Von ganz weit her

0
31

Russische Juden in Augsburg. Eine neue Ausstellung im Jüdischen Kulturmuseum…

Von Jim G. Tobias

Nach der deutschen Wiedervereinigung beschlossen die Innenminister, jüdischen Emigranten aus der ehemaligen Sowjetunion die Einreise in das Bundesgebiet zu gestatten. Grundlage für diese Entscheidung war ein Versprechen der frei gewählten Volkskammer, den sowjetischen Juden, die dem alltäglichen Antisemitismus entfliehen wollten, „in der DDR Asyl zu gewähren“. Bis heute siedelten über 200.000 Juden aus den GUS-Staaten nach Deutschland über. Die Einreisegenehmigung wurde erteilt, wenn der Immigrant nachweisen konnte, dass er jüdischer Abstammung ist. Bei Ehepaaren genügt es, wenn ein Partner seine jüdische Herkunft belegte. Doch nicht alle blieben; viele machten sich nach einem Zwischenstopp auf den Weg nach Israel oder in die USA. Etwa 14 Prozent der jüdischen Zuwanderer ließen sich in Bayern nieder.

Bei den Israelitischen Kultusgemeinden in Deutschland herrschte anfangs große Euphorie: Man erwartete sich von den Zuwanderern eine Renaissance des jüdischen Lebens. Viele der Übersiedler wuchsen allerdings ohne eine Bindung zum Judentum auf. In der ehemaligen Sowjetunion wurde „jüdisch“ lediglich als Nationalitätszugehörigkeit verstanden. Religion und Tradition konnten nicht gelebt werden. Dennoch trug die russisch-jüdische Zuwanderung zur Stabilisierung der zum Aussterben verurteilten Gemeinden in Deutschland bei – von rund 30.000 Mitgliedern schnellte die Zahl binnen weniger Jahre auf über 100.000 hoch.

Auch die Israelitische Kultusgemeinde (IKG) in Augsburg hatte in den 1990er Jahren kaum eine Zukunft. Erst mit dem Zuzug von russischen Juden war die Existenz der jüdischen Gemeinde sichergestellt. Doch die Integration der von ihrer religiösen Tradition entfremdeten Menschen war nicht immer einfach. „Wir sind seinerzeit in ein fremdes Land gekommen und standen vor neuen, ungewohnten, manchmal dramatischen Situationen“, erinnert sich der in Taschkent geborene Präsident der IKG Augsburg-Schwaben, Alexander Mazo, an seine Ankunft in Deutschland.

Mit seiner Ausstellungsreihe „Jüdisches Leben in Augsburg nach der Katastrophe“ dokumentiert das Jüdische Kulturmuseum Augsburg seit 2012 die Geschichte der Gemeinde in den letzten 70 Jahren (wir berichteten). Die aktuelle und letzte Schau trägt den Titel „Im Übergang. Jüdische Gegenwart 1990–2010“ und beleuchtet den Wandel, der sich durch die Einwanderung von über Tausend Juden aus der ehemaligen Sowjetunion in die Stadt vollzogen hat. Im Mittelpunkt stehen Videointerviews, in denen die Neubürger von ihren Erfahrungen im Heimatland und in der Emigration berichten. Die Ausstellung zeigt, wie sich eine Gemeinschaft verändert und entwickelt und wie sich die allgemeine Wahrnehmung von jüdischem Leben in der Stadt gewandelt hat. Den Immigranten kam dabei eine wichtige Rolle zu: „Sie mussten doppelte Integration leisten“, sagt Museumsleiterin Benigna Schönhagen. „Einerseits sich als nichtreligiös Aufgewachsene in eine religiösen Gemeinde einfügen und sich andererseits in die nichtjüdische, säkulare deutsche Zivilgesellschaft integrieren.“ Ein spannendes Stück Migrationsgeschichte mit lokalem Fokus. Angesichts der heftig diskutierten deutschen „Flüchtlingspolitik“ ist die Ausstellung „Im Übergang“ aber auch ein aktueller und hilfreicher Beitrag im politischen Diskurs.

Die Schau ist noch bis zum 11. Dezember 2016 zu sehen: Di – Do 9–18 Uhr, Fr 9–16 Uhr, So 10–17 Uhr. Ein reich bebilderter deutschsprachiger Katalog mit einer separaten russischen Übersetzung ist für 16,00 € (15 € plus 1 € für die Übersetzung) zuzüglich Versand im Museum erhältlich.

Jüdisches Kulturmuseum Augsburg-Schwaben, Halderstraße 6-8, 86150 Augsburg, Tel.: 0821-513658, Fax: 0821-513626, email: office@jkmas.de