Gefangen in Gaza

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Mehrere israelische Staatsbürger befinden sich als Geiseln in der Hand der Hamas. Die Islamisten betreiben mit ihnen ein grausames Spiel…

Von Ralf Balke

Das am 20. April veröffentlichte Video der radikal-islamischen Hamas war an Zynismus schwerlich zu überbieten. Immer wieder hört man einen Sänger, wie er im Stil mizrachischer Musiker auf Hebräisch singt: „Mutter, Mutter, hier bin ich. Warum behaupten alle, ich sei tot.“ Gezeigt werden dabei die beiden israelischen Soldaten Oron Shaul und Hadar Goldin, die seit der Militäroperation >Protective Edge< im Sommer 2014 in Gaza erst als vermisst, dann als gefallen gemeldet wurden. Ihre sterblichen Überreste befinden sich aller Wahrscheinlichkeit nach in den Händen der Islamisten. Eingeblendet werden dabei auch Fotos ihrer Eltern. „Mutter, Vater, ich sitze im Gefängnis der al-Qassam-Brigaden“, heißt es dann weiter in der gruseligen Inszenierung, die mit dem Hashtag in arabischer Sprache #eureregierunglügt versehen ins Netz gestellt wurde. „Macht alles, damit die Wahrheit endlich ans Licht kommt.“ Und es war nicht der erste Film in dieser Machart. Bereits im Dezember erschien ein Video mit animierten Bildern der beiden Soldaten, die sie im Stil einer Geburtstagsfeier zeigen.

Die Hamas betreibt mit ihnen ganz offensichtlich ein grausames Spiel. Dabei haben die Herrscher über den Gaza-Streifen bis heute weder den Tod von Oron Shaul und Hadar Goldin bestätigt, geschweige Beweise dafür geliefert, dass die beiden noch am Leben sind, was wohl ausgeschlossen sein dürfte. Auch war das Timing der Veröffentlichung des Videos alles andere als zufällig. Denn tags zuvor hatte eine Anhörung des eigens einberufenen Untersuchungskomitees der Knesset stattgefunden, bei der auch die Angehörigen während des Gaza-Krieges 2014 gefallenen Soldaten anwesend waren und es zu Tumulten kam. Viele von ihnen wollten die Einschätzung von Premierminister Benjamin Netanyahu nicht teilen, dass die Militäroperation ein voller Erfolg gewesen sei. „Für uns ist die Operation <Protective Edge< noch lange nicht beendet“, erklärte Hadar Goldins Mutter Leah. Zudem zeigte sie sich entsetzt darüber, dass ihre Familie „wie Staatsfeinde“ behandelt würde, nur weil sie ihren Sohn endlich würdevoll beerdigen möchten, was offensichtlich als konträr zu den Sicherheitsdenken des Staates wahrgenommen würde. Als der Likud-Abgeordnete Micky Zohar ihr das Wort zu verbieten versuchte, schleuderte Leah Goldin kurzerhand einen Wasserbecher in Richtung des Politikers.

Für die Islamisten jedenfalls waren diese Szenen des Schmerzes und der Wut der Angehörigen Gold wert. Denn die sterblichen Überreste sind in ihren Augen nichts anderes als Verhandlungsmasse. „Jede Information über gefangene Israelis hat ihren Preis“, tönte es sofort aus der Hamas-Führung. Die Videos dienen daher allein dem Zweck, den Druck auf die Regierung in Israel weiter zu erhöhen. Ihre Forderung lautet: Israel soll über 60 Palästinenser aus der Haft entlassen. Und zwar nicht irgendwelche, sondern genau diejenigen, die zu der Gruppe der 1.027 Inhaftierten gehörten, die Israel 2011 im Austausch für den jahrelang in Geiselhaft der Hamas gehaltenen israelischen Soldaten Gilad Shalit freigegeben hatte. Viele von ihnen waren aufgrund ihrer Beteiligung an Terroranschlägen gegen Israel erneut verhaftet worden – vor allem nach der Entführung und Ermordung dreier israelischer Teenager im Westjordanland im Sommer 2014.

