„Alles was recht(s) ist?!? – „Populismus, die Rechten und wir!“

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Schabbaton des Bund traditioneller Juden für Young Professionals für die Region Bayern…

Von Gerhard K. Nagel
(mit zeitsparender Unterstützung von Heinrich Kolb)

Am letzten Wochenende im Januar fand in Nürnberg ein regionaler Schabbaton statt, der zu Podiumsdiskussionen, JTed-Talks, Schiurim, angeregten Gesprächen und kulinarischen Genüssen einlud. Veranstalter des bayernweiten Schabbaton in Nürnberg für Studenten und Young Professionals im Alter zwischen 20 und 35 Jahren war der Bund traditioneller Juden Deutschlands gemeinsam mit der Israelitischen Kultusgemeinde Nürnberg. 

Der BtJD wurde von Vorstandsmitgliedern jüdischer Gemeinden, Rabbinern, sowie Mitgliedern des Young Leadership Circles Anfang 2012 gegründet. Anliegen des Bundes ist es, Gemeinden, die das authentische, traditionelle Judentum in Deutschland vertreten und verbreiten eine Stimme zu geben und sie in ihrer Arbeit zu stärken und in allen Belangen zu unterstützen. Zum jetzigen Zeitpunkt umfasst der BtJD 26 Jüdische Gemeinden mit mehr als 30.000 Mitgliedern. Vorsitzender ist Herr Michael Grünberg, der gleichzeitig der Jüdischen Gemeinde in Osnabrück vorsteht.

Zu den wichtigsten Aktivitäten des Bundes zählt die Ausrichtung von Schabbatonim, die von den Gemeinden und Regionen gut frequentiert werden, so waren beim Schabbaton in Nürnberg etwas über 100 Teilnehmer aus den bayrischen jüdischen Gemeinden und Gäste aus anderen Bundesländern, darunter der zukünftige Kölner Oberrabiner, Jechiel Bruckner, präsent. Die organisatorische Arbeit zur Vorbereitung und während des Treffens leistete unermüdlich Frau Daniela Kalmar-Schönberger.

Da aus halachischen Gründen an Schabbat weder schriftliche Aufzeichnungen gemacht, noch elektrische Hilfsmittel bei der journalistischen Arbeit benutzt werden können, ist es in diesem Artikel nicht möglich, einen detailliert-kompletten Überblick über die Veranstaltung zu geben. Insofern ist der Focus auf die Podiumsdiskussion am letzten Tag, dem Sonntag gerichtet. Diese kann, da hier die genannten Restriktionen weggefallen sind, in wesentlichen Auszügen und in ausreichender Detaillierung wiedergegeben werden.

Trotzdem ist es natürlich hilfreich, wenigstens einen knappen Überblick darüber zu geben, was sich an den ersten eineinhalb Tagen ereignet hat. Dankenswerterweise hat hier Professor Awi Blumenfeld Unterstützung geleistet. Seine Ausführungen werden nachfolgend, größtenteils im Zitat wiedergegeben.

Awi Blumenfeld (l.) mit Gerhard K. Nagel

Professor Blumenfeld führt aus, dass es die Idee des Seminars war, ein Konzept zu erstellen, das die klassischen Bezüge (Judentum und Schabbat) und die spirituellen Themen auf der einen Seite mit tagespolitisch und gesellschaftspolitisch aktuellen Themen auf der anderen Seite verbindet. Der dabei entscheidende Schritt war, nach Politikern und Akademikern zu suchen, welche in der Lage sein würden, die Situation auszuleuchten und den Studenten und Young Professionals näher zu bringen. Das unter dem obigen Titel entstandene Gesamtprogramm wurde letztlich abgestimmt auf einerseits – von nichtjüdischer Seite – den Politologen und Wissenschaftler Prof. Dr. Frank Decker, anderseits – aus jüdischer Sicht – auf den politischen Aktivisten Benny Fischer und als Vertreterin der großen demokratischen Parteien auf Michaela Engelmeier, Mitglied des SPD-Parteivorstandes, Mitglied des deutschen Bundestages von 2013 bis 2017.

„Das Ganze hat am Freitagabend, vor dem Schabbat mit einer Inspiration für das Kerzen anzünden für die Damen und danach mit einem Icebreaker begonnen, damit die knapp hundert Teilnehmer, die aus dem gesamten Bundesland Bayern und die Gäste aus Berlin………und aus Köln sich erst einmal kennenlernen konnten. Nach dem klassischen Abendgebet fand ein Workshop zum Thema „Kabbalat Schabbat“ statt, der sich mit der Bedeutung und der Spiritualität unter Kombination der Elemente Musik, Gesang und Text befasste. Danach folgte das klassische Schabbat Abendmahl und dann, um 22:00 Uhr, als direkter Einstieg in das Thema „Alles was recht(s) ist – Populismus, die Rechten und wir“, ein Salongespräch mit Prof. Decker, das ganz in der Tradition der jüdischen Salons, die im 18. und 19. Jahrhundert das kulturelle Leben und  politische Leben in Deutschland gefördert und durchsetzt haben, gehalten war. Das Gespräch begann mit einem kurzen Assoziationsspiel zum Kennenlernen der eigenen Positionen über Judentum, Israel und Demokratie und setzte sich fort mit einem Gespräch über das Thema des Schabbaton, also der Frage: Populismus, Rechtspopulismus, was ist das?

Was ist das? Es ist wie auch der Veranstaltungsflyer zeigt, ein Tornado, der die rechts-, respektive rechtsextremistischen Parteien Parteien Europas also AfD, FPÖ, Fidesz, UKIP und wie sie alle heißen mögen, durcheinander wirbelt, respektive diese vielleicht auch in Gefahr drängt, sich mit Europa zusammen vielleicht auch in einen Abgrund zu reißen.

Das Gespräch hat mit knapp an die 80 Teilnehmern begonnen und wurde mit 60 Teilnehmern beendet. Angesetzt war eine Stunde, gedauert hat es fast zweieinhalb Stunden. Das war ein sehr großer Erfolg.

Am nächsten Tag fanden nach dem klassischen Schacharit-Gebet die Key Notes von Prof. Decker unter dem Titel:Populismus in Deutschland und Europa – Demokratische Normalität oder Gefahr?“ statt, bei denen über 90 Personen präsent waren. Der angesetzte Zeitrahmen wurde wegen des unisono hohen Publikumsinteresses um eine halbe Stunde überschritten.

