Der Staatsanwalt und mein Neffe

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Es ist schon vergessen. Der Staatsanwalt Celal Kara war einer der wichtigsten Figuren in meinem kafkaesken Prozess im Jahr 2010 in Istanbul. Er saß wie eine römische Statue auf derselben Höhe des Richterplatzes und spielte während des Prozess mit seinem Laptop. Der Gerichtssaal war überfüllt. Meine Freunde aus Deutschland und aus meiner Kindheit und die Vertreter der Presse waren da…

Von Dogan Akhanli

Mein Prozess dauerte bis zum späten Abend. Alle Zeugen wurden angehört. Alle Beweisdokumente wurden verlesen. Die Verteidigung hat die Anklageschrift niedergemetzelt und die Staatsanwalt damit lächerlich gemacht. Den Richtern blieb nichts anderes übrig, mich frei zu lassen und später auch freizusprechen.

Der Staatsanwalt Kara hat seine Rache mit einer Revision bei dem Obergericht geübt. Der Grund der Revision vom Staatsanwalt Kara lautete: „Wenn auch alle Beweise zugunsten des Angeklagten sprechen, heißt es nicht, dass er unschuldig ist!“

Und das Obergericht (Yargitay) hat ihm Recht gegeben. Mein Freispruch wurde kassiert. Ein Haftbefehl wurde erlassen. Uns so weiter und so fort…

Genau vor einem Jahr im August 2015 berichtete die türkisch und deutsch Presse, dass angesichts ihrer drohenden Festnahmen in der Türkei drei Staatsanwälte außer Landes geflohen waren. Unter anderen auch Celal Kara, mein Staatsanwalt. Er wurde wegen „Bildung einer kriminellen Vereinigung“ und „Versuch zum gewaltsamen Sturz der Regierung“ zur Fahndung ausgeschrieben.

Mit derselben Begründung wollte er mich lebenslänglich ins Gefängnis stecken. Nun wurde gegen Ihn ein internationaler Haftbefehl erlassen, so wie gegen mich auch. Seine Istanbuler Kollegen wollen ihn auch wegen derselben Paragraf des Strafgesetzbuches lebenslänglich ins Gefängnis stecken.

Er sollte in Deutschland einen Asylantrag gestellt haben. Er ist aber nicht auffindbar.

Ich dachte, es wäre eine sehr interessante Begegnung, wenn ich mich mit meinem ehemaligen Staatsanwalt, heute auch er im Exil in Deutschland lebend, so zusagen mein Schicksalsgenosse, treffen und über die Willkür, die Arroganz und die heutigen Lage unseres Herkunftslandes sprechen, über unser Erfahrungen mit dem türkischen Gewaltapparat und Exil auszutauschen könnte.

Während ich mich in meinem Kopf mit meinem ehemaligen Staatsanwalt unterhalte, kam eine Nachricht von meinem Anwalt Ilias Uyar aus Köln. Er teilte mir mit, dass die Tagezeitung Cumhurriyet – ihr Chefredakteur Can Dündar, der nach dem Putsch nicht mehr in die Türkei zurück kehren wollte und nun in Deutschland bleibt – berichtete, dass mein Neffe, der Richter Tolga Oral, festgenommen worden sei.

Ich habe seine Eltern angerufen und erfahren, dass er ohne eine konkrete Anschuldigung festgenommen wurde. Aufgrund des Aufnahmezustands müssen Richter und Staatsanwälte kein Grund für die Festnahmen geben. Es wurde angedeutet, dass der Verdacht auf eine Zusammenarbeit mit der Gülenisten, der Grund sei.

Tolga war während seiner Studentenzeit Mitglied des Gruppe multiethnische Musikensemble „Kardes Türküler“, das mit seinen anatolischen Volksliedern seit inzwischen mehr als zwei Jahrzehnten türkischer, armenischer, kurdischer und arabischer Musik präsentiert.

Jeder der ihn kennt weiß, dass er vier Jahre lang kein Richter sein durfte, weil er immer bei den mündlichen Prüfungen abgelehnt hatte, ideologisch-religiös motivierte Fragen zu beantworten.

Als er es endlich geschafft hatte, das Amt eines Richters zu bekleiden, konnte er sein Arbeit schon während seines ersten Prozesses vor einem Jahr nicht weiter führen, weil er aus seinem Amt bei Obersten Verwaltungsgericht des Landes entlassen und zu an ein einfaches Finanzgericht zugewiesen wurde.

Nun ist Tolga im Gefängnis und wartet auf seinen Prozess, wie viel Tage oder Monate das sein werden, weiß niemand.

Seine Adresse:
Ankara 1 Nolu L Tipi Cezaevi,
Tutuklu: Tolga Oral / B-Blok
06930 Sincan/Ankara
Türkei