Die zionistische Sittenpolizei

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Das Plenum des Hamburger sozialen Zentrums Roten Flora lehnte es ab, dem Revolutionären Aufbau Waterkant, RAW, Räume zur Verfügung zu stellen. RAW erklärt dies zur Sabotage seiner Arbeit. Der Roten Flora geht es darum, sich nicht für kruden Antiimperialismus und antiisraelische Statements vereinnahmen zu lassen. Eine Kontroverse, die zeigt, wie der Umgang mit Antisemitismus und das Verhältnis zu Israel umstritten sind in der radikalen Linken…

Von Gaston Kirsche

„Rote Flora sabotiert antinationale Veranstaltungen wegen Antizionismus“ stand über der Erklärung, die der Revolutionäre Aufbau Waterkant, RAW, bereits 17 Stunden nach dem Ende des zweiten Plenums der Roten Flora, auf dem über eine Raumvergabe für die Veranstaltungen entschieden wurde, am 19. Mai nachmittags auf seiner Facebookseite postete: Eine „Sabotage unserer politischen Arbeit“ hätte auf dem Plenum stattgefunden, indem „zwei Individuen, die Teile des israelsolidarischen Spektrums in der Flora repräsentieren, ein Veto gegen unsere Veranstaltungsreihe ‚Klassenkampf statt Vaterland!‘ eingelegt“ hätten. Die Raumabsage sei absichtlich sehr kurzfristig erfolgt. Die Erklärung changiert zwischen dem larmoyanten Einnehmen der Rolle eines Opfers der Roten Flora, kraftmeierischem Aufgetrumpfe und einer scheinbar detaillierten Darstellung der Diskussion auf dem Plenum. Die große Geste der Empörung geht einher mit der Behauptung, für gerechtfertigte Kritik an Israel von einem allmächtigen Plenum ungerechtfertigt sanktioniert zu werden. Es verwundert nicht, dass die Sabotage-Erklärung auf vermeintlich linksradikalen Internetseiten die Runde macht und sich in den zugehörigen Kommentarspalten teilweise recht ressentimentgeladen gegen „die Antideutschen“ und die Rote Flora gehetzt wird. Gerne auch als Kombination: „In der Flora tummeln sich bereits seit mehreren Jahren eine große Anzahl von Reaktionären Anti-D’s“. Das reicht bis zum Vorwurf in einem Facebookpost „Ihr Antideutschen solltet euch mal um die Bullen in euren Reihen kümmern statt politische Arbeit zu sabotieren.“ Die Enttarnung wie zuletzt gerade jetzt im Mai von ehemaligen Verdeckten Ermittlerinnen des Staatsschutzes, die auch auf die Rote Flora angesetzt waren, wird dem autonomen, besetzten Zentrum zum Vorwurf gemacht, sich doch lieber um die aktuell eingesetzten Polizeispitzel zu kümmern, als bei der Raumvergabe selbstbestimmte politische Kriterien anzulegen. Ein perfider Vorwurf, einem linken Zentrum dessen Ausforschung durch die Polizei anzulasten.

Ein anderer Kommentator fragt, „wie man sich als Kommunist, als konsequenter Antiimperialist überhaupt mit Befürwortern des westlichen Imperialismus einen Raum teilen und gemeinsam kämpfen kann“ – der RAW solle „raus aus der Szene und der Flora“ und im übrigen: „fick das Antideutschentum“.

Die so als Trutzburg einer mächtigen israelsolidarischen, antideutschen Strömung in Hamburg halluzinierte Rote Flora ist real „ein seit 27 Jahren besetztes Kulturzentrum, das sich als Störfaktor und Kontrapunkt zu den bestehenden kapitalistischen Verhältnissen versteht“ , wie das Plenum der Roten Flora jetzt gegenüber dem Autor bekräftigte: „Seit dem ersten Tag der Besetzung ist die Flora ein plurales, strömungsübergreifendes Projekt der antiautoritären Linken, in dem solidarischer Umgang und Basisdemokratie zum Anspruch gehören“. Der RAW wohl auch kaum auf die Idee gekommen, eine Veranstaltungsreihe in der Roten Flora durchführen zu wollen, wenn diese nicht für ihre Offenheit bei der Raumvergabe für linke Veranstaltungen bekannt wäre. Der RAW hat früher bereits die Räume der Roten Flora genutzt. Der harschen öffentlichen Kritik an dem linken Zentrum will das Zentrum aber nicht über Medien entgegentreten. Das Plenum der Roten Flora erklärte Ende Mai gegenüber dem Autor, sich zu der Erklärung des RAW und der folgenden Debatte nicht für einen Zeitungsartikel äußern zu wollen: „Debatten über linksradikale Strukturen und Strategien führt die Flora nachvollziehbarerweise nicht in der Zeitung oder Facebook-Kommentarspalte.“

