Mit der Hakenkreuzfahne in Palästina

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Israel feiert in ein paar Monaten seinen 70. Geburtstag. Vor 70 Jahren endete damit auch die deutsche Präsenz in Palästina. Zuvor unterhielten die Palästina-Deutschen dort einen Außenposten der NSDAP…

Von Ralf Balke
Zuerst erschienen in: Jungle World v. 11.01.2018

Was hat eine Saalschlacht zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten in einer Bierschwemme im schwäbischen Nagold im Jahr 1931 mit der Ortsgruppe der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) in Jerusalem zu tun? Offensichtlich eine Menge. Denn mitten im Getümmel befand sich der 21jährige Lehramtsstudent Ludwig Buchhalter. »Ich wurde Zeuge, wie ein befreundeter SA-Mann durch einen Revolverschuss schwer verletzt wurde«, erinnerte er sich noch Jahrzehnte später an dieses Ereignis, das ihn nachhaltig prägen sollte. Politisch zuvor eher desinteressiert, trat Buchhalter kurz darauf der NSDAP bei. Auch das ist eigentlich nichts Besonderes, schließlich taten das damals Hunderttausende. Doch in seinem Fall gibt es eine gewisse Pikanterie: Buchhalter stammte aus Jerusalem, wohin er nach seiner Ausbildung zurückkehrte. Dort wurde er 1932 Lehrer an der Deutschen Schule und 1933 Leiter der NSDAP-Ortsgruppe.

Diese Nazizelle war Teil eines Netzwerks, das bald unter der Bezeichnung Landesgruppe der NSDAP in Palästina bekannt werden sollte. Wie in Jerusalem rekrutierten sich ihre Mitglieder mehrheitlich aus der Tempelgesellschaft, einer pietistischen Abspaltung der Landeskirche Württembergs, deren Anhänger sich die »Errichtung des Reichs Gottes auf Erden« auf ihre Fahnen geschrieben hatten – und das natürlich nirgendwo anders als im »Heiligen Land«. Sich selbst sahen die frömmelnden Schwaben als neues auserwähltes Volk Gottes, weshalb sie ein Anrecht auf Palästina hätten, wohin sie ab 1868 auswanderten. Gewiss, Gott habe, so Christoph Hoffmann, einer ihrer Anführer, dieses Land einmal den Juden zugesprochen, doch hätten sich diese durch ihre Opposition zu Jesus »versündigt«.

Immerhin errichteten die Palästina-Deutschen sieben Siedlungen. Zudem war ihr Projekt der erste erfolgreiche Versuch einer europäischen Ansiedlung in der Region seit den Kreuzzügen – aber die geplante Herrschaft fiel mangels Masse ins Wasser. Zu Beginn der dreißiger Jahre zählte ihre Gemeinschaft knapp 2500 Personen. Das sollte sie nicht daran hindern, in strikter Trennung von allen Nichtdeutschen zu leben. Schließlich würden die Araber nur »das Brot der Faulheit« essen, wie es hieß, und der Erfolg der Zionisten erkläre sich allein durch die »Macht des jüdischen Goldes«. Ihr klassischer Antijudaismus wurde bald durch rassenbiologische Ideen angereichert. Wenig verwundern darf es daher, wenn 1935 ihr Zentralorgan Die Warte des Tempels stolz verkündete, man habe sich seit Generationen »in der Rassenfrage ganz im nationalsozialistischen Sinne verhalten«.

Wie die Biographie Buchhalters zeigt, leitete das Jahr 1933 eine für die Paläs­tina-Deutschen verhängnisvolle Wende ein: Den Aufstieg Adolf Hitlers deu­teten sie als Beginn einer Renaissance Deutschlands, weshalb sich die schwä­bischen Siedler erstmals überhaupt für eine politische Partei begeisterten. Bereits 1932 hatte Karl Ruff, ein Architekt aus Haifa, erste Kontakte zur Auslandsorganisation der NSDAP geknüpft, die für die Mitglieder jenseits der Reichsgrenzen zuständig war. Vor 1933 besaßen gerade einmal sechs Personen im bri­tischen Mandatsgebiet Palästina das braune Parteibuch. Aber schon im ­November 1933 waren es 42. Bis Januar 1938 wuchs die Zahl auf über 330 – das entsprach rund 17 Prozent aller Palästina-Deutschen. Damit war jeder dritte Erwachsene in die NSDAP eingetreten. Angesichts der Tatsache, dass im Durchschnitt nur fünf Prozent aller im Ausland lebenden Deutschen NSDAP-Parteimitglieder waren, war das ein Spitzenwert.

Diese Entwicklung ist umso bemerkenswerter, weil die lokalen Partei­matadore wie ihre großen Vorbilder im Reich einen ausgesprochenen Hang zu Intrigen an den Tag legten, der die Agitation eher lähmte. Vor allem der spätere Landesgruppenleiter Cornelius Schwarz trat wie die Karikatur eines Nazis auf: »Herr Schwarz senior, ist klein, äußerst unattraktiv und wirkt alles andere als heroisch«, erinnert sich Ernst Marcus, einst Repräsentant des Palestine Office der Jewish Agency. »Über und über mit Naziabzeichen dekoriert, watschelte er herum und erhob zu jeder Gelegenheit den Arm zum Hitler-Gruß.« Schwarz’ Karriere erklärte sich allein über persönliche Kontakte. Denn Schwarz junior hatte in Kairo eine Landesgruppe der NSDAP aufgebaut und stand deshalb mit Rudolf Hess und dessen Bruder Alfred, beide in Ägypten ­geboren, auf bestem Fuß, was ihm einen hohen Posten bei der Auslands-Organisation einbrachte.