Danach fanden die Jew-Ted Talks statt, mit Thematiken, die wieder mit Spiritualität, aber auch mit historischen Bezügen zusammenhingen.“

Überblick über die Themen der Jew-Ted Talks:

Ab 13:30 Uhr: „Out of Egypt-Eine Zeitreise durch die Verfolgung“ mit Daniel Schönberger; „Jerusalem, the Capital of Israel?!“ mit Aldi Levitz (Saal Rav Abraham Klein); „Bergjuden – Faszination eines Mythos. Heldenhafte Juden im Kaukasus“ mit German Djanatliev (Saal Rav Max Freudenthal)

Ab 14:00 Uhr: „Politik, Judentum, Europa – Balagan und Barrosco“ mit Benjamin Fischer; „Freiheit, die ich meine – Vergangenheit um der Zukunft willen“ mir Prof. Awi Blumenfeld (Saal Rav. Dr. Abraham Klein); „Welche Verbindung besteht zwischen Purim und den Nürnberger Prozessen? mit Rav Elias Dray (Saal Rav Max Freudenthal)

„Im dichtgedrängten Programm ging es dann mit ein bisschen Outing, einem optionalen Spaziergang, respektive einem Hineinschnuppern in das jüdische Nürnberg, an dem 40 Personen teilgenommen haben, weiter. Dann wieder zurück in die Gemeinde zu Seuda Schlischit, der dritten Mahlzeit mit einem Schiur von Frau Bruckner – der Frau des künftigen Oberrabbiners von Köln – über die drei jüdischen Frauen in der anstehenden wöchentlichen Parascha (Beschlach) ihrer Bedeutung und ihrem Einfluss im Vergleich zu den Nürnberger Prozessen. Auch hier ging es um die aktive Teilnahme und Anteilnahme an politischer Aktivität.
Da dieser Tag ja auch der internationale Holocaust Gedenktag war, und wir das nicht unangetastet lassen wollten, haben wir uns entschieden für diesen Abend ein Kurzfilmszenario von Studenten zu dem Thema Shoa und Memory abzuhalten. Wir hatten fünf kurze Filme gewählt, zwei von Nichtjuden, zwei von jüdischen Filmemachern und ein Videoclip aus Israel, der die Thematik angegangen ist. Die Teilnehmer waren davon so sehr bewegt, dass sie nach dem Ausklang des letzten Filmes sicherlich fünf bis zehn Minuten schweigend da gesessen sind und das Ganze noch mal verinnerlicht haben.

Wir haben uns lange gefragt, ob man an einem Tag wie diesen auch ein nicht bedeutungsschwangeres Programm machen kann und wir sind zum Schluss gekommen, eigentlich ja, denn es ist ein Triumph von uns Juden gegenüber die nationalsozialistischen Häschern, gerade in der Stadt Julius Streiches, wenn wir jüdischen Leben feiern und zelebrieren. Und so haben wir danach zu einer Barnacht aufgerufen unter dem Motto: Celebrating Life, Jews. Boos. Schmooze, in der wir das Leben gefeiert haben, einfach durch unsere Präsenz und unser Dasein.
 Am Sonntag gab es dann die große Podiumsdiskussion, bei der wir leider auf die Bundestagsabgeordnete Michaela Engelmeier aufgrund von Krankheit verzichten mussten.“ 

Die Podiumsteilnehmer waren:

Prof. Dr. Frank Decker, Politikwissenschaftler an der Universität Bonn 1)

Benny Fischer, Public Affairs Officer beim European Jewish Congress 2)

Prof.(FH) Mag. Awi Blumenfeld, Politologe, Historiker, Jüdischer Erzieher und Aktivist 3)

Vorgesehen war auch Michaela Engelmeier, Mitglied des SPD-Parteivorstandes, MdB (2013-2017). Sie konnte leider, wegen einer Erkrankung, nicht wie geplant am Podium teilnehmen.

Das Podiumsgespräch wurde von Prof. Awi Blumenfeld moderiert.

Die Themen, die im Podium angesprochen wurden sind viel zu umfänglich, als dass sie hier, in diesem Artikel ihren vollständigen Niederschlag finden könnten, daher folgt die Darstellung wesentlicher Passagen.

V.l.: Frank Decker, Awi Blumenfeld, Benny Fischer

Prof. Decker ging zu Beginn auf das Thema des Podiums ein und machte deutlich, dass in Deutschland der Begriff „Rechts“ in nicht unproblematischer Weise verwendet werde. Er umschließe sowohl Teile des demokratischen politischen Spektrums, als auch Teile, die sich jenseits des demokratischen Diskurses bewegen. Ähnlich sei es mit dem Begriff „Rechtspopulismus“. Es gibt populistische Parteien, die sich noch im Rahmen des demokratischen Wertekanons bewegen, und solche, die sich außerhalb dieses Rahmens befinden. Es sei darum wichtig, deutlich zu machen, worauf diese Begriffe im jeweiligen Diskurs bezogen sind, wobei sich naturgemäß Abgrenzungsprobleme ergeben und die Grenzen in bestimmten Bereichen fließend sind. Insofern stelle sich, wenn man sich gegen „Rechts“ engagiert, die Frage, wer die jeweiligen Verbündeten sind.

Prof, Blumenfeld stellte in diesem Zusammenhang Benny Fischer die Frage, wie er das „WIR“ aus judeozentrischer Sicht beschreiben würde: Wen schließt es ein und schließt es jemanden aus?

