelnder Reza Begi. Querfrontig trat er gemeinsam mit der ehemaligen Pegida-Frontfrau Kathrin Oertel und Walter Herrmann auf der Domplatte auf. Auf seiner Facebookseite postet er regelmäßig Äußerungen wie etwa die Welt solle sich mit „dem Terrorstaat Israel“ und dessen „Helfer Deutschland“ beschäftigen. Und er fügte laut einem Beitrag in jungle world (4/2016) wörtlich hinzu: „Die Halbjüdin und Faschistin Angela Merkel sollte sanktioniert oder gestürzt werden. Iran ist ein friedliches Land, FUCK U USA, FUCK U ISRAEL, FUCK U HURE ANGELA MERKEL.“

All dies sollte dem WDR als recherchierendem, kritischem Sender bekannt sein. Dennoch feiert der WDR Reza Begi bis heute unbeanstandet mit einem rührend anmutendem Fernsehportrait: Reza Begi, quasi die Verkörperung einer gelungenen kölschen Integration, wird dort als Deutschlands „jüngster Taxifahrer“ angepriesen, der versuche „immer etwas im Taxi zu lernen.“[iii]

Die abstruse Geschichte geht jedoch noch weiter: Nach dem jungle-Beitrag vom 28.1.2016 hätte der WDR das peinliche Video löschen müssen. Dies geschah jedoch nicht. Ein Jahr später steigerte der friedensbewegte „Israelkritiker“ Begi seinen Missionseifer: Am 11.2.2017 trat er, wie ein Autorinnenkollektiv am 13.2.2017 auf haGalil in einem bebilderten Dokument belegt hat, in Dresden mit der Creme de la Creme der deutschen Shoaleugner auf, um an den „Bombenholocaust von 1945“ zu erinnern: Gemeinsam mit dem einschlägig wegen Shoaleugnung vorbestraften Gerhard Ittner, dem Reichsbürger Enrico Bohnet und der gleichfalls einschlägig verurteilten Sylvia Stolz. Auf seiner Facebookseite fügte Begi hinzu:

„Am 11.02.2017 um 14 Gedenken wir in Dresden dem Bombenholocaust an Zivilisten im Jahre 1945 durch die Imperialisten UK und USA, und gleichzeitig feiern wir den Sieg der iranischen Revolution vom 11.02.1979 über die Imperialisten und Zionisten UK, USA, ISRAEL.“

Wir sind gespannt welche Begründung uns der stets faktenorientierte WDR für sein Video über den Shoaleugner und Neonazisympathisanten Reza Begi mitteilt. Wir erwarten schon eine Begründung. Vielleicht hilft uns Sonia Mikich.

„Seit Jahrzehnten nimmt man ihnen systematisch ihre Felder!“

Aber kommen wir zur Veranstaltung zurück: Es hat bereits im Vorfeld weitere kritische Stimmen zu dem Buch Oliven und Asche gegeben. Die Kölner Gruppe der Deutsch-Israelischen Gesellschaft (DiG) veröffentlichte eine umfangreiche, gut belegte Kritik am Buch. Überschrieben hat die DIG Köln ihre Bedenken zu der Veranstaltung der lit.Cologne mit „Einseitig, geschichtsblind und naiv“.[iv]

Der Journalist Ralf Balke hat die wesentlichen Kritikpunkte an dem irritierenden Buch in der Jüdischen Allgemeinen (28.9.2017) zusammen getragen. [v] Er spricht von „Naivität mit System“: Das Konzept, 26 mit der Thematik des „Nahostkonfliktes“ überwiegend vollständig unvertraute Autorin mit einem Bus durch das Westjordanland und weitere Konfliktpunkte zu fahren, unter der Federführung von Breaking the Silence – viele von ihnen waren überhaupt das erste mal in der Region – mutet zumindest gewagt an. Vielleicht hätte man ja stattdessen auch eine Touri-Fahrt durch Syrien organisieren können, oder durch Nordkorea, um die literarische Fantasie zu wecken. Das wäre aber verkaufstechnisch vermutlich nicht so gut angekommen. Nein: Israel ist da für das deutsche Publikum schon verkaufsträchtiger. Shoah sells, there is no business like shoah business & veritable Israelkritik läuft immer…