Zudem sahen die Palästina-Deutschen den Nationalsozialismus durch ihre ganz spezifisch religiöse Brille: »Es ist schon eine ganze nette Hitlergemeinde hier, welche regelmäßig zu den Reden kommt, auch kommen immer junge Leute, die auch schon begeistert sind«, schrieb Schwarz 1933. Nicht nur für ihn leitete der Aufstieg Hitlers die lang ­ersehnte »Zeitenwende« ein. Die Deutung erfolgte fast ausschließlich anhand pietistisch geprägter Kategorien. Hitlers Reden im Rundfunk waren ein »wahrer Gottesdienst« und in der Machtübernahme sahen sie die Voll­endung eines von Martin Luther be­gangenen Reformwerks auf nationaler Ebene.

Bald gab es in jeder deutschen Siedlung eine NSDAP-Ortsgruppe. Sehr ­erfolgreich kopierte man den aus dem Dritten Reich bekannten Organisationsaufbau. Viele Details, wie etwa die ­Hebräisch-Sprachkurse, angeboten von der Hitler-Jugend in Haifa, erscheinen aus heutiger Sicht eher skurril. Doch sind sie Ausdruck einer perfekten Gleichschaltung aller Deutschen vor Ort, die absolut freiwillig geschah. Denn im Unterschied zur Lage in Deutschland verfügte die lokale NSDAP nicht über einen Repressionsapparat. Niemand, der ein abweichendes Verhalten an den Tag gelegt hätte, wäre an Leib und ­Leben bedroht gewesen. Zu Recht kann man daher von einer Selbstnazifizierung sprechen. Auch innerhalb der traditionell angesehenen Tempelgesellschaft regte sich kaum Protest. Allenfalls klagte man, dass die »Jugend aus Jaffa nur das Horst-Wessel-Lied singen kann, aber sich dem Gemeindeleben entzieht«.

Bis zum Jahr 1939 gewann die NSDAP an Präsenz in Palästina. Die Araber ­forderten explizit, an deutschen Autos eine Hakenkreuzfahne anzubringen, damit die Insassen nicht mit Juden oder Briten verwechselt werden. Landesgruppenleiter Schwarz empfahl allen Palästina-Deutschen, das Hakenkreuzabzeichen zu tragen, unabhängig davon, ob sie Parteimitglied seien oder nicht. Diese Maßnahmen hatten wiederum zur Folge, dass sich auf jüdischer und britischer Seite der Verdacht erhärtete, die Palästina-Deutschen stünden den arabischen Aufständischen nahe. Buchhalter bekam dies einmal hautnah zu spüren, als er auf einer Fahrt von Jerusalem nach Jaffa dank seiner Hakenkreuzfahne am Wagen arabische Dörfer zwar ungehindert passieren konnte, später aber von Juden beschossen wurde. Auch der zwischen der deutschen Siedlung Wilhelma und Jerusalem pendelnde Molkereiwagen führte eine ­Hakenkreuzfahne an Bord, die von den gelegentlich mitfahrenden jüdischen Passagieren geschwenkt werden musste.

Der Zweite Weltkrieg läutete das Ende der deutschen Präsenz in Palästina und damit auch der Landesgruppe der NSDAP ein. Zahlreiche Wehrpflichtige, unter ihnen der Jerusalemer Ortsgruppenleiter, konnten das Land auf dem Seeweg verlassen. Die ­übrigen Palästina-Deutschen wurden verhaftet, durften aber bald in ihre Häuser zurückkehren. Der Vormarsch Erwin Rommels in Nord­afrika bot den Briten den Anlass, über 500 Palästina-Deutsche nach Australien zu verschiffen, wo sie im April 1945 in einem Internierungslager im Outback noch voller Hoffnung auf den Endsieg Hitlers Geburtstag feierten.

Das allzu offene Bekenntnis der Palästina-Deutschen zum Nationalsozialismus machte nach 1945 eine Rückkehr unmöglich. Bis zur Gründung Israels 1948 mussten auch die letzten von ihnen das Land verlassen. Die Mitglieder der Tempelgesellschaft lebten fortan nur noch in Deutschland und Australien. Deren Neuanfang wurde ihnen dadurch erleichtert, dass die Bundesrepublik ­Israel dazu nötigte, 54 Millionen Deutsche Mark aus den sogenannten Wiedergutmachungszahlungen zur Entschädigung für konfisziertes palästina-deutsches Eigentum zu verwenden. Ungeachtet seiner politischen Vorgeschichte profitierte auch der ehemalige NSDAP-Ortsgruppenleiter Buchhalter davon. Der bis zu seiner Pensionierung 1975 im Schuldienst Baden-Württembergs stehende Lehrer wurde für sein Haus in Jerusalem in den fünfziger Jahren vom israelischen Staat mit einem fünfstelligen Betrag fürstlich ­entschädigt.

Bild oben: Viele Anhänger der Tempelgesellschaft in Palästina wurden später zu NSDAP-Mitgliedern. Gemeinde in Wilhelma, Datum unbekannt