„Gerechte Ideen“: Wer gründete den IS?

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Am 13. August feierte Fidel Castro seinen 90. Geburtstag. Ihn zu ehren bedeutet auch, ihn zu kritisieren, denn ihn nicht zu kritisieren hieße ihn geringzuschätzen. Seit zwei Jahren verunziert ein kapitaler Bock des Líder histórico de la Revolución Cubana die deutschsprachige Website der granma, des offiziellen Organs des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Kubas. Seit ein paar Tagen ist das Thema wieder aktuell…

Von Detlef zum Winkel
Erschienen zuvor in: Jungle Blog, Von Tunis nach Teheran

In einem am 31. August 2014 um 22:25 Uhr veröffentlichten und mit einem Faksimile seiner Unterschrift versehenen Beitrag – auf Authentizität wird Wert gelegt – bekennt Castro sein Interesse an der Karriere des US-Senators John McCain. Castro wurde auf ihn aufmerksam, als der republikanische Hardliner über seine frühere Gefangenschaft in Vietnam zu berichteten wusste, er sei gefoltert worden und habe dabei gehört, wie seine Folterer von spanisch sprechenden Menschen beraten wurden. Damit wollte McCain bezeugen, dass kubanische Militärs am Vietnamkrieg teilgenommen hätten und das auch noch auf sehr inhumane Weise. Castro widerspricht kategorisch und nimmt sich den unterlegenen Präsidentschaftskandidaten von 2008 als Prototypen des Bösen vor. So weit, so gut, aber Castro weiß noch mehr:

„… das Zynischste an Herrn McCain (war) dessen Vorgehen im Nahen Osten. Senator McCain ist der bedingungsloseste Alliierte Israels in den Machenschaften des Mossad, etwas, das sich nicht einmal die schlimmsten Feinde hätten vorstellen können. McCain war gemeinsam mit diesem Geheimdienst an der Schaffung des Islamischen Staates beteiligt, der sich eines wesentlichen und lebenswichtigen Gebiets des Irak bemächtigte, sowie, wie es heißt, eines Drittels des syrischen Territoriums.“

McCain und Mossad haben also den IS gegründet. Castro will das alles gelesen haben, und dann habe er auch noch gewisse Details irgendwie anders, vermutlich noch direkter, erfahren. Jetzt hat er ein Problem. “ISIS is honoring President Obama. He is the founder of ISIS. He founded ISIS. And, I would say the co-founder would be crooked Hillary Clinton.” Donald Trump, republikanischer Präsidentschaftsbewerber 2016, erklärt, Obama sei es gewesen, assistiert von Hillary. Wer hat nun recht? Zwar erweckt ein alter sozialistischer Haudegen mehr Vertrauen als der neueste imperialistische Emporkömmling. Andererseits ist Trump näher an den US secrets als der alte Mann und die Insel. Er könnte einfach seinen Kollegen McCain gefragt haben, und der hat ihm erzählt, wer alles dabei war, auf der Gründungversammlung des IS?

Castro teilt sein kleines Analyseproblem mit Abermillionen Menschen quer über den Globus. Ein beachtlicher Teil der Weltbevölkerung glaubt zu wissen, dass der IS genauso wie Al Qaida von den USA in die Welt gesetzt worden sei. An Beweise werden keine Ansprüche gestellt, die These versteht sich von selbst. Besonders im Nahen Osten erfreut sie sich größter Beliebtheit. Unfähig sich damit auseinanderzusetzen, warum eine Verbrecherbande im Namen Allahs ein so großes Territorium im Handstreich erobern konnte, warum die von ihr etablierte „Scharia“ so ein barbarisches Antlitz aufweist, und warum so viele junge Männer zwischen Tunis und Teheran eine Vorliebe für Enthauptungsvideos entwickeln, fand man eine einfache und bequeme Erklärung: dahinter können nur die Amis stecken. Flankiert natürlich vom Mossad, früher Weltjudentum genannt.