Solche Kritik war an diesem Abend jedoch nicht erwünscht. Vertreten waren auf dem Podium neben dem Herausgeber Michael Chabon der linke, großartige israelische Schriftsteller Assaf Gavron: Großgewachsen, schlank, mit Humor, intellektuell präsent machte er einen sympathischen Eindruck. Auf englisch – die Veranstaltung wurde nahezu nur auf englisch durchgeführt – stellte Gavron seine Bedenken gegen die israelische Siedlungspolitik dar. Gavron gehört zu den wenigen Autoren des Buches, die von der Thematik wirklich etwas verstehen. Er nahm den Fußball als Ausgangspunkt, um den palästinensischen Konflikt und die Fragwürdigkeit der Siedlungspolitik zu kritisieren.

Weiterhin auf dem Podium vertreten war Dana Golan. Sie gehörte in Israel zu den Hauptaktivisten von Breaking The Silence und lebt seit einigen Jahren in Köln. Sie beschrieb auf englisch ihre Erlebnisse als Soldatin, die sie sehr verstört hätten. Als Antizionistin wollte sie sich jedoch nicht eingeordnet sehen: „You can say  I´m a patriot. I love Israel“ versicherte sie. Wenn „die Siedlungspolitik“ beendet sei würde der 100 Jahre alte Konflikt sehr rasch ein Ende finden, so ihre Überzeugung. Von den Gründen der zahlreichen gescheiterten Friedensverhandlungen, von der freiwilligen Abgabe des Gazastreifens durch Sharon ohne Gegenleistung, für die Israel in den letzten Jahren immer neue Terrorangriffe geerntet hat – all diesen drängenden Themen wurden den ganzen Abend lang nicht mit einem einzigen Wort erwähnt.

Assaf Gavron und Eva Menasse

Wirklich unangenehm wurde es jedoch, wenn die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse das Wort ergriff, auf deutsch. Wohl selten war politische Ignoranz so sehr gepaart mit Selbstanmaßungen und Rührseligkeiten im Stile von Kitschromanen. Ihre Leser wüssten ja wie sehr sie sich mit der jüdischen Geschichte, ihrer Familiengeschichte, beschäftigt habe, wusste sie kokett einzustreuen. Nein, sie sei keine Nahostexpertin, betonte Menasse. Aber die Schuld und das Leiden sei heute hierzulande geradezu ein Narrativ. Das wusste sie genau, und zog hieraus ihre sehr eigenen Schlussfolgerungen. Sie sei ganz erschrocken gewesen, wie israelische Soldaten mit armen palästinensischen Bauern, mit Kindern umgehen würden. Da habe sie es als ihre Verpflichtung gehalten, sich zu äußern. Menasse ging auch als Einzige auf die vor der Veranstaltung verteilten Flugblätter ein: Die ganzen Kritiker strotzten ja nur so von Scheuklappen, wusste die mit Köln eher nicht Vertraute zu berichten. Dann zeigte die Autorin ihren profunden historischen Tiefblick: 2012 hatte Menasse bereits – in ihrem mit „Lieber aufgeregt als abgeklärt“ betitelten Buch – das „Israel-Gedicht“ von Grass als „enttäuschte Liebe“ verklärte und „mahnend“, ganz im Gestus einer veritablen Nahostexpertin und betroffenen Vergangenheitsbewältigererin, postuliert: „Man kann nicht jedes Mal, wenn es im nahen Osten knallt, in Deutschland erschrocken ein neues Museum bauen.“ Es gebe in Deutschland ein Tabu, „sich offen, hart und ehrlich mit Israel auseinanderzusetzen.“ Und 2014 beklagte Menasse bitter – im gleichen Buch abgedruckt – , dass man Sarrazins Thesen „in die Nähe der Nazis“ rücke, so dass der Staat zum Schutz von Sarrazins Redefreiheit „die Polizei schicken“ müsse. Wer dies bestreite begebe sich „selbst in die Nähe der RAF“. Also: Klarsichtige politische Analysen einer großen, weltgewandten Literatin in den Zeiten der AfD und FPÖ.