Darüber hinaus befinden sich drei weitere Israelis in der Hand der Hamas. Diese sind aber sehr wahrscheinlich noch am Leben: Seit September 2014 der aus Äthiopien stammende Avraham Mengisto und seit April 2015 der Beduine Hisham al-Sayed. Beide gelten als geistig verwirrt und sind offensichtlich aus freien Stücken illegal über die Grenzbefestigungen in Gaza-Streifen gelangt – schließlich verbietet das israelische Gesetz seinen Staatsbürger den Aufenthalt dort. Ihnen folgte im Juli 2016 Jumaa Abu Ghanima, ein israelischer Araber, über dessen Motive jedoch keinerlei Informationen vorliegen. Auch über ihr Wohlergehen schweigt sich die Hamas beharrlich aus. In den hinter den Kulissen stattfindenden Verhandlungen, die über unbekannte neutrale Dritte laufen, dürften sie ebenfalls als menschliches >Pfand< gelten. „Keine Forderung kann das Verschwinden sowie den Handeln mit Menschenleben rechtfertigen“, sagte dazu Omar Shakir. „Besonders dann nicht, wenn es um Personen geht, die ernste psychische Probleme haben“, so der Direktor von Human Right Watch für Israel und die palästinensischen Gebiete.

Israels Angebot vom Anfang Februar diesen Jahres, Bilal Razaineh, ein im November 2016 auf israelischen Staatsgebiet eingedrungenes Mitglied der Hamas, dessen Bruder ein hochrangiger Anführer der al-Qassem-Brigaden ist, gegen eine der Geiseln auszutauschen, wurde brüsk seitens der Islamisten abgelehnt. Selbst die von Verteidigungsminister Avigdor Liebermans signalisierte Bereitschaft, dem Bau eines neuen Hafens sowie weiterer Industriezonen zuzustimmen, wodurch 40.000 Jobs für Menschen im Gaza-Streifen geschaffen werden könnten, wenn die Hamas in der Frage der Geiseln Bewegung zeigt, brachte kein Ergebnis.

Zudem scheint der seit dem 17. April andauernde Hungerstreik palästinensischer Gefangener in israelischen Gefängnissen, ausgerufen von dem seit 2004 in israelischer Haft sitzenden Marwan Barghouti, Mitglied des engeren Führungszirkels innerhalb der al-Fatah, die Geiselkrise weiter zu verschärfen. Offensichtlich sieht die in Konkurrenz mit der Palästinenser-Führung in Ramallah stehende Hamas in der mit viel internationaler Medienaufmerksamkeit bedachten Aktion eine Gefahr, Einfluss an die al-Fatah zu verlieren. Nun will sie auf den Zug aufspringen und stellte Israel ein Ultimatum: Für jeden Tag, den die Israelis nicht auf die Forderungen der sich im Hungerstreik befindenden Häftlinge reagiert, würde man weitere 30 Personen auf die Liste der Gefangenen setzen, deren Freilassung im Austausch mit den Geiseln gefordert wird. „Wir warnen den Feind unsere gerechten und legitimen Ansprüche zu ignorieren“, erklärte ein anonymer Sprecher der al-Qassam-Brigaden. Angesichts dieser Entwicklung darf nicht damit gerechnet werden, dass die israelischen Geiseln in naher Zukunft auf freien Fuss kommen werden und die Familien der beiden Soldaten endlich die sterblichen Überreste ihrer Söhne beerdigen können. Und das zynische Video der Hamas wird wohl nicht das letzte bleiben.

Bild oben: Screenshot aus dem Hamas-Video

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1 Kommentar

  1. Das Ziel dieses Videos ist es, das Leid der Eltern der getöteten Soldaten mit allen Mitteln zu vergrö0ern und dadurch einen weiteren Keil in die israelische Gesellschaft zu treiben. Dieses perfide Spiel scheint ein Stück weit aufzugehen.

    Ich wollte noch anmerken: Hamas, das sind Bestien … Doch das wäre zuviel Ãœberhöhung, es sind bösartige Feiglinge in Menschengestalt.

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