Stadt mit „NS-Stigma“

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Am 6.04.2017 drang aus dem BR-Hörfunk ans Ohr: Kaum eine andere Stadt im Dritten Reich sei so mit dem Nationalsozialismus verknüpft wie Landsberg am Lech. Aufklärung und ein städtisches NS-Dokumentationszentrum wären also vonnöten. Eine Überraschung ohnegleichen. Warum?…

Von Hermann Kriegl

Die Dokumentation „Adolf Hitlers ‚treueste Stadt’ Landsberg am Lech 1933-1945“, seit 2003 im Buchhandel, füllte erstmals umfassend eine klaffende Lücke in der NS-Ortsgeschichte und zeithistorischen Forschung. Mit SPD-Oberbürgermeister Ingo Lehmann fand ein Pressetermin statt („LT“) und die „Augsburger Allgemeine“ berichtete darüber. Ferner erschien in der „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ der Artikel „Hotelvollzug in Zelle 7“ von Prof. Dr. Rainer Blasius (20.Dezember 2004).

Aber die Studien Die „Hitler-Stadt“ (2009) und „Vom Wesen der NS-Provinz Landsberg“ (2012) hat die Stadt bis heute mit keiner Silbe erwähnt. Doch dafür empfing der Verfasser offizielle Anerkennung im In- und Ausland.

Umso mehr erfreut es aber den Verfasser, dass seine jahrelangen Bemühungen nun endlich in der einstigen „Hitler-Stadt“ am Lech zu wirken scheinen. Ist die Stadt derzeit weniger verschlossen? Der aktuellen Einsicht wegen?

Im April 2017 beschloss nämlich der Stadtrat einstimmig sogar den Aufbau eines eigenen Dokumentationszentrums. Obwohl Dr. phil. Hermann Kriegl wesentlich früher angelegentlich daran erinnerte, was alles passierte – nicht irgendwo oder ganz weit weg, sondern hier.

Ganz zu schweigen von Anton Posset, Träger des“ Étoile Civique d’Or“, 1. Vorsitzender der Bürgervereinigung im 20. Jahrhundert zur Erforschung Landsberger Zeitgeschichte und Erhaltung der KZ-Bunker Kaufering VII e.V. Er begann 1983 am Märchen der NS-Unschuld Landsbergs zu kratzen. Widersacher einer kritischen Musterung der einstigen „Hitler-Stadt“ tendieren nach wie vor dazu, den in Szene gesetzten Nazi-Zauber, das Zelebrieren des Führer-Kults, insonderheit am „Hochaltar des Nationalsozialismus“ zu ignorieren oder merklich zu verharmlosen. Im städtischen Auftragswerk „Landsberg in der Zeitgeschichte – Zeitgeschichte in Landsberg“ (Hg.) V. Dotterweich und K. Filser in Verbindung mit Elke Kiefer und der Stadt Landsberg am Lech, mag dem vorurteilslosen Leser, der befähigt ist, sein Urteil selbst zu bilden, eine Art von Gleichschritt-Choreographie nicht entgehen. Allzumal, wenn in der redaktionellen Vorbemerkung Autoren aufgerufen werden, welche die braune Provinz am Lech mit dem Hinweis nivellieren, Landsberg sei „bloß ein Ort wie jeder andere.“

Eine unbeholfene Montage. Denn weltbekannt und konkurrenzlos: Die „Hitler-Zelle“. Dort entstand gewissermaßen unter Hausarrest 1924 der erste Teil von „Mein Kampf“ – hier schlug also die Geburtsstunde des Evangeliums der NS-Erweckungsbewegung.

Landsberger Bürger machten Adolf Hitler in ihrer Stadt heimisch, lange bevor sich dessen Taten in den Stein der Ewigkeit meißelten. Und plötzlich die sensationelle Wende:

Warum erinnert sich die Stadt erst jetzt an ihre braune Vergangenheit?

In der NS-Zeit ging es den Orts-Nazis hauptsächlich darum zuzulegen. Initiator der „Qualitätsoffensive“: Dr. Ernst Schmidhuber, erster hauptamtlicher NS-Bürgermeister der „Hitler-Stadt“. Er war ursächlich für das nationalsozialistisch aufgeladene Baugeschehen von 1934 bis 1937, unter anderem in der NS-Schwaighof-Siedlung. Da wussten Landsbergs orthodoxe Grübler, was für die NS-Sache gut ist: Idealisierte WK1 – Kriegshelden wie Hindenburg, Weddigen, Richthofen, Spee und Immelmann durch Straßennamen propagandistisch herauszustellen.

Hindenburg-Ring: Paul von Hindenburg, „Steigbügelhalter“ Hitlers, Handschlag von Potsdam.

Otto Weddigen: U-Boot-Kommandant. 1914 versenkte er an einem Tag drei britische Panzerkreuzer, circa 1600 Mitglieder der Besatzung mussten sterben. Er bohrte auch unbewaffnete Handelsschiffe in den Grund.

In der Jagdstaffel des Freiherrn von Richthofen: Hermann Göring, letzter Staffelchef.

