Die Nacht der Taschenmesser ist eröffnet?

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Der französische Front National nach den Parlamentswahlen…

Von Bernard Schmid, Paris

Beim französischen Front National (FN) eskalieren seit den letzten Junitagen 2017 die innerparteilichen Konflikte, während die Chefin Marine Le Pen ankündigte, beim nächsten Parteitag – er ist nun für „Februar oder März 2018“ angekündigt – stehe eine „Neugründung“ an. Diese dürfte sich vor allem in einer geplanten Namensänderung für die Partei niederschlagen, die Marine Le Pen noch wenige Wochen zuvor ablehnte, nun jedoch erklärtermaßen befürwortet ((vgl. http://www.lexpress.fr/actualite/politique/fn/marine-le-pen-repete-vouloir-tout-changer-au-fn-y-compris-le-nom_1922446.html )) ; vielleicht, um andere Änderungen inhaltlicher Art abzubügeln ((vgl. http://www.lemonde.fr/politique/article/2017/06/30/le-fn-face-au-risque-d-une-refondation-de-pure-forme_5153602_823448.html )). Nur nebenbei sei notiert, dass gegen Marine Le Pen seit dem 30.06.17 nun ein Strafverfahren läuft, wegen der Betrugsaffäre im Europaparlament, wo vorgebliche parlamentarische Mitarbeiter/innen in Wirklichkeit rein inländische Beschäftigte in der Parteizentrale waren.

Am selben Tag, dem 30. Juni 17 (sozusagen passend zum Datum der „Nacht der langen Messer“ vom 30. Juni 1934, der damaligen Generalabrechnung innerhalb der NSDAP…), kam es innerparteilich zur Zuspitzung. An jenem Tag wurde die bisherige Chefin der FN-Fraktion im Regionalparlament Bourgogne-Franche Comté (in Zentral-Ostfrankreich, umfasst u.a. Burgund & den französischen Jura) – Sophie Montel – de facto durch die Parteiführung abgesetzt. Montel spielt übrigens ebenfalls in der Betrugsaffäre im EU-Parlament eine Schlüsselrolle, und sie war es, die ihrerseits Europaparlaments-Abgeordnete der französischen Zentrumspartei MoDem wegen ähnlicher Praktiken denunziert hat ((vgl. http://www.lefigaro.fr/politique/2017/05/31/01002-20170531ARTFIG00341-sophie-montel-la-philippotiste-a-la-manoeuvre-dans-l-affaire-des-assistants-parlementaires.php und http://www.lefigaro.fr/elections/legislatives/2017/05/30/38001-20170530ARTFIG00118-assistants-parlementaires-l-enquete-concerne-19-eurodeputes-dont-hortefeux-et-lavrilleux.php )); dies war jedoch für die jüngsten inneparteilichen Vorkommnisse nicht Ausschlag gebend.

In einer e-Mail forderte der Generalsekretär der Partei, Nicolas Bay, die übrigen Regionalparlamentarier/innen der extremen Rechten mehr oder minder ultimativ dazu auf, ihrer bisherigen Fraktion den Rücken zu kehren und eine neue zu formieren. Dies geschah auch im Laufe des Tages – weshalb die rechtsextremen Regionalparlamentarier auch „praktischerweise“ die Sitzung schwänzten, bei welcher der Auschwitz-Überlebenden und früheren liberalen Ministerin Simone Veil die Ehre erwiesen wurde, welche zu Lebzeiten oft als jüdische Politikerin angegriffen wurde und im Alter von 89 Jahren verstarb. ((Vgl. https://mobile.twitter.com/Limportant_fr/status/881055796838137856 ))

Was hatte Sophie Montel sich zuschulden kommen lassen? Sie hatte im Zuge einer Auswertung der jüngsten Parlamentswahlen aus Sicht der extremen Rechten angeregt, ihre Partei sollte in Zukunft eventuell eine „weniger Angst erregende (moins anxiogène)“ Propaganda beim Thema Einwanderung auswählen. ((Vgl. http://www.lefigaro.fr/politique/2017/06/22/01002-20170622ARTFIG00211-au-fn-les-proches-de-philippot-veulent-reformer-le-discours-sur-l-immigration.php)) Dies wurde ihr als Angriff auf einen fundamentalen Aspekt, einen entscheidenden Stützpfeiler der Partei„programmatik“ ausgelegt und zur Last gelegt. Sophie Montel gilt aber auch als wichtigste innerparteiliche Verbündete des jungen Chefideologen Florian Philippot, welcher eine der faktischen (jedoch unerklärten) innerparteilichen Strömungen vertritt.  Eine Strömung mit einer eigenen Linie, die sich ungefähr wie folgt kennzeichnen lässt:

° (etwas) weniger dezidiert rassistisch und nicht ganz so fanatisch anti-muslimisch;

° stattdessen stärker auf einen vor allem Anti-EU-orientierten und weniger Blut & Boden-basierten, d.h. einen politischen Nationalismus ausgerichtet (dies wird allgemein als „Souveränismus“ bezeichnet, ihn gibt es auch bei anderen Parteien wie in Teilsegmenten der konservativen Rechten);

° stärker „sozial“ argumentierend und weniger wirtschaftsliberal – deswegen aber vielleicht längerfristig umso gefährlicher;

° weniger reaktionär in gesellschaftspolitischen Belangen (v.a. bei der Frage der Akzeptanz der Homosexuellenehe) und weitaus weniger katholisch-kulturkämpferisch.

