Kein linker Playboy

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Ilich Ramírez Sánchez, genannt: Carlos…

Von Gaston Kirsche
Eine kürzere Version ist erschienen in: Jungle World v. 16. März 2017

Am 13. März 2017 begann in Paris der dritte große Prozess gegen Ilich Ramírez Sánchez, der vor seinem Übertritt zu Islam während seiner Haftzeit den Kampfnamen Carlos trug. In einer eleganten Jacke mit rotem Einstecktuch trat er auf, warf Kusshände ins Publikum. Er genoss den öffentlichen Auftritt, und nutzte die Anwesenheit zahlreicher internationaler Medien, um gegen die vermeintlichen „zionistischen Interessen“ zu wettern, die hinter der von „aasfressenden Anwälten“ betriebenen Anklage stehen würden. Seine Anwältin erklärte in seinem Namen, es sei „völlig unverständlich“, warum er jetzt wegen Jahrzehnte zurückliegender Attentate vor Gericht käme. Von Einsicht oder Reue keine Spur, stattdessen die Behauptung, alle Morde habe er im Namen der Revolution begangen. Die auf Betreiben von Angehörigen erhobene Anklage wirft Ramírez vor, dass im 1983 in ein viel besuchtes Einkaufszentrum im Pariser Quartier Latin eine Handgranate geworfen habe. Zwei zufällig Anwesende starben, 34 weitere wurden zum Teil schwer verletzt.

Ramírez wollte mit diesem und weiteren Terroranschlägen gegen Zufallsopfer die Freilassung seiner in Paris zuvor Inhaftierten deutschen Ehefrau Magdalena Kopp erzwingen. Wegen vier dieser Anschlägen wurde er bereits in zwei früheren Prozessen zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt: Er hatte Bomben in Zügen explodieren lassen, in Bahnstationen, vor dem Büro einer Zeitung, die sehr kritisch über die Gräueltaten des Assadregimes in Syrien berichtete. 11 Tote, über 150 verletzte, so viele Opfer gab es alleine bei diesen vier Attentaten. „Niemand im palästinensischen widerstand hat mehr Menschen als ich umgebracht“, brüstete sich Ramírez in einem Interview mit einer Tageszeitung aus Venezuela. In seinen Augen kein Privatkrieg, sondern revolutionärer Kampf. Kopp war Mitglied der von Ramírez 1976 aufgebauten bewaffneten Gruppe „Organisation des Révolutionnaires Internationalistes“, ORI. Mit diesem kleinen Freischärlerkommando erledigte er bis 1991 gut bezahlte irreguläre Anschläge, zu denen sich in der Regel niemand bekannte, schon gar nicht die eigentlichen Auftraggeber. Gegründet wurde die ORI unter dem Schutz des irakischen Diktators Saddam Hussein in Bagdad, enge Kontakte pflegte Ramírez unter anderem zu dem libyschen Diktator Muammar al Gaddafi und dem Assadregime in Syrien.

Geboren wurde Ramírez am 12. Oktober 1949 in Venezuela, sein Vater war Anwalt und Kommunist, konnte ihm ein Studium an der Patrice-Lumumba-Universität in Moskau ermöglichen. Dort kam er in Kontakt mit Mitgliedern der Volksfront zur Befreiung Palästinas, PFLP, einer Organisation, welche ihren Kampf gegen Israel mit marxistischer Terminologie ummantelte. 1973 führte Ramírez sein erstes Attentat im Auftrag der PFLP aus. Er drang in das Wohnhaus von Joseph Edward Sieff in London ein und schoss ihm in den Kopf. Sieff überlebte knapp. Er sollte sterben, weil er ein prominenter Unterstützer Israels in England war. 1975 versuchte Ramírez gemeinsam mit zwei Mitgliedern des sogenannten internationalen Flügels der Revolutionären Zellen, RZ, am Pariser Flugplatz Orly startende zivile Flugzeuge der israelischen Gesellschaft El Al mit Panzerfäusten abzuschießen. Mit der PFLP überwarf er sich 1976, ihm wurde vorgeworfen, bei einer Kommandoaktion erpresstes Lösegeld für sich persönlich abgezweigt zu haben. Bis 1991 lebte er mit Magdalena Kopp und der gemeinsamen Tochter in einem großen Haus in Damaskus, protegiert vom Assadregime. Danach lebte er bis zu seiner Festnahme 1994 durch ein französisches Militärkommando in Khartum, der Hauptstadt des islamistisch beherrschten Sudan. Seitdem ist er in Frankreich inhaftiert. Er ist dort zum Islam übergetreten, hat sich mit Osama bin Laden solidarisiert. Dass hielt viele sich für schwer links Haltende nicht davon ab, sich mit „Carlos“ zu solidarisieren.

Einen Monat, nachdem Hugo Chávez sein Amt als Präsident Venezuelas angetreten hat, schrieb er im März 1999 seinem „verehrten Landsmann“ einen persönlichen Brief, „im tiefen Glauben an die Sache und die Mission, jetzt und für immer“. Antiimperialismus war selten weniger links. Dass Ramírez auch die Anschläge vom 11. September 2001 begrüßte, zeigt ebenso wie sein Verhalten jetzt vor Gericht, dass er sich und der Sache eines brutalisierten, antisemitischen und unterdrückerischen Antiimperialismus treu geblieben ist.