1948, betonte Menasse, das sei für die Palästinenser, die doch nur „ein neues Haus bauen“ wollten, „das Jahr der Katastrophe“ gewesen, wusste sie zur Freude des Publikums auszuführen. Die historischen Umstände der israelischen Staatsgründung, deren verweigerte Anerkennung durch alle arabischen Staaten, die darauf folgenden Angriff gegen die Überlebenden der Shoah – dies alles ließ sie schlicht unerwähnt. Schließlich war sie ja auch keine „Nahostexpertin“. Sie war ja Teil eines großen literarischen Bus-Events. „Seit Jahrzehnte“, so erklärte die Literatin nun, „nimmt man ihnen systematisch ihre Felder.“ Sie wusste von den „Verrückten mit den wehenden Haaren“ zu berichten, die sie bei ihrer Touri-Tour ja persönlich erlebt habe. Selbstredend waren hiermit die fanatischen Siedler gemeint. „In Hebron muss man kämpfen“ fügte die tapfere Autorin nun hinzu. Sie wusste auch von „nach Blut dürstenden Hexen“ zu berichten. Da war ich schon mächtig erschrocken, jetzt auch wegen der historisch tief verwurzelten Frauenfeindlichkeit – also jetzt in Israel.

„… ein riesiges Freiluftgefängnis. Da muss man Extremist werden“

Als Sonia Mikich in einer zweiten Runde über die Positionen zur Zwei-Staaten Lösung nachfragte – die von Dana Golan befürwortet wurde – sah die große Schriftstellerin Eva Menasse nur einen Verantwortlichen, der dem entgegen stehe: Sie habe bei ihrer gelenkten Tour in palästinensischen Gebieten „keinen Hardliner kennengelernt“, wusste sie dem erfreuten Publikum zu berichten. Aber sie habe „Situationen erlebt, wo man Hardliner werden kann“ – ein Narrativ, mit dem sie bruchlos in die Entschuldungsmythen terroristischer Gruppen und von BDS-Gruppierungen anschließen könnte. „Dass hier ein ganzes Volk“ – den Begriff des Volkes verwendete die gebürtige Österreicherin in ganzer naiver Unschuld – „Tag für Tag schickaniert“ werde empöre sie zutiefst: „Man besetzt ein Land seit 40 Jahren“, dies sei „grauenhaft“. Palästina, die Westbank – oder was immer sie meinte – , sei „ein riesiges Freiluftgefängnis“ führte sie wörtlich aus. „Da muss man Extremist werden“ verkündete die wackere literarische Freiheitskämpferin. Ein Wunder, dass sie nicht selbst zur Waffe gegriffen hat, könnte man denken. Widerspruch wurde auf dem ausgewiesen einseitig besetzten Podium nicht laut, auch nicht von Seiten der WDR-Moderatorin. Später fügte Eva Menasse noch hinzu: „Natürlich habe ich Extremisten getroffen. Es waren israelische Siedler!“ Und sie wusste dunkel-vage von den beunruhigenden Plänen, den subtilen Drohungen einzelner Siedler zu berichten: „Ich würde euch auf eine Reihe aufstellen und dann…“ Menasse wusste auch – nun wurde sie ganz munter und dem Publikum zugewandt – von der „unfassbaren Aggressivität“ zu erzählen, von den Siedlern, die sie – als sie wohl aus ihrem literarischen Touribus vor einer Siedlung ausstieg – mit Handykameras abgefilmt und bedroht hätten. Man war schon sehr erleichtert, Eva Menasse noch in Köln erleben zu dürfen. Das ist ja noch mal gut gegangen.

Das Publikum dankte es ihr mit großem, einfühlsamem politischem Beifall. Der Abend war gerettet. Der literarische Bildungsauftrag erfüllt. Zufrieden, aber vereinzelt vermutlich auch etwas aufgebracht ob der Untaten des israelischen „Tätervolkes“ verließ das Publikum den ausverkauften Saal. 

Eine vertane Chance

Der Frieden in Nahost war danach eindeutig etwas näher gerückt. Die wirkliche Chance jedoch, die bei einem solchen Thema bestanden hätte, wurde vertan: Natürlich kann und sollte man, auch mit israelischen Freunden, die Ungerechtigkeit, die Willkür benennen, die in dieser höchst schwierigen Situation an den Grenzen entstehen. Selbstverständlich und unvermeidlich kommt es in dieser Drucksituation, unter der sehr realen Bedrohung durch „Messerangriffe“, durch „Selbstmordattentäter“, durch Bombenangriffe auch zu Übergriffen, zu unangemessenem Verhalten. Und selbstverständlich werden in Israel – im Gegensatz zu der übergroßen Mehrheit aller Staaten in der Welt –  Soldaten zu Haftstrafen verurteilt, wenn sie Straftaten begehen. Das Beispiel von Elor Azaria, der im Februar 2017 zu 18 Monaten Haft verurteilt wurde, dürfte hierzulande bekannt sein.