Philippots Positionen sind aufgrund der innerparteilichen Krisensituation infolge der weitgehend verlorenen Präsidentschafts- und Parlamentswahlen nunmehr verstärkt unter Beschuss geraten. Um für einen „Ausgleich“ im innerparteilichen Kräftegleichgewicht zu sorgen, hat Marine Le Pen kurz darauf neben Sophie Montel nun auch noch einen weiteren Regional-Anführer abzusetzen gedroht, Philippe Gannat in Westfrankreich ((vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2017/06/30/97001-20170630FILWWW00163-le-pen-demet-deux-responsables-regionaux-fn.php?pagination=2 und http://www.lefigaro.fr/politique/2017/06/30/01002-20170630ARTFIG00196-marine-le-pen-demet-deux-cadres-frontistes-pour-calmer-les-rivalites.php )),welcher eher ultrareaktionäre Positionen einnimmt, die in manchen Punkten jenen Philippots diametral widersprechen. Allerdings sandte die Parteiführung in diesem Falle keine e-Mail an alle Mitglieder der Regionalparlamentsfraktion, um diese unter Druck zu setzen, wie Nicolas Bay dies bei Sophie Montel tat.

In einer ersten Reaktion erklärte Florian Philippot dann auch, er werde Sophiel Montel „niemals fallen lassen“. ((Vgl. http://www.lefigaro.fr/flash-actu/2017/06/30/97001-20170630FILWWW00398-fn-philippot-n-abandonnera-jamais-montel.php?cmtpage=0 )) Er seit in den sechhs Jahren seiner Präsenz beim FN (seit 2011) „häufig attackiert worden, oftmals auch homophoben Angriffen ausgesetzt gewesen, doch eine war immer da: Sophie Montel war immer an meiner Seite.“ Überdies sei Montel diejenige Spitzenkandidatin des FN bei den Regionalparlamentswahlen im Dezember 2015 gewesen, die den Sieg – also die absolute Mehrheit in der Stichwahl – am knappsten verfehlt habe. Die 47jährige Politikerin ihrerseits erklärte, sich nunmehr zu überlegen, ob sie noch in der Partei verbleibe, nachdem sie den Fraktionsvorsitz verlor. Jedenfalls lasse sie sich „nicht vom Generalsrang zum einfachen Soldaten degradieren, eine solche Erniedrigung würde ich nicht hinnehmen“ (sic) und sprach von einer „Kriegserklärung“. ((Vgl. http://www.lemonde.fr/politique/article/2017/07/01/guerre-ouverte-au-fn-avec-la-suspension-de-plusieurs-cadres-du-parti_5154059_823448.html ))

Zu der Strömung rund um Philippot (und Sophie Montel) zählen auch zwei Regionalparlaments-Abgeordnete in der eingangs zitierten französischen Region Bourgogne-Franche Comté: Antoine Chudzik und Julien Acard. Beide waren infolge ihrer Kritik an der Wahlkampfführung vor den Parlamentswahlen – für welche Nicolas Bay als Generalsekretär der Partei verantwortlich zeichnete – durch die Parteiführung von ihren Mitgliedsrechten suspendiert worden. Ebendies hatte den Anlass dafür gegeben, dass Sophie Montel sich brieflich an Marine Le Pen wandte, um die beiden Abgeordneten aus „ihrer“ Region zu verteidigen; was wiederum den Anlass dazu gab, dass Montel ihrerseits am 30. Juni den Fraktionsvorsitz einbüßen musste. ((Vgl. http://www.lemonde.fr/politique/article/2017/07/01/guerre-ouverte-au-fn-avec-la-suspension-de-plusieurs-cadres-du-parti_5154059_823448.html ))

Beide abgestraften Regionalparlamentarier reagierten jedoch mit einer Art Flucht nach vorne: Antoine Chudzik erklärte, er werde nun erst einmal der durch Philippot angemeldeten Vereinigung Les Patriotes beitreten. Denn „es kann nützlich sein, über einen Ort zu verfügen, wo man in Ruhe und gelassen debattieren kann“, sei es inner- oder außerhalb des FN. Und Julien Acard reagierte mit einer inhaltlichen Kritik an den derzeitigen Versuchen, die Ausrichtung der Partei zu beeinflussen: „Die Richtung, die die < Neugründung > annimmt, gefällt mir nicht. Ich bin Souveränist, jedoch nicht rechtsextrem.“

Der innerparteiliche Richtungskampf und Flügelstreit ist also voll entbrannt. Vorläufig jedenfalls scheint Philippot dabei jedoch an der Parteibasis über schlechtere Karten zu verfügen. Fortsetzung folgt garantiert…

Bild oben: Anti-Marine Le Pen Poster in Paris, zwischen den beiden Präsidentschaftswahlgängen 2017, (c) Celette, wikicommons