Der sanfte Löwe

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Zum Tod des israelischen Journalisten und Schoa-Überlebenden Ari Rath…

Von Roland Kaufhold 
Leicht gekürzt zuerst erschienen in: Jüdische Allgemeine v. 19.01.2017

Es waren zwei traumatische Erfahrungen, die sein Leben zutiefst prägten: der frühe Verlust seiner Mutter im Alter von vier Jahren durch Suizid und der österreichisch-deutsche Antisemitismus. Als Arnold Rath am 6. Januar 1925 in Wien geboren, wurde der spätere Träger des Goldenen Ehrenzeichens für Verdienste um das Land Wien an seinem Gymnasium noch vor dem »Anschluss« einer »Judenklasse« zugewiesen – und damit zum krassen Außenseiter.

Nach dem »Anschluss« 1938 und nachdem sein Vater ins KZ Dachau deportiert wurde, gelang Rath mit 13 Jahren – kurz zuvor hatte er als Mitglied der zionistischen Jugendbewegung »Makkabi Hazair« noch Flugblätter der »Vaterländischen Front« auf den Straßen verteilt – gemeinsam mit seinem älteren Bruder mit einem Kindertransport über Triest nach Palästina.

Noch an Bord der »Galiläa« schrieb er einen Abschiedsbrief an seine einstigen Freunde in Wien: »Aber trotz allem kann ich nicht ermessen, dass es jetzt ernst ist. Aber eines stärkt einen, dass man nach Eretz fährt und dass man für sein Volk etwas leisten kann.« Sein Bruder Maxi und er versprachen sich von diesem Moment an, miteinander nur noch Hebräisch zu sprechen. »Bis heute ist Hebräisch unsere gemeinsame Sprache geblieben«, sagte Rath jüngst in einem seiner letzten Interviews.

Ari Rath, der sich zeitlebens politisch links verortete, war Gründungsmitglied des in Nordisrael gelegenen Kibbuz Hamadia. Nach dem Geschichtsstudium ging er im Herbst 1946 mit 21 Jahren im Auftrag der Kibbuz-Bewegung für zwei Jahre nach New York, obwohl er anfangs nur rudimentär Englisch sprach. Der talentierte Autodidakt brachte sich die Sprache selbst bei. Sein Auftrag: junge amerikanische Juden für das Kibbuzleben in Palästina anzuwerben. In New York traf er seinen Vater wieder, den er acht Jahre lang nicht gesehen hatte. Dieser hatte Buchenwald, gesundheitlich schwer geschädigt, überlebt. Intuitiv sprachen sie nicht mehr deutsch miteinander. »Wir haben die Sprache bis zuletzt nie wieder miteinander gebraucht«, so Rath.

In den USA lernte er Golda Meir kennen. Im Auftrag von Teddy Kollek, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband, sollte er als Unterhändler über 40.000 Bazooka-Granaten für den Unabhängigkeitskampf erwerben. Mit dem Buick seines Vaters transportierte er gemeinsam mit zwei Waffenexperten der Hagana in einer abenteuerlichen Fahrt zwei Granaten »an einen stillen Ort außerhalb New Yorks«, um die Granaten zu erproben. Die Waffen funktionierten, der Deal kam zustande.

Mehrere Wochen lang verpackte er die Granaten und brachte sie mit einem Leihwagen in den Hafen von Brooklyn. Das Schiff »Russia« überführte sie nach Palästina. Doch Raths Tätigkeit in den USA hatte zur Folge, dass er zur Zeit der Staatsgründung am 14. Mai 1948 nicht in Israel, sondern in New York war. Es sollte ihn Zeit seines Lebens schmerzen.

1958 wurde Ari Rath Redakteur bei der Jerusalem Post – er sollte das Blatt prägen wie kein Zweiter. Er selbst wurde zu einer Institution im israelischen Journalismus. In den 60er-Jahren gehörte er innerhalb der seinerzeit mächtigen Arbeitspartei zum engen Kreis um Schimon Peres und Yitzhak Rabin. Ende 1965, es war Wahlkampf, arbeitete er für vier Monate – dafür ließ er sich von seiner journalistischen Tätigkeit beurlauben – als persönlicher Sekretär für David Ben Gurion. Eine prägende Erfahrung.

Ende der 70er-Jahre wurde er Herausgeber der damals politisch liberalen Jerusalem Post. Politisch gehörte er zu den Stimmen, die sich trotz aller Rückschläge unbeirrbar für eine friedliche Koexistenz zwischen Israelis und Palästinensern einsetz ten. Zahlreiche palästinensische Intellektuelle und Politiker gehörten zu seinen Gesprächspartnern. »Mein Leben lang habe ich optimistisch in die Zukunft geblickt, und trotz aller Hindernisse schien mir die Zukunft des Staates Israel sicher. Heute bin ich pessimistischer denn je«, schrieb er 2012 in seiner Autobiografie Ari heißt Löwe

»Im November 1938 hat mich die Stadt Wien im Alter von fast 14 Jahren aus der Heimat meiner Kindheit vertrieben. Alles, was mir lieb war, wurde mir genommen, weil ich Jude war.« Als Ari Rath dies in seiner Autobiografie schrieb, war er 88 Jahre alt. Nach seiner Pensionierung indes knüpfte Ari Rath wieder engere Bande zu seiner früheren Heimat Österreich. Dort wurde er ein beliebter, vielfach ausgezeichneter Interviewgast, gerade auch wegen seiner kritischen Stimme gegenüber der Entwicklung in Israel. Im Jahr 2015 hatte Ari Rath auch wieder, im Ringen mit dem Schmerz über den Verlust seiner einstigen Heimat, neben der israelischen die österreichische Staatsangehörigkeit angenommen.

Für die Kibbuzbewohnerin Zsuzsi Schindler und die israelische Bildungsexpertin Anita Haviv Horiner, beide sind durch Wien geprägt und gingen als überzeugte Linke nach Israel, ist der Tod ihres Gesprächspartners Ari Rath ein schwerer Verlust. Sie heben seine Lebendigkeit, seine Freiheit von Groll und seinen unverwüstlichen Optimismus als prägende, sie ermutigende Charaktereigenschaften hervor. „Durch ihn, seinen gleichzeitig historischen und zukunftsorientierten Blick habe ich viel über Israel gelernt. Wir haben uns oft bei einem von uns beiden sehr geschätzten Teller Suppe getroffen. Ich habe mich gefreut, dass ihn Wien, die Stadt, der er entflohen ist, mit Respekt und Hochachtung aufgenommen“ schreibt Anita Haviv-Horiner nach seinem Dahingehen.

Ari Raths glänzend geschriebenen Lebenserinnerungen vermitteln einen lehrreichen Einblick in die spannungsvolle Geschichte Israels. Mit diesem imposanten Werk trat er als Zeitzeuge immer wieder in österreichischen Schulen auf. Seine Sehnsucht nach Frieden in Israel war sein größter Wunsch, deshalb äußerte er sich teils scharf über die Entwicklung in Israel. Das Erstarken der rechtsautoritären FPÖ war für ihn ein Schock.

Am Freitag vergangener Woche nun ist Ari Rath im Alter von 92 Jahren gestorben. Israel bezeichnete er, der kritische Linke und große Journalist, immer als seine Heimat. Dort wurde er am Montag im Kibbuz Givat HaShlosha beerdigt.

Ari Raths Autobiografie „Ari heißt Löwe“

Bild oben: Ari Rath, (c) Familienarchiv