Die Schilderung der Debatte auf dem Plenum der Roten Flora, zu dem der RAW wegen der Veranstaltungsreihe eingeladen war, durch eben diese Gruppe ist in sich widersprüchlich und in fataler Weise personalisierend. Dies ist auch ohne eine Darstellung des Konfliktes seitens der Roten Flora erkennbar. Etwa, wenn vom vermeintlichen Hauptsaboteur behauptet wird, da „zuckte der grinsende Veto-Einleger mit den Achseln und machte endgültig klar, dass völlig egal war, was wir sagen“.

RAW ist eine neue Gruppierung, bezieht sich in seinen patchworkartigen Statements ebenso auf einen Rätekommunismus wie auf die staatlichen Symbole der Sowjetunion, will radikal auftreten und wirkt dabei nicht nur mit dem von ihr gepflegten Militanzkult unreflektiert. Insbesondere ihre Schwesterorganisation, der Revolutionären Aufbau Bremen, RAB, pflegt einen Militanzfetischismus, besonders exzessiv in ihrem Mobilisierungsvideo für den 1. Mai: Alle Gezeigten vom RAB treten vermummt auf, blicken äuserst entschlossen, als krönender Abschluss steht eine Gruppe geschlossen formiert eng zusammen, einer hält eine Art Schreckschusspistole in die Kamera. Dieser schon ins militaristische gehende Militanzkult wirkt ebenso wie die Vermummung nicht wie ein offenes Angebot zur Diskussion. Zur Bebilderung der schönen Parole „Der Hauptfeind ist das eigene Land“ für ein Transparent auf der Luxemburg-Liebknecht-Demonstration im Januar 2016 in Berlin übernahm der RAB ein Propagandamotiv der antikommunistischen Dolchstoßlegende aus dem 1. Weltkrieg – ein grimmiger Roter der einem Soldaten hinterhältig einen Dolch in den Rücken rammt.

Ähnlich wie der RAB tritt auch der RAW auf, die sogenannte „Revolutionäre 1.- Mai-Demo“ in Hamburg, an welcher der RAW mit einem Block beteiligt war, wirkte wie eine geschlossene Formation, die kaum Inhalte vermittelte, sondern sich für Außenstehende über eine aggressiv wirkende Verteidigungsbereitschaft gegen die eingesetzten Hundertschaften der Polizei in Kampfmontur und deren Wasserwerfer zu definieren schien. Auch das Zerlegen einer Baustelle in der Eimsbütteler Chaussee auf der Höhe der alten Studios des linken Radiosenders FSK wirkte martialisch und unvermittelt. Der RAW ist sich selbst seine eigene Jugendorganisation, vielleicht aus Unerfahrenheit wird ungebrochen auf die alte KPD der zwanziger Jahre positiv Bezug genommen. Bis hin zum Organisationsnamen: Bezirk Wasserkante war in der alten KPD die Bezeichnung für den Bereich Hamburg und Schleswig-Holstein, Waterkant ist die vor 1933 häufig genutzte plattdeutsche Schreibweise.

Der RAW personalisierte den Konflikt mit dem Plenum der Roten Flora nicht nur, sondern verschweigt in seiner Erklärung auch einiges. Es gibt an der Vorderseite der Roten Flora zwei große Plakatwände, die von Gruppen nach Absprache für Ankündigungen genutzt werden können. Dort warb der RAW für seine drei Veranstaltungen. Daneben brachte die Gruppe aber auch groß einen Aufruf zur „Revolutionären 1.-Mai-Demo“ an. Zwar warb der RAW für einen eigenständigen „Antinationalen Block“ und grenzte sich so scheinbar von dem antiimperialistischen Spektrum rund um das sektiererische Zentrum B5 ab, welches das Demobündnis „Revolutionäre Linke Hamburg“ dominiert. Auf der Demonstration selbst war davon nichts zu sehen, es wurde gemeinsam der Verbalmilitanz gefrönt. Mit dem antiimperialistischen Spektrum hatte die Rote Flora mehr als nur Meinungsverschiedenheiten: Nachdem am 25. Oktober 2009 von Aktiven aus der B5 die Aufführung des Filmes „Warum Israel“ des jüdischen Filmregisseurs Claude Lanzmann in dem im Hof hinter ihrem Zentrum gelegenen Kino B-Movie mit einer massiven Blockade verhindert worden war, kritisierten Aktive der Roten Flora die Blockade als antisemitisch motiviert. Als es in den Monaten danach zu körperlichen Angriffen auf als Antideutsche identifizierte radikale Linke durch Aktive aus der B5 kam, verurteilte das Plenum der Roten Flora diese scharf.

