Das rote Meer in der Müslischale

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Ich gebs zu: ich bin ein Pessachmuffel. Ich kann mich für dieses Fest partout nicht begeistern. Ja, die Geschichte ist gut, die Lieder echt joffi und es ist auch wirklich klug, sinnvoll und wichtig, die Freiheit zu feiern. Und gegen die vier Becher Wein beim Seder hab ich auch nichts. Aber die Mazze? Nu, …bereits beim Gedanken an Mazze läuft mir das Wasser im Munde zusammen – und ich lechze innerlich nach Brioche, Baguette, Mohnbrötchen und Schneckennudeln…

Von Ramona Ambs

Ich habe eine ausgesprochene Vorliebe für Chametz jeder Art. Brot, Brötchen, Kuchen und Kekse und nicht zu vergessen: Pasta in allen Varianten! Das Leben ist schön: mit (!) Chametz. Jawohl.

Nun hör ich in meinem Kopf schon meinen Rabbi, wie er mir sagt, wie wichtig der Verzicht sei, damit man sich in die Lage unserer Vorväter hineinversetzen kann, als sie überstürzt und ohne gesäuerten Brotteig aus Ägypten aufbrechen mussten. Aber- was soll ich sagen?! – ich- und ich bin mir da echt ziemlich sicher- ich hätte Brot mitgenommen. Ehrlich. Auch und grade wenns schnell gehen muss. Ein Leben ohne Brot- das ist eine Plage. Schlimmer als die Nummer mit den Fröschen ist es auf jeden Fall. Ehrlich. Für mich jedenfalls.

Aber da ich ja dennoch irgendwie traditionsbehaftet bin, nehm ich mir jedes Jahr vor, voll fett korrekt kosher-le-pessach zu sein. Ich singe also echad mi jodea, kaufe Mazzen und reinige das Haus. Naja, nicht komplett das ganze Haus, aber die Küche. Ok,- es ist nicht die ganze Küche, sondern nur der Küchenschrank. Na gut,- es ist das obere Fach im Schrank, wo die Kekse liegen. Ich wisch es aus. Aber der gute Wille ist da. Und mein Rest-Chametz verkauf ich immer pro forma in dieser Zeit an einen guten Freund. Der lagert es zum Glück in meinem Haus. Sonst würde ich nervös werden.

Der erste Seder, und bei dem bleibt es jedes Jahr, denn wir bevorzugen die israelische Variante, überstehe ich auch immer gut ohne chametz. Wir lesen die Haggadah, also die gekürzte Variante der Kurzvariante, wir essen ganz wenig Maror und ganz viel Charosset und trinken, wie es uns gefällt. Wir feiern die Freiheit! Und abends, wenn das Geschirr abgeräumt ist, die Kinder im Bett und die Kippot verteilt zwischen den Mazzekrümeln auf dem Tisch liegen, dann widerstehe ich heldenhaft dieser traditionell-spontan auftretenden Wahnsinnssehnsucht nach Pizza und einem kleinen Bier.

Ich bin tapfer. Sehr sehr tapfer.

Allerdings überlege ich jedes Jahr, ob ich Pessach nicht etwas reformieren sollte. Schließlich leide ich ja fast an so etwas wie Mazzaphobie… und Freiheit ist ja auch ein großes philosophisches Wort!…kurz: ich erwäge Pessach etwas chametziger zu gestalten. Zumindest das Frühstück könnte man doch im Sinne des schnellen Vorankommens durch die Wüste durch ein Croissants erweitern. Und ich wäre in Gedanken auch sehr bei meinen Vorvätern. In Dankbarkeit! -Man könnte auch mit Müsli und Milch die Teilung des roten Meeres in der Müslischale nachstellen… es gäbe viele kreative Möglichkeiten, Pessach auch ohne Mazzen zu feiern…ich grüble noch…

“dieses Jahr sind wir noch traditionell, nächstes Jahr… – nu, mal sehen…“