Benny Fischer antwortete, das sei situationsabhängig und dass er bei einer theoretischen Definition ganz weit ausholen müsste. Deshalb wolle er es lieber an einem Beispiel veranschaulichen: „Ich hatte gestern……..darüber gesprochen, dass wir versuchen, zu bestimmten Punkten Allianzen zu bilden, politische Allianzen und dass wir über die jüdische Gemeinden hinaus versuchen müssen, das zu definieren, da wir die Erfahrung gemacht haben, dass wenn es um jüdische Themen geht, oft mehr erreicht werden kann, wenn Nichtjuden bestimmte Aussagen treffen, als wenn wir das tun. Unsere Aussagen werden zwar zur Kenntnis, aber oftmals nicht angenommen….Das klarste Beispiel ist die Schechita…..Das Thema tauche in Europa überall auf. Es bestehe die Gefahr, dass die Schechita überall für illegal erklärt / verboten wird. In den entsprechenden öffentlichen Debatten melden sich Rabbiner und eventuell Funktionäre jüdischer Verbände zu Wort.  „Was bei uns tatsächlich zu den höchsten Erfolgen geführt hast – und das ist jetzt gerade in Belgien geschehen – waren Wortmeldungen von Leuten die…..nicht aus diesem Dunstkreis kamen und sich engagiert haben.“

Auf das Thema des Podiums – die Rechten – zurückkommend, stelle sich das Problem, dass sobald es um die Bildung politischer Allianzen gehe, oftmals für uns unglaublich wichtige Punkte vernachlässigt würden. „Die erste ganz offensichtliche Allianz, die man bilden könnte, wenn es darum geht, gegen die Rechte vorzugehen, wäre mit den Linken. Denn die haben selbst politische Differenzen mir rechten Positionen. Das sieht man im Parlament, aber auch im  täglichen Geschehen. Mit wem möchte man sich auf der Linken im europäischen Parlament verbünden?  Da gäbe es die GUE/NGL-Fraktion. Man kann aber an zwei Händen abzählen, wie viele Mitglieder dieser Fraktion sich nicht offen zu BDS bekannt haben. Das heißt, in dem Moment, in dem wir eine Allianz gegen Rechts bilden wollen, müssen wir uns beispielsweise fragen: Wo suchen wir unsere Partner auf der linken Seite? Denn unser Ziel ist natürlich nicht, durch den Kampf gegen Rechts Parteien zu stärken, die uns auf anderen Ebenen schaden. Das ist ein politischer Konflikt, denn sowohl von links, aber auch von rechts werden an uns viele Wünsche nach Zusammenarbeit herangetragen. Die AfD juckelt sowieso, die UKIP aus Großbritannien, aus Italien die Lega Nord, die klopfen alle regelmäßig an unsere Tür.

Zum Holocaust-Gedenktag hat die AfD auf FB einen Post online gestellt, der für recht viel Aufmerksamkeit gesorgt hat. Da wurde ganz klar gesagt: Wir können nicht einfach nur an die Schoah erinnern und gleichzeitig negieren, dass jüdisches Leben in Deutschland auch heute wieder gefährdet ist. So eine klare Aussage habe ich von vielen anderen Parteien vermisst. Ich hoffe, da sind wir uns in der Mehrheit der hier Anwesenden einig, dass das ein ganz billiger Versuch der AfD ist, sich einen Koscherstempel zu besorgen. Das Problem ist aber, dass es Menschen gibt, die darauf anspringen. Das tiefergehende Problem liegt auch nicht darin, dass die AfD das versucht, sondern, dass von anderen Parteien ähnliche Aussagen fehlen.“ Benny Fischer wies zum Schluß darauf hin, dass auch seiner Sicht das „WIR“ ist immer vom jeweiligen Thema, auf das Bezug genommen wird, abhängig ist. Wenn es um Allianzen gegen Rechts gehe, führt der Weg von Individuum zu Individuum, von Partei zu Partei. Wichtig ist nachzusehen, wie die Gesamtagenda aussieht. Innerhalb der jüdischen Gemeinde wird Konsens unterstellt. Er ist aber – wie sich auch auf dem Schabbaton gezeigt hat – nicht immer vorhanden, obwohl sich alle jüdischen Verbände europaweit ganz klar positioniert haben. Innerhalb der Jüdischen Gemeinden sei in Bezug auf viele Fragen, die mit unserem Thema verbunden sind, eine Debatte nötig, auch deshalb, weil es immer wieder vereinzelte Unterstützer solcher Parteien und Bewegungen gibt. Ein bloßes Dämonisieren reiche nicht mehr.

Prof. Blumenfeld wandte sich nochmals an Benny Fischer. Er habe von Allianzpartnern gesprochen. Aus der österreichischen Perspektive könne bestätigt werden, dass es seitens der FPÖ mehr als einen Anbiederungsversuch gab. Es gab auch einen Generalsekretär, Peter Sichkowski, der heute in Chicago lebt. Prof. Blumenfeld habe letzte Nacht einen Artikel gelesen, in dem Sichkowski das rituelle Gedenken angeprangert hat. Dennoch haben die Political und die Intellectual Players der IKG in Wien, zu denen er sich mittlerweile auch rechne, unisono beschlossen, auf solche  Annäherungs-/Anbiederungsversuche nicht einzugehen.

Ein weiteres Beispiel sei eine Aussage von Walter Rosenkranz, der Nummer Drei in der FPÖ, der „trotz des jüdischen Namens vom Judentum so weit entfernt, (ist) wie Blumenfeld von der Olympiamedaille. Rosenkranz hat gesagt: Wir suchen auch weiterhin das offene Gespräch. Es darf auch hinter geschlossenen Türen stattfinden, aber man kann sich nicht gesprächsverweigern.“ 

Im Gespräch erwähnte Prof. Blumenfeld dass Rosenkranz ein Mann ist, der bis heute seine Artikel und Aussagen über seine Burschenschaft Libertas, deren Arierparagraph die Aussagen über den studentische Antisemitismus habe seinen Grund in der Tatsache gehabt, dass „überdurchschnittlich viele Juden Hörer an den Universitäten waren“ nicht zurückgezogen hat.