Man kann auch gerne über die „Rechtsentwicklung“ in Israel und weltweit wohlfeile Diskurse führen. Vergessen sollte man hierbei jedoch nicht, dass diese „Rechtsentwicklung“ in Israel Folge seit Jahren anhaltender, nicht abbrechender Bombenangriffe und angezettelter Kriege gegen Israel ist. Insbesondere in Ostdeutschland (aber auch in Westdeutschland) jedoch erleben wir einen vulgären, antidemokratischen Ausländerhass und einen mit Antisemitismus durchgehend verbundenen Rechtsextremismus – also ausgerechnet in den Bundesländern, in denen nahezu keine „Migranten“ leben. Diesen vulgären, nun im Parlament vertretenen Rechtsextremismus und Fremdenhass können wir alltäglich in bundesdeutschen Talkrunden bewundern, auch beim WDR.

Und: Unvergessen in Köln der insbesondere vom WDR und von Teilen von „Arsch Huh“ in Kooperation mit der SPD betriebene Versuch, im Juni 2016 beim Birlikte-Festival – also dem Kölner Festival zur Erinnerung an das bis heute strafrechtlich unaufgeklärte rechtsextreme NSU-Bombenattentat in der Kölner Keupstraße vom Juni 2004 – ausgerechnet einen prominenten AfD-Vertreter (!) mit aller Gewalt auf ein Podium zu platzieren. Verhindert wurde dieser geschichtsblinde Versuch einer gesellschaftlichen Anerkennung der AfD ausgerechnet auf einem antirassistischen Festival durch eine Bühnenbesetzung von etwa 200 Menschen. Der hierdurch verursachte Schaden in Köln ist bis heute nicht verheilt.[vi]

Eine äußerst fragwürdige Literaturveranstaltung. Immerhin: Der Schurke war benannt. Einzig Walter Herrmann und Reza Begi fehlten danach doch etwas.

Über die Zukunft der großen österreichischen Schriftstellerin und neuen Nahostexpertin Eva Menasse muss man sich nun gewiss keine Sorge mehr machen. Das Buch wird seine selbstzufriedenen, die Geschichte aufarbeitenden, betroffenen deutschen Leser finden. Und für ein paar weitere Einladungen zu WDR-Diskussionen wird es für die wackere Literatin und Freiheitskämpferin gewiss auch reichen. Da vertrauen wir doch auf Sonia Mikich.

Draußen regnete es. Hastig suche ich das Weite. Ein sinnloser Abend. Eine weitere vertane Chance. Aber darum ging es ja bei der Konzeption dieses Buches und solchen Helden auch nicht. Für andere war es vermutlich eine erbauliche literarische Krönung.

Übrigens, für Insider, pssst: Breaking the Silence war schon öfter in Köln. Zahlreiche Linke aus Köln, viele davon „israelsolidarisch“, Jüngere und Ältere, sind in den vergangenen 20 Jahren in privat organisierten Reisegruppen nach Israel gereist. Begleitet wurden sie bei Rücktreffen von vielen linken Israelis auch aus dem Umfeld von Breaking the Silence und weiteren linken Gruppierungen. Ihre deutschen Freunde haben Infomaterial der linken Gruppen mitgebracht, es gab halb-öffentliche Diskussionsveranstaltungen in Köln. Aber derart töricht wie Eva Menasse hat sich dort niemand geäußert.

Der liebe Gott aber hatte beim Regen wohl doch seine Hand im Spiel.