Dann das Panzerschiff Admiral Graf Spee und der Luftkampf-Taktiker Max Immelmann.

Allesamt leuchtende Vorbilder für die „Hitler-Jugend“.

Immerhin weht seither in Landsbergs Straßen dieser braune Geist. Ziemlich stark. Und nicht nur da?

Die Stadtväter haben es bisher versäumt, diese Wegweiser abzuhängen. Hier stören offenbar nicht solch ultrarechte Schemen, die, von den Nationalsozialisten überaus gepriesen und der Landsberger Geschichte einverleibt, als bewährte Namensgeber Landsberger Straßen existieren.

Längst überfällig: Distanz zu NS-Galionsfiguren. In: Hermann Kriegl„Vom Wesen der NS-Provinz Landsberg“ (2012), S. 251-268

Das rassistisch-völkische Heilsversprechen des „Führers“ entwickelte vor allem in München und Landsberg am Lech 1923/1924 einen erstaunlichen Sog. Der erfasste auch Ober-Regierungsrat Otto Leybold (von 1908-1928), Direktor des Landsberger Gefängnisses mit der „Hitler-Zelle“. Otto Leybold hatte eine große Schwäche für den „Führer“ – das pfiffen die Spatzen von den Dächern, als man dem Anstalts-Vorstand obendrein noch posthum schmeichelte.

1953 verlängerten nämlich die politischen Autoritäten Landsbergs den anfechtbaren Ruhm Otto Leybolds und schmücken den Abschnitt von der Angelius-Silesius-Straße zur Eichendorff-Straße mit dem Namen von Hitlers Wohltäter. Die Begründung des Stadtrats: Dank und Erinnerung an Otto Leybold für „gestiftete“ gärtnerische Anlagen.

Schon 1927 glaubte die Stadt Landsberg in Otto Leybold einen bedeutenden Gönner zu entdecken und verlieh dem passionierten Landsberg-Liebhaber die „Goldene-Bürger-Medaille“, sozusagen für die „Stadtveredelung“. Gemeint sind nach ihm benannte, von „Anstaltskräften“ hergerichtete Grünanlagen, vorzugsweise im Bereich der „Hitlerei“, die schon in den zwanziger Jahren wilde Blüten trieb, aber ihre besten Zeiten noch vor sich hatte.

In Landsberg gibt es immer noch die Otto-Leybold-Straße und das Denkmal.

Ein empörender Fauxpas, der eigentlich wie ein Schock wirken müsste an einem Ort, den einst Adolf Hitler nahezu in Trance versetzte.

Dazu extra bezeichnend: Das städtische Auftragswerk „Landsberg in der Zeitgeschichte – Zeitgeschichte in Landsberg (Hg.) V. Dotterweich und Karl Filser – In Verbindung mit Elke Kiefer und der Stadt Landsberg.“ Die an den Tropf des Steuerzahlers gehängte Publikation kam wesentlich später als erwartet im April 2010 auf den Markt. Das von der Stadt hochgejubelte Werk wurde im Festsaal des Historischen Rathauses weihevoll präsentiert. Dabei wurde Karl Filser überaus begünstigt. Dr. phil. Hermann Kriegl erhielt keine Einladung. Hier wurde offenbar mit zweierlei Maß gemessen.

Im Fokus der Kritik: Karl Filsers „Die Stadt unter nationalsozialistischer Herrschaft“.
Eine Untersuchung mit erheblichen Defiziten und gravierenden Schwächen.

Karl Filsers problematische Formulierung sticht besonders ins Auge:

„Der Terror, mit dem andernorts die Juden in dieser Nacht drangsaliert wurden, blieb ihnen in Landsberg erspart.“ („Reichskristallnacht“ 1938). Das soll wohl heißen, die jüdischen Landsberger wären nicht terrorisiert worden? Lässt sich die lokalhistorische Situation so simplifizieren und der Rechenschaft entziehen?

Anstößig genug ist das ungeheuerliche Ausmaß an Aggressivität, Demütigungen, Willkür und Ausgrenzung, das in Landsberg dem Sturz in die NS-Barbarei vorausgegangen ist.

Und dann: Karl Filsers unsensible Wortwahl  – „drangsalieren“.

Trifft das die „Judenpolitik“ in ihrer Abgründigkeit, wenn „andernorts in dieser Nacht“ Hunderte Juden ermordet wurden, die SA-Einsatzgruppen Synagogen anzündeten,
jüdische Friedhöfe und Geschäfte zerstörten und Zehntausende in Konzentrationslager verschleppten, wo nochmals ungezählte Opfer zu beklagen waren?

Karl Filsers Ausdeutungen sind keineswegs zu akzeptieren!

Warum hat die Stadt sich bisher einer klaren Stellungnahme enthalten? Das ist äußerst fragwürdig.

In Landsberg gilt es nun, neue Straßen einzuweihen mit Namen von Betroffenen wie Max Weimann, Karl Weckerle, Erna Kemeter, Josef und Ester Kes. Sie verdienen ehrenvolles Gedenken.

Dr. phil. Hermann Kriegl, Landsberg am Lech, 16.04.2017