„Wieweit ist der Läuterungsprozeß wirklich real oder kann es sein – weil wir denken…. – und das glauben wir von jedem Menschen – jeder kann Teschuwa, jeder kann eine Umkehr machen, ob Jud, ob Christ, ob Muselman und um im klassischen Diktum zu bleiben, der Atheist…….Wir leben in Deutschland und haben gesehen, wie weite Teile der Bevölkerung wirklich versucht haben, sich zu ändern, von einem reinen Lippenpostulat zu einem wirklichen Movement. Können sich auch diese Leute ändern, aus dem „WIR“ heraus gesehen oder denkst Du, wie es manche übrigens über die Lega Nord in Italien sagen, das ist nicht machbar, weil Judentum geht auch immer zusammen mit „Emet“ /Wahrheit, „Zedek“ / Gerechtigkeit und Mischpat einer Form von Justiz und die können wir in diesen Parteien nicht finden?“

Benny Fischer antwortet, dass er glaube. dass man sich diese Frage erst dann stellen müsse, wenn es soweit kommt, wie in Ungarn, wie in Polen, in der Slowakei. Österreich sei ein besonders gutes Beispiel. Österreich könne Deutschland als Indikator dafür dienen, wohin sich das entwickeln könne. Österreich habe jahrzehntelang große Koalitionen gehabt. Es kam zum politischen Stillstand und genau deswegen zur Erstarkung der Extreme auf beiden Seiten des politischen Spektrums, vor allem aber auf der Rechten. „Plötzlich wurde Klartext gesprochen, so kam es an…. In Österreich ist es das zweite Mal, dass die FPÖ an der Regierung beteiligt ist. Wenn wir vom Worst Case ausgehen, dann werden viele andere europäische Staaten folgen. Und wir sind ja schon in der Situation, dass ähnliche Parteien,………bereits die Regierung stellen……Und was machen wir, wenn das passiert?“ In Österreich habe es gerade die Diskussion gegeben, ob die IKG an der Zeremonie des Parlaments zum Holocaustgedenktag teilnimmt. Die Gemeinde habe das abgelehnt, „weil wir nicht vorhaben FPÖ-Ministern die Hand zu schütteln.“ Benny Fischer kann diese Haltung nachvollziehen. Wie aber solle man sich verhalten, wenn nach den vier Jahren in Österreich eine FPÖ-geführte Regierung an die Macht kommen sollte, wenn die FPÖ sogar den Bundeskanzler stellt? Dann stehen die Jüdischen Gemeinden und Verbände vor einem wirklich großen politischen Problem. Sie haben ja in ihren Satzungen stehen mit allen Parteien zusammenarbeiten zu wollen. Gemeint seien aber eigentlich demokratische politische Parteien. „Ich denke darüber nach, was das für Deutschland bedeutet, für den Kulturbetrieb, für die Gemeinden, die zu großem Teil auf Staatsgelder angewiesen sind. In dem Moment, wo wir die Hände nicht mehr schütteln, sind diese Gelder auch nicht mehr da. Das heißt: Das gesamte jüdische, das gesamte kulturelle Leben würde wegbrechen. Ich glaube, dass wir da vor einer unglaublich großen Herausforderung stehen.“

Interessant  sei auch zu sehen, dass es nicht mehr einzelnen Organe gäbe, die im Namen der europäischen, der deutschen Juden sprächen. „Wir sind mittlerweile in einer Situation, in der in Brüssel, fünfzehn, zwanzig jüdische Akronyme, für die verschiedensten NGOs stehen, die alle im Grunde genommen dieselbe Agenda haben. Es braucht nur eine dieser NGOs, die den Konsens bricht, (nicht mit) der extremen Rechten (zu sprechen) und plötzlich haben sie ihren Koscherstempel. In Ungarn habe die CHABAD-Bewegung eine  enge Freundschaft mit Fidesz und die Gemeinden, die sich konsequent gegen Fidesz äußern und auch gegen Jobbik, die sind unwichtig geworden, einfach, weil die Regierung sich ihre CHABAD-Rabbis holt und drei, vier, fünf Fotos macht. Die sind ja auch viel geeigneter, als Fotojuden. Die sehen ja auch aus, wie richtige Juden.“ Politisch gehe eine große Signalwirkung davon aus und plötzlich haben solche Parteien international und im eigenen Land eine Anerkennung. In der innerjüdischen Debatte sei zu fragen , wie man mit der extremen Rechten in Regierungsverantwortung umgehen solle. Ähnliches zeige sich ja auch in Deutschland schon jetzt: Wie sei mit der AFD im Haushaltsausschuss und in anderen Ausschüssen umzugehen, wie mit der Position des Bundestagsvizepräsidenten. Das seien alles Fragen, mit denen man sich beschäftigen müsse. Denn wenn man hier in eine Blockadehaltung gehe, verliere man Unterstützung in der Bevölkerung. Aber auf der anderen Seite betreibe man Appeasementpolitik, wenn man nichts unternehme.

Benny Fischer erläuterte diese Aussagen mit einem persönlichen Beispiel: „Die UKIP war nie eine Partei, in der Antisemitismus vorhanden war, keine Partei, die ich gleichsetzen würde, mit der AfD und trotzdem… Ich habe bei einer Konferenz über jüdisch-muslimische Zusammenarbeit gesprochen und danach ist ein UKIP-Abgeordneter…….zu mir gekommen, hat mir seine Karte gegeben und meinte: Herr Fischer: Wissen sie, ich bin ja ein Viertel Jude und ein Viertel Roma, ich kann das komplett nachvollziehen, was Sie sagen. Kommen sie mal auf einen Kaffee vorbei. Da habe ich vor ihm die Karte zerrissen und ihm geantwortet: Im Leben werde ich nicht mit ihnen sprechen und gar nicht mal nur, weil ich Sie ablehne, sondern weil ich, die Arbeit von einhundertfünfzig oder zweihundert Abgeordneten im Parlament, die uns wirklich nahestehen,….. (nicht nur) komplett untergraben, sondern……..(ihnen auch) ein Messer in den Rücken rammen würde  und gleichzeitig der europäischen Idee.“

Prof. Blumenfeld äußerte: „Ein bisschen fühle ich mich, wie der Schnorrer, der zu Baron Rothschild kommt und sagt: Bitte geben Sie mir zehn Taler. Wozu brauchen Sie zehn Taler? Zwei Stunden später: Baron Rothschild geht in sein Lieblingsrestaurant und sieht dort den Schnorrer Lachs essen und sagt zu ihm: Sind sie meschugge: Sie kommen zu mir und wollen die zehn Taler und jetzt essen Sie hier Lachs. Sagt der Schnorrer: Hören Sie Rothschild. Hob ich nicht zehn Taler kon ich nicht Lachs essen. Hob ich zehn Taler sol ich nicht Lachs essen. Wen sol ich essen Lachs? Herr Professor Decker, was sagen Sie dazu: Kann ich Lachs essen, kann ich nicht Lachs essen?