Ein Nachtrag

Mittlerweile hat sich der Vorstand der Kölner Synagogengemeinde in einem Offenen Brief an die Lit.Cologne gewandt und die Einseitigkeit sowie die israelkritische Stoßrichtung der Veranstaltung zu „Oliven und Asche“ scharf kritisiert. Dort seien ungefiltert „sehr starke anti-israelische Stereotype benutzt“ worden, heißt es in dem Brief. Es seien bei der Lesung bewusst Wahrheiten verdreht und historische Fakten zum israelisch-palästinensischen Konflikt in fehlerhafter Weise dargestellt worden. Mit der stark einseitigen Veranstaltung hätten die Verantwortlichen ein Ungleichgewicht entstehen lassen, „welches für demokratisch denkende Menschen nicht akzeptabel ist und im Besonderen nicht für die jüdische Gemeinschaft in Köln und Deutschland.“ Dieser Umstand wiege umso schwerer, als auf der gesamten Literaturmesse keine einzige Veranstaltung gegeben habe, in der in positiver Weise über Israel berichtet worden sei. Insofern habe sich die LitCologne einem sehr einseitigen, gegen Israel gerichteten Narrativ angeschlossen bzw. sich von „Breaking the Silence“ und den Autoren politisch instrumentalisieren lassen.
Mehrere prominente Vertreter der Synagogengemeinde waren während der Veranstaltung anwesend. Es befremde, dass kritische Nachfragen des Publikums nicht erlaubt gewesen seien. Auch die Moderatorin, Sonia Seymour Mikich, habe keine kritischen Fragen gestellt, um die erkennbaren faktischen historisch-politischen Fehler zu korrigieren. Im Foyer der Veranstaltung war ein großer Stand von Amnesty International aufgebaut, an dem zahlreiche Mitarbeiter, die entsprechend gekleidet waren, auftraten. Es sei jedoch kein Stand der Israelischen Botschaft oder der Deutsch-Israelischen Gesellschaft zugelassen worden.

Bild oben: v.l. Sonia Mikich, Michael Chabon, Dana Golan

[i] Hier der Text des Flugblattes: http://bga-koeln.tumblr.com/post/171827757277/olivenasche

[ii] Einige Links: »Notwendige Korrekturen«. WDR akzeptiert Programmbeschwerde wegen Wilders-Film: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/30327/ ; Kritik an ARTE-Reportage. Zentralratspräsident Josef Schuster: Beitrag ist »einseitig geprägt«: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/29277/  ; »Das Verständnis fehlt«. Aliza Lavie über eine BDS-Aktion in Berlin und Israel- und Judenhass in Deutschland: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/28965/ ; Betreutes Fernsehen am späten Abend: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/28911/; NGO Monitor kritisiert WDR-Faktencheck: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/28921/ ;  »Der Film war zu unbequem«. Ahmad Mansour über die Gründe, warum die Arte-Dokumentation über Antisemitismus nicht gesendet wird: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/28823/ ; Gesendet und vergessen. Die Einseitigkeit von Arte und ARD wird trotz – sogar gerade wegen – der »Antisemitismus-Doku« weitergehen: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/28866/ ; WDR überarbeitet Wilders-Dokumentation: http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/28078/.

[iii] Ein ausführlicheres Video von Begis Selbstdarstellung findet sich hier: https://www.youtube.com/watch?v=P0rIMPZhOJk

[iv] Stellungnahme der DiG Köln: http://koeln.deutsch-israelische-gesellschaft.de/im-fokus/index/category/alle-1/showme/dig-ag-koeln-protestiert-gegen-litcologne-lesung

[v] http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/29705

[vi] Die AfD beim Birlikte-Festival in Köln. Zusammenstehen mit der AfD, jungle world Heft 23/2016. Eine längere Version auf haGalil: https://www.hagalil.com/2016/06/birlikte/

1 Kommentar

  1. Danke für diesen Bericht.

    Diese als „Kölner Lesung“ getarnte Zusammenballung von kultivierten Ressentiments und kaum verdecktem Hass auf Israel scheint sich in Köln ganz besonders wohlzufühlen: Völlig ergriffen von ihrem Selbstbild als gute und kritische Menschen, hören sie befriedigt zu, wie ihre Großeltern doch ein bisschen recht gehabt haben.

    Vielleicht muss man es aber auch positiv sehen: WDR, Walter Hermann (†) und Nachfolger, KStA, BDS, DuMont-Verlag und wie sie alle heißen, bilden eine Mischung, die immerhin die tiefbraune Fraktion in Sachen Israelhass – zumindest in der Breitenwirkung – deutlich ins Hintertreffen geraten lässt.

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