Länderbericht Israel

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Der von Gisela Dachs für die Bundeszentrale für politische Bildung herausgegebene „Länderbericht Israel“ überzeugt durch seinen umfassenden Blick auf Geschichte, Gesellschaft und Kultur des Landes, der sowohl verschiedene Perspektiven als auch kritische Aspekte ermöglicht…

Überblickswerke zu Israel gibt es natürlich bereits, allen voran Michael Wolffsohns Standard-Nachschlagewerk, mittlerweile in der 8. Auflage, das allerdings mehr „informieren als diskutieren“ will. Der Länderbericht geht einen anderen Weg, indem er sich den verschiedenen Themenbereichen durch ausführliche, gleichzeitig sehr gut lesbare fundierte Beiträge widmet, die Raum für verschiedene Aspekte und Perspektiven geben. Der Band will die komplexe Realität des Landes in ihrem Kontext darstellen, wie Gisela Dachs im Vorwort anmerkt. Das ist wunderbar gelungen.

Besonders bemerkenswert ist dabei der Versuch, die konkreten Lebenswirklichkeiten der Israelis in den Vordergrund zu stellen. Denn all zu oft wird über Israel und den Nahostkonflikt gesprochen, ohne dabei die Realitäten der Menschen zu kennen. Die Einführung der Herausgeberin widmet sich daher zunächst ausführlich Alltag und Leben in Israel, das, obwohl eines von Kriegen und Krisen gebeuteltes Land, dennoch glückliche Bewohner hat, wie diverse Umfragen immer wieder zeigen. 

Die elf großen Themenblöcke werden durch ein Kapitel zur Ideengeschichte des Zionismus vor und nach 1948 eingeleitet. Besonderen Raum nimmt das Kapitel Gesellschaft ein und stellt sowohl die Grundlagen der Einwanderergesellschaft des Landes wie auch einzelne Gruppen vor, etwa die russische und die französische Immigration. Das Dilemma von Frauen in der von Kibbutzim und Religion geprägten Gesellschaft wird ebenso thematisiert wie jenes der israelischen Araber. Der Rolle der Religion ist ein eigener Themenblock gewidmet, der die für eine westliche Demokratie unbekannte Verknüpfung zwischen Religion und Staat erklärt.

Der Themenblock zum Konflikt beinhaltet neben einer sachlich ausgewogenen Überblicksdarstellung der Herausgeberin, einen Beitrag zur Siedlerbewegung, ein Porträt der von Kassam Raketen aus Gaza traumatisierten Stadt Sderot, sowie Nazareths, das zur Hauptstadt der arabischen Bevölkerung wurde.

Aluf Benn stellt in einem sehr ausführlichen Beitrag die Armee als als wichtigste Institution des Landes vor. Im Kapitel Wirtschaft- und Sozialwesen werden neben den eher bekannteren Themen Kibbutz und Hightech das Gesundheitssystem, Aspekte sozialer Sicherung und philippinische Gastarbeiter, die hier als Altenpfleger arbeiten, vorgestellt.

Über Israel und die Schoah schreibt Yehuda Bauer im Kapitel „Nationales Gedächtnis“. Er zeigt darin auch, wie die einzelnen Parteien mit dem Vermächtnis der Schoah umgehen, sowie die Gedenkrituale des Staates rund um den Jom haSchoah.  „Das Problem, wie mit der Schoah umzugehen sei, ist in Israel ein fortwährend und leidenschaftlich diskutiertes Thema“, summiert Bauer. Die Schriftstellerin und Soziologin Kinneret Rosenbloom widmet sich einem Thema, das auf jeden Fall zu wenig im Bewusstsein ist, wenn über Israel gesprochen wird – der Kollektiven Erinnerung an Verlust. Anhand des Übergangs zwischen dem Gedenktag für die Gefallenen und dem Unabhängigkeitstag zeichnet sie die Linien des Gedenkens im Land nach.

Moshe Zimmermann beleuchtet im elften Kapitel das deutsch-israelische Verhältnis und Sylke Tempel die Wahrnehmung Israels in Deutschland. Die Frage, ob die Distanz zu Israel, die sich in der Wahrnehmung des Landes zeigt, zu überwinden sei, beantwortet Tempel mit dem Hinweis, dass neben ein wenig Empathie, die einen Blick auf komplexe Zusammenhänge ermöglichen, auch eine Erkenntnis gehört: „Dass die Probleme – mit asymmetrischen Kriegen, zerfallenden Staaten in unmittelbarer Nachbarschaft, der Rolle der Religion, der Stellung von Minderheiten – durchaus Probleme sind, die eben nicht der Vergangenheit angehören, sondern nur allzu bald auch Deutschland beschäftigen könnten.“

Im letzten Kapitel zu Kultur, Medien und Bildung sei besonders der Beitrag des Journalisten David Witzthum hervorgehoben, der nach einer israelischer Kultur fragt, einer Kultur, die sich größtenteils neu geschaffen hat oder neu belebt wurde. 

Der Länderbericht wird durch eine ausführliche Zeittafel und eine kleine Literaturauswahl abgeschlossen. Sehr hilfreich für den Leser sind auch die von der Herausgeberin verfassten Infokästen, die den Band durchziehen und kleinere Themenkomplexe erklären, wie etwa den jüdischen Kalender, die sozialen Proteste im Jahr 2011 oder Begriffe wie Jischuw und Diaspora.

Besonders erwähnt sei noch die gute Bebilderung des Bandes, die sich wohltuend von den sonst üblichen Klischees abhebt. Man könnte meinen, in Israel sind nur Ultraorthodoxe, Soldaten oder Strandbesucher unterwegs, wenn man die tagtäglichen Bilder sieht, die in den Medien, nicht nur in Deutschland, sondern auch international, von Israel zu sehen sind. Dass es auch anders geht, demonstriert der Band wunderbar.

Übrigens, diese Publikation der Bundeszentrale für politische Bildung kostet nur 4,50 Euro. Definitiv ein Muss für jeden, der sich für Israel interessiert! (al)

Gisela Dachs (Hrsg.), Länderbericht Israel, Bundeszentrale für politische Bildung, Schriftenreihe (Bd. 10000), 2016, Euro 4,50, Bestellen?
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