Prof. Dr. Decker: Ein Politikwissenschaftler, der sich mit dieser Frage beschäftige, sei gehalten zu überprüfen, wie sich die entsprechenden Strategien ausgewirkt haben. Dabei zeige sich, dass weder das eine – die Ausgrenzung -, noch das andere – die Einbeziehung – dazu beigetragen hätten, den Rechtspopulismus nachhaltig zu unterbinden. Das sei auch in Österreich zu sehen gewesen: Vordergründig betrachtet, nach der ersten Regierungsbeteiligung, habe die FPÖ zwar zwei Drittel ihrer Wähler verloren. Danach gab es eine große Koalition und die FPÖ habe ihren Wiederaufstieg organisiert. Er glaube, dass die Partei aus ihren Fehlern in der ersten Regierungsbeteiligung gelernt habe. Die Neuauflage der Koalition mit der ÖVP habe sich ja abgezeichnet. Er sei sehr verwundert gewesen, dass es im letzten Jahr eine Diskussion darüber geführt wurde, ob sich vielleicht sogar die Sozialdemokratien als Koalitionspartner bereithalten würden. Eine solche Koalition gebe es bereits auf Länderebene, im Burgenland. Benny Fischer habe völlig recht, wenn er frage, ob die Einbeziehung der Rechtspopulisten in Koalitionen nicht ein Modell sein könnte, auf das sich Deutschland ebenfalls zubewege. Das ist der nüchterne, empirische Befund. Ob die Sanktionen, die es bei der ersten Regierungsbeteiligung – von Jacques Chirac und den Belgiern betrieben – gegen Österreich gegeben habe, als man versuchte, um Österreich herum einen Cordon sanitaire zu legen, also eine strikte Politik der Ausgrenzung verfolgte, klug gewesen seien, sei mehr als fraglich. „Ich sehe übrigens ähnliche Effekte in Polen und in Ungarn. Da haben wir ja jetzt die große Frage, wie geht denn die europäische Union damit um, dass Mitgliedsländer Demokratiestandards verletzen. Die europäische Union pocht immer auf die Stabilitätskriterien beim Haushalt. Verschuldungsregeln müssen eingehalten werden, aber was ist eigentlich mit Demokratieregeln? Also wie geht man jetzt mit Ungarn um. Sie haben Fidesz genannt. Ist es nachvollziehbar, dass Fidesz nach wie vor ein Teil der Parteienfamilie der Christdemokraten im Europäischen Parlament ist? Die Christdemokraten bangen natürlich um ihre eigene Mehrheit. Die größte Fraktion hat ja – nach dem neuen System – einen Anspruch, das Amt des Kommissionspräsidenten zu besetzen. Allein deshalb wird man sich schwer tun, die Fidesz-Abgeordneten auszuschließen. Auch hier sehen wir, dass das nicht wirklich funktioniert mit dem Ausgrenzen.“ Man müsse also einen mittleren Weg finden. Und für ihn sei ganz klar, dass die Grenze hier zwischen Rechtspopulismus, der noch zum demokratischen Spektrum gehöre, und dem Extremismus verlaufe, der die Demokratie als solche negiert. Es sei sehr schwer, da eine exakte Trennlinie zu ziehen. Wo hört der Rechtspopulismus auf? Extremismus sei ja nationales und völkisches Denken, Rassismus. Heute sprechen wir eher von einer neuen Form des Rassismus, der weniger auf ethnische Zugehörigkeit denn auf Kultur abhebe, aber wo ziehe man da die Trennlinie? Wieweit verberge sich hinter diesem nicht zu Unrecht behaupteten kulturellen Faktor in Wahrheit doch nur der alte Rassismus? Das voneinander abzugrenzen sei natürlich sehr schwierig.

Es stelle sich auch die Frage, wie man mit der AfD von Seiten der öffentlich-rechtlichen Medien umgehe. Sollen sie in die Sendungen eingeladen werden, damit sie ihre Position auch öffentlich vertreten können? Seine Haltung dazu sei: Im Prinzip ja. Aber extremistische Vertreter hätten im Fernsehen nichts verloren. Es sei ein Fehler gewesen, dass Günther Jauch, dem extremistischen AfD-Politiker Björn Höcke ein Podium geboten habe (auch wenn dieser sich mit seiner falsch herum aufgehängten Deutschland-Fahne selbst zu Gespött gemacht habe).

Eine weitere Frage sei, wie man in den Parlamenten, wo bei der Ämterbesetzung bestimmte Proporzregeln gelten, mit den Kandidaten der Rechtspopulisten umgehe. „Ich finde es richtig zu sagen, das steht auch diesen Parteien zu, aber wir wählen nicht automatisch jede Person. Dann müsst ihr uns auch einen Vorschlag machen, der akzeptabel ist. Und das würde für mich bedeuten: Dort, wo es extremistisches Denken gibt, was ja dann belegbar wäre, wie etwa bei dem vorgeschlagenen Vizepräsidenten Glaser, muss eine Wahl nicht automatisch erfolgen. Die Partei muss dann überlegen, ob sie auf das Amt lieber verzichten wollen oder ob sie vielleicht doch jemanden vorschlagen, der für die anderen Parteien akzeptabel wäre.“

Prof. Blumenfeld: „Aber das hieße ja, wenn ich jetzt advocatus diaboli spiele, dass wir eine Art Gesinnungspolizei, eine Art Blockwart brauchen, der genau definiert und festlegt: Die Guten ins Töpfchen, die Schlechten ins Kröpfchen oder im positiven Sinne, wie es in Österreich passiert ist: Es ging um die Ministerbildung, also um die Kabinettsbildung und der ehemalige grüne Spitzenpolitiker Alexander von der Bellen hat zu Kurz gesagt hat: Ganz klar: Den Herrn Fischer und den Herrn Decker, die könnte ich zulassen. Geben sie mir also eine Alternative zu denen, die sich extremistisch geäußert haben, Herr Kurz. Und das ist dann auch so passiert. Wie setzen wir hier in einem demokratischen Verständnis die Grenzen und was mir noch nicht so ganz klar ist: Wer ist jetzt jenes Kollektiv. Kann das der Herr Steinmeier sein, wie der Herr van der Bellen oder können wir sagen Nönö, das muss ein Verfassungsrichter machen oder das muss ein Politikwissenschaftler machen, oder wir müssen eine Gruppe von einem intellektuellen Think Tank bilden, der alle Elemente von rechts bis links vereint und dann noch gefragt: Wer ist demokratiekonsensfähig?“