Bei einem erfolgreichen Gerücht scheint es schier unmöglich zu sein, den oder die Urheber herauszufinden. Auf einmal ist es da und verbreitet sich mit Windeseile, weil es ein Bedürfnis stillt. Fragt man bei diesem Gerücht: „Woher hast du das?“, lautet die Antwort: „Aus dem Internet“. Das Netz ist die größte Gerüchteküche, und in seinen unzähligen Verästelungen scheinen sich die Spuren zu verwischen, die zu den Quellen führen könnten. Doch der Schein trügt. Tatsächlich bietet das Netz nicht nur enorme Kommunikationsmöglichkeiten, es zeichnet auch, wie wir aus anderen Zusammenhängen wissen, die Kommunikation erbarmungslos auf. So können wir anhand des minutengenauen Zeitstempels von Castros post unschwer feststellen, dass er die Behauptung vom IS und McCain nicht erfunden hat. Denn die war da schon längst unterwegs.

Es zeigt sich, dass iranische Staatsmedien, die Nachrichtenagenturen IRNA, Fars, IRIB und die halbamtliche Tehran Times, in der Entstehungsphase des Gerüchts eine bedeutende Rolle gespielt haben. Sie kolportierten bereits am 18.6.2014 den Stabschef der iranischen Streitkräfte Firusabadi mit dem apodiktisch vorgetragenen Satz, der IS sei „eine israelisch-amerikanische Bewegung mit dem Ziel, die zionistischen Grenzen gegen die Widerstandskräfte in der Region zu sichern“. Drei Wochen später schob Fars News auf seinen arabischen Seiten die Sensation nach: Edward Snowden habe auf der Website The Intercept (die von seinem Partner Glenn Greenwald redigiert wird) enthüllt, dass der IS das Produkt einer Zusammenarbeit dreier westlicher Geheimdienste sei: CIA, MI6 und Mossad. Dabei sei man einem alten britischen Plan gefolgt, ein „Hornissennest“ anzubieten, in dem sich alle arabischen religiösen Extremisten sammeln könnten, um Israels Nachbarstaaten aufzumischen. Al-Baghdadi sei, bevor er sich zum IS-Chef aufschwang, vom Mossad geschult worden.

Wer könnte so etwas besser aufdecken als Snowden? Aber die story war gefälscht. Auf Intercept fand sich nichts dergleichen, Greenwald und Ben Wizner, Snowdens Anwalt, dementierten jegliche Äußerung ihres Mandanten, die auch nur entfernt in dieser Weise interpretiert werden könne. Doch da eroberte das Hornissengerücht schon das Web, durch nichts und niemanden aufzuhalten, und einige Multiplikatoren waren bemüht, es mit weiteren schrillen Details anzureichern. Bei diesem Wettbewerb des Erfindungsgeistes steuerte die kanadische Website Global Research ein Foto bei, auf dem angeblich McCain im Gespräch mit Al-Baghdadi zu sehen sei. McCain dementierte: das Foto sei bei einem Treffen mit Kommandeuren der Freien Syrischen Armee im Mai 2013 aufgenommen worden, Leute von Al Qaida oder vom IS seien selbstredend nicht dabei gewesen. Das Dementi hätte er freilich auch abgegeben, wenn er wirklich Al-Baghdadi getroffen hätte. Wir müssen also selber hingucken und stellen fest: die von Global Research markierte Person (ohne Vollbart) sieht dem „Kalifen“ ungefähr so ähnlich wie jede andere auf dem Foto vertretene Person einschließlich McCain selber. Aber vielleicht hat Fidel Castro ein besseres Auge für Internet-Bildchen.

Nachzutragen bleibt, dass die Goldene Palme für Phantasie an den iranischen Geheimdienst geht, der nach Angaben von Fars News aufgedeckt habe, dass Al-Baghdadi ein geborener Jude mit dem richtigen Namen Simon Elliot sei. Google spielt das Spiel übrigens mit: gibt man Al-Baghdadi ein, bietet die Suchmaschine „Al-Baghdadi Mossad“ als verwandte Anfrage an. Sucht man nach „Al-Baghdadi Mossad“, so lauten die verwandten Suchanfragen „Simon Elliot“ oder „Simon Elliot al Baghdadi“. Freilich handelt es sich bei der Enthüllung des iranischen Geheimdienstes um einen Diebstahl geistigen Eigentums. Dieser Trick ist Made in Germany, und seine Erfinder nannten sich NSDAP.