Der Aufruf zur „Revolutionären 1.-Mai-Demo“ an der Flora-Fassade war denn auch eines Morgens überklebt. Der RAW nahm dies aber nicht zum Anlass, mal zu überlegen, wie fair es eigentlich ist, die Fassade der Flora zur Mobilisierung für eine Demonstration zu nutzen, an der sich die Rote Flora aus vielen Gründen nicht beteiligen will.

Auch dass auf der Facebookseite des RAW zustimmend eine Parole wiedergegeben wurde, welche von ihrer Schwesterorganisation, dem Revolutionären Aufbau Bremen, RAB, beim dortigen 1. Mai als Parole gerufen wurde, wird die Rote Flora nicht eben für den RAW eingenommen haben: Die Parole „Von Dersim bis nach Gaza-Stadt – Macht die Scheiß Besatzer platt!“, ergänzte der RAW noch mit einem zünftigen „Solidarität mit Palästina!“ Der Post ist mittlerweile gelöscht, aber in der Sabotage-Erklärung schreibt der RAW selbst: „Diese Parole steht für die Kritik an der Türkei (Dersim) und Israel (Gaza-Stadt), dass sie ein Territorium (Nordkurdistan/ Gaza, Westjordanland) und die dort Lebenden ihrer Herrschaft unterwerfen, aber diese Menschen aus ihrem Volk heraus definieren und entsprechend brutal behandeln.“ RAW versteht sich selbst als antinationale Gruppe, positioniert sich entschieden gegen deutschen Nationalismus – aber eben auch explizit gegen Israel:

„…würde also die kommunistische Idee die Massen unter israelischer Herrschaft ergreifen, und darüber selbst zur materiellen Gewalt werden, die stark genug ist, Hamas, Fatah und IS-Ableger zu vernichten, den israelischen Staat zu zerschlagen“. Eine zumindest irritierende Aufzählung, die nahelegt, dass eben alle Nationalismen und Nationalstaaten unterschiedslos zu bekämpfen seien und der Terror des IS in einem Atemzug mit Israel genannt werden kann.

Dass sich Widerstand gegen lokale Herrschaft im Gazastreifen gegen die Hamas und nicht gegen Israel richten müsste, sollte für eine antinationale Gruppe eigentlich selbstverständlich sein.

Der RAW will Antisemitismus bekämpfen, grenzt sich von plattem Antiimperialismus ab und versteht sich als antinational: „In unserer Arbeit in den Arbeitervierteln von Hamburg und Bremen haben wir täglich mit islamistischen und türkisch-nationalistischen Agitatoren zu tun, die die Jugend von ihren antisemitischen Ideen überzeugen wollen“.

Schon viele kommunistische Gruppen sind in die Falle getappt, gegen eine hierzulande weit verbreitete antisemitische Ablehnung Israels eine vermeintlich kommunistische Kritik Israels zu setzen, um die „Massen“ dort abzuholen, wo sie bewusstseinsmäßig stehen würden: „Deshalb beschäftigen wir uns mit der antisemitischen Kritik an Israel, seiner Staatsräson, und den fatalen Fehlern des palästinensischen Widerstands.“ Hamas und Fatah kritisieren sie, allerdings als falsche Antworten auf den vermeintlichen Heimatraub durch Israel. Kein Wort davon, dass Israel vom Tag seiner Gründung an bekriegt wurde. Aber der RAW grenzt sich mit seiner Kritik an Hamas. Fatah (und auch am IS) ab vom „Mainstream der antiimperialistischen Szene“.

Beim „Revolutionären 1. Mai“ in Hamburg war aber „die Sicherheit“ und Geschlossenheit der Demonstration wichtiger als die Abgrenzung von den dort dominierenden antiimperialistischen Gruppierungen, so der RAW in seiner Sabotage-Erklärung: „Denn nicht den Bullen zuzuarbeiten, ist uns wichtiger als der Eindruck, den wir auf die zionistische Sittenpolizei erwecken“. Hinter der Absage einer Raumüberlassung durch das Plenum der Roten Flora verschwörerisch eine „zionistische Sittenpolizei“ zu halluzinieren, und so ein antisemitisches Stereotyp zu nutzen, macht die ganze Behauptung einer Bekämpfung des Antisemitismus seitens des RAW unglaubwürdig.

Eine kürzere Version dieses Artikels erschien zuvor in der Jungle World v. 2. Juni 2016.