Prof. Blumenfeld weiter: In den letzen 18 Monaten sei gerade von nicht rechtsextremistischer, sondern von rechter Seite immer wieder der Begriff des christlich-jüdischen Abendlandes verwendet worden. Als Historiker müsse er sich gegen diesen Begriff verwehren. Das christlich-jüdische Abendland habe ca. 1800 Jahre entweder vor Duldung oder Verfolgung gestanden. Und dann diese Chimäre: Juden und Christen haben diese Kultur geprägt. Er bezweifle das ein wenig. Der Begriff sei nicht nur von der FPÖ, sondern auch von der ÖVP und Herrn Kurz vehement verwendet worden und er frage sich: Warum? „Wenn die Christen und die Juden die Guten sind, wo sind dann „die weniger Guten“, um nicht zu sagen „die Schlechten“ in der heutigen realen Gesellschaft, die eine sich wandelnde Migrationsgesellschaft ist? Wenn man mich in den siebziger Jahren gefragt hätte, wie sieht ein deutscher Spieler bei Bayern München aus? Dann wäre das ganz klar gewesen: 1,90m groß, blond, blaue Augen. Schwarzenbeck, Rummenigge, Beckenbauer und Müller sind so die Ausnahmen. Aber ich hätte sicherlich nicht an einen Herrn Cacau oder einen Herr Boateng gedacht, weder vom Namen her, noch vom Aussehen. Da hat sich also etwas geändert. In Österreich ist es jetzt der David Allauer, also ein Österreicher mit afrikanischen Wurzeln.“

Die Gesellschaft wandele sich. Wenn die Gesellschaft sich aber wandle und wenn die normativen Stereotype so nicht mehr ganz stimmen, sei die Position „christlich-jüdisches Abendland“, auch total falsch. Andererseits, kennen wir alle hier in Deutschland den Begriff der und die Debatte um die „Leitkultur“. Es sei sicher nicht falsch zu sagen, dass Deutschland und Amerika trotz allem Laizismus christlich geprägt sind: Weihnachten, Ostern, der Sonntag… – es gibt durchaus noch Motive, die zu finden sind. Er frage sich, wie wir damit umgehen.

Nach diesen Ausführungen kam er nochmals auf die FPÖ oder die AfD zurück und fragte: Gibt es klare NO GO-Linien? Er persönlich glaube, dass es klare NO GO-Linien gibt.  Und er sei der Überzeugung, als Juden und als Menschen hätten wir eine moralische Verpflichtung, diese NO GO-Linien mit der Mehrheitsgesellschaft zu teilen, weil Juden auch ein Teil dieser Gesellschaft seien. An Benny Fischer gerichtet fragte er: Siehst Du das anders?

Benny Fischer antwortet, er sehe die jüdische NO GO-Linie da, wo es darum ginge, „Jüdische Gemeinde“ auszunutzen. Das „christlich-jüdische  Abendland“ sei erst in aller Munde gewesen, als es darum ging, sich von Muslimen abzusetzen. Er frage sich: Wo war das christlich-jüdische Abendland vor 50 Jahren oder vor 30 Jahren? Und da er persönlich keine Lust darauf habe, sich in einem Topf werfen zu lassen, weil es gerade politisch opportun ist.

Er wolle auf zwei weitere Punkte eingehen: Einmal auf die Frage des jüdischen Supports für die Rechtsextremen und dann auf die Arbeit der Parteien selbst. Es bringe nichts, es zu verneinen: Es gäbe jüdische Mitglieder in der AfD und es gäbe Juden in der FPÖ. Es gäbe auch jüdische Parteifunktionäre in der AfD in Baden-Würtemberg. Es stelle sich die Frage: Warum würde ich als Jude die AfD wählen, was bringt die jüdische Wählerklasse dazu, sich von der AfD angesprochen zu fühlen? Das sei erst einmal, wie bei anderen AfDlern auch, dass bestimmte Ängste angesprochen werden. Im Falle der Jüdischen Gemeinden auch ganz konkret: Die Sicherheitsängste. Es sei nicht zu verneinen, egal, ob ob sich jemand links oder rechts positioniert, dass Sicherheitsängste vorhanden sind. Der Bundestag habe deshalb am 18. Januar die Resolution gegen Antisemitismus verabschiedet. „Es wird mehr Geld in die Polizei gesteckt. Die Jüdischen Gemeinden haben neue Sicherheitsprogramme am Laufen. Darüber spricht halt niemand. Die einzige Partei, die es schafft, ganz öffentlich immer wieder den Finger in die Wunde zu legen, sei die AfD. Damit wird aber auch verknüpft: Muslime und da haben wir jetzt Angst. Das ist natürlich  einfacher, als auf komplexere Zusammenhänge zu verweisen. Das Problem sei aber auch, dass viele Menschen bei anderen Parteien Klarheit vermissen.