Bei steilen Thesen iranischer Medien tut man gut daran zu überprüfen, ob sie autorisiert sind. Diese Aufgabe führt zur Website des geliebten Führers und Staatsoberhauptes Ali Khamenei. Ihre Ausgabe in Englisch hat eine durchgängige Fußleiste: „Don’t allow the colonialists to introduce their terrorists as representatives of Islam“. Meint er das wörtlich? Zum Ausklang des diesjährigen Ramadan verurteilte Khamenei die Anschläge während der Fastenzeit: „These are consequences of security organizations in the US, the Zionist regime and Britain who train terrorists“. Khamenei teilt offenbar die Sichtweise des Snowden-Hoax. Folgen westlicher Geheimdienstaktivitäten? Das könnte auch eine indirekte Verantwortung meinen. Aber nein: Im September 2014 erläuterte er dem iranischen Expertenrat in aller Direktheit: „Zwar behauptet der Westen, insbesondere US-Amerika, nicht mit diesen Gruppen in Verbindung zu stehen, aber aufgrund diverser Beweise ist nicht daran zu zweifeln, dass diese von den westlichen Mächten und ihren Handlangern in der Region aufgestellt wurden.“? Schließlich darf ein Hossein Amini (IRIB) im November 2015, neun Tage vor den Pariser Attentaten, die iranischen Erkenntnisse auf der Website des Leaders zusammenfassen: „ISIS qualifiziert sich für die Aufführung des letzten US-Marionettentheaters in der Region“. Hier taucht auch die Snowden story ungeachtet aller Widersprüche wieder auf, diesmal unter Berufung auf Global Research, obwohl Amini besser wissen müsste, wo sie herkommt. Damit hat das Gerücht ein Zertifikat der höchsten iranischen Autorität.

Es ist ein ärgerliches und wenig ergiebiges Unterfangen, die Propagandakriege von Geheimdiensten entschlüsseln zu wollen. Was bringt es letztlich herauszufinden, wen McCain tatsächlich auf seinem Syrientrip getroffen hat oder was Snowden gesagt oder nicht gesagt hat? Die Infamie liegt allerdings in der Behauptung, hinter dem IS stehe ein Plan oder eine Strategie, die dem Staat Israel helfen soll. Wieder einmal ist Israel die Wurzel allen Übels und aller Scheußlichkeiten auf der Welt. Das Gerücht ist antisemitisch und sein Erfolg dramatisch. Was Khamenei betrifft, gehört der Antisemitismus zu den Standards seines politischen Repertoires. Das gilt für die gesamte Elite des Mullah-Regimes, Ausnahmen muss man mit der Lupe suchen. In Kuba gibt es keine derartige Entsprechung, allenfalls ein paar venezolanische Einsprengsel in den letzten Jahren. Und doch meint Castro, McCain bei einer Teufelei ertappt zu haben, die er nicht einmal diesem Senator zugetraut hätte. Wohl aber dem Mossad?

Von Castro muss erwartet werden, dass er seine Entgleisung vom 31.8.2014 zurücknimmt und bei der Aufklärung hilft, wie es dazu kommen konnte. Sein Text trägt die Überschrift „Entweder die gerechten Ideen siegen oder es kommt zur Katastrophe“. Die Idee einer jüdischen Weltverschwörung ist weder richtig noch gerecht. Sie trägt erheblich zur Katastrophe bei.

1 Kommentar

  1. Castro wird einen Teufel tun und irgendwas zurücknehmen, dieses Fossil ist sich mit seinen Freunden Iran, Venezuela und ähnlichen Kalibern einig: Das ist so, wie herbeifantasiert – kein Irrtum möglich.

    Seine Verdienste sind schon lange Vergangenheit, was bleibt ist die Etablierung eines Systems, das mit Freiheit nur noch dann entfernt zu tun hat, wenn direkte Vergleiche mit nochmals deutlich übleren Regimes herangezogen werden. Die Kumpanei mit dem Henkerregime von Teheran, das die Auslöschung des israelischen Staates zu einem primären staatlichen Ziel erkoren hat, spricht Bände.

    Von Castro ist nichts mehr zu erwarten, schon gar nicht ein Nachdenken über seine Verantwortung für ein autoritäres Regime, reaktionäre Außenpolitik und nicht zuletzt die Befeuerung antisemitischer Wahnvorstellungen.

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