Kauft bei Juden!

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Fronleichnam bei St. Stephan. Auszug: Kaiser Franz Joseph I. hinter dem Sanctissimum. Im Hintergrund das Kaufhaus Rothberger mit zahlreichen Schaulustigen in den Auslagenfenstern.

Geschichte einer Wiener Geschäftskultur…

Von Monika Halbinger

Schlendert man durch die Innenbezirke Wiens, fällt dem Besucher recht bald auf, dass es in dieser sonst so vielfältigen Metropole an Kaufhäusern, wie man sie aus anderen großen Städten kennt, mangelt. Den Grund für diesen recht bemerkenswerten Umstand erklärt eine neue Ausstellung des Jüdischen Museums Wien, welche die Geschichte dieser einstigen, heute nahezu schon aus dem kollektiven städtischen Bewusstsein verschwundenen Konsumtempel beleuchtet. Viele dieser aus den Kronländern im 19. Jahrhundert zugewanderten Eigentümer, wie z.B. Rothberger oder Zwieback, waren nämlich jüdisch. Für sie bedeutete die Verfolgung und Vertreibung durch die Nationalsozialisten die Enteignung und das Ende ihrer Geschäftstätigkeit, die bis heute eine Leerstelle im Wiener Handel hinterlassen hat.

Der Titel „Kauft bei Juden“ als positiv gewandelte Referenz auf den bekannten antisemitischen Slogan der Nationalsozialisten mag gewöhnungsbedürftig sein, gerade weil er immer noch den Hass und die Verfolgung als Bezugspunkt aufweist; die Ausstellung selbst aber behandelt kompetent und differenziert die verschiedensten Aspekte dieses großen Themas.

Gleich im ersten Ausstellungsraum macht man die Bekanntschaft mit Ella Zirner-Zwieback. Auf einer Parkbank sitzend kann man ein von ihrem Enkel, dem Schauspieler August Zirner, eingesprochenes Kapitel des Romans „Die Stadt ohne Juden“ anhören. Als einzige Frau unter den Kaufhausbetreibern war sie auch die einzige namentlich genannte Person der Zeitgeschichte in Hugo Bettauers prophetischem Buch aus dem Jahr 1922, das eine Vertreibung der Juden aus Wien und den infolge dessen eintretenden Verfall der Stadt imaginierte. Auch im Falle des nun von Nichtjuden geführten Kaufhauses Zwieback bleibt die Kundschaft schließlich aus.

Tatsächlich waren die Warenhausbesitzer, das wird in der Ausstellung deutlich gezeigt, mit antisemitischer Bösartigkeit und Ressentiments konfrontiert, die – was angesichts des irrationalen Charakters des Antisemitismus nicht überrascht – keiner realen Begebenheit bedurften. Die jüdische Identität spielte im öffentlichen Leben der Geschäftsleute, so z.B. in Bezug auf die Einhaltung von Schabbat und Feiertagen keine Rolle. Dennoch wurden die Kaufhäuser, die den gestiegenen Warenbedarf der Metropole für jedes Preissegment befriedigten, diffamiert. Der Wiener Gemeinderat Gregorig bezeichnete 1894 das bekannte, gegenüber dem Stephansdom gelegene Kaufhaus von Jacob Rothberger als „Judenburg“ und „Mausoleum von alten Hosen“. Generell wurde der Vorwurf erhoben, die KäuferInnen würden dazu verführt, Waren von minderer Qualität zu kaufen, und somit letztlich betrogen. Der seriöse Einzelhandel würde so zerstört. Der Besuch der Ausstellung macht recht schnell klar, dass diese antisemitischen Ressentiments einem auch heute noch sehr bekannt vorkommen, zumindest in Form eines strukturellen Antisemitismus, wenn beispielsweise ähnliche Vorbehalte den angeblich so seelenlosen Shoppingcentern entgegengebracht werden.

Dabei schufen die Kaufhäuser moderne Erlebniswelten ohne Konsumverpflichtung. Jeder konnte die Geschäfte betreten und sich der Waren erfreuen, ohne sie erwerben zu müssen. Sie leisteten einen wichtigen Beitrag zur Modernisierung (die Kritik schlug auch immer antimoderne Töne an), indem sie gerade Frauen Möglichkeiten der beruflichen Partizipation bei in der Regel sehr guten Sozialleistungen, aber auch des – zumindest im vorgegebenen normierten Rahmen – Auslebens von Individualität mittels leistbarer Mode boten. Zwar waren die Warenhäuser in ihrem jeweiligen Angebot gewöhnlich an die Kaufkraft der umliegenden Bevölkerung angepasst, ermöglichten aber einen gesellschaftlichen Austausch über die sozialen Grenzen hinweg und wirkten somit egalisierend.

Es ist nicht verwunderlich, dass diese Welt, die nicht mehr ist, durch das Engagement, den Mut und dass innovative Geschick von Migranten geschaffen wurde, war doch die Selbständigkeit – wie auch heute – für Neuankömmlinge eine Möglichkeit, trotz restriktiver Berufsbestimmungen und dem Alltagsrassismus der Umgebung, ein Auskommen zu finden. Fotografien, Zeitungsartikel und Plakate illustrieren die Blüte dieser vergangenen Wiener Kaufhauskultur. Die Außenarchitektur der häufig im Stil der Moderne erbauten Warenhäuser, das Interieur und die sinnlich-ästhetische Komponente dieser Geschäfte spiegeln sich in der ansprechenden und atmosphärischen Ausstellungsgestaltung wider.

Im letzten Ausstellungsraum werden Bezüge zur Nachkriegszeit hergestellt. So war der Wiederaufbau jüdischen Lebens in Wien eng mit der Entstehung des Textilviertels verknüpft. Die kleinen Geschäfte boten nicht nur Erwerbsmöglichkeiten, sondern fungierten als soziale Räume für die wachsende jüdische Gemeinde. In Interviews mit Zeitzeugen werden Läden ins Gedächtnis gerufen, die bis noch vor wenigen Jahren bestanden und den meisten WienerInnen noch bekannt sein werden, wie z.B. das Textilgeschäft Zalcotex am Fleischmarkt. Die Zeit der Kaufhäuser war jedoch endgültig Geschichte. Die meisten der aus Österreich vertriebenen Unternehmerfamilien wollten nicht mehr in ein Land zurückkehren, das sich selbst als erstes Opfer des Nationalsozialismus verstand und Restitutionsprozesse zu Lasten der Beraubten verschleppte.

Die von Astrid Peterle kuratierte Ausstellung ist ausdrücklich zu empfehlen und noch bis 19. November 2017 im Jüdischen Museum Wien, Dorotheergasse zu sehen. Zur Ausstellung ist auch ein gleichnamiger Katalog erschienen.

Näheres zum Jüdischen Museum Wien und zur Ausstellung unter www.jmw.at

Bild oben: Fronleichnam bei St. Stephan. Auszug: Kaiser Franz Joseph I. hinter dem Sanctissimum. Im Hintergrund das Kaufhaus Rothberger mit zahlreichen Schaulustigen in den Auslagenfenstern, (c) Bildarchiv der österreichischen Nationalbibliothek