Er frage sich, wie man die AfD bekämpfen kann und weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Deutschland nach einer Finanzkrise und nach der Flüchtlingskrise bei etwas über 13% AfD-Wähler steht und macht darauf aufmerksam, dass andere Länder in Bezug auf die ganz Rechten vor schwierigeren Herausforderungen stehen. Trotzdem müsse man sich fragen, wie es sein kann, dass die etablierten Parteien wichtige Politikfelder der AfD überlassen haben. In diesem Zusammenhang weise er auf New Media/Social Media hin und fragt, wer beispielsweise auf Facebook die meisten Likes bekommt. „Da habt ihr auf Platz 1 die AfD mit 330.000 Likes (Stand November 2016), danach die CSU mit 220.000, gefolgt von der NPD mit 170.000 und der CDU mit 140.000 Likes. Jetzt kann man fragen: Lassen sich Likes umdeuten in Wählerschaft? In jedem Fall war bei den letzten großen Abstimmungen, die ich mitbekommen habe, Social Media oft der verlässlichste Indikator. Als Trump gewählt wurde, da war immer Social Media der Indikator, wer letztlich gewählt wurde. Trump habe 10 Millionen Twitterfollower, gegenüber den 4 Millionen bei Clinton gehabt. Die Neue Rechte, wie sie sich selbst bezeichnet, nennt sich auch deshalb Neue Rechte, weil sie es geschafft hab, sich das moderne Avantgardeprofil des Revoluzzers zuzuschreiben. Martin Sellner in Österreich – da könnte er im Strahl kotzen, wie er mit seinem Hipsterschnitt da sitzt und seiner tollen Hornbrille und die letzte rechte Kackscheiße ablässt – hat auf youtube einen Kanal, der zunehmend mehr Follower deswegen gewinnt, weil der Kanal wirklich gut aufgebaut ist. Da interviewt Sellner mal eine Studierende aus Weimar, die als Frau sagt, dass Feminismus sowieso doof sei und das sie mit 24 Jahren zu Hause in der Küche stehen und kochen will. Das ist authentisch. Davor ein hipper Vorspann und danach ein hipper Abspann und es macht Eindruck.“ Benny Fischer fragt seine Zuhörer,ob sie etwas in der Art bei den jungen Parteien gesehen hätten. Er fragt, wo das Pendant der CDU dazu ist, die lachhaft im Wahlkampf ihre, also wirklich erbärmliche Klingeltür aufgestellt hat. Und die CSU spreche von W-Lan 2050. Die etablierten Parteien hätten es komplett verpasst, in New Media/Social Media eine wirklich relevante Wählergruppe anzusprechen. „Das ist auch deshalb relevant – letzter Punkt – Wir sprechen bei Fake News immer davon, wie wichtig es ist, die Jugend zu erreichen und auch das ist in meinen Augen eine bittere Fehleinschätzung. Fake News ist ein Thema, das für meine Eltern und für meine Großeltern viel relevanter sein müsste, als für mich. Ich, meine Peers wissen, was einigermaßen authentisch aussieht oder nicht. Wenn ich mir anschaue, was die Generation meine Mutter manchmal auf Facebook postet, dann wird mir das deutlich…. Zu meinen, Social Media würde nur eine jüngere Zielgruppe erreichen ist ein unglaublicher Fehler.Summa summarum: Wir können es uns nicht mehr erlauben, einfach nur mit dem Finger auf die AfD zu zeigen und gleichzeitig die etablierten Parteien auszulassen. Die AfD ist halt einfach lauter auf Twitter und wenn jemand laut ist, so der Algorithmus, wird das Ganze auch schneller geteilt.“

Decker: Es sei nachvollziehbar und wichtig Erklärungen zu suchen, warum neue Parteien entstehen, warum sie stärkeren Zulauf bekommen, warum die anderen Parteien an Unterstützung einbüßen, warum aus ehemaligen Volksparteien auf einmal Kleinparteien werden. Wenn man sich beispielsweise die Ergebnisse für die Sozialdemokraten oder die Sozialisten in Frankreich und in den Niederlanden ansehe, stelle man Verschiebungen fest, die noch vor drei oder vier Jahren völlig undenkbar gewesen seien. Die Politikwissenschaftler würden das ähnlich machen wie die Wirtschaftswissenschaftler, indem sie die Nachfrageseite des Wählers und die Angebotsseite der politischen Akteure als Erklärungsfaktoren für den Erfolg der Rechtspopulisten gleichermaßen heranzögen. Prof. Decker wies darauf hin, dass Benny Fischer sich in seiner Analyse auf die Angebotsseite konzentriert habe. „Da haben sich die Bedingungen verändert und ich glaube tatsächlich, dass die sozialen Medien den Rechtspopulisten sehr nützen, weil sie nämlich ihrem Anti-Establishment-Gestus voll in die Hände spielen. Sie können im Grunde zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Einerseits sprechen sie ihre Wähler über die sozialen Medien direkt an. Andererseits können sie die herkömmlichen Medien, insbesondere den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, als Teil des Establishments brandmarken. In der Nutzung von Facebook und Co. seien die Rechtspopulisten tatsächlich erfolgreicher als die anderen Parteien, womit sie in der Wähleransprache auf die herkömmlichen Medien nicht mehr angewiesen sind. In der Schweiz gibt es in wenigen Wochen eine von der SVP lancierte Volksabstimmung für die Abschaffung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks. Man muss sich überlegen, was das für ein Land bedeute. Die neuen Möglichkeiten der Wähleransprache begünstigen also den Rechtspopulismus. Wenn es ein Potential für Rechtspopulismus gebe, braucht es doch immer auch Akteure, die in der Lage sind, dieses Potenzial auszuschöpfen, Akteure, die die sich ihnen bietenden Gelegenheiten nutzen. Beides muss zusammen kommen.“ Aber wir sollten auch die Nachfrageseite nicht aus dem Auge verlieren. Prof. Decker betont, dass dazu in den Diskussionen des Podiums schon einige wichtige Hinweise gegeben wurden, etwa das Sicherheitsproblem oder die Frage des Verhältnisses von Mehrheitsgesellschaft und Minderheiten. „Ich finde diese Formel vom „jüdisch-christlichen Abendland“ genauso verlogen wie sie, aber natürlich haben wir bestimmte kulturelle Traditionen und was bedeutet es vor diesem Hintergrund, wenn wir in relativ kurzer Zeit eine sehr große Zahl von Zuwanderern aus anderen Kulturräumen aufnehmen, integrieren müssen? Gleichzeitig haben wir soziale Probleme: Der Wohlstand in unseren Gesellschaften ist nicht gerecht verteilt. Die Menschen machen sich Sorgen, was aus ihren Arbeitsplätzen wird und welche Konsequenzen die Digitalisierung hat. Die rechtspopulistischen Parteien greifen genauso auf, sodass die Auseinandersetzung mit ihnen auf diesen beiden Ebenen – der kulturellen und sozialen – zu führen ist.“ Prof. Decker betont, dass man sich Gedanken machen müsse, wie man den sozialen und kulturellen Zusammenhalt der Gesellschaften verstärke. „Wenn die etablierten Parteien sagen: Wir werden das lösen, dann macht man schon einen Fehler, weil man Leuten damit einredet, dass die Probleme dann weg sind. Das ist aber nicht der Fall. Man kann diese Probleme nur dauerhaft politisch bearbeiten.“ Die damit verbundenen Konflikte seien in einer demokratischen Gesellschaft friedlich auszutragen. Das sei gar nichts Negatives, da zur Demokratie immer auch eine latente Unzufriedenheit gehöre. Die Demokratie lebe ja auch vom kritischen Blick ihrer Bürger und das gehe eben oftmals mit Negativbewertungen einher. Es sei einerseits notwendig, die Auseinandersetzung mit der AfD zu führen und andererseits die Ursachen für den Rechtspopulismus in den Blick zu nehmen und an diesen Ursachen zu arbeiten. „Denn eines ist ja wohl klar: Das, was die Rechtspopulisten uns an Problemlösungen versprechen, das sind Scheinlösungen. Das würde die Dinge eher noch zuspitzen und verschlimmern. Auf dieser Ebene muss man natürlich auch die Auseinandersetzung mit diesen Parteien führen. Ich habe das selber als Wissenschaftler in einer Radiosendung mit Frauke Petry gemacht. Da war noch ein anderer Kollege dabei und wir konnten sie ganz gut in die Zange nehmen. Wenn man sich gut vorbereitet und in ihr Programm schaut und versucht, sie zu entlarven, also sagt: Ihr habt ja kein Interesse an Problemlösungen, ihr habt ja gar nichts anzubieten, dann sagen die häufig, das stimmt überhaupt nicht.“ Ein Gespräch sei dann sehr schwierig. Daher solle man sich gut überlegen, in welcher Form man sich in diese Auseinandersetzung begebe.

