After Peacecamp 2017

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Ein Blick hinter die Mauern des Vertrauten und des Fremden…

Von Evelyn Böhmer-Laufer

show4peace im Wiener Theater Dschungel. In der Küche des Restaurants „Media“ werden in großen Töpfen Zutaten gemixt und Speisen bereitet. Ein Kellner begrüßt die Gäste und liest die Speisekarte vor: „Welcome to Media restaurant. Today’s specialty: the-foreigners-are-stealing-our-jobs Steak with immigrants-rape-our-women fries and mixed unspecified-fears-towards-Muslims salad. Alternatively we can offer the-Jews-rule-the-world-with-their-dirty-money-Bolognese sprinkled with some nice bigotry and for desert: I-am-not-a-racist-but-cake. The racism is especially fresh today”.

An den Tischen des Familienrestaurants warten Gäste darauf, bedient zu werden. Am afroeuropäischen Pärchen gehen die Kellner wie an Luft vorbei. Die Mutter-Mutter-Kind-Gruppe wird von der Serviererin als „keine Familie“ und deshalb als nicht ins Familienrestaurant passend bezeichnet. Dem „alternativen“ Hetero-Pärchen hingegen, das sich hier zum Date trifft, werden die schrulligsten Wünsche – „Vegan, kein Zucker, zum Trinken reines Wasser und bloß keine Löffel!“ – erfüllt. Dass der junge Mann einen 4-jährigen homosexuellen Sohn hat, findet die junge Dame entzückend. Eine forsch auftretende Sicherheitsbeamtin kontrolliert Identitätsausweise, eine Detonation erinnert an Anschläge in Restaurants wie diesem. Der Reihe nach erzählen Mitarbeiter oder Gäste des Media Restaurants von Erlebnissen – dem Einschlagen einer Rakete, dem Laufen in den Luftschutzkeller, dem autoritären Gehabe von Sicherheitskontrolleuren am Flughafen oder von einem Homosexuellen, der, von seinen eignen Söhnen und Neffen angeschossen, eine bleibende Lähmung davongetragen hat: „Sie machten den Fehler, auf ihn zu schießen, er machte den Fehler, schwul zu sein.“ Ein Teilnehmer berichtet von seinem Augen öffnenden Erlebnis am peacecamp – dem coming out einer besonders beliebten Mitarbeiterin des peacecamps mit den an ihn gerichteten Worten: „Wenn du noch nie eine/n Homosexuelle/n gesehen hast, schau mich an. Ich bin lesbisch.“

Vom Hantieren mit den Zutaten Bigotterie, Fremdenhass, Homophobie angewidert, kündigt das Küchenpersonal; ein Gast verlässt das Lokal, ohne da zu speisen: “I cannot eat here: This food makes people act weird.“

[youtube]https://youtu.be/5U4kFqG_Xys[/youtube]

Jede Textzeile der show4peace – Abschluss des fünfzehnten peacecamps mit Schülerinnen und Schülern aus jüdischen und arabischen Gemeinden in Israel, Teenagern aus Ungarn und aus Österreich, sowie einigen in Österreich residierenden Schutzsuchenden aus Gambia und Somalia – stammt aus den Berichten und Gesprächen der Jugendlichen am peacecamp. Am Abend zuvor waren sie im Rahmen der show4peace/Lackenhof, wo sie sich neun Tage lang dem interkulturellen und interreligiösen Dialog, dem gemeinsamen Lösen kniffeliger Aufgaben, einer täglichen „Großgruppe“ zum Erörtern komplexer inter- und intrapersoneller Probleme und fordernden „Friedensgesprächen“ gewidmet hatten, mit einer entsprechenden Urkunde zu „Botschaftern des Friedens“ ernannt worden. Die nur neun Tage vor dieser Aufführung einander fremden Jugendlichen, die miteinander in einer Fremdsprache – Englisch – kommunizieren mussten, waren zu einer Gruppe, ja zu einer Art Familie zusammengewachsen. Gemeinsam hatten sie sich über höchst schwierige, komplexe Themen ihrer jeweiligen Gesellschaft – Gefühle der Diskriminierung, Vorurteile, Xenophobie, den Umgang mit „Anderen“, „Fremden“ – auseinandergesetzt und dabei erfahren, dass sie nicht nur Opfer von Diskriminierung, sondern auch selbst Träger diskriminierender, andere Menschen oder Gruppen herabsetzender Einstellungen sein konnten; dass die Unterscheidung zwischen „vertraut“ und „fremd“ , zwischen “meiner“ und einer anderen Gruppe keine eindeutige, die Grenze zwischen „meinem“ und „deinem“ – geistigen oder physischen – Territorium keine von Gott gegebene ist, vor allem aber, dass es möglich ist, „Territorium“ zu teilen und es miteinander – nicht gegeneinander – zur Heimat werden zu lassen. Es war ihnen gelungen, schwierige Aufgaben durch Zusammenlegen von Talenten und Ressourcen zu bewältigen und mit Kraft, Kreativität, Kooperation und Empathie etwas Neues, Herzeigbares entstehen zu lassen: eine show4peace.

Die Adoleszenz ist seit jeher die Entwicklungsphase des kritischen Überdenkens tradierter Normen, Werte und Narrative; sie ist das Alter, in dem junge Menschen bereit sind, die in ihrer Familie geltenden Codes, Gepflogenheiten und die ihnen überlieferte Ethik zu hinterfragen, ja sich gegen sie aufzulehnen, um schließlich, durch die Begegnung mit neuen, fremden Menschen und die Identifizierung mit neuen Vorbildern zu eigenen Überzeugungen und Haltungen zu gelangen. Die Begegnung mit Anderen ermöglicht das Erkennen, dass das Bild, das man sich von diesen „Fremden“ machte, nicht unbedingt dem in der realen Begegnung entstehenden Bild entspricht. Die Begegnung macht es möglich, Projektionen zu erkennen und zu verstehen, dass der verpönte, geächtete Fremde durchaus auch (unliebsame) Anteile der eigenen Person aufweisen kann, dass es leichter ist, diese ihm, dem Fremden, zuzuschreiben, als sie als Teil der eigenen Person wahrzunehmen und anerkennen zu lernen.

peacecamp ist ein Raum, in dem Neues erlebt und gelebt werden kann; ein Raum, Neues zu erfahren, Neues auszuprobieren und zu neuen Erkenntnissen und Schlüssen über sich und andere zu gelangen. „Wie machst du das, dass wir hier so viel an Selbstsicherheit gewinnen?“ fragte mich einer der Teilnehmer des diesjährigen peacecamps. „Ich mache gar nichts,“ erwiderte ich, „ich habe euch nur Raum gegeben, euch und andere kennenzulernen und herauszufinden, was alles in euch steckt. Und damit machst du, damit macht jeder von euch dann irgendetwas Neues – und erlebt dadurch Neues, worauf zu ihr zu Recht stolz sein dürft.“

Wien, Juli 2017

[youtube]https://youtu.be/z1BJ_nwyfZE[/youtube]

 

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