Zum Schluss des Podiumsgesprächs bedankte sich Prof. Blumenfeld bei den Podiumsteilnehmern, bei Personen, die das Event unterstüzt haben und bei der IKGN (namentlich dem Vorsitzenden Jocki Hamburger, dem Religionslehrer German Djanatliev und Rav Schimon Grossberg). Dem schloss sich Herr Michael Grünberg, Vorsitzender des BtJD an und bedankte sich zusätzlich bei der Organisatorin der Veranstaltung, Frau Daniela Kalmar-Schönberger.

David Seldner (Stellvertretender Vorsitzender des BtJD) und Michael Grünberg (Vorsitzender des BtJD)

Nach dem Podiumsgespräch gab es noch eine Frage-/Diskussionsrunde mit den Teilnehmern, auf deren Darstellung hier aber aus Platzgründen und weil sich keine wesentlich neuen Aspekte ergaben, verzichtet wird.

Der Autor dieses Artikels fand das Thema des Schabbaton und  vor allem die Podiumsdiskussion sehr spannend und aufschlussreich. Das Themenfeld Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in den europäischen Ländern und die Gefahren, die für die jüdische Community von antifreiheitlichen und antidemokratischen Positionierungen ausgehen, sollten nicht nur stärker von Funktionsträgern in jüdischen Gemeinden und Organisationen angesprochen werden, sondern in stärkerem Maße als heute auch mit den Mitgliedern diskutiert werden. Der Schabbaton des BtJD war ein positives Beispiel dafür.

Was das Thema: „Suchen eines Weges zwischen Ausgrenzung und Appeasement“ angeht, ist der Autor davon überzeugt, dass dieser Fokus für die parlamentarische Ebene hilfreich ist, nicht aber für die Positionierung von Jüdischen Gemeinden und Verbänden. Hier muss weiterhin in aller nötigen Klarheit deutlich gemacht werden, dass Antisemiten, Rassisten und Rechtsradikale keine Gesprächspartner sind und auch nicht sein können. Mehr noch: Den Jüdischen Gemeinden ist zu raten, Mitglieder, die sich beispielsweise in Deutschland bei der AfD engagieren, aus Gemeinden und Organisationen auszuschließen, um unmissverständlich deutlich zu machen, dass da eine rote Linie überschritten ist.

© Gerhard K. Nagel
Alle Fotos: © Heinrich Kolb

Anmerkungen:

1) Prof. Dr. Frank Decker, Diplom-Politologe.
1983 – 988 Studium Politikwissenschaft, Volkswirtschaftslehre, Publizistik und des öffentlichen Rechts an den Universitäten Mainz und Hamburg.
1989 – 2001 Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft der Helmut Schmidt Universität, Hamburg.
1993 Promotion
1999 Habilitation
Seit 2001 Professor für Politische Wissenschaft an der Rheinischen Friedrich Wilhelms-Universität Bonn mit dem Schwerpunkt Regierungslehre.
Seit 2011 Wissenschaftlicher Leiter der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik (BAPP
Forschungsschwerpunkte: Demokratiereform, Regierungssystemvergleich, Parteien, Rechtspopulismus.

2) Benny Fischer
Public Affairs Officer beim Europäischen Jüdischen Kongress, Berater mehrerer Jüdische NGOs in Brüssel.
2015-2017 Präsident der Europäischen Jüdischen Studierendenunion.
Fischer war Gründungspräsident der Jüdischen Studierendenunion Deutschland und Stipendiat des Ernst Ludwig Ehrlich Studienwerkes. Er studierte Recht an der Bucerus Law School und Politikwissenschaft an der Universität Hamburg.
In seiner Arbeit versucht Fischer politische Allianzen mit den Roma, der armenischen und der muslimischen Community zu bilden, jüdische Gemeinden in Europa zu modernisieren und in den Europäischen Institutionen und der OSZE Antisemitismus zu bekämpfen. Hierbei gerät er immer wieder mit rechtsradikalen Politikern aneinander.

3) Prof. (FH) Awi Blumenfeld, Akademiker, Unternehmer, Erzieher, Mentor vor allem in der deutschsprachigen jüdischen Welt.
Fellow des Joseph Carlebach Institute for Jewish Teachings der Bar Ilan Universität.
Vorsitzender der Historischen Kommission der Claims Conference in Tel Aviv, Professor und Gründungsdirektor an der Kirchlich Pädagogischen Hochschule Wien/Krems (KPH), sowie am Rabbiner-Dr.-David-Feuchtwang-Institut für Jüdische Religionspädagogik, Jüdische Studien und Iwrit der Universität Wien. Er lebt mit seiner Frau und vier Kindern in München, Wien und Tel Aviv.